Mit der Webseite „Tierversuche verstehen“ starten zehn Player eine bundesweite Informationsinitiative pro Tierversuche. Träger sind die Alexander von Humboldt-Stiftung, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Deutscher Akademischer Austauschdienst, Deutsche Forschungsgemeinschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Hochschulrektorenkonferenz, Leibniz-Gemeinschaft, Max-Planck-Gesellschaft und Wissenschaftsrat. Stefan Treue ist Direktor und Geschäftsführer am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen und Sprecher der Initiative. Mit uns sprach er über interne Widerstände, laute Gegner und die 3R-Regel.
Ausschnitt der Startseite von „Tierversuche verstehen“ (c) Screenshot: tierversuche-verstehen.de
Wenn Stefan Treue auf einer Party jemanden neu kennenlernt und nach seinem Job gefragt wird, könnte das Gespräch schnell zu Ende sein – wer Versuche an Tieren macht, taugt nicht zum König der Herzen, oder? Der Professor sieht das naturgemäß differenzierter: „Das kommt darauf an, wieviel Zeit ich habe. In einer bis drei Minuten würde ich sagen, ich bin Hochschullehrer und erzähle etwas über mein Forschungsgebiet mit Primaten. Aber meist geht das Gespräch dann ja weiter und ein Partygespräch ist etwas Anderes als eins am Infostand von Tierversuchsgegnern.“ Meistens sei es ähnlich wie bei den Menschen, die Führungen im Göttinger Primatenzentrum besuchen: Sie kämen mit Sorgen, die man ihnen ansähe, und vielleicht Bildern im Kopf „von blutbeschmierten Wissenschaftlern, die komisch grinsend durch die Gänge laufen. Doch nach der Führung ist die Stimmung dann ganz anders, viele sagen, es war interessant und spannend. Die Erfahrung zeigt also: Reden hilft.“
Doch nur selten kommt es wirklich zu einem Gespräch mit Tierversuchsgegnern. Die Diskussion wird beherrscht von Bildern mit Affen in kleinen Käfigen und zuckenden Mäusen. Um zu erklären, warum für ihn Tierversuche nötig sind, folgen Stefan Treue und sein Team der 3R-Regel, die steht für Reduce, Refine, Replace: „Die Grundlage ist ein ethisches Prinzip aus den 50ern: Wenn wir schon Tierversuche machen müssen, weil wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse brauchen oder den medizinischen Fortschritt wollen, dann müssen wir wenigstens darauf achten, dass sie unter optimalen Bedingungen stattfinden. Dabei sind unsere Leitgedanken: Kann ich den Versuch ersetzen? Ist er nötig? Und zwar so, wie ich ihn mache? Lässt sich die Anzahl der Tiere im Versuch reduzieren? Können wir die Methoden verfeinern für weniger Belastung?“
Bewegen in einem Kompromiss – auch kommunikativ
Allen Beteiligten und dem Gesetzgeber ist klar, sie bewegen sich in Forschung, Wissenschaft und Ethik in einem Kompromiss: „Wir wollen den Schutz des Tieres, aber wir wollen auch, dass der Mensch nicht leidet. Wir wollen wissenschaftliche Erkenntnis mit möglichst viel Schutz und möglichst wenig Schaden für beide.“
Die Schaffung der Position eines Tierschutzbeauftragten im Präsidium der Leibniz-Gemeinschaft ist also so etwas wie der kommunikative Ausdruck einer Haltung. Treue und Kollegen sprechen von „verantwortungsbewussten Tierversuchen“: „Kein Forscher, der sie durchführt, kommt morgens ins Büro und überlegt sich, wie er heute mal Tiere quälen kann.“ Hinter jedem Tierversuch stehe eine sorgfältige Abwägung, Planung und bewusste Entscheidung. „Verantwortung ergibt sich nicht durch Gesetze, sondern durch bewusste Haltung. Und wir sehen uns als Forscher da in der Verantwortung.“
Wo steht die Forschung heute, welche Fragen sind für die Wissenschaftler die wichtigsten? Außerhalb der akademischen Forschung geht es vor allem um etablierte Verfahren, zum Beispiel bei Giftigkeitsprüfungen in der pharmazeutischen Industrie. In der akademischen Grundlagenforschung gibt es dauernd neue Fragen und Methoden. Hier spielen Infektiologie, Kardiologie und Gehirnforschung wichtige Rollen. Krebsforschung ist ein vierter Bereich, wird aber häufig im Zusammenhang mit Infektionsforschung betrieben, weil viele Therapieansätze über die Immunologie gehen.
Treue und seine Kollegen müssen also ein ethisches Dilemma kommunizieren. Nur wie? „Wieviel Zeit haben wir – also nicht wir beide, sondern derjenige, der die Antwort haben muss? Für eine Antwort muss ich erst wissen, wie viel Zeit ich zum Kommunizieren habe“, sagt Stefan Treue. Ein Elevator Talk in 30 Sekunden ist eine andere Ausgangslage als ein Fachvortrag oder ein langes Gespräch, und sei es auf einer Party. „Heute denken wir eher in der Dimension des Elevator Talks. Dann nehmen wir eine klassische medizinische Erkrankung und verdeutlichen, warum Tierversuche im Kampf dagegen nötig sind. Dabei müssen sie weniger erklären, weil die Bedeutung und Dramatik der Lage sofort jedem klar ist. Dann müssen wir nur noch eine Verbindung schaffen: Wie ist das Problem wissenschaftlich in den Griff zu bekommen – und warum brauchen wir dafür die Tierversuche?“
Kampagnenstart gegen interne Widerstände
Bei mehr Raum würde er weiter ausholen und üblicherweise darüber reden, dass sie ein Kompromiss sind zwischen dem Extremisten, der sagt, dass man Tieren niemals und unter keinen Umständen auch nur ein Haar krümmen darf und einem rücksichtslosen Forscher, der denke, solange er keinem Menschen schade, könne er machen, was er will. „Zwischen diesen beiden Polen bewegen wir uns mit den Gesetzen und mit verantwortungsbewussten Tierversuchen“, so Treue, für den es einen Unterscheid macht, ob er mit einem Tierethiker rede oder einem Jäger, zu dem er viele Parallelen sehe, weil auch der ein Bild davon habe, wie verantwortungsvoller Umgang mit Tieren aussehen könne.
Wobei man auch das sicher abendfüllend diskutieren kann. Einen Auslöser für die aktuelle Kampagne sucht man jedenfalls vergebens. „Es gab keinen akuten Anlass – und das war auch essenziell“, erklärt Treue. „Denn es spiegelt wider, dass dies keine Form der Krisenkommunikation ist sondern eine proaktive Kampagne. Es ist doch so: Es gibt ein riesiges Kommunikationsdefizit von Seiten der Wissenschaft. Wir sind jahrzehntelang in der Bringschuld, da hat sich vieles akkumuliert. Wir können nicht vom Elfenbeinturm aus denken, dass jeder glaubt, dass wir tolle Forscher sind und neben all der wichtigen Arbeit nicht dazu kommen, auch noch zu kommunizieren. Denn so ist es nicht.“
Für die Kampagne mussten die Verantwortlichen auch wissenschaftsintern erst einmal Hürden und Trägheit überwinden. Treue: „Alle sind sich einig, dass man mehr kommunizieren müsste – aber bitte jemand anderes. Oder doch nicht so. Oder doch nicht so umfangreich. Und warum gerade jetzt. Es gab Diskussionen über die Notwendigkeit, das Format, die Budgets. Es hieß: „Gottseidank ist doch gerade alles ruhig in der Diskussion, warum sollten wir jetzt ein heikles emotionales Thema aufs Tablett bringe?“ Treues Argument war: Genau weil es dafür gerade keinen Anlass gab. „Wenn wir schon über Tierversuche reden, dann doch lieber nicht in einem Shitstorm. Denn dann würde es immer heißen, wir verteidigen uns nur und reden etwas schön.“
Das Ziel der Kommunikationskampagne war einfach: Dass die Botschaft einer Wissenschaft, die sich mit faktenbasierter Information in die Diskussion um Tierversuche einbringt, bei der Bevölkerung ankommt. Natürlich würde nicht jeder in ein paar Jahren sagen, Tierversuche seien toll. Aber viele würden wissen, dass es Informationsquellen jenseits von Tierversuchsgegnern gibt. Den Wissenschaftlern geht es darum, die öffentliche Diskussion zu versachlichen. Ihnen ist klar, dass das Ziel nicht in ein paar Jahren zu erreichen ist, das Thema beschäftigt sie noch in Jahrzehnten.
Mangelnde Ressourcen waren nicht der Grund dafür, dass sich deutschlandweit zehn wissenschaftliche Einrichtungen gemeinschaftlich an der Kampagne beteiligen. Die Allianz der Organisationen gibt es schon lange, ganz unabhängig von der Kampagne. „Sie ist quasi ein Dachverband der öffentlich geförderten Wissenschaftsorganisationen in Deutschland“, erklärt Stefan Treue. „Aber das Thema Tierversuche betrifft uns alle. Manche Mitglieder gaben mehr Geld als andere, aber alle unterstützen sie ideell und mit Inhalten.“
Die Zielgruppen sind Journalisten, Lehrer und Schüler sowie Wissenschaftler – letzteren bieten die Macher als erstes auf der Webseite Medientrainings an, da sehen sie laut Treue noch Handlungsbedarf. Dass er das Gesicht der Kampagne ist, hat eher historische Gründe: Am Primatenzentrum war die Kommunikation schon länger wichtig, es gab eine Menge an Material, das die Allianz nutzen konnte, darunter auch einige Filme.
Tierversuchsgegner oder NGO sind keine expliziten Zielgruppen. Treue erklärt: „NGO fallen für uns unter die generelle Öffentlichkeit. Und Organisationen, die Tierversuche ablehnen, sind für uns keine sinnvolle Zielgruppe. Natürlich sind auch sie angesprochen, aber ich wüsste nicht, wie ich sie noch spezifischer abholen kann als die allgemeine Öffentlichkeit. Journalisten und Schüler oder Lehrer haben ja einen besonderen Anlass, sie suchen Material für Berichte, Referate oder Unterrichtsstoff. Aber Gegner wollen manchmal ja auch gar keine Argumente hören.“
Die Kampagnenumsetzung
In der Umsetzung baut die Allianz viel auf Bewegtbild und Online. Die Agentur Cyrano aus Münster hatte den Pitch nach einer internationalen Ausschreibung gewonnen. Dabei ging es nicht nur um ein Konzept für die Webseite, sondern auch die Kampagnengestaltung und ihre Umsetzung, das Monitoring und die Kommunikation mit den Medien für drei Jahre. Treue: „Cyrano ist für die technische Umsetzung der Webseite da und die Erstellung von Material. Und eine Steuerungsgruppe unserer Allianz trägt die inhaltliche Verantwortung.“ Es gibt einen Referenten, der in Vollzeit bei der Agentur sitzt, von der Allianz bezahlt wird und als Schnittstelle fungiert zwischen Inhalten und technischer Umsetzung.
Die Essenz der Kampagne ist Dialog. Den führt der Referent und moderiert auch die Kommentare. Er vermittelt aber auch Gesprächspartner. Wer etwas wissen wolle über Stammzellforschung bei Mäusen, rufe Sie ihn an. Für die Inhalte nutzen die Forscher außerdem verschiedene Quellen: Manches hatten die Allianzmitglieder schon, das können sie recyceln. Anderes entsteht neu in den jeweiligen Pressestellen oder gemeinsam mit Journalisten. Besonders beliebt: Bewegtbild. „So sind die Zeiten heute: Ohne dass sich etwas bewegt, wird es schnell langweilig“, sagt Treue. „Daher haben wir jetzt einen eigenen Youtube-Kanal, den wir künftig regelmäßig befüllen, um ihn weiter auszubauen.“
Social Media nutzen die Macher für die Kampagne dagegen nur in Maßen. „Twitter ist für uns gut geeignet. Wir wollten erstmal testen, ob die Kommunikation für uns über diese Kanäle überhaupt funktioniert oder wir nur wildes Gebrülle ernten. Aber es läuft gut, bisher gab es weder einen Shitstorm noch demagogische oder populistische Reaktionen.“ Nach einem Jahr werde geprüft, ob sie weitere Kanäle für sich öffnen.
Die Forscher haben sich gegen Kommunikation via Facebook entschieden. „Das Monitoring kostet viel Energie, ohne dass uns Diskussionen dort inhaltlich oder sachlich weiterbringen würden“, findet Stefan Treue. „Auf der Webseite ist die Kommentarfunktion allerdings frei, was ja heute längst nicht mehr überall üblich ist. Bisher haben wir nur zwei Kommentare abgewiesen, weil sie nicht unserer Netiquette entsprachen.“
Und die Bildsprache? Optiken sind wichtig, gerade weil Tierschützer oft emotionale Motive einsetzen. Auf der Kampagnen-Webseite findet man dagegen einen hässlichen Nacktmull und einen Fisch namens N. Furzeri, das ist weniger herzig. War das Absicht? „Der Fisch heißt wirklich so“, lacht Treue. „Emotionen gehören natürlich zum Thema Tierversuche. Entscheidend ist aber der Zweck dahinter: Nutze ich sie wie Tierversuchsgegner, um Empörung zu transportieren? Oder sage ich, Emotionen sind Ausdruck einer Verantwortungssituation?“
Darum stünden zum Beispiel in ihren Filmen immer die Wissenschaftler im Mittelpunkt, der Forscher wird zum Protagonisten. „Zur reinen Faktenvermittlung würden ja Folien reichen. Uns ist aber wichtig zu transportieren, dass Wissenschaft von Menschen betrieben wird und nicht im Vakuum von Maschinen. Dabei sind Emotionen wichtig und wir verbinden sie mit Fakten und nicht als Ersatz von Argumenten in einer schwierigen Gemengelage.“
Unterseite von tierversuche-verstehen.de (c) Screenshot: tierversuche-verstehen.de
Treue hatte selbst schon angedeutet: Nicht jeder Wissenschaftler ist geeignet vor der Kamera. Wonach wurden die Protagonisten also ausgesucht? Erstmal nach Freiwilligkeit. Treue: „Wir zwingen ja niemanden vor die Kamera – und da fallen dann schon mal viele weg. Zudem ist es wichtig, dass derjenige in einer Rolle in diesem System auftritt, also als Forscher, Tierarzt, -pfleger oder in anderer Funktion. Und dann natürlich, dass jemand flüssig sprechen kann vor einer Kamera und weiß, wo er hingucken muss.“
Wer der Empfänger der Botschaften war, stand schnell fest: „Tierversuchsgegner werfen uns gerne vor, wir würden etwas schönreden, was in Wahrheit ganz schrecklich ist und würfen für Werbemaßnahmen viel Geld zum Fenster raus. Aber da muss man genau hinschauen: die sind ja nicht gegen die Kampagne, sondern gegen Tierversuche an sich“, differenziert Stefan Treue. „Sie starten viel lieber ihre eigene Kampagne, um ihre Unterstützer zu rekrutieren, um Kommentare gegen uns abzugeben. Die sind natürlich nicht still, aber sie reagieren nicht auf unsere Kampagne, sondern ziehen mehr oder weniger unbeeindruckt ihre eigene durch, das ergibt sich schon aus den Rollen. Wenn man wirklich Kommunikation haben will, müsste man sich schon direkt austauschen und vielleicht entwickelt sich da noch was. Man darf sich sowieso nicht konzentrieren auf die lautesten Gegner, denn das sind nicht immer auch die wichtigsten Zielgruppen. Wir konzentrieren uns lieber auf die – wie ich sie nenne – „echten Tierschützer“, da gibt es viel mehr Anknüpfungspunkte und Überlappungen.“
Erste Zwischenergebnisse
Trotzdem hatte er mit mehr Streit gerechnet. Eine weitere positive Überraschung war für den Primatenforscher die volle Pressekonferenz an der Leopoldina in Berlin. „Wenn es nicht um große Politik geht, werden die ja heute nicht mehr so wahnsinnig gut besucht. Sonst sitzen da fünf bis acht Pressevertreter, diesmal kamen 40. Auch das Echo danach tat gut. Jetzt wissen eine Menge Menschen, dass sie sich unsere Informationen mal anschauen können und dann entscheiden, wie sie damit umgehen wollen.“
Reichweite hilft auch gegen die internen Zweifler, eine geringe Reichweite wäre ein Scheitern der Initiative. Die richtet sich ja eben nicht nur an die Öffentlichkeit und Medien, sondern auch an die Wissenschaft. Treue: „Es gibt viele Forscher, die nichts von uns wissen, aber unsere Zielgruppe sind.“
Zwar eignet sich die Kampagne auch fürs Employer Branding, doch dafür war sie ursprünglich nicht gedacht. Trotzdem: auch ein Doktorand oder technischer Mitarbeiter überlege sich ja, „will ich in einem Bereich arbeiten, der so eine schlechte öffentliche Reputation hat?“ Dann helfe es, sich zu informieren, so Treue.
Der Tag hat nur 24 Stunden Und so eine Initiative kostet viel Zeit. Der Wissenschaftler war zwar – kein Wunder bei seinem Kernthema Primatenforschung – auch vorher schon aktiv in der Öffentlichkeitsarbeit, „aber das hier ist schon eine andere Hausnummer und ich hoffe, das ebbt auch wieder ab. Ein weiteres Learning ist die persönliche Befriedigung, wenn positive Resonanz aus der Wissenschaft kommt, weil Kollegen sagen „endlich“ und „sowas brauchen wir“. Wir scheinen ein Bedürfnis erfüllt zu haben.“
Bei allem Streit setzt Treue am Ende also lieber auf Kooperation als Konfrontation: „Im heutigen postfaktischen Zeitalter setzen sich in der Wahrnehmung eh eher die Gruppen durch, die gar nicht so sehr an Kompromissen und Information interessiert sind – sondern an der möglichst prägnanten Darstellung ihrer Message. Das haben wir ja gerade bei der US-Wahl gesehen.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Streit. Das Heft können Sie hier bestellen.