Unterwegs im schwindenden Eis

Kommunikation zur „Mosaic“-Expedition

Finsternis. Im Lichtkegel greller Scheinwerfer wandern zwei Eisbären neugierig umher: eine Mutter und ihr Junges. Ein Forschungscamp hat ihr Interesse geweckt, errichtet auf einer riesigen Eisscholle. Zwei leuchtend rote Flaggen ragen aus dem Eis heraus. An einer richtet sich das Junge auf und schaut empor. Es ist eine Szene für die Ewigkeit, eingefangen von der Fotografin Esther Horvath, publiziert in der „New York Times“ und veredelt mit der Auszeichnung als World Press Photo in der Kategorie „Umwelt“.

Das Bild ist im November 2019 während der Forschungsmission „Mosaic“ entstanden. An der größten Arktismission aller Zeiten nahmen mehr als 440 Menschen aus 20 Nationen teil, die, verteilt auf insgesamt fünf Expeditionsabschnitte, ein Jahr lang an Bord des deutschen Eisbrechers „Polarstern“ die zentrale Arktis durchquerten. Festgefroren an einer Eisscholle, driftete das Schiff über die Polkappe, den Kräften der Natur vollständig ausgeliefert. Das Ziel: die komplexen Wechselwirkungen im Klimasystem zwischen Atmosphäre, Eis, Ozean und dem Leben zu erforschen, inmitten des Epizentrums des Klimawandels. „Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt“, wurde anschließend der Expeditionsleiter in deutschen Medien zitiert. Da, wo Eis hätte sein sollen, war teilweise keines mehr.

Absolutes Ausnahmeprojekt

Mit dabei war Sebastian Grote. Der 35-Jährige leitet die Kommunikation am Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, unter dessen Leitung die Expedition durchgeführt wurde. Grote entwickelte das Kommunikationskonzept zu dem 150 Millionen Euro schweren Mammutprojekt. Er ist hochzufrieden mit dem Ergebnis: „Es war ein fantastisches Jahr. Die Expedition war ein absolutes Ausnahmeprojekt, anders als alles, was wir in der Kommunikationsabteilung je gemacht haben“, sagt er, wenige Tage nachdem die „Polarstern“ am 12. Oktober dieses Jahres nach Bremerhaven zurückgekehrt ist.

Sebastian Grote leitete die Kommunikation zur „Mosaic“-Expedition. (c) Foto: Esther Horvath

Sebastian Grote leitete die Kommunikation zur „Mosaic“-Expedition. (c) Foto: Esther Horvath

Kontinuierlich haben Medien aus Print, Rundfunk und Online weltweit über die Expedition berichtet, von der „New York Times“ über „BBC Future“ bis hin zur digitalen Tageszeitung „Daily Maverick“ aus Südafrika. Und auch hierzulande war das Medienecho groß. Es gab kein relevantes Medium, das nicht über die Forschungsmission unter deutscher Leitung berichtet hätte. Die ARD strahlt am Montag, 16. November, eine 90-minütige Dokumentation zur Expedition aus – zur Primetime um 20.15 Uhr. „Ich glaube, es gab nie zuvor eine Expedition, die so viel Outreach generiert hat wie die ‚Mosaic‘-Expedition“, resümiert Grote zufrieden. Den Erfolg bestätigen eine Auszeichnung als „Team des Jahres“ bei den BdKom Awards sowie eine Nominierung beim Deutschen Radio-Preis für einen Podcast, den der SWR1 mit dem Expeditionsleiter Markus Rex umgesetzt hat.

Unwägbarkeit Corona

Die Planungen für das Konzept begannen mehr als ein Jahr vor dem Start der Mission. Wie so häufig stand am Anfang die Frage nach dem Ende: Was soll von der Expedition einmal bleiben? „Wir wollten nicht nur den großen Knall zum Start der Forschungsmission haben, sondern eine kontinuierlich hohe Aufmerksamkeit erzielen“, sagt Grote. Dazu legte das Team Themen fest und definierte Meilensteine. Zu Hilfe kamen auch Rekorde, die während der Expedition gebrochen wurden. Zum Beispiel war noch nie zuvor ein Schiff im Winter so weit im Norden gewesen wie die „Polarstern“.

Mit der Corona-Pandemie veränderte sich die Situation. „Wir hatten ja viele Szenarien in der Schublade, was bei der Expedition alles schiefgehen könnte – mit Corona haben wir nicht gerechnet“, erinnert sich der Kommunikationsleiter. Als die Grenzen weltweit dichtmachten, konnten Versorgungsflüge nicht mehr durchgeführt werden. Die Jahrhundertexpedition stand auf der Kippe. „Schließlich konnten wir den Austausch dann aber doch mit der Hilfe von zwei deutschen Forschungsschiffen durchführen“, erzählt Grote. Dafür musste die „Polarstern“ ihre Eisscholle für kurze Zeit verlassen. Für die Medien war die Rettung der Expedition ein hochspannendes Ereignis.


Chronologie

September 2019
Der deutsche Eisbrecher „Polarstern“ verlässt am 20. September das norwegische Tromsø Richtung zentrale Arktis.

Oktober 2019
Die Expedition findet eine Eisscholle, auf der das Forschungscamp aufgebaut wird.

Dezember 2019
Forschungsteam und Schiffscrew werden erstmals ausgetauscht – während der dunkelsten Forschungsperiode der Expedition, des bislang unerforschten arktischen Winters.

Februar bis März 2020
Rekordverdächtig: Der Versorgungseisbrecher „Kapitan Dranitsyn“ mit Crew Nummer drei an Bord ist mit eigenem Antrieb so weit in den Norden vorgestoßen wie kein Schiff im Winter je zuvor – die „Polarstern“ sogar so weit, wie nie zuvor ein Schiff im Winter je gewesen war.

Mai bis Juni 2020
Wegen der Corona-Pandemie muss die „Polarstern“ für einen Crew-Austausch bei Spitzbergen die Eisscholle vorübergehend verlassen.

Juli 2020
Nach 300 Tagen Drift hat die „Mosaic“-Scholle ihr Lebensende erreicht und bricht auseinander.

August 2020
Die fünfte und letzte Crew kommt an Bord der „Polarstern“. Am 19. August erreicht sie durch das größtenteils geschmolzene Meereis den Nordpol. Die Expedition findet die zweite „Mosaic“-Scholle.

September bis Oktober 2020
Die „Polarstern“ bricht am 20. September von der Scholle auf. Nach über einem Jahr kehrt der Forschungseisbrecher am 12. Oktober nach Bremerhaven zurück.


Die eindrucksvolle Landschaft der Arktis tat ihr Übriges. Das erwähnte World Press Photo erschien in einer Fotostory der „New York Times“. Doch ausgerechnet bei den wohl ergiebigsten Ressourcen für die Medienarbeit stieß die Kommunikation an ihre Grenzen: Fotos und Videos. Denn so unerforscht die Zentralarktis ist, so eingeschränkt ist nun einmal auch die Infrastruktur vor Ort. Breitbandanschluss am Nordpol? Fehlanzeige. Die Kommunikation mit der Außenwelt lief über Kommunikationssatelliten ab, die nicht gerade für hohe Übertragungsraten vom Nordpol ausgerichtet sind. „Jeder Kommunikator weiß, wie es sich anfühlt, wenn mal einen Tag lang das Internet ausfällt. Am Arbeitsplatz zu sitzen, aber nicht ins Internet zu können – das war eine der größten Umstellungen am Anfang“, erinnert sich Grote, der die ersten vier Wochen der Expedition mit an Bord war.

Immerhin, E-Mail-Verkehr und Textnachrichten via WhatsApp waren möglich. Mehr als zwei Megabyte große E-Mails aber nicht – jede mitgeschickte E-Mail-Signatur war ein Ärgernis. „Wir konnten meistens nur ein Bild am Tag verschicken“, ergänzt Grote. Die Fotostory in der „New York Times“? Eine große Ausnahme.

Regelmäßiger Austausch mit Bremerhaven

Auch für die Medien bedeutete das eine Umstellung, denn an eine tagesaktuelle Berichterstattung mit Bewegtbild war kaum zu denken. „Wenn eine Redaktion anrief und dringend um Filmmaterial von der Expedition bat, mussten wir sagen: Gerne, aber die kriegen Sie erst in anderthalb Monaten“, erinnert sich der Kommunikator. Ganze Giga- und Terrabyte an Daten wurden klassisch mit Versorgungsschiffen, die alle paar Monate die Expeditionscrews austauschten, nach Hause geschickt.

Umso wichtiger war die Zusammenarbeit mit dem Team in Bremerhaven. Denn neben der Beantwortung von Medienanfragen und der Koordinierung von Interviews gehörte beispielsweise auch die Aufnahme für einen Podcast zu den regelmäßigen Aufgaben. Ein enormer Aufwand: Die Audiodatei eines aufgezeichneten Gesprächs musste in so kleine Clips geschnitten werden, dass sie eine E-Mail-Größe von besagten zwei Megabyte nicht überschritten. In Deutschland wurden die Dateien anschließend zu einer Podcast-Folge zusammengefügt.

Eine Eisbärin mit ihrem neugierigen Jungen. Das Foto von Esther Horvath, das in der „New York Times“ publiziert wurde, erhielt eine Auszeichnung als „World Press Photo“. (c) Esther Horvath

Eine Eisbärin mit ihrem neugierigen Jungen. Das Foto von Esther Horvath, das in der „New York Times“ publiziert wurde, erhielt eine Auszeichnung als „World Press Photo“. (c) Esther Horvath

Besonders stolz ist Grote auf die eigens programmierte Web-App, die täglich über die Expedition informierte. Mit Zugriffszahlen von im Schnitt 100.000 Besuchern im Monat war das allgemeine Interesse an dem Forschungsprojekt groß. Der Blogbeitrag mit Foto kam von Bord des Schiffs, die Live-Daten wie der Standort der „Polarstern“, Temperatur und Meereisausdehnung wurden direkt eingespeist. Die Beiträge koordiniert und eingestellt hat das Team in Bremerhaven.

Unterstützung durch Medienpartnerschaften

Die Blogbeiträge wurden auch in englischer Sprache auf einem internen Blog auf der „Polarstern“ veröffentlicht. Hinzu kam ab und zu ein Pressespiegel, der in Form einer „Bord-Zeitung“ ausgelegt wurde. „Die zusätzliche Arbeit war wichtig. Denn so konnten die Menschen an Bord sehen, was die Außenwelt von ihnen wahrnimmt“, erklärt Grote.

Ohne externe Partner hätte all das nicht funktioniert. Das Kommunikationsteam besteht zwar aus 14 Personen. Davon war aber nur eine ausschließlich für das „Mosaic“-Projekt angestellt. Unterstützt wurde das Bremerhavener Team im Wesentlichen von einem „Außenposten“, genannt Medienkoordinator, der sich an Bord des Forschungsschiffs befand.

Man setzte daher unter anderem auf eine Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Content Alliance, die auch zusätzliche Reichweite verschaffte. Dazu gehören die Produktionsfirma Ufa Show & Factual, die den Film zur Expedition gedreht hat, Audio Alliance, das den Podcast für sein Angebot „Audio Now“ produzierte, die Verlagsgruppe Random House, unter deren Dach drei Bücher zur Expedition entstanden, und das Verlagshaus Gruner und Jahr. Eine Journalistin des Verlags nahm zeitweise an der Expedition teil. Sie schrieb für Zeitschriften wie „Geo“, „Stern“ und „P.M.“.

Drei bis fünf Plätze an Bord der „Polarstern“ waren für die Kommunikation vorgesehen, davon reservierte Grote zwei bis vier für Journalisten, Fotografen und das Filmteam. Jedes Team an Bord musste täglich einen „Freiwilligendienst“ übernehmen. Neben Pressemitteilungen vorbereiten, Blogbeiträge schreiben und das Filmteam bei der Arbeit unterstützen stand also auch Eisbärenwache auf dem Programm.

Es war ein Job unter Extrembedingungen: Isolation, Dunkelheit, Temperaturen von bis zu minus 43 Grad und dazu das nicht zu unterschätzende Risiko aufgrund von Eisbären in der Nähe. Vor allem aber war es ein Einsatz, der bis zu mehrere Monate dauern konnte. „Gerade aus dem Grund war es nicht leicht, für alle Fahrtabschnitte Medienkoordinatoren zu finden“, gibt der Kommunikationsleiter Grote zu. Er selbst ist dagegen gern mitgefahren: „Wenn man fast am Nordpol auf dem Meereis steht, unter dem sich ein kilometertiefer Ozean erstreckt, dann wird einem bewusst, wie faszinierend, aber auch fragil diese Welt ist“, sagt Sebastian Grote. Es war eine Erfahrung, die er gern noch einmal machen würde.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DIVERSITY. Das Heft können Sie hier bestellen.

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