Ohne Spritze: Zur Glaubwürdigkeit von PR

Sprache ist toll. Mit ihrer Hilfe können wir in wenigen Sätzen erklären, wie man die Wurzelspitze eines Backenzahns entfernt. Oder wie man sich währenddessen gefühlt hat. Und dass man auf jeden Fall eine örtliche Betäubung wollte, da der Schmerz sonst grauenvoll gewesen wäre. In der PR können wir vermitteln, wie ein Produkt funktioniert und wer es sinnvoll zu was nutzen kann. Wir können komplexere Zukunfts-Szenarien skizzieren und ihre Wahrscheinlichkeit einschätzen.

Leider können wir alles das auch lassen. Bewusst, noch dazu. So hält sich mancher für oberschlau und formuliert seine Texte so, dass Leserinnen und Leser vermeintlich nichts vom unerfreulichen Kern der Nachricht merken. Dann heißt es nicht Stellenabbau sondern “Personalschlüssel-Optimierung”, die Lagerhalle hat nicht gebrannt, sondern “eine thermische Modifikation erfahren”.

Das ist immerhin nicht gelogen, na ganz toll. Es ist nur ein bisschen aufgehübscht. Redlich ist anders. Dabei nimmt die PR doch so furchtbar gerne für sich in Anspruch, langfristig Vertrauen aufzubauen. – So? Wohl nicht.

Was noch viel ärgerlicher ist:

Dieser Angewohnheit wohnt widerliche Arroganz inne. Denn die Autoren dokumentieren, dass sie ihr Publikum für dämlich halten. Und unterschätzen. Belegschaften begreifen sehr wohl, dass es unerfreulich ist, wenn einige von ihnen bald keinen Job mehr haben – egal wie das heißt. Journalisten erkennen, dass ein Produkt gar nicht neu ist, sondern dass nur dieses Unternehmen endlich auch mit seinem Me-too-Produkt hinterher schwankt. Den „innovativen Meilenstein“ in der Social-Media-4.0-Release werden  die Journalisten gequält belächeln.

Ich spreche einen Toast auf alle in der PR aus, die Tag für Tag verständliches Deutsch schreiben, um Inhalte zu erklären. Alle Anderen mögen sich das Missverständnis beim Zahnarzt vorstellen, der die Wurzelspitzenresektion ein klein wenig zu positiv dargestellt hat – und die deshalb auf eine Spritze verzichtet haben.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe PR und Sprache. Das Heft können Sie hier bestellen.

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