Die digitale Transformation lehrt viele Organisationen das Fürchten. Sie sind verunsichert, weil sie wissen, dass sich ihr Miteinander eigentlich ebenso ändern müsste wie ihr Geschäftsmodell, die Moden, die Trends und die Kundenwünsche. Was müssen Firmen und Institutionen heute beachten – jenseits bester Produkte und Services? Dazu fünf Thesen:
1. Das Internet verschlingt die traditionellen Medien.
Die Zukunft des Journalismus erscheint ambivalent – einerseits wird er dringender denn je gebraucht, weil die Menschen verlernen, zwischen Nachrichten und Informationen zu unterscheiden. Andererseits haben die Journalisten ihre Monopolstellung bei der Herstellung von Öffentlichkeit verloren. Denn heute ist jeder im Netz sein eigener Publizist, Herausgeber und Chefredakteur.
Wer ein Smartphone und Empfang hat, kann nahezu die gesamte Weltbevölkerung erreichen. Das Netz, diese fantastisch demokratische Einrichtung, erlaubt jedem zu publizieren. Dadurch wabert überall penetranter Konsum-, Meinungs-, Werbungs- und Pöbel-Info-Müll herum, der zunehmend das Bewusstsein beschäftigt und den Blick auf eigentliche Werte verstellt. Denn Accessoires sind keine Attribute.
Natürlich wird der Journalismus überleben – er ist konstitutiv für die Demokratie –, aber die Medienhäuser werden sich umstellen, weniger Wert auf Nachrichten legen und mehr den exklusiven Geschichten nachjagen. Die Segmentierung der Informationsangebote führt zu einer weiteren Deprofessionalisierung im Journalismus, zu einem Anstieg an freien Zeilenschreibern und Beitragserstellern, die mehr schlecht als recht von ihrer Selbstständigkeit leben können.
Die Folgen des Wettbewerbs um Anzeigeneinnahmen, Auflagen und Einschaltquoten spiegeln sich in den fallenden Tabus wider, beispielsweise in Native Ads, Koppelgeschäften, Recherchemängeln, Qualitätsverlusten und im weiteren Mediensterben.
Wobei die deutschen Medien noch immer zu den besten der Welt zählen. Das betrifft sowohl die Qualitätspresse-Erzeugnisse als auch Teile des privaten und besonders des öffentlich-rechtlichen Radios und Spartenprogramm-Fernsehens mit den dazugehörigen Online-Angeboten.
Der Wandel zur papierlosen Gesellschaft (c) Mona Karimi
Druckmedien werden nicht aussterben, aber ihre Funktion wird sich wandeln. Tageszeitungen sollten beispielsweise den Anspruch aufgeben, Menschen wie im vergangenen Jahrhundert umfangreich rein nachrichtlich oder in Berichtform über wichtige Ereignisse des Weltgeschehens zu informieren. Denn wenn die Tageszeitung endlich erscheint, hat die Always-on-Gesellschaft längst im Netz, im Radio und im Fernsehen sämtliche Nachrichten rezipiert. Was fehlt sind Hintergründe, Zusammenhänge, verständnisfördernde Kommentare und eine fundiert argumentierte Meinung. Das ist das Brevier der Qualitätsmedien.
Wie die Zeitungen und Zeitschriften bei sinkenden Anzeigenaufkommen und sich veränderndem Nutzerverhalten – weiter hin zur Online- und Mobile-Nutzung – überleben werden, ist ungewiss. Vielleicht mit Hilfe von Genossenschafts- oder Stiftungsmodellen, vielleicht mittels staatlicher Förderung, vielleicht finden sich – wie vereinzelt in den USA – engagierte Investoren, die Millionen in Druckmedien stecken, weil sie diese Art der Informationsvermittlung als wichtig für die Sicherung der Demokratie erachten.
Zahlreiche Zeitungen und Magazine sind schon eingestellt worden, weitere werden folgen. Manche müssen sich zusammenschließen, andere wird niemand vermissen. Vermutlich kosten die hochwertigen Tageszeitungen bald fünf oder zehn Euro.
Die Käufer werden sie in Cafés lesen und durch die Fußgängerzonen tragen und damit ihre Zugehörigkeit zum Bildungsbürgertum dokumentieren – ähnlich, wie sie früher die grünen „Geo“-Hefte im Wohnzimmerregal ausstellten. Auch die wenigen Nachrichtenagenturen kämpfen. Die einzige verbliebene ganzheitliche Agentur ist die dpa. Etliche Medienhäuser probieren, ohne die entsprechenden Leistungen und Gebühren auszukommen.
2. Krisenprävention ist die beste Versicherung des Betriebs- und Anlagevermögens.
Jedes Unternehmen kann in eine schwierige Situation kommen, selbst dann, wenn die Geschäfte gut laufen. Eine zweifelhafte Handbewegung, ein dummer Satz, eine falsche Entscheidung, ein unterschätzter Produktmangel, ein krimineller Mitarbeiter, ein geschädigter Kunde – all das reicht aus, um Organisationen in existenzielle Krisen zu stürzen.
Aber: Jedes Unternehmen kann sich schützen. Mit einem Netz von Freunden, einer professionellen integrierten Kommunikation, mit definierten Botschaften für die Themen aller Anspruchsgruppen, mit einer wertschätzenden und kreativitätsfördernden Unternehmenskultur und einer vertrauensbildenden Unternehmensleitung. Diese Kombination fällt vielen Unternehmen schwer, weil sie meist einen Kulturwandel voraussetzt.
3. Unternehmen sollten intellektuell redlich handeln und kommunizieren.
Unternehmen können es sich nicht mehr wie früher leisten, Lügengeschichten zu kommunizieren. Das war vor 20 Jahren gang und gäbe, beispielsweise in der Werbung. Alle wussten es intuitiv. Aber nicht jeder, der sich über diese Art der Manipulation ärgerte, hatte die direkten massenwirksamen Reaktionsmöglichkeiten wie heute. Niemand konnte früher mit einem Tweet, einem Blogpost, einem Facebook-Beitrag oder einem Text im Netz Millionen Menschen ansprechen.
Natürlich kennt jedes Unternehmen ein paar Themen, die ihm vorgehalten werden könnten. Aber diese Implikationen gehören meist zum Geschäftsmodell, so dass die entsprechenden Risiken bewusst eingegangen werden. Es kommt folglich zunehmend darauf an, nicht abzuwarten, bis die Reputationsrisiken von Kritikern gegen das Unternehmen eingesetzt werden. Vielmehr ist eine intellektuelle Redlichkeit gefragt, die Herausforderungen selbst zu benennen. Den Mut, die eigene Unvollkommenheit wahrheitsgemäß einzugestehen, lassen viele Unternehmen und Geschäftsführer vermissen. Obwohl sie auf diese Weise Anerkennung, Respekt und Vertrauen erleben würden.
Intellektuelle Kommunikation fördern (c) Mona Karimi
Im Zuge der Nachhaltigkeitsentwicklungen wird sich die Wirtschaft nach Qualität konsolidieren. Wer keine besseren Produkte und mehr Service bietet, wird vergehen. Die besten Marken setzen sich durch. Aber Vorsicht: Enron genoss Anerkennung als erfolgreicher Riese, Lehman galt als innovativ, Grundig baute hervorragende Produkte, Praktiker wirkte preisgünstig und Schlecker war Marktführer.
Mal wurde der Wandel der Kundenbedürfnisse missachtet, mal hat das Management betrogen, mal wurde zu teuer produziert oder eingekauft, mal ist versucht worden, ein nicht funktionierendes Geschäftsmodell mit Auslandsexpansion am Leben zu halten. Und schnell kommt in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit zusätzlich ein Reputationsproblem hinzu.
Die Marktchancen werden also zunehmend von der Qualität der Kommunikation bestimmt. Die Menschen spüren, ob die Kommunikation einer Organisation wahrhaftig ist – heute mehr denn je. Und sie haben Kontrollmöglichkeiten. Sie wissen bisweilen mehr über die Produkte als die Hersteller selbst. Weil sie sich darüber austauschen.
4. Die Folgen der Digitalisierung verändern Unternehmenskulturen – zum Positiven.
Die Corporate Governance beugt Krisensituationen vor. In einer steifen und förmlichen Atmosphäre, in der sich alle siezen, in Anzügen begegnen, streng nach Hierarchie-Ebenen verteilt arbeiten, Statussymbole betonen, in Abteilungs-Parzellen gegliedert sind, fühlen sich Menschen nicht wohl. Denn zu Hause verhalten sie sich anders, lockerer, authentischer.
Die gesamte deutsche Wirtschaft wird sich umstellen müssen – das betrifft den oft patriarchalisch geprägten Mittelstand ebenso wie Konzerne, in den Abteilungen ihr Silodenken häufig kultivieren, darauf bedacht sind, ihre Pfründe – vor allem Budgets und Personal – zu sichern und sich gegen andere Bereiche abgrenzen. Das schreckt wissbegierige junge Talente ab. Unternehmen sollten ihr Selbstbild entsprechend anpassen, den internen Wandel definieren und ihn leben. Dazu gehören soziale Einrichtungen und Incentives sowie eine neue Qualität von Transparenz und Kommunikation.
5. Marken werden Medien.
Das Internet ist ein Medium für bewegte und bewegende Bilder. Die User wollen auf ihren Smartphones keine langen Aufsätze und Analysen lesen. Vielmehr interessieren sie sich für Geschichten, die Emotionen hervorrufen und sich deshalb gut weiterleiten lassen. Jeder versteht sie. Fernsehen und Internet verschmelzen zum neuen Supermedium – mit der größten Glaubwürdigkeit, der größten Zielgruppe und der größten emotionalen Wirkung. Dementsprechend gelten statische Webseiten als so attraktiv wie ein Zoo mit ausführlichen Texten und Fotos, aber ohne Tiere.
Die 500 größten deutschen Unternehmen haben das verstanden. Sie haben durchschnittlich mehr als 130 Videos im Internet hochgeladen – über ihr Management, ihre Gründung, ihre Produkte, über Veranstaltungen, Tests, Qualitäts-Audits, natürlich auch Werbespots, aber auch viele Stücke über ihre Kunden und deren Umgang mit den Produkten und Services. Marken wie Red Bull und Coca-Cola exekutieren die Wandlung zum Medium. Sie erzählen Geschichten vorbildlich wirkungsstark – mithin audio-visuell.
Wer wird am Ende der Disruptivste im ganzen Land sein? Auch im Internet setzen sich diejenigen durch, die das Kapital haben und sich Kenntnisse und Kreationen leisten können. Um eine Branche so radikal durchzuschütteln wie Paypal, Uber und Tesla, brauchen Unternehmen den besagten Kulturwandel, der sich mit Silo- und Pfründedenken aber nicht erreichen lässt.
Von amerikanischen Marken wie Google, Apple, Facebook, Twitter, Microsoft, Ebay, Amazon können deutsche Organisationen viel lernen. Das betrifft Produktnutzen, Markenaufbau und Serviceorientierung ebenso wie Begeisterung, Umgangskultur und Reputation. Die Globalisierung und der gesellschaftliche Wandel infolge der Digitalisierung fördern auch die Amerikanisierung der Kultur und der Wirtschaft. Man mag das bedauern, aber es ist wichtig, die Phänomene zu erkennen und zu reflektieren.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.