Schneller, flacher, besser – zum Thema Agilität gibt es viele Buzzwords, viele Konzepte und Mythen. Doch was Agilität wirklich umfasst und was eben nicht, ist schlecht greifbar. Bei Chefs wie Mitarbeitern ist die Spannbreite zwischen Euphorie und Skepsis sehr groß. Während einige Unternehmen, wie die Telekom, den radikalen Umbau wagen und Hierarchien in der Kommunikation abschaffen, bleiben andere zurückhaltend. Wiederum andere experimentieren mit agilen Projektorganisationen, wie Thyssenkrupp oder das Pharmaunternehmen B. Braun.
Die Veränderung hin zur agilen Organisation erfolgt nicht immer freiwillig. Die digitale Transformation und neue Markt- und Kundenanforderungen erhöhen den Druck: Wollen Unternehmen konkurrenzfähig bleiben, müssen sie schneller, effizienter, reaktionsfähiger und adaptiver, sprich agiler, werden. Insbesondere Konzerne mit vielen Hierarchiestufen und komplexen Matrixstrukturen tun sich schwer, Silos aufzubrechen.
Zudem verändern sich die Ansprüche der Mitarbeiter und potenzieller Bewerber. Insbesondere die Generationen Y und Z sind nicht nur an einer steilen Karriere interessiert. Ihnen sind das Arbeiten in Teams, abwechslungsreiche Projekte und flache Hierarchien oft ebenso wichtig. Die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, und eine ausgeglichene Work-Life-Balance genießen oft einen höheren Stellenwert als die alten „Insignien der Macht“.
In vielen Großkonzernen findet derzeit ein Kulturwandel-Experiment mit noch ungewissem Ausgang statt: Büroflächen werden neugestaltet, Bereiche aufgelöst oder transformiert, Start-ups gekauft oder gegründet, Mitarbeiter zu agilen Coaches ausgebildet. Die Kommunikation begleitet diesen Change-Prozess einerseits mit den üblichen kommunikativen Maßnahmen und setzt verstärkt auf das Empowerment der Mitarbeiter. Diese sollen selbst zu Kommunikatoren und Trägern des Kulturwandels werden. Gleichzeitig ist die Kommunikationsabteilung aber selbst vom Wandel betroffen und muss ihre bisherigen Strukturen und Prozesse grundlegend überdenken.
Die Studie
Um die Bedeutung von Agilität für die Unternehmenskommunikation mit unabhängigem Blick zu untersuchen, startete die Akademische Gesellschaft für Unternehmensführung und Kommunikation 2017 ein Forschungsprojekt. Nach ausführlicher Analyse der bestehenden Konzepte wurden knapp 40 Kommunikationsverantwortliche von führenden deutschen und internationalen Konzernen befragt, wie sie mit dem Thema Agilität umgehen. Fallstudien in ausgewählten Unternehmen ergänzen diese Eindrücke, um Aspekte wie agile Führung, neue Mitarbeiterkompetenzen, Kulturwandel oder Zusammenarbeit mit internen und externen Partnern zu vertiefen. Das bisherige Fazit: Agilität ist kein vorübergehender Trend, sondern wird Unternehmen und deren Kommunikation noch lange beschäftigen und teils nachhaltig verändern. Die Ergebnisse der Studie finden Sie hier. Eine Publikation zur Studie (in englischer Sprache) können Sie hier herunterladen.
Sechs Schritte zur agilen Kommunikationsabteilung
Für Unternehmen wie für deren Kommunikationsabteilungen gilt: Agilität findet in sechs grundlegenden Dimensionen statt. Diese Aufgaben muss die Kommunikation angehen, um den Wandel nicht nur kommunikativ zu begleiten, sondern selbst aktiver Teil davon zu sein.
1. Agile Strukturen einführen und Hierarchien abbauen
Agile Organisationen bauen Hierarchien ab und setzen stattdessen verstärkt auf vernetzte, selbstständig arbeitende Teams. Diese werden entsprechend der Expertise der Mitarbeiter zusammengestellt – unabhängig von Status oder Hierarchie (horizontale Strukturen). Häufig arbeiten auch Teammitglieder verschiedener Fachbereiche oder Regionen abteilungsübergreifend zusammen (Interdisziplinarität). Die Teams organisieren sich selbstständig, was Prozesse und Entscheidungen deutlich beschleunigt. Hier ist die Chance für Kommunikatoren, sich stärker im Unternehmen zu vernetzen und sich aktiv in andere Bereiche und Funktionen einzubringen.
2. Prozesse adaptieren und beschleunigen
Effizientere Prozesse, schnellere Entscheidungen und kürzere Projektzyklen sind wesentliche Ziele von Agilität. Dazu tragen fortlaufende Abstimmungsrunden (iterative Prozesse) bei, in denen das Vorgehen immer wieder nachjustiert wird. Die Prozesse sollten kontinuierlich evaluiert und dokumentiert werden (Retrospektive), sodass alle aus diesen Erfahrungen lernen können. Dass diese Veränderungen zunächst mit hohen Anfangsinvestitionen und Lernkurven verbunden sind, sollte allen klar sein. Die Einführung agiler Arbeitsmethoden macht Prozesse zunächst langsamer und komplizierter, im Zeitverlauf aber schneller und effizienter – und soll vor allem für bessere Ergebnisse sorgen.
3. Mitarbeiter motivieren und neue Kompetenzen aufbauen
Den Mitarbeitern kommt beim Thema Agilität eine Schlüsselrolle zu. Neue Strukturen und Prozesse müssen von Menschen mitgetragen und gestaltet werden. Agile Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern mehr Freiräume, die aber auch mehr Verantwortung und Selbstmanagement mit sich bringen. Nicht jeder ist dafür gemacht. Das ist keine Frage des Alters, sondern der Persönlichkeit und Einstellung.
Auch Führungskräfte müssen umdenken. Agile Führung heißt, in die Rolle des Beraters und Coaches zu schlüpfen und Mitarbeiter zu befähigen, sich selbst zu führen. Langfristig kommen Unternehmen nicht umhin, über neue Motivationsanreize und Incentives nachzudenken, denn klassische Karrierewege entfallen in flachen Hierarchien.
4. Eine neue Unternehmenskultur schaffen
Agilität heißt zuallererst Kulturwandel – und zwar auf allen Ebenen. Wenn der Vorstand die Veränderungen nicht unterstützt und vorlebt, haben agile Initiativen langfristig wenig Aussicht auf Erfolg. Es braucht eine Kultur, die auf Austausch, Transparenz und Fehlertoleranz beruht und Macht und Entscheidungsgewalt nicht an Hierarchiestufen festmacht. Neue Büroflächen und bunte Kreativräume können Ausdruck dieser neuen Kultur sein, sie dürfen sie aber nicht ersetzen.
5. Technologien für agiles Arbeiten einsetzen
Unternehmen können sich zunehmend digitaler Technologien bedienen, die agiles Arbeiten unterstützen. Software-Lösungen wie Jira und Confluence oder Microsoft Office 365 mit Sharepoint verbessern Zusammenarbeit und Transparenz. Gleichzeitig bauen Unternehmen erweiterte Intranet- und Knowledge-Management-Plattformen auf, die dem Austausch und dem Community-Building dienen.
6. Agile Tools beherrschen
Methoden und Tools wie Scrum, Kanban oder Design Thinking sind häufig die ersten Assoziationen zum Thema Agilität. Viele Unternehmen bilden mittlerweile Mitarbeiter zu „Agile Coaches“ aus oder holen sich Dienstleister an Bord. Wichtig ist, Tools nicht als Selbstzweck zu begreifen. Agile Methoden können die Zusammenarbeit im Team verbessern, sie allerdings zunächst auch langsamer machen und zu Frustration führen. Kollaboration ist bei aller Freude über das neue Miteinander anstrengend. Sie braucht klaren Willen, Offenheit und Durchhaltevermögen, vorgelebt von der Führungskraft.
Jede Abteilung ist anders
Was von diesen sechs Dimensionen umgesetzt wird, muss jedes Unternehmen und jede Abteilung für sich entscheiden. Agilität ist nicht für jede Art von (Kommunikations-)Arbeit sinnvoll. Zählen vor allem Fakten und Genauigkeit wie zum Beispiel in der Finanzkommunikation, sind formale Strukturen mit eindeutigen Verantwortlichkeiten vorzuziehen.
Den richtigen Weg für die eigene Abteilung zu finden, ist Chance und Herausforderung zugleich. Chance, weil es die Freude am Arbeiten und die Effizienz steigern und der Kommunikation zu einer neuen Vorreiter- und Führungsrolle verhelfen kann. Herausforderung, weil Agilität einen fundamentalen Wandel mit sich bringt, der nicht bei allen Mitarbeitern auf Gegenliebe stößt, nicht linear verläuft und erst einmal Ressourcen fordert.
Er bedarf eines neuen Führungsstils, der die Mitarbeiter stärker einbezieht. So haben die Kommunikationsmitarbeiter des Pharmaunternehmens B. Braun Melsungen gemeinsam an der neuen Struktur gefeilt und die optimale Besetzung von Projektteams diskutiert.
Allgemein gilt: Trotz Transparenz und Offenheit wird sich nicht jeder Mitarbeiter von der neuen Art der Zusammenarbeit begeistern lassen. Der Psychologe Dieter Frey von der LMU München hat die 20-60-20-Regel aufgestellt: 20 Prozent der Mitarbeiter im Team sollten die Veränderungen aktiv unterstützen, rund 60 Prozent die Neuerungen mittragen. 20 Prozent bleiben zumeist zurückhaltend und skeptisch.
++ Lesen Sie auch: Vom Begleiter zum Wegbereiter – wie die Kommunikation von Yello agil wurde ++
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe SPASS. Das Heft können Sie hier bestellen.