Wie Big Data den PR-Beruf verändern wird

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Ungefähr 35.000-mal hat das Smartphone von Malte Spitz innerhalb eines halben Jahres Informationen über ihn preisgegeben. Der Grünen-Politiker und Datenschutzaktivist hatte 2011 seine Vorratsdaten in die Hände von Journalisten gegeben. Zeit Online veröffentlichte die Excel-Tabelle und visualisierte die Daten in der preisgekrönten interaktiven Grafik „Verräterisches Handy: Was Vorratsdaten über uns verraten“.

Die Datenjournalisten hatten die Standortdaten dazu mit frei verfügbaren Informationen aus den sozialen Netzwerken des Politikers verbunden. Lediglich die Telefonnummern wurden zum Schutz der Privatsphäre entfernt. Die Reise durch die interaktive Grafik verdeutlichte vielen Nutzern eindringlicher, als Worte es je vermochten: Wir geben über unsere Smartphones unser Leben preis.

Dies war eines der ersten datenjournalistischen Projekte in Deutschland, das Aufsehen erregte. Andere große Tageszeitungen zogen nach und bildeten interdisziplinäre Digital-Teams, deren Arbeiten regelmäßig prämiert werden. Bislang war es oberstes Gebot eines Journalisten, seine Quellen zu schützen. Ein Datenjournalist hingegen gibt seine Quellen immer preis. Sie sind Recherchewiese für Nutzer.

Auch Kommunikationsabteilungen lassen sich inzwischen von den datenjournalistischen Fertigkeiten der Interaktiv-Teams von Berliner Morgenpost und Co. inspirieren und versuchen sich in Data-Storytelling. Nicht alle haben die Kapazitäten, mit künstlicher Intelligenz zu tüfteln, wie die Telekom oder können ein datenbasiertes Publishing-House werden wie Bosch. Fakt ist dennoch: Unternehmen wissen durch digitale Technologien mehr über ihre Kunden als jemals zuvor, sie sitzen auf exklusivem Material, einer riesigen Menge an Daten.

Eine komplexe Definition

Massendaten, Big Data genannt, sind kontinuierliche, gewaltige, unstrukturierte Datenströme. Das „Big“ bezieht sich laut dem Oxford-Professor Viktor Mayer-Schönberger jedoch nicht ausschließlich, wie häufig angenommen, auf die gigantische Menge an Daten. Es steht vielmehr dafür, dass wir für ein Phänomen, das wir beschreiben möchten, mittlerweile relativ viele auswertbare Daten haben.

Für die Definition von Big Data sind also mehrere Kriterien relevant: ihre Menge (Volume), die Geschwindigkeit der Datengenerierung (Velocity), die Vielfalt der Daten und ihre Verknüpfung (Variety) sowie ihre Richtigkeit (Veracity). Um aus ihnen Erkenntnisse zu gewinnen, muss man sie 1. definieren, 2. generieren, 3. bereinigen, 4. transformieren, 5. analysieren, 6. interpretieren und schließlich 7. aufbereiten.

Dieses siebenstufige Modell schlagen Ulrike Röttger und Christian Wiencierz in ihrer aktuellen Studie „Startklar für Big Data“ vor. Darin systematisieren sie auch die Anwendungsfelder in der Unternehmenskommunikation. Am meisten profitieren demnach die Kundenkommunikation – also Produkt- und Markenkommunikation, Content Marketing oder Share-of-Voice-Analysen – und die PR. Sie kann mithilfe von Daten Themen für das Storytelling identifizieren oder Issues- und Reputationsmanagement betreiben.

The Sexiest Job of the 21st Century

Wird der Kommunikator also zu einem Datenwissenschaftler? Laut Harvard Business Manager ist das „The Sexiest Job of the 21st Century“. Es gebe großen Bedarf an solchen Experten in Kommunikationsabteilungen, steht im European Communication Monitor − an Menschen also, die Big-Data-Grundlagen und spezifische Anwendungsfelder der internen und externen Organisationskommunikation gleichermaßen kennen.

Die Autoren der Studie „Startklar für Big Data“ raten zu interdisziplinären Subteams, bestehend aus Kommunikatoren, Datenanalysten und IT-Experten, die sich spezifischen Kommunikationsaufgaben widmen. Das ähnele dem Newsroom-Konzept − mit dem Unterschied, dass nicht nur Kommunikatoren für Themen und Kanäle zuständig seien, sondern auch Techniker und Datenexperten. Ein abteilungsübergreifendes Command-Center würde die Subteams mit den jeweiligen Analysen und Daten versorgen.

Es müssen jedoch noch einige Hürden für die strategische Nutzung von Daten in der Unternehmenskommunikation überwunden werden: Es herrscht laut ECM mangelnder Datenaustausch innerhalb der Unternehmen – generell eine fehlende transparente Dateninfrastruktur –, und die Kommunikatoren hätten zu wenig analytische und technische Fähigkeiten und im aufgabendichten Alltag bislang keine Zeit für aufwändige Datenprojekte.

Daten und Ethik?

Oft herrscht eine Sprache der Verheißung, wenn es um Daten geht. Daten seien das Öl des 21. Jahrhunderts, heißt es immer wieder. Sie sind schließlich Wachstumstreiber für die Digitalwirtschaft, und Industrie- und Handelsunternehmen können durch sie ihre Kunden besser verstehen. Doch um Öl werde auch blutig gekämpft, mahnt der Report „Big Data – Ethische Fragen“. Dessen Autorin Anna Wehofsits warnt vor einer undifferenzierten, begeisterten Rhetorik und dem übermäßigen Vertrauen, das in Zahlen gesetzt werde. Interpretationen können fehlerhaft sein, wenn beispielsweise aus statistischen Korrelationen kausale Zusammenhänge abgeleitet werden.

Langsam setze sich die Einsicht durch, dass Daten eine bestimmte Form der Abbildung der Wirklichkeit sind, schreibt Christophe Fricker, Gründer der Forschungsgesellschaft Nimirum. Er kommentierte im Wirtschaftsmagazin Capital die Enthüllungen über Marktforschungsinstitute, die Daten manipulierten – und identifiziert drei falsche Annahmen über deren Arbeit: Nicht jedes Faktum lasse sich datenförmig erfassen; es gebe nicht Daten zu allen Fragen; und Daten bildeten bei Weitem nicht die Realität ab, die wir untersuchen wollen.

Hinzu kommt die komplexe Debatte über Datenschutz und Privatheit. Durch Datenlecks, publizistische Nachlässigkeit und den intransparenten Umgang mit Nutzerdaten können Stakeholder-Beziehungen zu Bruch gehen, wie unlängst der Skandal um Facebook und die dubiose Datenweitergabe durch das Datenanalysefirma Cambridge Analytica zeigte. Kommunikatoren müssen sich also nicht nur auf datenbasierte One-to-One-Kommunikation, künstliche Intelligenz und Automatisierung vorbereiten, sondern auch auf die Kommunikation von Cyber­attacken und die Datensammelwut des eigenen Unternehmens. 

Hinweis: Dieser Text ist eine leicht aktualisierte Version des Beitrags, der in der gedruckten Ausgabe erschienenen ist.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DATEN. Das Heft können Sie hier bestellen.

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