Was war Ihr seltsamstes Autorisierungserlebnis?

Umfrage zu Interviewfreigaben

Thomas Rietig
Freier Journalist und Autor, Nachrichtenlieferant Rsv-Presse, ehemals stellvertretender Chefredakteur des Deutschen Diensts der AP

Es ging um ein Weihnachtsinterview mit dem Ministerpräsidenten eines mittelgroßen Bundeslands, der nach seiner Wahl zum Regierungschef auch noch zum Vorsitzenden einer Volkspartei gewählt wurde. Ich war damals stellvertretender Chefredakteur des Deutschen Dienstes der AP. Das Aufzeichnungsgerät lief. Frage: „Stehen Sie noch zu dem Versprechen an die Wähler im Land, dass Sie nicht als Kanzlerkandidat nach Berlin gehen?“ Antwort: „Als Parteichef habe ich ja das Privileg, einen Kandidaten vorschlagen zu dürfen. Das hatte ich bei meiner Wahl zum Ministerpräsidenten noch nicht. Insofern haben sich die Voraussetzungen seit dem Versprechen geändert. Die Entscheidung treffe ich zum geeigneten Zeitpunkt.“ Nach der Autorisierung lautete die Antwort: „Ich bin gerne Ministerpräsident von … (Name des Bundeslands).“ Vor dem geplanten Sendetermin war kein Pressesprecher mehr zu erreichen. Wir haben in der Redaktion die Alternativen „Ursprungsantwort senden“, „zensierte Antwort senden“, „Frage und Antwort weglassen“ diskutiert und uns für Letzteres entschieden. Ich war für die erste Option, bin aber überstimmt worden.

 

Harald Baumer
Leiter des Hauptstadtbüros, Nürnberger Nachrichten

Ich mache zu 90 Prozent sehr gute Erfahrungen mit dem Autorisieren. Mein seltsamstes Autorisierungserlebnis bescherte mir ein hochrangiger Wissenschaftler, Professor, Chef eines Instituts. Er verlängerte mit seinen Ergänzungen, Einfügungen und Änderungen den Text auf das Dreifache. Und das, obwohl die Länge genau vereinbart war. Ich stellte ihn zur Rede. Seine lapidare Antwort: „Drucken Sie doch die Zeitung in einer kleineren Schrift, dann passt alles rein.“ Was wir natürlich nicht taten. Ein paar Zeilen mehr haben wir dem Interviewten dann zwar zugestanden, aber den Rest des Übersatzes musste er im Schweiße seines Angesichtes wieder zusammenstreichen.

 

Kira Pieper
Redakteurin bei der Nachrichtenmanufaktur, einem Redaktionsbüro für N-TV

Ich habe für den Weser-Kurier den Jugendrichter Andreas Müller interviewt. Er gilt als „Richter Gnadenlos“, der straffällige Jugendliche möglichst hart bestraft sehen möchte, um sie vor weiteren Taten abzuschrecken. Er brachte viele markige Zitate. Wir verabredeten, dass ich ihm das Interview am nächsten Tag schicke und ihn um 18 Uhr für die Autorisierung anrufe. Am nächsten Tag stand das 200-Zeilen-Interview gelayoutet auf der Seite. Doch er ging erst um 19.30 Uhr ans Telefon – und diktierte mir jeden Satz neu. In Juristen-Deutsch. „So redet kein Mensch“, entgegnete ich. „Ich kann auch alles platzen lassen. Dann haben Sie nichts“, sagte er. Eine leere Seite zwei war keine Option. Nach harten Verhandlungen durfte ich immerhin ein paar Zitate so lassen, wie ich sie aufgeschrieben hatte.

„Ob sie sich vor mir gefürchtet habe, wollte ich wissen“

 

Birgitt E. Morrien
Pressesprecherin und Inhaberin, COP Coaching

Wie gern wäre ich als Inhaberin und Pressesprecherin meines eigenen kleinen Beratungsunternehmens überhaupt von Liane Borghardt befragt worden. Sie recherchierte vor einigen Jahren für einen Leitartikel in der Wirtschaftswoche über das (Un-)Wesen der Coaching-Branche. Stattdessen informierte sie sich über mein ganzheitliches Beratungsangebot Dream Guidance durch Artikel über meine Arbeit und anhand meiner Bücher – nur nicht direkt bei mir als Urheberin. In ihrem Beitrag wurde ich schließlich als eine Art Hohepriesterin spirituell orientierter Karriere- und Managementberatung kolportiert; ich sei zwar erfolgreich, meine Arbeit jedoch auch suspekt. Ob sie sich vor mir gefürchtet habe, wollte ich anschließend in einem Telefonat mit ihr wissen. Oder zumindest, ob sie gefürchtet habe, ihre Vorurteile gegenüber meinem Konzept so nicht aufrechterhalten zu können. Die Redaktion habe ihren Beitrag verändert, ohne mit ihr Rücksprache zu halten, gab sie zum Besten. Wie auch immer, ihr Vorgehen sei fachlich unzureichend zu bewerten, kommentierte Norbert Schulz-Bruhdoel, Journalistenausbilder und renommierter Autor diverser FAZ-Medienbücher. „Viel Feind, viel Ehr“, meinte ein befreundeter NZZ-Redakteur. Seither berate ich übrigens auch Klienten, die in der Politik oder durch Medien gemobbt wurden.

 

Andreas Lampersbach
Head of Group Communications, Munich Re

Als der Redakteur mir vor dem CEO-Interview sagte, es solle so authentisch wie möglich geführt und veröffentlicht werden, fand ich das ganz sympathisch. Als ich dann das Interview mit geschätzt 50 „Ääh“, „Tja“ und „Mmh“ las, dachte ich erst an einen netten Scherz. Der Redakteur meinte es ernst, ich allerdings auch. Das Interview ist erschienen, jedoch ohne menschliche Zwischentöne.

Autorisierung – Was gilt es, zu ­beachten?

von Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV)

Was gesagt wird, ist das eine, was gedruckt oder übertragen wird, das andere. Das ist das Grundprinzip, das hinter der in Deutschland üblichen Interview-Autorisierung steht. Das Persönlichkeitsrecht bildet die rechtliche Grundlage dafür, dass Politiker, Unternehmenschefs und Prominente darüber entscheiden können, welche ihrer Worte Journalisten veröffentlichen dürfen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Autorisierung vor Beginn des Interviews vereinbart wurde.

Der Vorteil für den Journalisten besteht zum einen darin, dass es hinterher keine presserechtlichen Auseinandersetzungen gibt und dass zum anderen Fakten und Zahlen vor der Publikation noch einmal geprüft werden können. Nicht selten versuchen die interviewten Personen aus einem lebendigen Interview im Zuge der Autorisierung einen Werbetext in eigener Sache zu machen. Damit wird der Rahmen der Autorisierung jedoch eindeutig überschritten. Die Redaktion muss das nicht akzeptieren. Peinlich für den Interviewten wird es, wenn die Redaktion das Prozedere der Autorisierung ihren Lesern gegenüber dokumentiert.

Pressesprecher sollten ihre Chefs lieber interviewfest machen und mit ihnen druckreifes Sprechen üben, als Stunden ihrer Arbeitszeit ins nachträgliche Glätten von Interviews zu investieren. Davon profitieren Journalisten wie Kommunikatoren gleichermaßen.

Unsere Leitlinien besagen:

  • Journalisten haben die Pflicht, Interviewäußerungen korrekt wiederzugeben und nicht sinnentstellend zu kürzen.
  • Dieser Autorisierungsanspruch beschränkt sich auf redaktionell bearbeitete Wort-Interviews. Komplette Beiträge oder indirekt wiedergegebene Zitate aus Rechercheanfragen sind nicht betroffen.
  • Autorisierungen dienen der sachlichen Korrektheit, der Sinnwahrung und sprachlichen Klarheit. Änderungen müssen sich darauf beschränken.
  • Der Interviewte hat kein Recht, Fragen des Interviewers nachträglich abzuändern.
  • Nachträgliche Änderungen des Interviewten, die die Authentizität des Interviews oder einen wesentlichen Aussagengehalt konterkarieren, können von der Redaktion abgelehnt werden.

Mehr Infos finden Sie in den „Leitlinien für Interview-­Autorisierung“ des Deutschen Journalisten-Verbands.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe EHRLICHKEIT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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