„Sag’s mir ins Gesicht“: Wenn der Wutbürger anruft

Deutscher Preis für Onlinekommunikation

Wenn Hass gescheiterte Liebe ist, dann tummeln sich auf Facebook besonders viele gebrochene Herzen. Die entfesselte Wut trifft regelmäßig auch Journalisten der ARD-Gruppe, die sich mit Hasskommentaren und persönlichen Anfeindungen konfrontiert sehen. Drei Tagesschau-Journalisten zogen im November vergangenen Jahres den Schlussstrich. In der Kampagne „Sag’s mir ins Gesicht“ forderten sie Kommentatoren auf, sich ihnen in einem Skype-Videogespräch zu stellen, das live auf Facebook übertragen wurde. Und viele kamen, wenn auch nur wenige ihren Hass zum Ausdruck brachten. Die Kampagne zeigte, dass der Hass lieber im Schutz der Anonymität stattfindet.

Beim Deutschen Preis für Onlinekommunikation 2018 gewann die mutige Kampagne den Branchen-Preis in der Kategorie Unterhaltung und Kultur. (Hier finden Sie alle dpok-Gewinner in der Übersicht.) 

Wir haben mit Daniel Klose und Ilka Klingenberg von der durchführenden Agentur La Red über die Kampagne gesprochen.

Worum ging es bei dem Projekt?

Daniel Klose: Grundsätzlich ging es um die Frage, wie man die Diskussionskultur auf Facebookprofilen verbessern kann. Wir wollten herausfinden, ob Menschen, die Hasskommentare schreiben, das auch ihrem Gegenüber ins Gesicht sagen würden. Dafür haben drei Journalisten der Tagesschau Videobeiträge verfasst, bei denen wir wussten, dass die besprochenen Themen Hasskommentare provozieren würden. Auf dem Facebook-Account der Tagesschau haben wir diese Beiträge gesammelt und alle Hater, die darunter kommentiert haben – es waren wirklich sehr viele – zum Live-Dialog aufgefordert, nach dem Motto: Sagt uns eure Meinung direkt ins Gesicht! Traut ihr euch?  

Wie haben Sie es geschafft, die Journalisten zum Mitmachen zu bewegen? Es kostet sicher Überwindung, sich dem Hass direkt auszusetzen.

Ilka Klingenberg: Auf jeden Fall. Tatsächlich war es aber Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke, der den ersten Schritt machen wollte. Er ist selbst Opfer von Hasskommentaren gewesen und hatte den Wunsch, vor die Kamera zu treten und sich dem zu stellen. Die Tagesschau konnte dann auch noch Isabel Schayani und Anja Reschke gewinnen.

Hat die Kampagne ein Umdenken bei den Facebook-Nutzern bewirkt?

Klingenberg: Ich glaube, eine Aktion allein kann dieses große Thema nicht bewältigen. Aber wir haben auf jeden Fall ein Zeichen setzen können. Es war auch wichtig für die Tagesschau, zu diesem Thema Stellung zu beziehen und Haltung zu zeigen. Die Botschaft war deutlich: Wir akzeptieren das nicht länger. Das wurde auch von den Moderatoren klar kommuniziert.

Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der Kampagne?  

Klingenberg: Unbedingt Mut haben. Die Aktion war ein Experiment: Wir wussten bis kurz vor knapp nicht, ob sich überhaupt jemand melden oder die Aktion ins Wasser fallen würde. Im Nachhinein war das Gegenteil der Fall, zehn Minuten vor Sendungsbeginn warteten schon Tausende in der Chatline. Das hätte auch anders verlaufen können.

Klose: Gerade in den sozialen Medien muss man auf vieles vorbereitet sein. Da ist es gut, wenn man vorher alle Szenarien durchgeht. Sitzt der Journalist eine Stunde lang alleine da, weil er keinen Redner hat, braucht es Alternativszenarien. Dafür waren wir gut gewappnet. Wir hatten viele weitere Szenarien geplant. Das war zwar am Anfang viel Aufwand und auch Spinnerei, war aber sehr wichtig.  

Und wo wird die Trophäe stehen?

Klose: Bei uns in der Agentur, in unserem Trophäenschrank.

 

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