Die richtige Strategie gibt es nicht

Kriegstheorie und PR

Wirtschaftskriege, Unternehmenskämpfe, PR-Schlachten: Begriffe aus der Welt des Krieges durchziehen die Medienbranche, und sie verheißen meist nichts Gutes. Doch was ist das eigentlich: ein Krieg, ein Kampf, eine Schlacht? Militärstrategen beschäftigen sich seit Jahrhunderten mit diesen Fragen, und Carl von Clausewitz ist einer der bedeutendsten Theoretiker der Neuzeit. Zu Zeiten der napoleonischen Kriege entwickelte der preußische Generalmajor ein umfangreiches Theoriegebilde zum Krieg und den Weg dahin. Er bewunderte Napoleon als gottgleichen Feldherrn, und revidierte sein Urteil, als dieser geschlagen aus Russland zurückkehrte und so seine europäische Vorherrschaft verspielte.

Andreas Herberg-Rothe ist Clausewitz-Experte. Der 1954 geborene Historiker habilitierte 2000 zum „Rätsel Clausewitz“ an der Humboldt-Universität zu Berlin, heute lehrt er an der Hochschule Fulda. Fünf Bücher zu Clausewitz hat Herberg-Rothe inzwischen verfasst, darunter „Clausewitz in the Twenty-First Century“. Sein neuester Aufsatz beschäftigt sich mit der richtigen Balance zwischen Zweck, Mittel und Ziel im Krieg. Clausewitz war ein Mann seiner Zeit, betont Herberg-Rothe, seine Theorien müssten auch so betrachtet werden. Warum es die eine universelle Lehre zur richtigen Strategie nicht gibt, erklärt er im Interview.

Herr Herberg-Rothe, Sie kennen Ihren Clausewitz wahrscheinlich in- und auswendig, davon zeugen jedenfalls die zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema in den vergangenen Jahren. Färbt das ab? Soll heißen: Gelingt es Ihnen überhaupt noch, etwas nicht taktisch und strategisch zu betrachten?

Andreas Herberg-Rothe: Sicher wirkt sich die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Thema auch auf eigene Denkstrukturen aus. Aber um gleich mal einen anderen großen Denker zu zitieren: Wittgenstein hatte mal gesagt, es gebe die Regeln des Schachspiels und jene, wie man ein Schachspiel gewinnt. Clausewitz hat Regeln aufgestellt. Ob man damit also wirklich einen Krieg gewinnt, ist die Frage. Es ist auch hier wie so oft im Leben: Theorie und Praxis sind zwei verschiedene Dinge.

Also sollte ich das Interview vielleicht eher mit einem professionellen Pokerspieler führen als mit Ihnen? Das sind ja gute Praktiker.

Clausewitz hat dafür den Begriff des Genies verwendet. Das ist jemand, der unbewusst das Richtige macht. Wenn Sie dieses Genie nicht haben, aber wenigstens das Wissen, dann können Sie immer noch ein guter Pokerspieler werden. Was ich bei mir selbst feststelle: Es geht bei Auseinandersetzungen ja gar nicht unbedingt darum, selbst alles richtig zu machen. Viel ist schon gewonnen, wenn man abschätzen kann, wie das Gegenüber oder der Gegner als Nächstes handeln wird. Alle Auseinandersetzungen folgen einer Logik, die nur wenige verstehen, der die meisten aber unterliegen.

Das kriegerische Genie, das war für Clausewitz in Napoleon personifiziert. Ein Feldherr, den er lange Zeit vergötterte, nach dem gescheiterten Russlandfeldzug nicht mehr so sehr.

Weil Napoleon in seinen Augen dort einen Kardinalfehler der Kriegsführung beging. Nach all den erfolgreichen Schlachten und der Unterwerfung halb Europas hatte Napoleon gedacht, das jedenfalls warf Clausewitz ihm vor, die goldene Strategie gefunden zu haben. Mit dieser war Napoleon aber an Russland gescheitert. Moskau brannte, die Truppen versanken in der Weite des Landes. Clausewitz hat ja eine hochkomplexe Theorie der Kriegsführung geschrieben, kein Kochbuch. Das eine richtige Rezept für eine siegreiche Kriegsführung gibt es nicht, das betonte er immer wieder und das stimmt sicher bis heute. Ein guter Stratege analysiert vorher sehr genau seine Situation, bevor er seine nächsten Schritte plant. Höhenflüge sind keine gute Voraussetzung für eine rationale Entscheidung.

Gibt es überhaupt einen Feldherrn in der Menschheitsgeschichte, der immer ungeschlagen blieb?

Einige Exegeten des chinesischen Philosophen und Militärstrategen Sun Tsu, er lebte im fünften Jahrhundert vor unserer Zeit, sagen, dieser habe das Patentrezept für den Sieg aufgeschrieben. Ich halte das für stark übertrieben. Die Frage ist ja auch, ob es immer sinnvoll ist, um jeden Preis zu siegen. Ich halte es da mit Clausewitz, der das verneint. Er sagt, dass eine Niederlage sinnvoll sein kann, um den Kampf später wieder aufnehmen zu können, dann mit anderen Voraussetzungen. Napoleon hatte alle Schlachten in Russland gewonnen, nicht aber den Krieg. Ähnlich wie die Amerikaner in Vietnam oder heute im Irak.

Mit welcher Haltung muss man in eine Schlacht ziehen?

Ich würde sagen, mit der des Kurfürsten Friedrichs, der zu Luthers Zeiten lebte und Folgendes sagte. „Wenn du dich entscheidest zu kämpfen, musst du dich entscheiden zu gewinnen.“

Was heißt das?

Dass ich mir vorher Gedanken mache, ob ich gewinnen kann. Wenn nicht, dann lasse ich es gleich bleiben.

Das entspricht nicht unbedingt dem heutigen Zeitgeist, würde ich sagen. Bewundert werden Leute, die es entgegen aller Wahrscheinlichkeit an die Spitze schaffen und auch aus unterlegener Position angreifen. Ihr Kurfürst Friedrich dachte da ja offenbar eher wie ein Buchhalter.

Nun gut, wir reden ja auch über die Theorie des Kriegshandwerks, das muss man einordnen. Wenn Sie Clausewitzʹ Theorien auf den Alltagsbereich anwenden wollen, muss man das alles nicht so rigoros sehen. Da geht es ja hoffentlich nicht um Leben und Tod. In einer beruflichen Auseinandersetzung kann etwas anderes im Mittelpunkt stehen als der Sieg über den Gegner, wenn man es überhaupt so nennen will. Gelegentlich will man sich selbst etwas beweisen, zum Beispiel, dass man den Mut hat, auch in unterlegener Position für etwas einzustehen. Der Gedanke ist gar nicht so romantisch, wie er vielleicht klingt. Clausewitz hat da die alte aristotelische Unterscheidung zwischen Poiesis und Praxis genutzt. Poiesis ist dabei das zweckgebundene Handeln, Praxis hat ihren Zweck in sich selbst: zum Beispiel im Kampf, seine Identität zu bewahren. Das kann dann die Voraussetzung sein, die nächste Auseinandersetzung zu gewinnen.

Wir reden die ganze Zeit vom Krieg. Ist das überhaupt ein Begriff, der auf die Arbeitswelt übertragbar ist? Oder ist Krieg nur dann, wenn es Tote gibt?

Es ist tatsächlich problematisch, diesen Begriff in anderen Bereichen anzuwenden. Der politische Zweck des Krieges ist es laut Clausewitz, dem Gegner seinen Willen aufzuzwingen. So weit ist das übertragbar. Aber Krieg ist immer ein Akt der Gewalt, und zwar realer Gewalt. Es gibt also keine Kriege zwischen Unternehmen oder was es sonst noch alles für Kriegs-Metaphern gibt. Kriege sind für mich immer gewaltsame Akte des Kampfes einer Gemeinschaft gegen eine andere. Ich würde also lieber die Kategorie des Kampfes verwenden, geht es darum, Clausewitz Theorien außerhalb des Schlachtfeldes anzuwenden. Zur Strategie hat er viel gesagt, was allgemein gültig ist.

Lassen Sie uns also über Strategie und Taktik reden. Zunächst einmal: Was ist der Unterschied?

Strategie ist die Aufrechterhaltung einer Balance zwischen Zweck, Ziel und Mittel. Der Zweck ist das, was man erreichen will – zum Beispiel eine Führungsposition. Das Ziel die Art und Weise, wie man es erreichen will – Intrige oder Fleiß? Und dann gibt es noch die Mittel – die Waffen. Taktik ist der richtige Einsatz der richtigen Mittel.

Klingt ein wenig verschwommen. Werden Taktik und Strategie oft verwechselt?

Ja, ständig, auch von Kriegsparteien. Es gibt aber ein viel wichtigeres Phänomen in der Neuzeit: dass die Unterscheidung von Strategie und Taktik gar nicht mehr so wichtig ist. Heute geht es viel mehr um das Thema Vernetzung und vernetzte Kriegsführung. Das amerikanische Militär hat in Afghanistan beklagt, dass die Taliban viel besser vernetzt seien als sie selbst und so kaum besiegbar. Ich würde durchaus sagen, dass Strategie und Taktik heute weniger relevant sind als die Vernetzung. Leider Gottes, denn das führt oft dazu, dass Auseinandersetzungen stattfinden, weil sie gerade möglich sind. Ohne ein reales Ziel dahinter. Deswegen haben die Amerikaner in drei Wochen den Irak eingenommen, ohne einen Plan zu haben, wie es danach weitergehen soll.

Vernetzung also, das klingt doch sehr vertraut. Wie wichtig ist es, ein Team zu bilden, wenn ich kämpfe?

Bündnisgenossen können sinnvoll sein. Sie verstärken die eigene Macht, allerdings kann man sie weniger steuern. Sie können unzuverlässig sein, die Seiten wechseln, wie auch immer. Deshalb muss man wie gesagt vorher analysieren, was mit wem möglich ist und wer eventuell ausfallen könnte. Man kann solche Bündnisse organisieren und sie dann managen. Oder, und das ist weit effektiver, man entwickelt eine überzeugende Idee, für die dann andere auf eigene Faust kämpfen und so dem eigenen Ziel zuarbeiten.

Das eine wäre ein Team, dem ich Gewinne versprechen muss, wenn es mitmacht. Das andere verspricht sich die Gewinne selbst. Die einen sind loyal, die anderen nicht. Von welcher Konstellation habe ich mehr?

Wenn alle an die gleiche Idee glauben, läuft der Kampf besser.

Es ist also sinnvoll, einen Kampf mit einer guten PR zu begleiten?

Ganz klar. Nur muss die PR nicht nur oberflächlich gut sein, sondern auch in sich stimmig. Im militärischen Bereich heißt dies „strategic narrative“. Es geht ja nicht alleine darum, den Gegner zu besiegen, sondern ihn auch irgendwie für sich einzunehmen. Der Gegner von heute ist der Kunde von morgen. Entscheidend für einen dauerhaften Sieg ist, dass der Gegner seine Niederlage akzeptieren kann. Wenn er nur besiegt wurde, weil es strategisch möglich war, aber eigentlich keine Idee dahintersteckt, wird das Folgen haben. Ich habe den Irak ja schon angesprochen.

Werden Kämpfe in der Wirtschaft heute noch rational geführt? Denken wir mal an den zurückliegenden Machtkampf bei VW.

Oder an Konzerne, die Millionen oder gar Milliarden ausgeben, um einen Konkurrenten zu übernehmen, ohne überhaupt wirklich zu wissen, was sie danach damit anfangen sollen. Es gibt da viele Beispiele. Für europäisches Denken, das seit Jahrhunderten marktwirtschaftlich geprägt ist, ist es natürlich eine Zumutung, den Weg als das Ziel zu begreifen und nicht das Ergebnis. Trotzdem gilt, dass Niederlagen in Erfolge umgemünzt werden können.

Das klingt schön. Und nach einer Phrase.

Machen wir es also mal konkret. Sie wollen in einer Firma aufsteigen und schaffen das auch. Gleich darauf planen Sie einen weiteren Karriereschritt, scheitern aber. Sie erkennen Ihre Grenzen und verwenden die Energie fortan darauf, sich auf der aktuellen Position zu stabilisieren. Beim nächsten Mal machen Sie es dann besser oder nehmen einen Umweg. Vielleicht ersetzen Sie dann nicht den Chef, sondern versuchen, dessen Vorgesetzter zu werden. Viele Armeen sind in die Schlacht gegen Napoleon gezogen, im Wissen, dass sie verlieren werden, sich aber so ihrer Identität versichern zu können. Die nächs­te Chance konnten sie dann nutzen.

Schauen wir noch mal kurz ins Hier und Jetzt. Kampf hat längst nicht mehr den heroischen Klang der Vergangenheit. Fast scheint es, er wäre verpönt, geht es zum Beispiel um Machtkämpfe in politischen Parteien. Wenn dort die Fetzen fliegen, gilt das als PR-Katastrophe. Ist es heutzutage also klüger, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu kämpfen?

In unserer Mediengesellschaft hat der Gewinner einen sehr hohen Stellenwert. Und dazu gehört natürlich auch der Kampf. Ich glaube nicht, dass das generell verschrien ist. Was Sie meinen, ist der schmutzige Kampf. Dabei sollte man sich wohl lieber nicht erwischen lassen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Strategie – wie man erfolgreich plant. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel