Das Format für unangenehme Fragen

Ilka Brecht von „Frontal21“ im Interview

Politische Magazine wie „Report“, „Monitor“ und „Kontraste“ der ARD und „Frontal21“ des ZDF sind bei Unternehmen wenig beliebt. Christian Maertin, Head of Corporate Communications bei Bayer, warf den Magazinen in einer der vergangenen Ausgaben des „pressesprecher“ Voreingenommenheit vor. Die Redaktionen hätten häufig kein Interesse mehr an der Gegenthese. Es ist der von vielen Kommunikationsverantwortlichen vorgetragene Vorwurf des Haltungsjournalismus.

Diese Stimmen kennt natürlich auch Ilka Brecht, seit September 2015 Redaktionsleiterin der ZDF-Sendung „Frontal21“, die sie auch moderiert. Den Vorwurf der Voreingenommenheit weist sie von sich. Ihre Reporterinnen und Reporter würden ergebnisoffen recherchieren und sich um die Position der Unternehmen bemühen, sagt sie. Firmen würden immer häufiger gar nicht antworten oder gleich ihre Anwälte in die Spur schicken. Wahr ist: Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen stellen sich nur selten vor die Kameras der Politmagazine. Es dominieren schriftliche Statements. Brecht wünscht sich von Unternehmen deshalb mehr Mut, auch vor der Kamera kritische Fragen zu beantworten.

Frau Brecht, in der vergangenen Ausgabe des „pressesprecher“ warf Bayer-Pressesprecher Christian Maertin Journalisten und explizit den Magazinen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor, dass sie immer häufiger voreingenommen an Themen herangehen. Wie voreingenommen ist „Frontal21“?

Ilka Brecht: Der Begriff der „Voreingenommenheit“ ist Quatsch. Er ist völlig praxisfern. Kürzlich berichtete „Frontal21“ beispielsweise über Kriminelle, die im großen Stil Glyphosat fälschen und die auch Bayer als Problem sieht. Das zeigt möglicherweise auch Herrn Maertin, dass wir verschiedene Aspekte und Seiten beleuchten. Als investigatives Magazin bekommen wir Hinweise von vielen Seiten. Das kann ein Whistleblower aus der Bank zu Schwarzgeldgeschäften sein oder ein Lkw-Fahrer, der merkwürdige Fleischabfälle in die Wurstfabrik fahren soll. Diesen Hinweisen gehen wir nach und prüfen, ob tatsächlich ein relevanter Missstand vorliegt, der aufgedeckt werden sollte. „Voreingenommen“ sind wir also im Sinne der Aufklärung. Wir stellen Fragen im Interesse unserer Zuschauerinnen und Zuschauer – im öffentlichen Interesse.

Wie ist ein „Frontal21“-Bericht aufgebaut? Inwieweit gibt es ein Drehbuch?

Der Bericht steht am Ende einer Recherche, und die Recherche gibt das Drehbuch vor. Ein investigativer Bericht zeigt die Spurensuche der Reporterinnen und Reporter, also was sie herausgefunden haben, welche Belege es dafür gibt und was die andere Seite dazu sagt. Es gibt Rede und Gegenrede. Wenn zum Beispiel der Mitarbeiter eines Konzerns den Vorwurf erhebt, er werde ausgebeutet, dann erscheint er in dem Bericht als Protagonist, der das vor der Kamera sagt. Es folgt die Stellungnahme des Konzerns, wenn der eine abgegeben hat.

Investigativen Medien wird häufig vorgeworfen, sie betreiben Haltungsjournalismus. Inwieweit darf sich die Haltung Ihrer Journalisten und Reporter in den Beiträgen wiederfinden?

„Haltungsjournalismus“ als Vorwurf, aber auch „Haltung“ als Vorbild sind beides Schubladen, die mir viel zu pauschal auf- und zugemacht werden. Ich mag es lieber konkret – meine Haltung. Deswegen halte ich es auch für verfehlt, ausgerechnet investigativen Medien zu unterstellen, sie betrieben „Haltungsjournalismus“ und würden die Geschichte in ihrem Sinne passend machen. Die Haltung von investigativen Journalisten ist das Interesse an der Wahrheitsfindung. Es geht darum: Stimmt die Geschichte? Und die Antwort auf die Frage liefern konkrete Belege und Beweise. Es ist eine Ermittlerhaltung, eine Detektivarbeit. Soll heißen: Ja, unsere Reporterinnen und Reporter sollen im Ergebnis einen klaren Standpunkt haben. Aber erst am Ende der Recherche.

Bei zentralen gesellschaftlichen Fragen wie Ernährung, Landwirtschaft, Pestiziden, Waffenexporten oder der Verkehrswende entsteht der Eindruck, dass Ihre Berichte meist einen linksgerichteten und konsumkritischen Touch haben.

Dann ist es der falsche Eindruck. Richtig ist: Es muss bei der Berichterstattung um konkrete Befunde gehen, nicht um Belehrung. Wenn „Frontal21“ beispielsweise Waffenexporte thematisiert, dann weil ganz konkret Verstöße gegen Richtlinien oder Gesetze vorliegen. Es geht also nicht um Meinung, um links oder rechts, sondern geradeaus um einen Missstand.

Sie richten Ihre Berichterstattung überwiegend an Missständen aus. Wer sich die öffentlich-rechtlichen Magazine anschaut, sieht Unternehmen, die lügen, vertuschen, betrügen und auf Geschäftemachen aus sind. Wie bewerten Sie Ethik und Moral in der Wirtschaft?

Ich habe überhaupt kein Bedürfnis, die Wirtschaft insgesamt moralisch zu bewerten oder herabzuwürdigen. Ich habe nichts gegen Geschäfte, es sei denn, sie sind dubios, und ich habe auch nichts gegen Lobbyismus. Allerdings ist die Rollenverteilung bei der Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen und unserer Arbeit sehr verschieden. Pressesprecherinnen und Pressesprecher möchten gute Nachrichten verbreiten, etwaige Missstände im Unternehmen werden sie wohl kaum als Pressemitteilung in alle Welt schicken. Für die Aufklärung über Missstände sind wir da. Wir stellen Fragen, die den Unternehmen unangenehm sind. Wenn sie nicht unangenehm wären, müssten wir uns wiederum fragen, was wir falsch gemacht haben.

Warum gibt es bei Ihnen so gut wie keine Berichte mit positiven Inhalten? Bleiben wir mal bei Bayer: Sie könnten ja zum Beispiel zeigen, wie sich mit Pestizideinsatz und optimiertem Saatgut in Südamerika die Ernteerträge erhöhen lassen. Ist Ihnen das zu viel PR?

Als kritisches Format sind wir für gute Nachrichten nun mal nicht zuständig. Gute Gegenargumente müssen aber vorkommen. Es kommt bei uns auch vor, dass wir im Sinne der Unternehmen über Missstände berichten. Die Glyphosat-Fälschungen habe ich schon genannt. Weiteres Beispiel: ein „Frontal21“-Beitrag über mittelständische Unternehmen, die der Fiskus quasi dazu zwingen wollte, Steuereintreiber bei Google und Co. zu sein. Die Autoren erhielten den Ernst-Schneider-Preis 2020 für diese Wirtschaftsberichterstattung. Die übrigens auch Wirkung zeigte, die Praxis wurde abgestellt. Es kann also bei einem Format wie unserem, das in der Regel schlechte Nachrichten verbreitet, auch eine gute Nachricht folgen. Sie lautet: Der Missstand ist behoben!

NGOs wie Foodwatch, Peta, Lobbycontrol und Greenpeace kommen in den TV-Magazinen sehr häufig vor. Die Erkenntnisse, Reports und Videos der NGOs werden als Fakten präsentiert. Es gibt Kooperationen bei Recherchen. Untergraben Sie nicht Ihre eigene Glaubwürdigkeit, wenn Sie sich auf die Informationen von NGOs stützen?

Manche NGOs recherchieren selbst sehr gründlich, aber das ersetzt trotzdem nicht unsere Recherche. Wir prüfen wie bei all unseren Hinweisgebern die Beleg- und Motivlage – wobei wir bei Aktivisten gleich wissen, warum sie uns den Hinweis geben. Ja, wir müssen uns dabei auch selbst prüfen: Inwieweit glaube ich einem Informanten, weil ich ihm vielleicht glauben will? Übersehe ich Gegenargumente? Der eingebaute Advocatus Diaboli gehört unbedingt zum Handwerkszeug investigativ arbeitender Journalistinnen und Journalisten. Bei allen Hinweisgebern bleibt für uns entscheidend, ob die Information valide und ob sie relevant im öffentlichen Interesse ist. Dementsprechend wird aus zehn Hinweisen und Anfangsrecherchen am Ende nur ein „Frontal21“-Beitrag.

Zur Recherche von TV-Magazinen gehört, dass sie umfangreiche Fragekataloge an die Pressestellen schicken. Ein Vorwurf: Wenn die Unternehmen Fragen ausführlich beantworten, tauchen die Statements der Firmen im Bericht immer nur knapp auf. Bekommen Unternehmen bei Ihnen zu wenig Raum?

Nein, aber sie könnten sehr viel mehr Raum bekommen, als sie nutzen. Am Anfang der Recherche stellen wir dem jeweiligen Unternehmen Fragen, die ergebnisoffen sind: „Wie läuft das? Was ist los? Wie funktioniert das bei Ihnen?“ Wir fragen auch Hintergrundgespräche an, in denen wir uns informieren wollen. Schon das wird von den Unternehmen häufig abgelehnt. Das Nächste sind Nachfragen zu konkreten Sachverhalten. Wir bitten dann um ein Interview, aber auch das wird in den meisten Fällen abgelehnt. Oder wir bieten die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zu den Vorwürfen. Wenn die erfolgt, kommt sie als andere Seite zwangsläufig im Beitrag vor. Häufig gibt es aber nur ausweichende, unkonkrete Antworten. Weitere Varianten: ganze Aufsätze – von denen doch wohl kein Unternehmen glaubt, dass so etwas eine ernstzunehmende Antwort sei – oder pauschalisierte Statements wie „Wir bestreiten alle Vorwürfe“.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Zum Thema Diesel und Stickoxide haben unsere Redakteure Autoherstellern und Zulieferern 30 schriftliche Anfragen nach Hintergrundgesprächen gestellt. Zustande gekommen ist ein einziges – mit der Firma Continental. Und in der Dokumentation „Die Abgaslüge“ wies „Frontal21“ erstmals nach, dass nicht nur VW manipulierte, sondern auch Daimler, BMW und andere Hersteller. Wochen vor Ausstrahlung kontaktierten die Autoren Daimler, VW, BMW und Renault und befragten sie. Aber nur VW äußerste sich zu einzelnen Fragen konkret. Daimler antwortete mit dem pauschalen Satz, man halte sich an geltende Gesetze. Renault wollte sich nicht äußern. BMW sandte einen Aufsatz, der keinen konkreten Bezug zu den gestellten Fragen hatte. Überdies erhielt das ZDF vor Ausstrahlung der Dokumentation anwaltliche Schreiben von BMW und Daimler, in denen Schadensersatzklagen angedroht wurden.

Wie bewerten Sie ein solches Verhalten der Unternehmen?

Ich habe das als Wunsch verstanden, Berichterstattung zu verhindern. Hat es aber nicht. Und unser Befund, dass die genannten Hersteller manipulierten und dass der Stickoxid-Grenzwert in geradezu ungeheuerlichem Ausmaß überschritten wurde, wurde bekanntermaßen voll bestätigt.

Das Grundverständnis eines Pressesprechers sollte sein, Anfragen zu beantworten. Wenn Sie Unternehmen anfragen und um Stellungnahmen bitten, mit welchen Begründungen sagen die Unternehmen diese ab?

Für die Absage von Interviews werden meistens keine oder zeitliche Gründe gegeben. Da stehen Unternehmen übrigens in einer Reihe mit den regierenden Politikerinnen und Politikern. Kaum jemand stellt sich unseren kritischen Fragen vor der Kamera. Lieber wünscht man sich die Fragen schriftlich.

Anderen Medien wie der „FAZ“, „Welt“ oder dem „Handelsblatt“ geben Unternehmen gerne Interviews. Die Firmen wollen öffentlich vorkommen. Was haben die Unternehmen und Politiker gegen Sie als Magazin?

Möglicherweise ist ein schriftliches Interview etwas anderes als eines vor der Kamera. Und es gibt sicher andere Sendungen wie Talkshows oder andere Plattformen, wo es für Unternehmen leichter ist, ihre Positionen zu verbreiten. Sich den Fragen eines kritischen Magazins zu stellen, bedeutet eben ein Risiko. Da kann man sehr schnell schlecht aussehen. Sollten wir doch mal ein Interview bekommen, stellen wir das übrigens gerne in Gänze online. Das machen wir auch immer wieder mit schriftlichen Stellungnahmen und Beschwerden. Dies nur zum Vorwurf, die Unternehmen bekämen bei uns zu wenig Raum.

Welche positiven Beispiele von Unternehmen gibt es?

Da gibt es einige. Herausheben möchte stellvertretend für die ungenannten die Pressestelle des Zentralverbands der Geflügelwirtschaft, weil sie für eine Branche arbeitet, die von „Frontal21“ oft kritisch betrachtet wird. Und trotzdem wurde uns viel ermöglicht, anstatt unsere Anfragen einfach abzuwehren. Die Verbandspressestelle stand oft ganz klar im Konflikt mit unseren Positionen, aber es ging immer fair zu.

Sie müssen die Betroffenen irgendwann mit den Vorwürfen konfrontieren. Wenn sich jemand nicht äußern will, was machen Sie dann?

Wir holen uns die Stellungnahme dann häufig persönlich ab. Das heißt, wir gehen zu einer Adresse oder zu öffentlichen Terminen, bei denen wir beispielsweise den Vorstand oder die Ministerinnen und Minister konfrontieren können. Manche stellen sich dann doch unseren Fragen, manche entziehen sich weiter und laufen weg.

Wie oft bekommen Sie Post von Medienanwälten wie Christian Schertz, Ralf Höcker und anderen? Was wollen die konkret?

Es ist inzwischen geradezu normal, dass die Angefragten nicht mehr selbst antworten, sondern Anwälte vorschicken. Oft bekommen wir auch anwaltliche Informationsschreiben, aus denen wir aber nicht zitieren sollen. Das soll wahrscheinlich abschrecken, aber wir sehen das gelassen. Auch nach Ausstrahlung der Filme gibt es manchmal presserechtliche Auseinandersetzungen. Aber in der Regel können wir unsere Berichterstattung erfolgreich verteidigen – auch vor Gericht.

Werden aus Ihrer Sicht Pressestellen eher offener oder verschlossener?

In der Tendenz verschlossener. Dabei müssten konkrete Antworten auf konkrete Fragen doch wohl drin sein. Ich wünsche mir von den Pressestellen also zumindest ein offenes Visier. Und von den Unternehmen insgesamt mehr Schneid, sich Interviews zu stellen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DAS CORONA-JAHR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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