Medienbuzz und langfristige Wirkung

PR-Stunts

Das Generieren von Aufmerksamkeit ist das Ziel vieler Kommunikationsaktivitäten. Wer freut sich nicht darüber, wenn sich die Ergebnisse der eigenen Arbeit in groß aufgemachten Artikeln, TV-Beiträgen zur besten Sendezeit oder in Likes und Shares in den Social Media widerspiegeln? Wenn Unternehmen und andere Organisationen Reichweite wollen, denken sie und ihre Agenturen oft in PR-Stunts. Eine Maßnahme muss her, die „knallt“. Eine, bei der „Bild“ aufspringt. „Tagesthemen“, „Heute Journal“ und internationale Leitmedien wären die „Cherry on the Cake“. In den Social Media und auf Youtube sollen Influencer die Reichweite multiplizieren. Es soll „Buzz“ erzeugt werden. Am Ende braucht es einen „Impact“.

Die weltweit herausragendsten PR-Stunts werden bei den Cannes Lions präsentiert. Überwiegend sind es die international führenden Werbeagenturen und PR-Netzwerke, die mit ihren Kampagnen für Weltkonzerne wie Samsung, Burger King, Apple, Procter & Gamble oder Anheuser-Busch die PR-Kategorien dominieren. In den Case-Filmen ist dann zu sehen, wie die Kampagnen es insbesondere auf dem US-Markt bis in die Sendungen der führenden TV-Networks schaffen. NBC, CNN oder Bloomberg nutzen Marketing, Werbung und die öffentliche Darstellung von Unternehmen gerne als Aufhänger, um ein Thema zu diskutieren. Diversität und Inklusion waren in diesem Jahr Themen, die die Einreichungen am häufigsten adressierten. Nicht ohne Grund nehmen Debatten um Diversität auf der politischen Agenda in den USA und darüber hinaus viel Raum ein.

Die Projekte sind oft mit einem Millionenbudget unterlegt. Für die meisten Organisationen und ihre Kommunikationsabteilungen im deutschsprachigen Raum sind solche Ausgaben für ein einziges Projekt unrealistisch. Durch die herausragenden PR-Stunts zieht sich meist eine ähnliche Systematik, wie über Medienberichterstattung und Social Media eine enorme Reichweite erzielt wird.

Das „Hope Reef“ gewann einen Grand Prix in Cannes in der Kategorie „Media“. Ein Korallenriff vor Indonesien wurde seit 2019 renaturiert, so dass der aus der Luft sichtbare Schriftzug „Hope“ entstand. © Sheba
<sup>Das Hope Reef gewann einen Grand Prix in Cannes in der Kategorie Media Ein Korallenriff vor Indonesien wurde seit 2019 renaturiert so dass der aus der Luft sichtbare Schriftzug Hope entstand © Sheba<sup>

Ganz neu ist der Kampagnenansatz nicht: Storydoing statt Storytelling lautet die Kurzformel. Bedeutet: Am Ende steht eine Aktion, die eine bleibende Wirkung, eine Verbesserung und eine Veränderung herbeiführt. Es entsteht etwas Greifbares. Mal ist es wie beim Case „Hope Reef“, dem Gewinner in der Kategorie „Media“, ein Riff, das über mehrere Jahre rekultiviert wurde und dessen gesunde Korallen den Schriftzug „Hope“ zeigen. Oder es wurden Out-of-Home-Anzeigeflächen in Hamburg gebaut, die gleichzeitig Obdachlosen eine Unterkunft bieten. Auch der deutsche Case vom Flutwein leistet mehr als Storytelling. Die limitierten, mit Schlamm verklebten Weinflaschen von Weinbetrieben aus dem Ahrtal werden gegen eine Spende abgegeben. Der Erlös soll in den Wiederaufbau der vom Hochwasser zerstörten Region fließen. Es seien mehr als 4,5 Millionen Euro zusammengekommen, schreiben die Kampagnenorganisatoren.

Kein Selbstzweck

Sabine Hückmann, CEO bei der Agentur Ketchum Deutschland, sieht PR-Stunts als Teil eines guten Kommunikationsmix. „Aber sie sind niemals Selbstzweck“, sagt sie. „Denn ‚Media Buzz‘ allein, also eine Wirkung auf Kommunikationskanäle, darf keine Entscheidungsgrundlage mehr sein, um Ausgaben zu rechtfertigen.“ Es brauche eine messbare Wirkung auf die Zielgruppe, um daraus eine Wirkung auf die Organisation ableiten zu können. Für einen PR-Stunt reiche es längst nicht mehr aus, „einfach nur groß und laut, unerwartet und ungewöhnlich zu sein“, so Hückmann. Bei Medien kommen laut und ungewöhnlich allerdings weiterhin gut an. Kundenseitig sind allerdings vermehrt Ernsthaftigkeit, Raffinesse und eben kein plumper Quatsch gefragt.

Ein Beispiel für einen PR-Stunt aus Deutschland lieferten kurz vor Weihnachten 2021 der Lebensmitteldiscounter Penny und die Agentur Serviceplan mit dem Film „Der Wunsch“. Dieser wurde inzwischen vielfach ausgezeichnet – auch in Cannes. Penny ist eine Marke, mit der viele wohl am ehesten das Adjektiv „günstig“ oder „um die Ecke“ verbinden. Die Läden sind häufig so beengt, dass man am liebsten möglichst schnell wieder rausgeht. Große Emotionalität dürften die wenigsten verspüren, wenn sie ein Geschäft betreten. Strategisch will sich Penny als Nachbarschaftsdiscounter positionieren und sich so von der starken Konkurrenz Aldi, Lidl und Netto abheben.

Genau wie seine Wettbewerber investiert Penny viel Geld in seine Spots, die vor allem kurz vor Weihnachten geschaltet werden. Die Vorweihnachtszeit ist die umsatzstärkste Zeit des Jahres im Lebensmitteleinzelhandel. Penny produzierte also den Film „Der Wunsch“, der für einen Werbefilm durch die Decke ging und auch in der breiten Öffentlichkeit ankam. Auf Youtube stand das Video bis Ende Juni bei fast 18 Millionen Klicks.

Es geht in den etwa vier Minuten um eine Mutter, die sich nichts sehnlicher wünscht, als dass ihr jugendlicher Sohn endlich das machen kann, was junge Menschen so machen und was aufgrund der Coronamaßnahmen verboten und unmöglich war: auf Partys gehen, Mädchen kennenlernen, Scheiße bauen und betrunken von den Eltern irgendwo abgeholt werden müssen. Der Film erschien Mitte November 2021, als sich die Coronasituation in einer erneuten Welle zuspitzte. Kinder, Eltern, Großeltern und viele andere machten sich Sorgen, dass Schulen und Kitas wieder schließen und wie 2020 erneut alle Freizeitangebote für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wegfallen könnten. Dass junge Menschen von Coronaeinschränkungen unverhältnismäßig hart getroffen wurden, dürfte inzwischen Konsens in Gesellschaft und Politik sein.

Einen Nerv treffen

Penny traf also zum richtigen Zeitpunkt einen Nerv, eine bereits bestehende Gefühlslage, die das Unternehmen mit dem Film verstärkte – Agenda Surfing. In der Kommunikationsterminologie ist es auch Agenda Setting: die Etablierung des Narrativs, dass junge Menschen in Deutschland nicht noch einmal so stark von Coronamaßnahmen belastet werden dürfen. „Über diesen Spot redet Deutschland. Warum das ‚Weihnachtswunder‘ so in unser Herz trifft“, schrieb „Bild“.

Der Film ist das Gegenstück zu den Spots „#besondereHelden“, mit denen die Bundesregierung im Winter 2020/2021 alle jene jungen Menschen zu Helden erklärte, die zu Hause blieben. Penny verbreitete den Film über seine eigenen Social-Media-Kanäle bei Facebook, Instagram und Youtube und zeigte die Spots im Kino, was sich nicht ganz erschließt, weil Kinos entweder geschlossen waren oder selbst strikten Beschränkungen unterlagen. Zusätzlich gab es Informationen im Newsletter sowie im Kunden- und Mitarbeitermagazin.

Was wollte der Discounter erreichen? Antwort: Buzz und Medienpräsenz generieren, eine Debatte anstoßen. „Trotz vergleichbar niedrigerer Werbe­spendings und Reichweiten möchte Penny zum Gesprächsstoff werden, um zur hochbeworbenen, umsatzstarken Weihnachtszeit Aufmerksamkeit zu generieren“, erklärt Penny-Pressesprecher Andreas Krämer. Die Marke gehört zur Rewe Group. Für das Unternehmen sind Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren, die von zu Hause ausgezogen sind und wenig Geld haben, eine wichtige Zielgruppe. Eine „Eroberungszielgruppe“, die im Idealfall der Marke lange treu bleibt. Auch Penny sucht Personal. Der Spot sollte helfen, die Zahl der Azubi-Bewerbungen zu erhöhen.

Gelohnt hat sich der Film für Penny in jedem Fall: „Wir konnten am Ende der Kampagne die Mediapräsenz durch Presseberichterstattung um 205 Prozent zum Vorjahr steigern“, sagt Krämer. 173.000 Interaktionen habe es in den Social Media mit dem Film gegeben. Dazu kommen zahlreiche Preise.

Wie bei den meisten PR-Stunts haben auch Penny und Serviceplan eine Aktion eingebaut, so dass es nicht beim Storytelling bleibt. Der Discounter verloste „5.000 unvergessliche Erlebnisse und Erfahrungen“ an Jugendliche. Interrail-Trips, Fahrten zu Musikfestivals und Klassenabschlussfeiern – also all das, was zwei Jahre lang kaum möglich war. Dazu vergab Penny sechs Azubi-Stellen, die mit dem kostenlosen Wohnen in einem WG-Zimmer einhergehen. „Das Gewinnspiel hat für uns eine große Bedeutung, denn es zeigt: Wir meinen es hier wirklich ernst und möchten etwas zurückgeben“, betont Penny-Sprecher Krämer. Etwa 187.000 Jugendliche hätten an dem Gewinnspiel teilgenommen.

Am Ende geht es bei PR-Stunts darum, etwas zu bewirken und eine Verbesserung zu erzielen. Sie sind meist dann erfolgreich, wenn es nicht bei Ankündigungskommunikation bleibt. Diese sieht die Öffentlichkeit inzwischen häufig kritisch. Schnell steht ein Green-, White- oder Pinkwashing-Verdacht im Raum. Dass also etwas versteckt werden soll. „Auch PR-Stunts brauchen ein messbares Ziel, das über die Wirkung auf Kanäle hinausgeht. Sie müssen auf einer kulturellen Wahrheit beruhen; die Auftraggebenden müssen ihrer Brand Voice treu bleiben – nicht jede Stunt-Mechanik passt zur Marke – und letztlich auch Kontroversen aushalten. Dann bewirken sie auch etwas“, fasst Hückmann die Funktion von PR-Stunts zusammen.

Sabine Hückmann © Ketchum Deutschland
<sup>Sabine Hückmann © Ketchum Deutschland<sup>

Ihr präferierter PR-Stunt ist ein Case aus 2019: „The Illegal Blood Bank“. In Großbritannien durften homosexuelle und bisexuelle Männer nur dann Blut spenden, wenn sie vorher drei Monate keinen Geschlechtsverkehr hatten. Es mangelt an Blutspenden. Eine Organisation eröffnete also eine Blutbank für homo- und bisexuelle Männer, deren Blutproben anschließend auf Infektionskrankheiten untersucht wurden. In der Medizin zum Einsatz kamen sie nicht. „100 % safe“ heißt es in der Case-Beschreibung über die Blutergebnisse.

Und der Impact? Der Stunt führte zu einer Gesetzesänderung: Seit 2021 können die genannten Gruppen Blut spenden – wie alle anderen auch.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #AgendaSetting. Das Heft können Sie hier bestellen.

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