Einfach mal man selbst sein

Reden der Dax-CEOs

Wenn Angela Merkel nach der nächsten Bundestagswahl als Kanzlerin aufhört (zumindest ist das der Plan), endet nicht nur ihr eigenes Auftreten in der Öffentlichkeit, sondern auch das ihrer Doppelgänger. Die haben über Jahre im Radio („Man kommt ja vor lauter Regieren zu nichts“), in TV-Shows oder als Höhepunkt auf Hochzeiten und Firmenfeiern den ganz persönlichen Macken und Merkmalen der Regierungschefin eine besondere Bühne bereitet.

Das bekannteste Merkmal schlechthin ist die Raute. Und eines der bekanntesten Merkel-Doubles, Ursula Wanecki, gab vor Kurzem der Nachrichtenagentur dpa zu Protokoll, sie habe diese Raute im Laufe der Jahre in ihr eigenes Gesten-Repertoire aufgenommen – und müsse sich das jetzt dringend wieder abgewöhnen.

Die Raute strahlt Ruhe aus – wenn man die Finger stillhält

Die Raute ist so bekannt und beliebt, dass immer mehr Rednerinnen und Redner sie sich zu eigen gemacht haben. Aber ein ganz spezielles Merkmal einer ganz besonderen Person auf die eigene Gestik übertragen: Das funktioniert eben doch nicht so leicht. Und die Raute strahlt auch nur so lange eine entspannte Ruhe aus, wie man die Finger zusammenhält und nicht rumzappelt.

Das konnte man sehen bei den Reden der Vorstandsvorsitzenden bei den diesjährigen Hauptversammlungen der Dax-30-Konzerne. Alle Versammlungen wurden online übertragen, und die Macher hatten unterschiedliche Ideen für die Darstellung und Inszenierung entwickelt (siehe auch mein Text hier).

Besonders schwer taten sie sich dabei in vielen Fällen ausgerechnet mit der Darstellung des CEO. Den einen versteckte man hinter einem viel zu hoch geratenen Rednerpult, an dem er sich festkrallte und 30 Minuten unentwegt in die Kamera starrte (MTU Aero Engines – ein absolutes Desaster!). Den anderen stellte man vor eine überdimensionale Projektionswand – und ließ ihn da ununterbrochen stehen (Herbert Diess von Volkswagen – charmant, aber leider auf Dauer recht statisch). Andere durften sich frei bewegen, und dann kam aber bei allen irgendwann der Moment, dass sie sich offenbar fragten: Was mache ich eigentlich mit meinen Händen? Antwort: Einfach mal eine Raute bilden.

Einfach kopieren geht nicht

Und genau das funktioniert nicht. Auch nicht bei Timotheus Höttges, den sowohl die Analysten vom Verband der Redenschreiber als auch die von Rhetorikcheck und Handelsblatt (zu denen ich gehörte) einmal mehr zum insgesamt besten Hauptversammlungs-Redner krönten. Für meinen Geschmack hat auch er zu viel Raute gezeigt. Was per se nicht das Problem ist, was aber oft künstlich, aufgesetzt und nicht authentisch wirkt.

Auch die Vorstandsvorsitzenden von Bayer (Werner Baumann – der an seinem Rednerpult abseits des eigentlichen Hauptversammlungs-Raums schon ein bisschen aufs Abstellgleis geschoben wurde), Daimler (Ola Källenius) und Deutsche Bank (Christian Sewing) haben sich reichlich im manchmal unmotiviert und inhaltlich unpassend wirkenden Raute-Formen geübt (respektive was man bei der Deutschen Bank unter einer Raute versteht).

Das Spiel mit den Händen ist schon immer eine der großen Herausforderungen für Redner und Moderatoren. Darum drückt man ihnen im Fernsehen auch gerne große Moderationskarten in die Hand, auf die sie aber nie schauen. Für die Hauptversammlungen wäre das ein Tipp fürs nächste Jahr: Gebt den CEOs und Rednern etwas in die Hand, wenn sie auf der offenen Bühne stehen. Zum Beispiel kleine Technik-Einheiten, Produkte, Modelle, Broschüren aus dem eigenen Haus.

Was eine gute Rede ausmacht: Persönlichkeit zeigen

Das hat man ganz gut bei Michael Zahn von Deutsche Wohnen gesehen. Der hat bei seiner sprachlich ziemlich schwachen Rede mit manchmal viel zu langen künstlichen Pausen und zum Teil falschen Betonungen steif wie ein Baumstamm dagestanden. Hände auseinander, dann wieder zusammen, wieder auseinander, wieder zusammen … so ging das die ganze Zeit. Am Ende hat er sich – zu dem Zeitpunkt war die zwischenzeitlich geplatzte Fusion mit Vonovia noch aktuell – als CEO verabschieden wollen, griff nach einem alten Geschäftsbericht und zeigte ein Foto von sich und seinen Vorstandskollegen aus längst vergangenen Tagen. Da wurde der Baumstamm plötzlich lebendig, die Hände hatten was zum Zeigen und – viel wichtiger – der ganze Auftritt wirkte für einen kurzen (!) Moment inhaltlich und emotional ehrlich und authentisch.

Das mit dem Ehrlich und Authentisch ist nämlich neben der Dauer-Raute ein weiteres Problem für viele CEOs gewesen: Bedingt durch das virtuelle Korsett und offenbar eingeschüchtert durch die Kameras und Teleprompter haben sie sich für stoisches Ablesen entschieden. Das war nicht nur bei MTU so (siehe oben), sondern zum Beispiel auch bei Covestro und Fresenius Medical Care. Das wirkt dann aber nicht nur steif, sondern auch unglaubwürdig, vor allem wenn freudige Inhalte („Ich bin begeistert“) in krassem Gegensatz zur lustlosen Vortragsweise stehen.

Persönlich und glaubwürdig ist besser

Zwei Redner möchte ich noch erwähnen, weil sie mir auf jeweils eigene Art in Erinnerung geblieben sind: Dominik von Achten (Heidelberg Cement) und Nikolai Setzer (Continental).

Achten hat etwas getan, was sich kaum ein CEO traut: Er ist seine ganze Rede über einfach sitzen geblieben und hat sich dabei auch noch bequem auf seinen Ellbogen abgestützt. Das wirkte manchmal etwas zu sehr leger und, ja, auch ein bisschen von Pflichten gelangweilt. Es ist halt alles eine Frage der „Haltung“. Aber seine Art, frei zu sprechen, seine Mimik, sein zwischen Unterlagen, Monitor und Kamera wechselnder Blick hatte etwas Lebendiges. Ihm habe ich gerne zugehört, weil es natürlich (!) war und nicht gekünstelt. Weil er gefühlt wirklich mit mir gesprochen hat, weil er auf seine Art lebendig war und nicht stocksteif. An dem Auftritt und der Inszenierung insgesamt kann man aber sicher noch arbeiten …

Nikolai Setzer ist mir in Erinnerung geblieben, weil er zunächst durch ein virtuelles Cockpit wanderte und den Zuschauern die bereits entwickelte und die kommende Fahrzeugtechnik erläuterte. Es hatte etwas Spielerisches, und auch wenn Setzer nicht wusste, wohin mit seinen Händen (nach vorne zur Kamera beugen ist eine ganz doofe Idee, denn dann werden die Hände irgendwann größer als der Kopf), hatte man den Eindruck: Der hat Freude an dem, was er da tut. Einfach authentisch.

Und damit sind wir wieder bei Ursula Wanecki. Warum sie nämlich als besonders authentisches Merkel-Double gilt, liegt nicht nur an der Raute, sondern auch an Körperhaltung und Gesten allgemein. Und die habe sie nie trainiert, erzählt sie der dpa. Sie hätte sich schon immer ähnlich wie Angela Merkel bewegt. Auch die Frisur hatte sie demnach schon. Dann muss man natürlich auch nicht so viel kopieren und nachmachen. Einfach mal man selbst sein – das möchte man vielen Vorstandsvorsitzenden am Ende dieser kommunikativ eher durchwachsenen HV-Saison mitgeben.

Weitere Artikel