Herr Lota, wer waren für diese Aktion Ihre Zielgruppen?
Ulrich Lota: Wir haben uns im Bistum Essen in einem intensiven internen Dialog Gedanken darüber gemacht, wie wir in Zukunft Kirche sein wollen. Dies hatte natürlich auch Konsequenzen für unsere Kommunikationsstrategie. So ist unser Ziel, nicht nur den rückläufigen Anteil derer zu erreichen, die Sonntag für Sonntag in die Kirche gehen. Wir wollen die breite Masse der Katholiken erreichen und Menschen darüber hinaus. Nur wie bekommt man die? Wo trifft man sie an? Heute zum Beispiel in sozialen Medien oder auch säkularen Printmedien. Wir haben die Kommunikationsarbeit entsprechend ausgerichtet. Ein Beispiel hierfür ist die Weihnachtsgeschichte via WhatsApp. WhatsApp bietet sich hierfür an, weil es viele Nutzer hat und eine solche Aktion an sich schon Publizität nach sich zieht.
Kirche digital – wie geht das? Gab es eine Strategieentwicklung?
Natürlich sind wir hier nicht planlos drangegangen. Das Bistum Essen war eines der ersten Bistümer, das 1996 eine eigene Homepage hatte, wir tummeln uns also schon lange in digitalen Medien. Für das Kommunikationskonzept haben wir uns gefragt: Welche Erfahrungen haben wir bisher? Wo haben wir Stärken und Schwächen? Welche Instrumente bedienen wir gut oder nicht so gut? Aufbauend darauf entstanden die Ideen von unseren beiden Online-Redakteuren, die Oster- und jetzt die Weihnachtsgeschichte bei WhatsApp zu erzählen.
Ihre Facebook- und Twitter-Profile sind nicht nur rein nachrichtengetrieben sondern haben einen Kuratorenansatz.
Ja genau. Wir haben unseren Blick nicht nur auf den eigenen Kirchturm gerichtet. Denn wer nur über sich berichtet, bleibt unter sich. Erst der Kuratorenansatz ermöglicht im Netz wirkliche Kommunikation.
Jens Albers: Das Kuratieren ist ein gelebter Community-Gedanke. Wir präsentieren auch eigene Themen, aber sehen uns als Teil einer Gemeinschaft und unsere Aufgabe auch darin, Kirche vor Ort eine Plattform zu geben. Da gibt es ein schönes Geben und Nehmen zwischen uns als hauptamtlichen Öffentlichkeitsarbeitern und den vielen, die das ehrenamtlich vor Ort machen.
Sie haben also den kirchlichen Kernwert Gemeinschaft in die digitale Welt übertragen?
Genau.
Moderne Bildsprache und antiker Text (c) Bistum Essen
Wie passt die Weihnachtsgeschichte in unsere heutige Zeit?
Sie ist ähnlich wie die Ostergeschichte bei vielen Menschen noch bekannt, auch wenn sie immer weniger im Detail kennen. Aber das ist „the reason for the season“: Warum haben wir frei? Was feiern wir? Viele kennen das noch aus der Kindheit, aber haben damit keine Berührungspunkte mehr. Durch Whatsapp wird die Weihnachtsgeschichte wieder in ihren Alltag gespült, weil der Kanal sehr verbreitet ist. Wir haben die Geschichte fürs Smartphone mit kurzen Sätzen in passende Portionen verpackt und visuell aufbereitet – die Weihnachtsgeschichte für die Hosentasche quasi.
Wie ist die Ursprungsidee entstanden?
Das erste Mal haben wir WhatsApp Ostern 2015 genutzt. Natürlich sind wir im Team alle sehr medienaffin, wenn auch nicht immer die early adopter. Wir arbeiten oft nach dem trial and error-Prinzip: Wenn etwas funktioniert, machen wir weiter; wenn nicht, probieren wir etwas anderes. Wir stellten fest, dass nicht nur gleichaltrige Freunde bei WhatsApp sind, sondern auch Mutter und Oma. Medienhäuser nutzen den Kanal für ihre tägliche Arbeit, aber das haben wir für uns verworfen, weil wir nicht dauernd geeignete Nachrichten produzieren. Darum haben wir die Aktion auch auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt.
Sie war ein Testballon. Ich dachte, wir kriegen maximal 500 Teilnehmer und mussten am Ende bei 6.500 aus technischen Gründen Schluss machen. Bei der Weihnachtsgeschichte hatten wir sogar 9.000 Leser. Wir sind also als Testballon gestartet und als Heißluftballon gelandet (lacht).
Wie lief die Konzepterstellung, hatten Sie Unterstützung von externen Dienstleistern?
Simon Wiggen: Die Ostergeschichte haben wir komplett ohne Dienstleister gestemmt. Wir brauchten nur ein Smartphone mit einer Nummer, haben eine Microsite gebaut und sie über unsere Social-Media-Kanäle verbreitet. Das hat gut funktioniert, vor allem als erste Medien aufsprangen. Aber wir merkten, dass das mit nur einem Smartphone doch schwierig wird. Darum haben wir bei der Weihnachtsgeschichte mit einem Anbieter aus Augsburg kooperiert, die die Nachrichten versandt haben.
Ich nehme nicht an, dass Sie die einzelnen Nachrichten händisch verschickt haben.
Wiggen: Bei der Ostergeschichte haben wir das tatsächlich getan, da bin ich am Gründonnerstag um eins ins Bett gegangen und um fünf wieder aufgestanden, damit die Reihenfolge stimmt. Wir hatten 28 Broadcast-Listen, konnten aus technischen Gründen immer nur fünf hintereinander anschreiben und mussten vor den nächsten eine Viertelstunde Pause machen. Aber bei der Weihnachtsgeschichte hat sie der Dienstleister automatisch versandt.
Fungiert die Anmeldung über die Mircosite dann als Double Opt In wie bei Newslettern?
Ja, genau.
Was passiert mit den gespeicherten Kontaktdaten?
Albers: Die Katholische Kirche hat ein eigenes Datenschutzrecht, das noch strenger ist als das allgemeine. Die Telefonnummern haben wir am Ende komplett gelöscht.
Lota: Es muss also niemand fürchten, von uns eine Nachricht zu bekommen, ob er nicht mal wieder in die Kirche kommen möchte.
Albers: Wir haben es theoretisch geschafft, in ein bis zwei Wochen 9.000 Kontaktdaten durch Kaltakquise zu bekommen. Viele Teilnehmer haben gefragt, ob wir die Nummer nicht einfach für die nächste Aktion behalten können. Aber unsere Datenschutzrichtlinien verbieten das und wir hatten allen Teilnehmern die Löschung zugesagt.
Emoticons lassen den Bibeltext aktuell wirken (c) Bistum Essen
War das Löschen der Kontakte nicht eine Katastrophe fürs Controlling, weil sie jetzt gar nicht wissen können, wer Ihre Kunden waren?
Albers: Wir können in einigen der rund 2000 Rückmeldungen zwischen den Zeilen lesen, gerade die Weihnachtsgeschichte lasen auch viele ältere Menschen. Einer schrieb: ͵Ich bin 75 Jahre alt und habe jede Nachricht verschlungenʹ. Das hat uns sehr gefreut.
Gab es bei der Konzeption auch interne Gegner, die ein solches Projekt unpassend fanden?
Lota: Nein, gar nicht. Ich will nicht verhehlen, dass Einzelne das vielleicht mit einer Portion Skepsis sehen, aber wir haben uns durch unsere bisherigen Projekte einen großen Freiraum erarbeitet. Allerdings hilft es auch, dass der Bischof und der Generalvikar sehr medienaffin sind und das mit großer Experimentiert- und Spielfreude begleiten. Wir sind zwar die Medienfachleute, aber nicht immer die Kirchenfachleute. Die Texte wurden hausintern gekoppelt und die Inhalte mit dem Dezernat Pastoral eng abgestimmt.
Das Format ist multimedial. Wonach haben Sie die Clips, Bilder und Emoticons ausgewählt?
Albers: Wir haben uns bewusst für die Original-Bibeltexte entschieden, und ebenso bewusst einen Bruch hergestellt, indem wir sie mit aktuellen Optiken bebildern. Vieles haben wir selbst gemacht, andere bei Creative Commons gesucht, um die Geschichte dem Kanal anzupassen. Die Idee dahinter war, dass die Geschichte anmutet, als hätte sie ein Freund geschickt.
Extra produziertes Bild: Josef im Hoodie (c) Bistum Essen
Josef als Anhalter im Hoodie fand ich auch cool.
Albers: (Lacht) Genau. Wir haben die Texte auch bewusst mit Emoticons angereichert, weil das für viele zur WhatsApp-Kommunikation dazugehört. Das brachte auch lustige Reaktionen: Bei der Ostergeschichte wurde viel diskutiert, ob Judas wie unser Emoticon wirklich einen Schnurrbart getragen hat. Eine Leserin schrieb, dass in ihrer privaten Familiengruppe genau dieses Symbol immer für den eigenen Vater stand. Manchem fehlt zum ursprünglichen Bibeltext vielleicht manchmal der Zugang – aber durch diese Mischform mit Emoticons, aktuellen Bildern und dem Kanal WhatsApp beschäftigen sich die Menschen wieder damit.
Die Geschichte lief in Echtzeit, man bekam also auch mal nachts eine Nachricht. Warum?
Albers: Die Geschichten geben den zeitlichen Korridor vor. Die Weihnachtsgeschichte in Echtzeit zu erleben, hat Live-Ticker-Charakter. Wir haben also auch nachts oder frühmorgens Nachrichten verschickt. Nur ein Leser fühlte sich gestört, weil er an dem Morgen hätte ausschlafen können. Aber die Kombination aus Storytelling und Echtzeitkommunikation sollte wirken, als passierte die Weihnachtsgeschichte gerade jetzt und ein Freund erzählte davon.
Wiggen: Die Weihnachtsgeschichte geht ja nicht nur bis Heiligabend sondern bis in den Januar hinein, was einige Leser verwunderte. Wir erzählten die ganze Geschichte so historisch echtzeitig wie möglich.
Könnte auch ein heutiges Popkonzert sein, illustriert aber die Wiehnachtsgeschichte (c) Bistum Essen
Das Medium lädt ein zum Dialog. Welche Reaktionen gab es?
Wir sind ja schon in den Hosentaschen bei den Menschen, da darf der Dialog natürlich nicht fehlen. Es kamen etwa 2.800 Nachrichten. Manchmal nur ein Smiley, Tannenbaum oder „Frohe Weihnachten“. Viele Leser wunderten sich, dass hinter der Aktion echte Menschen stecken. Wir bekamen zu Beginn der Geschichte die Frage „Bist Du ein Roboter?“
Albers: Der Dialog bewirkt auch, dass das Image des Unternehmens Kirche punktuell geändert wurde. Und wir haben auf Feedback zum Teil auch humorvoll geantwortet: Man kennt das ja selbst, wenn man aus Versehen eine Nachricht an den falschen Kontakt schickt. So bekamen wir einmal die Info, dass die Karten für „Starlight Express“ jetzt da seien. Wir schrieben zurück: ͵Super, wir kommen mit fünf Mannʹ. Daraus entstand ein Dialog über zehn Minuten, an dessen Ende wir uns scherzhaft darauf einigten, wer das Popcorn mitbringt. Die letzte Nachricht des Lesers war dann: ͵Ich hätte nie gedacht, dass ich mit jemandem von der Kirche einmal so sprechen kann.ʹ Das war also auch Reputationsmanagement.
Lota: Das ist ja die einmalige Chance von Sozialen Medien: Dass wir Menschen – ich nenne sie mal die „treuen Kirchenfernen“ – direkt erreichen. Ich kann Dialoge führen, sie abholen, wo sie mit ihrem Glauben oder ihren Fragen stehen und finde es wichtig, dass es dann auch wirklich Antworten gibt.
Eine Reaktion hat mich bei der Weihnachtsgeschichte besonders berührt: Eine Leserin schrieb: ͵Ich habe die Aktion an eine sterbenskranke Kollegin weitergeleitet. Zu Beginn konnte sie ihr Handy noch allein bedienen, zum Ende wurde sie von ihrem Mann unterstützt. Ihr hat es viel gegeben, allein dafür hat es sich gelohnt.ʹ Wenn man das liest, weiß man, es ist nicht nur irgendeine Spielerei, sondern hat für Beteiligte offenbar tiefe und große Bedeutung.
Produzieren Sie schon Content für Ostern?
Albers: Das wollen viele wissen. Wir haben nach Ostern gedacht, das ist so berechenbar und wir haben den Anspruch, mit Ideen um die Ecke zu kommen, die man nicht unbedingt von uns erwartet. Aber kurz nach den Sommerferien kamen schon die Anfragen nach der Weihnachtsgeschichte. Also wenn die Nachfrage jetzt schon so da ist …
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Veränderung. Das Heft können Sie hier bestellen.