Angriff auf die ­Sicherheit

Fake News

Jochen Kopp war jahrelang Polizist. 1993 stieg er aus und gründete einen Verlag. Einen, der „auf unterdrückte Informationen, Ent­deckungen und Erfindungen“ hinweisen will. Informationen wie die „okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus“, die „Charakterwäsche“ der Deutschen durch die USA und über die „Propaganda“ der „Lügenpresse“. Dass viele Menschen den Meldungen misstrauen, die ihnen klassische Medien liefern, nutzt der Verlag für sein Geschäft. So schadet Verlagsgründer Kopp den ehemaligen Kollegen. Denn die Polizei kämpft in Deutschland nicht nur gegen Mord, Raub und Vergewaltigung, sondern auch gegen „alternative Wahrheiten“, die solche Straftaten erfinden und Menschen verunsichern.

So geschehen am 6. Februar 2017, als die Bild-Zeitung die Menschen in Frankfurt am Main alarmierte. In der Silvesternacht habe es einen „Sex-Mob in der Freßgass“ gegeben, „37 Tage nach Silvester brechen Opfer ihr Schweigen“, so die Zeitung. Ausländer hätten Frauen belästigt. Eine von ihnen war die Kronzeugin von Bild. Die Polizei ermittelte und fand heraus, dass das selbsternannte Opfer an Silvester im Ausland war. Der Sex-Mob war erfunden, eine Stimmungsmache gegen Ausländer. Die Bild ging den Erfindern auf den Leim – und musste sich am 14. Februar für ihre Falschmeldung entschuldigen.

Sensationen statt Wahrheiten

Zeitgleich mit dem Dementi der Bild informierte die Polizei auf Facebook, dass die Vorfälle falsch seien und die Staatsanwaltschaft gegen die Zeugen wegen Vortäuschens einer Straftat ermittele. Dass die Bild-Zeitung den Bericht gebracht hat, kann der Polizeisprecher in Frankfurt ein Stück weit verstehen, der Redakteur habe mehrere Quellen zitiert, die Polizei hatte er auch kontaktiert, doch die konnte die Aussagen nicht bestätigen. Es sei Sache der Redaktion, die Quellen zu gewichten. Die Interpretation ist wohlwollend; gerade nach den Unruhen um die Silvesternacht 2015 in Köln, den falschen Gerüchten um Übergriffe in Dortmund und der aufgeheizten Stimmung im Land ist die Entscheidung der Redaktion für die Story laut Bildblog einfach „sensationsgeil“.

Medien mögen Sensationen. Dass es erfundene Sensationen in die Nachrichten schaffen, ist nicht neu: Der Stern entdeckte Hitlers Tagebücher, die New York Sun berichtete von Mondmenschen und Reinhold Messner hat den Yeti gesehen. Was früher als Presseente kursierte, breitet sich im Internet schneller und unkontrollierter aus – oft mit realen Konsequenzen. In den USA stürmte 2016 ein bewaffneter Mann eine Pizzeria, um Kinder zu befreien, die er als Opfer eines Kinderpornorings um Hillary Clinton im ­Keller wähnte. Die Verschwörungstheorie mit dem Hashtag ­„Pizzagate“ war eine Falschmeldung, gezielt gestreut, um der Präsidentschaftskandidatin Clinton zu schaden und die Wahl zu beeinflussen.

Das Phänomen der Falschmeldungen gewinnt mit Fake News eine neue Dimen­sion, wird Teil einer Propaganda. „Früher hatten Falschmeldungen den Charakter eines Streichs und wurden an einen überschaubaren Kreis weitergegeben. Heute verbreiten sich Fakes superviral. Sie spielen mit dem Sicherheitsgefühl der Menschen. Und es scheint immer mehr Leute zu geben, denen es Spaß macht, Menschen zu verunsichern“, sagt Yvonne ­Tamborini, Leiterin des Social-­Media-Teams bei der Polizei Berlin.

Gezielte Verunsicherung

Nach den Anschlägen am Breitscheidplatz 2016 streute ein User via Whatsapp das Gerücht, dass es eine Terrorzelle in der Hauptstadt gebe, die weitere Anschläge ­plane, Einkaufszentren seien von der Polizei umstellt. Die Polizei steckte in den Ermittlungen um den Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt und musste ein Gerücht einfangen, das Berlin verunsicherte. Der Urheber der Whatsapp-Nachricht gab später zu, alles erfunden zu haben – und muss sich jetzt wegen Störung des öffentlichen Friedens und Vortäuschung einer Straftat verantworten.

Es ist kein Streich, wenn man öffentlich behauptet, es gebe eine Vergewaltigung, eine kriminelle Vereinigung oder einen Terroranschlag. In allen Fällen muss die Polizei ermitteln, ausrücken, Beweise sichern, Zeugen vernehmen. Die Polizei muss prüfen, ob eine Straftat vorliegt, und notwendige Konsequenzen einleiten. Das kostet Millionen. Und gegen die Gerüchte, die entstehen, ist die Polizei oft machtlos: „Das Sicherheitsgefühl ist nach dem Anschlag in Berlin fragil. Fakes, die verunsichern, verbreiten sich schnell und können größeren Schaden anrichten“, sagt Tamborini.

Wie die Polizei auf die Gerüchte und Desinformationen reagiert, ist den Behörden selbst überlassen und bestenfalls Länder­sache. Es gibt keine Weisung, die allen Polizeistellen vorschreibt, wie sie auf Facebook und Twitter agieren sollen. Das Bundeskriminalamt lädt regelmäßig zum Austausch, die Innenminis­terkonferenz der Länder tauscht sich seit Jahren zum Einsatz von Social Media für die Polizeiarbeit aus. Doch Fake News sind ein junges Phänomen, viele Polizeistellen sind auf sich alleine gestellt.

München war für sie ein Weckruf: Im Juli 2016 hatte ein 18-Jähriger mehrere Menschen getötet und schwer verletzt. Während die ­Polizei die Stadt sicherte und den Täter suchte, tobte auf Twitter eine Gerüchtewelle über weitere Schüsse und eine Massenpanik. Vieles davon war falsch und band die Kräfte der Polizei. Social Media, sagte der Sprecher der Münchener Polizei Marcus da Gloria Martins später in einer Konferenz, sei ein „Quell der Erkenntnis“ gewesen, aber auch „in der allgemeinen Konfusion der Lage ein Katalysator für Verunsicherung und Angst“.

Es wird Zeit, dass sich die Polizei stärker über den Umgang mit Fake News austauscht. Eine der kleinsten Behörden im Land hat kürzlich auf sich aufmerksam gemacht, weil sie gezielt Fake News kennzeichnet: die Polizei­behörde Oberbayern Süd in Rosenheim. Auslöser war eine Meldung auf Facebook, ein 17-jähriges Mädchen sei von einem Asylbewerber vergewaltigt und anschließend im Krankenhaus notoperiert worden. Die Polizei ermittelte und stellte fest: Eine solche Tat gab es nicht. 

Statt den Eintrag nur richtigzustellen, veröffentlichte ihn die Behörde, versehen mit dem Banner „Falschmeldung“. „Die Meldung war ohnehin in der Welt, den Wortlaut bekommen Sie nie wieder gelöscht. Das Internet vergisst einfach nichts“, sagt Martin Winkler, Leiter Social Media der Behörde vor Ort. Früher, so Winkler, habe es auch Gerüchte gegeben, Klatsch und Tratsch am Stammtisch und mal eine Falschmeldung in der Lokalpresse. „Jetzt findet der Tratsch im Netz statt, verbreitet sich rasend schnell und ist nicht mehr einzugrenzen. Die Polizei muss neue Mittel an die Hand bekommen, um damit umzugehen.“ Mit Social Media fühle sich die Polizei Rosenheim jetzt besser gewappnet.

Baden-Württemberg erklärte nach der Amoktat in München, dass künftig alle Poli­zeistellen des Landes auf Social Media präsent sein werden. In Nordrhein-Westfalen gibt es einen entsprechenden Erlass nur für die sechs größten Behörden im Land: Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Münster und Bielefeld. Den anderen ist freigestellt, ob sie auf Social Media präsent sind oder nicht. „Aber sie wissen, dass wir darauf Wert legen“, sagt Ministeriums­sprecher Wolfgang Beus

Die Deutungshoheit gewinnen

Die Länder beobachten sich gegenseitig und orientieren sich am Social-Media-Auftritt der anderen. Oft wird die Polizei Berlin als Vorbild genannt, die mit sechs Personen die Kanäle auf Facebook, Twitter, Snapchat und Youtube pflegt. Ursprüngliche Inten­tion sei die öffentliche Präsenz für Fahndung, Nachwuchsgewinnung, Meldungen und Kampagnen gewesen, so Tamborini. Heute nimmt der Umgang mit kritischer Kommunikation und Falschmeldungen einen größeren Anteil ein. Im Netz ist die Polizei Ansprechpartner für Fakes, sie entlarvt und klärt auf, teilweise gehen Mitarbeiter gezielt in Kommentare und zeigen Präsenz, ziehen Nutzer auf ihre Seite, um dort zu informieren. „Die Deutungs­hoheit zurückgewinnen“, nennt es Martin Winkler aus Rosenheim.

Auch das Bundeskriminalamt sieht Handlungsbedarf. Je mehr Informationen es gibt, desto weniger Raum bleibt für Spekulation. Doch: „Es gibt Grenzen, gegen die wir nicht kommunizieren können“, so Jens Beis­mann, Sprecher des BKA. Niemanden vorschnell zu verurteilen und die Persönlichkeit zu schützen gehöre dazu. „Wir sind an Recht und Gesetz gebunden und an das laufende Ermittlungsverfahren.“

Um schnell und transparent zu sein, entwickelt sich Twitter mehr und mehr zum zentralen Informationskanal, Journalisten folgen den Accounts der Polizei. Die ­Social-Media-Verantwortlichen agieren in enger Abstimmung mit dem Presseteam, auch ein Tweet unterliege dem Vier-Augen-Prinzip, er sei schließlich „die kleinste Pressemitteilung der Polizei“, so Tamborini.

Doch bei dem Tempo und der Hysterie im Netz können Tweets über das Ziel hinausschießen. „WTF“ („What the fuck“) twitterte kürzlich die Polizei Mannheim, nachdem das Netz spekulierte, hinter einer Todesfahrt in Heidelberg stecke ein islamistischer Anschlag, und weiter: „Gute Kinderstube vergessen oder nie genossen? Alles zu seiner Zeit, sprich, wenn die Ermittlungen so weit sind.“ Die Reaktionen waren gespalten: Kommunikation im Netz muss persönlicher, menschlicher und emotionaler sein, mit Amtsdeutsch und Behördensprache kommuniziert man an den Nutzern vorbei. Aber wie umgangssprachlich darf es sein? „Wir sind immer noch eine Behörde“, sagt Beus. „Die Polizei muss Nutzer ansprechen, aber auch ihre staatliche Autorität wahren.“ Viele Polizeistellen bleiben per Guide­line grundsätzlich beim Sie, wahren Neutralität und „gebotene Distanz“. Im Eifer des Gefechts aber verliert sich manche Richtlinie. Und für mehr Relevanz brauchen Polizeistellen Follower, müssen Neues wagen und auffallen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Akzeptanz und Autorität. Und erst der Anfang im polizeilichen Kampf gegen Fake News als Angriff auf die Sicherheit im Land.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KREATIVITÄT. Das Heft können Sie hier bestellen.

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