Unternehmen müssen schneller auf den Krisenmodus umschalten, da stimme ich Anna Glombitza-Oelsner zu. Allerdings werden juristische Minenfelder von Kommunikatoren viel zu oft unterschätzt. Rechtliche Vorschriften mit immensem Schadenspotenzial stehen nicht unter dem Vorbehalt der Twitter-Tauglichkeit.
Seit Jahren beobachten wir, dass das Thema Krisenkommunikation einen stetig wachsenden Stellenwert erhält. Sowohl Flügelschlag wie Zungenschlag verändern sich noch einmal deutlich, seit wir alle die Multiplikations-Intensität der Social Media zu spüren bekommen. Informationen verbreiten sich (gerade in der Krise) wie Öl auf Wasser: dünn, aber großflächig.
Und jeder Empfänger wird zum – seinerseits weiterverbreitenden – Sender; gegebenenfalls wird er zugleich auch zum inhaltlichen Kommentator. Die Technologie stellt aggressive Beschleunigungs-Tools wie Hashtags oder schnell etablierte Domains (Hate-Sites) zur Verfügung. Die ganze Gemengelage einmal umgerührt und die üblichen Strategien zur Krisenbewältigung, scheinen schnell an ihre Grenzen zu stoßen.
Was kann hierauf die Antwort sein? Anna Glombitza-Oelsner schlägt in ihrem Artikel ein Crisis Content Marketing vor. Ihre zentrale These: Zeitgemäße Unternehmenskommunikation nutzt ganz eindeutig Instrumente des Performance- und Echtzeit-Marketings.
Ein massives Veto
Daran ist sehr vieles sehr richtig! Und im Krisenmanagement sind wir alle gut beraten, die Schlagzahl in der Echtzeit-Bekämpfung nochmal deutlich zu erhöhen. Jedenfalls aus anwaltlicher Erfahrung ist es unverändert eines der größten Probleme, dass Unternehmen nicht schnell genug in den Krisenmodus umschalten und fröhlich meinen, die Krisenbewältigung in das Daily Business integrieren zu können.
Ein massives Veto lege ich aber gegen die weitere Empfehlung von Anna Glombitza-Oelsner ein, wenn sie schreibt: „… Echtzeitkommunikation, was nicht weniger voraussetzt, als ein disziplinübergreifendes Realtime Communication Team am Start zu haben, das Inhalte nicht erst aufwändig mit Vorstand, Aufsichtsrat, Mittelmanagement und Legal abstimmen muss…“
Die Abstimmung mit der Rechtsabteilung ist keine banale Routine
Hier ist sie wieder, die chronische Unterschätzung juristischer Minenfelder: Als wenn eine Abstimmung mit dem Vorstand (weitaus bedeutender übrigens als eine Abstimmung mit dem Aufsichtsrat) und erst recht eine Abstimmung mit der Rechtsabteilung eine banale Routine sei, die man gerne überspringen könne.
Dies verkennt schon die Tatsache, dass Geschäftsführer und Vorstand dem Gesetz nach als Organe haften und eine sogenannte Allzuständigkeit haben, was sie drastisch von Angestellten unterscheidet. Wegen der Organhaftung gibt es im Übrigen auch eine Organhaftungs-Versicherung.
Das ganze Verantwortungskonzept würde mit Treibsand unterspült, wenn auf einmal ein Communication Team von mir aus in Echtzeit im Unternehmensnamen Erklärungen nach außen abgibt, die auf ihre rechtliche Würze nie gecheckt wurden.
Hier drei Beispiele:
• Aktienkursrelevante Informationen etwa, die nach kapitalmarktrechtlichen Vorschriften zwingend eine ad-hoc-Mitteilung als allererste Kommunikation voraussehen, unabhängig wie „sexy“ das ein Realtime Communication Team finden mag.
• Internationale behördliche Notifikationspflichten bei Produktrückrufen, die zwingend unverzüglich einzuhalten und im Ausland noch mehr als im Inland mit drastischen Strafen belegt sind. Auch hier drängelt sich eine Rechtspflicht am Wunsch nach smarter Kommunikation vorbei.
• Ungezählt sind die Beispiele, in denen eine unabgestimmte, voreilige Kommunikation quasi als Kollateralschaden das Unternehmen in gewährleistungsrechtlichen oder versicherungsrechtlichen Fragen in Rückenlage gebracht hat.
Salami-Taktik als Unternehmensstrategie?
Was folgt wiederum aus all diesem? Als Krisenanwalt braucht mir niemand die Notwendigkeit zügigen Handelns auf kampagnenfähiger Augenhöhe mit kritischen Stimmen im Feld zu erklären. Man muss indes anscheinend unverändert umgekehrt erklären, dass Kommunikation zwar schnell, aber nicht naiv sein darf: Rechtliche Vorschriften mit einem immensen Schadens- und Drohpotenzial stehen schlicht nicht unter dem Vorbehalt der Twitter-Tauglichkeit.
Und nicht nur rechtlich, sondern gerade auch medial – jüngste Beispiele zeigen es – verbietet sich doch eine Kommunikationsstrategie, die den zu kommunizierenden Sachverhalt noch gar nicht abschließend ermittelt hat: Das führt zu scheibchenweiser Enthüllung, verunsichertem Management, einer Salami-Taktik als Unternehmensstrategie und motiviert im Übrigen böswillige Whistleblower aufs Feinste, dem Unternehmen über die Presse übel mitspielen zu wollen.
Selbst wenn also das enorme Tempo auf Facebook, Twitter, Whatsapp und Xing die Finger nach einer schnellen Erwiderung jucken lässt, muss ein erfahrenes Krisenmanagement gerade die Kraft haben, den kommunikativen Stillstand zu wagen: Oberstes Ziel muss es sein, dass die Leitwährung der journalistischen Klicks nicht abgelöst wird durch die Begleitung der Handschellen-Klicks …
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.