Der Ton macht die Musik

Reden schreiben, Reden halten

Eine Rede zu einem sachlichen Thema kann man sehr gut ablesen. Ein Faktum nach dem anderen. Immer die ganzen Gedanken sprechen und auf die richtigen Betonungen achten, das hat nur einen mittleren Schwierigkeitsgrad. Wenn aber die Rede eine Ansprache an die Mitarbeiter ist, die motiviert werden wollen, wenn Menschen entlassen werden oder Politiker für eine neue Strategie begeistert werden müssen, reichen die Pausen und Betonungen nicht aus. Jetzt braucht eine Rede Emotion.

Am besten wäre es, wenn die Rednerin die Begeisterung einfach mitbrächte. Manche Pressesprecher haben das Glück, eine solche Chefin zu haben, und freuen sich darauf, ihr eine tolle Rede zu schreiben, die sie dann kongenial umsetzt. Was mache ich aber, wenn der CEO staubtrocken ist? Was mache ich, wenn die Begeisterung daraus besteht, dass er komisch grinst und die Arme hochreißt, weil ihm jemand gesagt hat, er solle große Bewegungen machen? Das werden jetzt Momente zum Fremdschämen. Je mehr Regieanweisungen der Redenschreiber in den Text schreibt (begeistert, mahnend, eindringlich), desto schlimmer wird es.

Die Satzmelodie sagt mehr als Worte

Jeder Satz in einer mündlichen Unterhaltung hat eine eigene sprachliche Qualität. Man könnte auch sagen, dass jeder Satz einen anderen Unterton hat, einen anderen Subtext. Wenn wir im Alltag vorschlagen, „lass uns essen gehen!“, dann sagt die Melodie, mit der wir das sagen, deutlich mehr als unsere Worte. Ich kann das mit großer Lust sagen, mit Schalk im Nacken, hungrig oder beschwichtigend, weil der andere sich so aufregt. Doch wie soll das ein rhetorisch nur schwach begabter Redner hinbekommen?

Er könnte das machen, was auch Schauspielerinnen machen oder Fernsehmoderatoren, die vom Teleprompter ablesen: Er arbeitet mit Regieanweisungen. Im ersten Schritt arbeite ich persönlich immer mit nur drei Zeichen, die jeweils vor den wichtigen Sätzen stehen.

(!) Auch das zweite Quartal ist bisher gut gelaufen.
(-) Leider nicht so gut wie im letzten Jahr.
( 🙂 ) Doch ich bin zuversichtlich.

Mit diesen drei Zeichen vor den Sätzen sollte auch ein schlechter Redender in der Lage sein, den Sätzen einen Unterton zu geben. Im Deutschen ist ja besonders gemein, dass sich manchmal erst im letzten Wort entscheidet, ob ein Satz positiv oder negativ gemeint ist.

Wir haben in den letzten drei Jahren in den USA einen großen …

Ja, was denn nun? Gewinn oder Verlust gemacht? Wenn vor dem Satz ein Minuszeichen oder ein Smiley steht, ist es einfach. Der Redner muss nicht bis ans Ende des Satzes warten und dann beim letzten Wort alles mit einem unnatürlichen Lächeln rausreißen, wenn er merkt, dass der Satz positiv gemeint ist. Jetzt könnte man im nächsten Schritt mit Adjektiven arbeiten, aber die müssen während der Rede erst „übersetzt“ werden, und das ist nicht so einfach.

(optimistisch) Auch das zweite Quartal ist bisher gut gelaufen.
(ernst) Leider nicht so gut wie im letzten Jahr.
(kraftvoll) Doch ich bin zuversichtlich.

Da bin ich gar nicht gespannt, wie sich das anhören wird. Das klappt sehr oft nicht. Ernst geht ja noch, aber optimistisch, abwägend, zweifelnd? Deswegen gibt es eine einfachere Möglichkeit, Sätze mit Untertönen zu versehen. Man kann mit Vorsätzen arbeiten. Die Autorin setzt dem Satz einen Satzanfang voran, der genau die Stimmung und den Unterton ausdrückt, den man erzeugen möchte.

(Eines ist klar!) Auch das zweite Quartal ist bisher gut gelaufen.
(Wie schade…) Leider nicht so gut wie im letzten Jahr.
(Das wird schon…) Doch ich bin zuversichtlich.

Meiner Erfahrung nach weiß jetzt auch ein ungeübter Redender genau, was von ihm verlangt wird. In einem ersten Schritt würde ich nicht jeden Satz mit einem Unterton versehen, aber wenn das Prinzip verstanden wurde, wird die Chefin oder der Chef immer geübter mit diesen Vorsätzen und freut sich über alles, was der Redenschreiber ihm oder ihr liefert.

Sätze zum Tanzen bringen

Besonders, wenn die Rede einen einheitlich positiven oder negativen Tenor hat, sind diese Vorsätze ein Segen. Wie furchtbar es klingt, wenn alle Sätze begeistert gebrüllt werden, können wir an einer schlechten Radiowerbung für das nächste Möbelhaus überprüfen. Mithilfe der Vorsätze lässt sich das wesentlich differenzierter ausdrücken.

(Ich sage es nochmal) Einen Gewinn auf Konzernebene werden wir nur schaffen, wenn die Finanzmärkte mitspielen.
(Das wissen Sie ja) Denn die Konjunktur hat eine große Bedeutung für die Höhe der Risikovorsorge.
(Im Vertrauen) Und die Finanzmärkte beeinflussen das Ergebnis erheblich.

Versuchen Sie selbst mal, diese Sätze laut zu lesen. Sie denken den Vorsatz und lesen den Satz. Das ist nicht schwer und gelingt in meinen Seminaren jedem auf Anhieb. Ich muss im Text nur darauf achten, dass diese Vorsätze grafisch deutlich abgesetzt sind. Wobei es sicher auch kein Problem wäre, wenn der Redner den ein oder anderen Vorsatz mit vorliest.

Jetzt entsteht etwas, das ich tanzende Sätze nenne. Sie werden kein Mitglied unseres Rednerverbandes finden, dem das nicht ein ganz wichtiges Anliegen ist. Nur wenn die Sätze sich anhören wie in einem privaten Gespräch, ist es richtig. Die Herausforderung für den Profi ist es, sich in einer unnatürlichen Situation natürlich zu verhalten. So klingt das falsch:

(freudig) Oh, es gibt Nudeln.
(freudig) Die habe ich mir schon immer gewünscht.
(freudig) Dann können wir ja anfangen.
(freudig) Guten Appetit!
(freudig) Du hast toll gekocht …

Nein, im Alltag klingt jeder Satz anders und diese fünf Gedanken brauchen im Alltag fünf verschiedene Untertöne.

Checkliste für die Vorsätze

  1. Die Vorsätze sollten nicht zu lang sein. „Pst!“ ist besser als „jetzt sind wir leise!“
  2. Steigern Sie die Menge der Vorsätze langsam.
  3. Alle Sätze beginnen linksbündig.
  4. Sie können die Sätze farblich oder in einer anderen Schrift absetzen.
  5. Ebenso ist es möglich, dem Redner zur Anregung eine Seite solcher Vorsätze anzubieten (Ich bin stolz, wie wunderbar, ich weiß nicht so recht, das hätte ich nicht für möglich gehalten) und ihn dann bitten, den Text mit solchen Vorsätzen zu versehen.