Wie kommuniziert man eigentlich … den Tod?

Bestatter-Kommunikation

Die Schlagzeilen über Mymoria sind nicht immer schmeichelhaft. „Geschäft mit dem Tod“ lautet ein Beispiel. Dabei tut das Unternehmen lediglich, was in fast allen Branchen längst gang und gäbe ist: Es bietet seine Dienstleistung online an. Nur dass es sich in diesem Fall um ein besonderes Angebot handelt: Bestattungen. Angehörige können auf der Mymoria-Website Beerdigungen organisieren. Es lässt sich aber auch das eigene Begräbnis vorbereiten.

Für die Pressearbeit des Unternehmens ist Christian Soult zuständig. Im Interview erzählt er, wie man den Tod enttabuisiert.

Herr Soult, Sie sind freier Kommunikationsberater und beraten vor allem Start-ups. Wie überrascht waren Sie, von einem Bestattungsunternehmen angefragt zu werden?

Christian Soult: Gar nicht so sehr. Denn zu meinen Kunden gehören vor allem Digitalunternehmen, die in der Regel alle etwas Neues machen, das bis dahin niemand kannte. Das Einzige, was mich im Fall von Mymoria überrascht hat, war, dass nicht schon früher jemand auf die Idee kam, Bestattungen online anzubieten. Ich finde es sehr spannend, für das erste digitale Bestattungshaus zu kommunizieren und quasi Pionierarbeit für die Onlineplanung zu leisten. Und natürlich ist es auch eine große Herausforderung, das eigentliche Tabuthema Tod auf die mediale Agenda zu setzen.

Ich nehme an, es ist schwer, den richtigen Ton zu treffen?

Die Frage, ob etwas pietätvoll ist oder nicht, habe ich immer im Hinterkopf. Das gehört selbstverständlich dazu. Wir haben uns aber auch das Ziel gesetzt, einen Bewusstseinswandel bei dem Thema Tod zu bewirken. Wir wollen es raus aus der Tabuzone bringen, indem wir offen, ehrlich und unverblümt darüber sprechen. Da hilft es uns sehr, dass wir ein junges Unternehmen sind. Uns gesteht man einen anderen Ton zu als einem Bestattungsunternehmen in siebter Generation. Niemand erwartet von uns eine Altehrwürdigkeit.

Haben auch Journalisten diese Vorbehalte, von denen Sie sprachen? Oder sind die ganz dankbar für ein neues Thema?

Es gibt beides. Wir spüren bei manchen eine gewisse Zurückhaltung, andere nehmen die Vorlage gerne auf. Für manche Redaktionen ist der Tod ein „dunkles Thema“, über das sie nur unter bestimmten Umständen berichten. Da fängt dann meine Aufgabe an: zu zeigen, dass der Tod zum Alltag gehört und eben nicht im Dunklen gelassen werden sollte.

Zu Beginn dieses Jahres schaffte es Mymoria auf die Titelseite des Berliner Kurier – nämlich mit einem „Bestattungsautomaten“ in einem Berliner Altenheim, mit Hilfe dessen die Bewohner ihre eigene Beerdigung vorbereiten können. „Geschmacklos oder praktisch?“, fragte die Zeitung. Freuen Sie sich über solche Berichte?

Wir freuen uns, wenn Medien das Thema Tod ganz oben auf die Agenda nehmen und sich auf diese Weise viele Menschen damit auseinandersetzen. Und eine Titelseite gleich Anfang Januar ist ein guter Start ins Jahr. Der skandalisierende Artikel spiegelte aber nicht wider, dass die meisten Heimbewohner die „Vorsorgestation“ für gut befunden hatten. Das wäre dem Berliner Kurier vermutlich auch zu langweilig gewesen. Wir haben den Bericht auf unserer Facebook- Seite zur Diskussion gestellt, um das Gespräch darüber anzustoßen. Die Reaktionen dort und auf anderen Kanälen waren fast durchweg positiv.

Was unterscheidet Sie von anderen Bestattungsunternehmen? Was ist der USP?

Wir betonen vor allem die Transparenz und die einfache Planung von zu Hause aus. Kunden sehen bei uns nach ein paar Klicks, mit welchen Kosten sie zu rechnen haben. Dafür müssen sie jetzt nicht mehr in den Verkaufsraum eines Bestattungsunternehmens gehen, wenn sie nach einem Todesfall doch lieber allein und in den eigenen vier Wänden bleiben wollen. Und wer ein persönliches Gespräch wünscht, bekommt das genauso auch bei uns.

Wie haben Sie sich vorbereitet, als klar war, dass ihr nächster Kunde ein Bestattungsunternehmen ist? Gingen Sie ran wie an jedes andere Projekt?

Natürlich ist der Tod ein besonderes Thema – aber auch keines, das einen in Ehrfurcht erstarren lassen sollte. Ich habe mir einen Überblick über den Bestattungsmarkt verschafft. Und dann ging es wie bei jedem anderen Kunden daran, PR-Strategien zu entwerfen, Themen zu finden und zu lernen, was funktioniert und was nicht. Am Anfang war die Medienresonanz weit unter meinen Erwartungen. Aber auch Journalisten sind nur Menschen, und das Tabu hat da sicher eine Rolle gespielt. Inzwischen berichten Medien offener und unbeschwerter über uns.

Auf Ihrer Facebook-Seite gibt es einen tatsächlich bewegenden Kurzfilm, in dem ein Witwer einem Mädchen einen Blumenstrauß überreicht, der eigentlich für das Grab seiner Frau gedacht ist. Seine Frau hätte das so gewollt, sagt der Mann zu dem Mädchen. Solche emotionalen Ansprachen sind in den Sozialen Medien sicher ideal. Aber wie erreichen Sie die klassischen Medien?

Wir schaffen Themen, die zwar mit Bestattungen zu tun haben, aber auf die Bedürfnisse der Redaktionen nach News und Service zugeschnitten sind. Ein sehr erfolgreiches Projekt ist unser Friedhofspreisvergleich. Das machen wir seit Unternehmensgründung jedes Jahr einmal, und das wird von Medien immer sehr dankbar aufgegriffen.

Mir war gar nicht klar, dass es unterschiedliche Preise für Friedhöfe gibt.

Da geht es Ihnen wie vielen Menschen. Da die meisten von uns im Durchschnitt nur alle 18 Jahre eine Bestattung organisieren müssen, wissen wir oft wenig darüber. Deswegen gibt es auch viele Fragen dazu. Meine Aufgabe ist es, den Journalisten dafür Kommunikationsanlässe zu bieten. Der Friedhofspreisvergleich ist ein Beispiel. Ein anderes ist unsere Sammelaktion für die Kältehilfe der Berliner Stadtmission. Bei uns können Hinterbliebene die Kleider von Verstorbenen spenden. Wir kamen darauf, weil einige unserer Kunden nicht wussten, was sie mit diesem Nachlass machen sollen. Damit etwas Gutes zu tun, bietet sich an – und wir haben wieder ein Thema, das den Tod ganz anders beleuchtet.

Kürzlich warb ein großes, traditionelles Berliner Bestattungsunternehmen damit, dass der Rapper Sido dort ein Praktikum macht. Wie wichtig ist PR inzwischen in der Branche geworden?

Ich glaube, für die Mymoria-Gründer stand nie zur Debatte, auf PR zu verzichten. Aber es wird auch für die anderen etablierten Unternehmen wichtiger werden, offen und direkt zu kommunizieren. Die Menschen gehen nicht mehr einfach zum nächsten Bestatter, sondern sie wollen sich vorher informieren. Es geht da um Transparenz, aber auch um eine gestiegene Preissensibilität.

Die Preiskonkurrenz scheint auch in Ihrer Branche eine zunehmende Rolle zu spielen. Wie ist der Bestattungsmarkt heute eigentlich aufgestellt? Und welche Rolle spielen dort ganz allgemein digitale Angebote?

„Bestatter“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Es gibt daher keine genauen Zahlen. Die Schätzungen variieren zwischen 5.000 und 6.000 Bestattern bundesweit. Manche sind sehr offen für Neues, aber bei vielen herrscht Misstrauen gegenüber der Digitalisierung. Das mag auch daher rühren, dass es online vor der Gründung von Mymoria nur Preisvergleiche und Vermittler gab. Auch wenn es mittlerweile zwei weitere Onlineanbieter in Deutschland gibt, beherrschen herkömmliche Bestatter noch den Markt. Wir glauben aber, dass es in wenigen Jahren normal sein wird, Vorsorgen und Bestattungen im Internet zu planen.

Wie hat sich Ihr eigenes Verhältnis zum Sterben verändert, seit Sie für Mymoria kommunizieren, Herr Soult?

Ich musste im familiären Umfeld leider schon einige Bestattungen organisieren und war da vielleicht schon etwas erfahrener. Aber trotzdem habe ich durch die Arbeit für Mymoria und die tägliche Beschäftigung mit dem Thema einen entspannten Umgang mit dem Tod gefunden. Und hoffe, dass ich das jetzt auch bei anderen bewirken kann.

Das Start-up Mymoria gibt es seit 2015. Gegründet wurde das Unternehmen mit Sitz in Berlin-Mitte von Björn Krämer, Peter Kautz und Heiko Reintsch. Mehrere Investoren stiegen seitdem ein und gaben teils siebenstellige Summen. Es könnte eine gute Geldanlage sein, denn Mymoria wächst: 40 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen, und es stellt weiter ein, zum Beispiel auch in Österreich. Eigene Bestatter hat Mymoria nicht, vielmehr arbeitet das Start-up mit Partnern vor Ort zusammen; die Planung übernimmt dabei allein Mymoria. Zu Umsatz- oder Gewinnzahlen gibt es keine Angaben. Allerdings erklärt Mymoria, dass derzeit „monatlich über 100 Kunden“ die Dienste in Anspruch nehmen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ENDE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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