„Diversität wird oft sehr schmal verstanden“

Diversity

Vor drei Jahren hat Runa Hoffmann zusammen mit Demba Sanoh die Agentur „Same but different“ gegründet. Zusammen beraten sie Unternehmen im Rahmen interaktiver Workshops zu den Themen Diversity Management, Diskriminierungsbekämpfung und Krisenmanagement.

Bereits in ihren früheren beruflichen Stationen als Leiterin und Personalchefin in der Kunst- und Kulturszene hat der Faktor Diversität für Hoffmann eine große Rolle gespielt. Die Kulturwissenschaftlerin ist seit diesem Jahr zertifizierte Fachkraft für Diversity Management.

Was ist Diversität für dich?

Es ist sehr klar definiert, was es ist und was nicht. Es gibt die Kerndimensionen von Diversität, die wir uns selbst nicht aussuchen. Identitätsstiftende Merkmale wie das Alter, die ethnische Herkunft, Religionszugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität. In der Mitte steht unsere Persönlichkeit, sie wird von diesen Ebenen beeinflusst. Daneben gibt es kleinteiligere identitätsstiftende Merkmale wie sozioökonomische Backgrounds. Also bin ich in urbanen oder ländlichen Gegenden aufgewachsen? Sind meine Eltern Akademiker oder Arbeiter? Wie viel Geld war vorhanden? Wie viele Sprachen spreche ich? Welchen Bildungshintergrund habe ich?

Diversität wird oft sehr schmal verstanden und auf Merkmale wie Geschlecht und ethnische Herkunft verengt, da wir diese Dinge leichter greifen können. Aber es gibt viele Merkmale, die man Menschen nicht ansieht. Unsichtbare identitätsstiftende Merkmale, die wir alle mit uns rumtragen, die zu Diskriminierung oder zu Privilegien führen können wie der Bildungshintergrund.

Runa Hoffmann © David Stieffenhofer

Runa Hoffmann © David Stieffenhofer

Was bedeutet es für Unternehmen, dass Diversität immer wichtiger wird? Wieso hat dieser Faktor in den vergangenen Jahren an Bedeutung zugenommen?

Diversität war schon immer wichtig für Unternehmen. Diverses Wissen wird kombiniert in einer Firma, um ein Produkt zu produzieren, zu vermarkten und zu verkaufen. Es ist durch das Internet sichtbarer geworden. Wenn wir uns den Arbeitsmarkt anschauen und die fortschreitende Globalisierung, Ab- und Zuwanderung: Diese Punkte bergen sehr viele Chancen aufgrund des Fachkräftemangels und des War for Talents. Es gibt nicht mehr genug Auszubildende und Arbeitskräfte wie noch vor 20 Jahren. Arbeitskräfte sind Mangelware. Firmen müssen schauen, wie kann ich ein Umfeld schaffen, in dem sich Menschen sicher fühlen. Gerade die, die häufig Diskriminierung erfahren.

In Deutschland bedeutet Inklusion meistens immer noch, dass Menschen, die zum Beispiel im Rollstuhl sitzen, einen barrierefreien Zugang bekommen. Das ist wichtig, aber Inklusion bedeutet eigentlich, dass man Menschen inkludiert nach ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten. Dabei ist die Unterscheidung von Gleichstellung und Gleichberechtigung wichtig. Gleichberechtigung bedeutet, alle kriegen die gleichen Mittel, Gleichstellung ist, wenn ich den Menschen die Mittel gebe, die sie brauchen, um gleichberechtigt mit anderen Menschen gleichgestellt arbeiten zu können.

Hinter Diversität steckt wahnsinnig viel Potenzial. Menschen können heute mithilfe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), auch Anti-Diskriminierungsgesetz genannt, und des Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) noch vehementer gegen Diskriminierung vorgehen als nur über das Grundgesetz. Die Punkte greifen alle ineinander, die dazu führen, dass das Thema Diversität noch mehr auf dem Radar der Unternehmen ist. Aber wichtig war es schon immer. Es wird jetzt nur sichtbarer.

Wie würdest du Unternehmen überzeugen, Teams diverser aufzustellen?

Es gibt bereits sehr viele Studien aus den USA, die belegen, dass diverse Teams wirtschaftlich effizienter sind. Aber man kann die Rechnung sehr einfach erklären. Menschen, die sich wohl und sicher fühlen, identifizieren sich viel stärker mit dem Unternehmen. Je höher die Identifikation, desto höher der Wille, die Arbeitskraft voll zu entfalten. Da dann die Intention, dass es der Firma, ergo mir gut geht, viel höher ist. Menschen, die sich in einem Unternehmen wohlfühlen, bleiben länger dort. Die Fluktuation der Mitarbeitenden sinkt. Das kostet sonst viel Geld, weil die Expertise, die geht, viel Geld kostet. Neue Menschen einstellen kostet viel Geld und Zeit. Das spricht dafür, eine Diversifizierung anzustreben.

Was ist euch wichtig bei der Beratung?

Wir schauen immer sehr individuell, was die Firma braucht, welche Strukturen schon vorhanden sind und was noch fehlt. Es ist kein Konzept, das man einfach vorschreiben und jeder Firma überstülpen kann.

Die Maßnahmen sollten nicht immer nur Botton-up, sondern auch Top-down passieren. Es sind häufig Menschen, die Diskriminierungen innerhalb des Teams erfahren und die nicht in Führungspositionen sind, die nach einem Anti-Diskriminierungsworkshop fragen. Das ist schwer durchzusetzen, da Anträge gestellt, Gelder freigegeben und die Sinnhaftigkeit bestritten werden müssen. Wenn das aber Top-down passiert und als Teil der Unternehmenskultur gelebt wird, ist es eine Win-win-Situation, weil Menschen nicht dafür kämpfen müssen. Und man sieht, dass die Grundwerte, die das Unternehmen hat, von dem CEO und den Führungskräften vorgelebt werden. Da muss es aus unserer Sicht anfangen.

Wie läuft der Prozess ab, wenn ihr von Unternehmen beauftragt wurdet?

Wenn wir von Unternehmen engagiert werden, fangen wir mit einer Grundsensibilisierung zu Diversität und zu Diskriminierungsfragen an. Uns geht es darum, alle auf einen Wissensstand bringen. Für die spezifischen Themen der einzelnen Firmen gibt es weiterführende Workshops, Keynotes und Lunchtalks kombiniert in einer Prozessbegleitung mit der direkten Beratung.

Unsere Formate sind so aufgebaut, dass Angst und Unsicherheiten abgebaut und Sicherheit und gemeinsames Lernen gefördert werden. Fehlerfreundlichkeit und eine offene Kritikkultur haben noch niemandem geschadet.

Ihr bietet auch Krisenmanagement in Zusammenhang mit Diskriminierungsvorfällen an. Was sind häufige Ursachen für Diskriminierungen? Und wie geht ihr dabei vor?

Sehr häufig sind es sexistische Strukturen. Frauen werden systematisch übergangen oder nicht befördert. Aber es gibt auch offene Diskriminierungen. Rassismus ist oft ein Thema und Machtmissbrauch. Das sind die internen Themen, aber sehr oft sind es auch externe Themen. Nach Publikationen und Social-Media-Posts, bei denen Menschen bewusst oder unbewusst diskriminiert wurden und ein Shitstorm ausgelöst wurde. Wenn beispielsweise Fotos veröffentlicht wurden, und der neu gewählte Vorstand gibt ein sehr homogenes Bild ab.

Wir sprechen immer zuerst mit den betroffenen Personen, stärken sie und schauen, ob es weiterführende Angebote für sie gibt. Uns ist es aber auch sehr wichtig, mit den ausübenden Personen das Gespräch zu suchen. Denn oft ist es so, dass Diskriminierung und Ausgrenzung unintentional passiert sind. Aufgrund unbewusster Vorverurteilungen, die wir alle erlernen, weil wir so sozialisiert wurden. Aus dem Unwissen heraus, dass bestimmte Dinge verletzend und grenzüberschreitend sein können, wenn man dies sagt oder tut. Da schauen wir immer, was war die Intention? Ist es ohne die Intention, die Person zu verletzen, passiert oder ist es mit Absicht passiert? Nach dieser Differenzierung gehen wir vor, und gehen dann in die Aufklärungsarbeit und die Sensibilisierung mit den Personen, damit nicht wieder genau die gleiche Struktur greift und sich der Fall wiederholt.

Du hast vor deiner Agenturgründung in der Kunst- und Kulturszene gearbeitet. Gibt es in diesem Bereich mehr Offenheit gegenüber Diversität?

Das dachte ich mal. Aber da wird auch gewirtschaftet wie in jedem anderen Bereich auch. Es gibt Diskriminierung noch und nöcher und manchmal vielleicht sogar verstärkt auf versteckter Ebene, weil man den Eindruck hat, bei uns kann sowas gar nicht passieren. Denn: „Wir haben doch schon ein sehr diverses Team.“ Aber auch Menschen, die Diskriminierung erfahren, können diskriminieren, und es ist manchmal gefährlich, sich da drunter zu verstecken. Wir haben alle unbewusste Vorverurteilungen im Kopf. Wir stecken Menschen in Kategorien, in die sie nicht gehören. Das ist normal. Die Frage ist eher, wie gehen wir damit um, und ich würde nicht sagen, dass die Kunst- und Kulturbranche viel progressiver damit umgeht als die Privatwirtschaft bzw. produzierende Industrie. Es kommt einfach immer sehr individuell auf die Menschen an, die die Firmen ausmachen, sowohl die Teams als auch die Geschäftsführung.

Hast du einen Tipp für Unternehmen, die beschließen, sich diverser aufzustellen, zu denken und zu agieren?

Es ist wichtig, keine Angst und keine Berührungsängste vor diesen Themen zu haben. Keine Angst vor Investitionen Jeder Anfang ist ein Anfang. Es ist eine Investition, die zukunftsträchtig ist. Es ist eine Investition, die über die nächsten Jahrzehnte das Stehen und Fallen von Firmen definieren wird, es wird immer wichtiger werden. Man sieht es ja auch schon, wer da nicht mit der Zeit geht und keine neuen Arbeitsmodelle und ein Arbeitsumfeld schafft, in dem Menschen arbeiten wollen, verliert Arbeitskräfte und damit natürlich auch Wirtschaftskraft.

 

Im ersten Beitrag unserer neuen Kolumne „Diversity Insights“ beschreibt Annika Schach die typischen Vorbehalte, die Unternehmen bezüglich Diversität und Inklusion äußern.