Etwa 50.000 Menschen arbeiten in Brüssel für die EU-Institutionen. Daneben gibt es schätzungsweise 25.000 Lobbyist*innen und 1000 Journalist*innen. Sie alle sind wiederum in Kontakt mit der Politik, den Redaktionen, Unternehmen und Verbänden in den Mitgliedstaaten. Wie Kommunikation in dieser Konstellation funktioniert, erklären Jens Flosdorff, leitender Kommunikationsberater im Team von Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen, Susanne Körber, Leiterin des Pressereferats der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU, Kolja Gabriel, Head of European and International Affairs im Brüsseler Büro des Bundesverbands deutscher Banken, und Angelika Pullen, Communications Director im European Policy Office der Umweltschutzorganisation WWF, am Beispiel ihres Jobs.
Der Berater
Im Team von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spiegeln sich die Politikbereiche der Generaldirektionen wider: Es gibt zum Beispiel einen Berater für Handelsfragen und eine Beraterin in Sachen Migration und Inneres. Jens Flosdorff ist in diesem Team der leitende Kommunikationsberater – zuständig unter anderem für die strategische Kommunikation und die persönlichen Medienaktivitäten der Präsidentin.
„Auf der Kabinettsebene geht es vor allem um die Steuerung der politischen Botschaften, um das richtige Timing und natürlich Qualitätskontrolle“, erklärt Flosdorff, der bereits auf Bundesebene im Familien-, Arbeits- und Verteidigungsministerium für die damalige Ministerin von der Leyen gearbeitet hat. In den Services der Kommission entstehen täglich zahlreiche Pressemitteilungen, Filme, Broschüren und Tweets. Es wird an neuen Kampagnen und Kommunikationskonzepten gearbeitet. „Feedback der politischen Ebene ist da wichtig“, so Flosdorff. Auch die Fachsprecher*innen des Sprecherservices stimmen ihre Antworten eng mit Flosdorffs Kabinettskollegen ab. „Solche Rückkopplung ist auf allen Feldern wichtig, damit politische Entscheidungsprozesse und Außenkommunikation synchron laufen“, sagt Flosdorff.
Er sitzt jeden Morgen in einer Presserunde mit der Kommissionspräsidentin, Kabinettschef Björn Seibert, Kommissionssprecher Eric Mamer und seiner Stellvertreterin Dana Spinant. Die Generalsekretärin, der Chef des Legal Service, ein Redenschreiber und eine Kollegin aus dem Social-Media-Bereich sind ebenfalls dabei. So klein diese Runde ist – so wichtig ist es laut Flosdorff in seinem Job, sich mit möglichst vielen Menschen auszutauschen. „Politische Botschaften werden zum Teil in Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich aufgenommen. Deswegen ist auf EU-Ebene die Arbeit im Kommunikationsteam mit vielen Nationalitäten noch wichtiger als sonst. Das hilft uns, den Ton von Anfang an richtig zu setzen.“ Auch die politischen Dynamiken in allen 27 Mitgliedstaaten im Blick zu behalten, schaffe man nicht allein: „Dafür braucht es zum Beispiel auch unsere Repräsentanzen vor Ort, die die nationalen Debatten verfolgen und für uns wichtige Kommunikationskanäle sind.“
Darüber hinaus ist Flosdorff in Kontakt mit der Presse, betreut Interviews und begleitet die Kommissionspräsidentin auf Reisen, um bei den Pressestatements dabei zu sein. Wenn Ursula von der Leyen über Social Media kommuniziert, sind immer mehrere Kolleg*innen eingebunden. „Jeder Tweet vom Account der Präsidentin wird von der Öffentlichkeit seziert“, so Flosdorff. „Das ist normal. Deswegen geht von ihr kein Satz raus, ohne dass viele Augen bis hin zum Kabinettschef kritisch draufgeschaut haben.“ Damit es schnell geht, arbeiten sie dabei mit internen Team-Chats und klaren Freigabeprozessen. „Ziel ist ja, dass ihre Botschaften ankommen und nicht hinterher Diskussionen über ein unglückliches Wort die Debatte bestimmen.“
Die Diplomatin
Manchmal kommt es vor, dass der Arbeitstag von Susanne Körber mit einem Statement von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir am roten Teppich im Brüsseler Europa-Gebäude startet und mit einem gemeinsamen Pressegespräch von Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsminister Boris Pistorius endet. Körber begleitet die Bundesminister*innen zu ihren Pressestatements, schlägt passende Orte für Live-Schalten vor und koordiniert Hintergrundgespräche. „Es macht Spaß, eine Gastgeberfunktion in Brüssel zu haben“, sagt Körber. Parallel beantwortet sie Presseanfragen und bespielt gemeinsam mit ihrem Team die Social-Media-Kanäle.
Dass zwei Bundesminister und eine Bundesministerin in der Stadt sind, ist eher die Ausnahme. Aber die Betreuung der Kabinettsmitglieder und auch des Bundeskanzlers gehört zu Körbers Aufgaben. Körber leitet seit vergangenem Juni das Pressereferat der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU, die mit dem Ständigen Vertreter Michael Clauß an der Spitze Deutschlands Interessen gegenüber den EU-Institutionen vertritt. Wie alle Pressesprecher*innen der Ständigen Vertretung ist Körber Beamtin des Auswärtigen Dienstes. Auch auf den vorherigen Stationen ihrer Diplomaten-Laufbahn in Berlin und in Canberra (Australien) hat sie in Presseabteilungen gearbeitet. Brüssel kennt Körber bereits aus Journalistensicht: Nach dem Studium arbeitete sie mehr als sechs Jahre lang für die Deutsche Welle, unter anderem im Studio Brüssel.
Körbers Hauptaufgabe ist es, über die Politik und die Positionen der Bundesregierung zu informieren. Welche Infos brauchen die Journalist*innen wann? Welche O-Töne und Bilder wären nützlich? Sie sieht ihr Referat als „Serviceeinheit in alle Richtungen“. Sie und Pressesprecher Anton Bunia haben sich die Themen aufgeteilt. Körber informiert unter anderem über Grundsatzfragen der Europapolitik, Politik der Bundesregierung und europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik; Bunia über Binnenmarkt, Telekommunikation und Energie sowie Arbeit und Soziales. Vor allem deutsche EU-Korrespondent*innen wenden sich an sie, aber Körber wird auch von internationalen Medien kontaktiert. „Für Journalist*innen, die nicht selbst die Bundespressekonferenz verfolgen können oder kein Deutsch verstehen, hat man noch stärker eine Mittlerrolle“, sagt sie.
Als Deutschland 2020 die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehatte, kamen weitere Aufgaben für das Sprecherteam hinzu, wie die Moderation der offiziellen Pressekonferenzen nach jedem Rat und die Abstimmung von Ratspressemitteilungen. „Man gibt als Ratspräsidentschaft seine nationale Rolle für sechs Monate auf und übernimmt eine ehrliche Maklerfunktion“, sagt Körber. Der Kontakt zum Bundespresseamt und zu den Pressestellen der Ministerien wurde in dieser Zeit noch intensiver. Die vielfältigen Kontakte schätze sie sehr: „Das Tolle am EU-Geschäft ist, dass ich mit so vielen Fachleuten unterschiedlicher Nationalitäten eng zusammenarbeite – und jeder Tag Überraschungen bietet.“
Der Verbandslobbyist
Arbeitsfrühstücke, Dinner Debates, Brüsseler Hoffest: Der Bundesverband deutscher Banken richtet in Brüssel eine Vielzahl verschiedener Veranstaltungen aus, um sich in politische Debatten einzubringen. Zum Hoffest nach der Brüsseler Sommerpause kommen Vertreter aus Kommission, Parlament, Rat, Ständigen Vertretungen und Botschaften. Ein völlig anderes Format sind die sogenannten Arbeitsfrühstücke mit Abgeordneten, bei denen aktuell in der Debatte befindliche Dossiers besprochen werden. „Wir versuchen immer, die verschiedenen Perspektiven zusammenzubringen und die verschiedenen Ansätze zu diskutieren“, sagt Kolja Gabriel zu diesen Treffen. „Da sind wir mit allen demokratischen Parteien im Austausch.“
Gabriel ist seit 2013 Head of European and International Affairs des Bankenverbands in Brüssel. Sechs Personen arbeiten dort. Für die Brüsseler Medienkontakte ist Pressesprecherin Kerstin Altendorf von Berlin aus zuständig, Gabriels Aufgabe ist die politische Arbeit: Bei Gesetzesvorhaben, die den Bankensektor betreffen, übermittelt der Verband Stellungnahmen, nimmt an Anhörungen und Konsultationen teil und sucht das Gespräch mit den Kommissaren und deren Kabinetten, Generaldirektoren und deren Teams. Auch mit dem Europäischen Parlament, dem Rat und den Ständigen Vertretungen hat Gabriel zu tun. Dazu kommt der Kontakt in die deutsche Bundespolitik, die sich laut Gabriel immer stärker für Brüssel interessiert: „Die Bundestagsabgeordneten haben ein immer größeres Interesse an den verschiedenen Vorhaben, die auf europäischer Ebene diskutiert werden. Das ist eine der Lehren aus der Finanzmarktkrise, dass man nicht mehr nur national regulieren kann, sondern auch europäische Ansätze braucht.“
Von Brüssel aus hat Gabriel auch internationale Entwicklungen im Blick. Unter den 190 Mitgliedern des Bankenverbands gibt es schließlich Auslandsbanken wie ING, Santander und BNP. „Wir verstehen uns als pro-europäischer, internationaler Verband“, sagt Gabriel. Darum stehen er und sein Team mit Organisationen wie der International Banking Federation oder der Internationalen Handelskammer im Austausch. Der Bankenverband ist zudem in verschiedenen Regionalinitiativen organisiert, zum Beispiel in der Transatlantic Business Initiative (TBI) und im Asien-Pazifik-Ausschuss (APA).
Auf europäischer Ebene arbeitet der Verband eng mit der Europäischen Bankenvereinigung zusammen und tritt gelegentlich zusammen mit anderen Spitzenverbänden der Branche als „Deutsche Kreditwirtschaft“ auf, der insgesamt rund 2.300 in Deutschland ansässige Kreditinstitute vertritt. Die Brüsseler Community sei es gewohnt und auch darauf angewiesen, mit Allianzen zu arbeiten, erklärt Gabriel: „Natürlich ist der Bankenverband wie in Berlin auch in Brüssel ein relevanter Player, aber wir sind eine von sehr viel mehr Stimmen, die sich auf europäischer Ebene in die politischen Debatten einbringen.“
Die Umweltlobbyistin
Seit Angelika Pullen 2016 im Brüsseler WWF-Büro angefangen hat, hat sich das politische Klima gegenüber den Themen der Umweltbewegung ziemlich stark verändert. „Unter der alten Kommission ging es darum, das zu behalten, was wir schon gewonnen hatten“, sagt Pullen. Das habe sich mit der grünen Welle bei den Europawahlen 2019 erheblich gewandelt: „Von da an konnten wir sehr viel visionärer sein in unserer Kommunikation und uns darauf konzentrieren, was wir Neues erreichen wollen.“ Mit dem von Ursula von der Leyen vorangetriebenen European Green Deal wurde eine ganze Reihe von Gesetzesvorhaben angekündigt. „Wir NGOs waren völlig überwältigt von der Welle der neuen Initiativen und Gesetze, die da auf uns zugerollt ist – aber natürlich war das alles sehr positiv.“ Vieles sei dann jedoch von den Mitgliedstaaten verwässert und ausgebremst worden.
Mit den WWF-Büros in den Mitgliedstaaten arbeitet das Brüsseler Büro eng zusammen, sowohl bei den Kampagnen als auch bei der Kommunikation und Medienarbeit. Diese Zusammenarbeit werde immer wichtiger, sagt Pullen. „Wenn man sich anschaut, wie Entscheidungen in der EU getroffen werden, haben die Mitgliedstaaten natürlich ein starkes Gewicht.“ Pullen ist mit den Kommunikationsverantwortlichen in den verschiedenen Büros vernetzt. In Brüssel entwerfen sie Kampagnen und Kommunikationsstrategien, die dann von den nationalen Büros umgesetzt werden. Da die Büros eigene Prioritäten haben, versucht Pullen, möglichst langfristig zu planen und sich früh mit ihnen abzustimmen.
Das Brüsseler WWF-Team macht vor allem klassische Lobbyarbeit. Der Großteil der 45 Mitarbeitenden beschäftigt sich mit verschiedenen Themen wie Landwirtschaft und Lebensmitteln, Klima, Energie oder Wäldern und hat direkten Kontakt zur Politik. Einzelne Mitglieder aus Pullens neunköpfigem Kommunikationsteam arbeiten wiederum eng mit diesen Politik-Teams zusammen, um bei den Themen stets auf dem Laufenden zu sein. Pullens Aufgabe ist es, die Kommunikationsaktivitäten zu koordinieren – und gegebenenfalls zu entscheiden, ob eine Kampagne gestartet werden soll. „Wir fahren nur Kampagnen, wenn wir das Gefühl haben, dass wir die breite Unterstützung der Bevölkerung brauchen, um im politischen Verfahren Einfluss nehmen zu können“, sagt sie. Ein aktuelles Beispiel ist die Kampagne „Together4Forests zur EU-Verordnung“ über entwaldungsfreie Lieferketten. Diese Kampagne hat das Brüsseler WWF-Büro gemeinsam mit Greenpeace gestartet und über zwei Jahre hinweg Kampagnenmaterialien entwickelt. WWF und Greenpeace treten in Brüssel oft auch zusammen mit acht anderen Naturschutzorganisationen als „Green Ten“ auf.
Derzeit arbeiten Pullen und ihr Team ihre Strategien für die Europawahlen aus. Dazu setzen sie ein Manifest mit ihren politischen Zielsetzungen auf. Geplant ist zudem eine Public-Awareness-Kampagne, „um sicherzustellen, dass Umweltthemen so hoch gespielt werden wie möglich“. Das war beim letzten Mal durchaus der Fall. Das sei aber vor allem Greta Thunberg und der Jugendbewegung zuzuschreiben, so Pullen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Europa. Das Heft können Sie hier bestellen.