Was heißt überhaupt Mut? (2)

Menschen erzählen

„Meine Niederlage anzuerkennen, kostete Mut“

Boris Grundl (c) privat

Boris Grundl, Management-Trainer, Unternehmer, Autor sowie Inhaber des Grundl Leadership Instituts

„Ich bin seit einem Klippensprung in Mexiko Ende 1990 zu neunzig Prozent gelähmt. Das Anerkennen dieser Niederlage kostete mich enormen Mut und Kraft. Daraus eine Quelle der Inspiration zu formen, war Mutprobe Nummer zwei.

Sich auf die eigenen Schwächen, Unsicherheiten und Fehler einzulassen, auch die dunklen Seiten der eigenen Person in Motivation zu transformieren – das ist Mut.

Ich brauche derzeit vor allem Mut, um mich in meiner Firma selbst noch überflüssiger zu machen. Ich möchte, dass die Idee meines Leadership-Instituts größer wird als sein Gründer. Das fordert und erfüllt mich gerade sehr.“

„Es ist nicht einfach, die Komfortzone zu verlassen“

Martin Frommhold (c) Otto

Martin Frommhold, Pressesprecher und Bereichsleiter Unternehmenskommunikation beim Versandhändler Otto in Hamburg

„In den vergangenen Monaten haben wir in der Kommunikation bei Otto einiges bewegt. Nukleus unserer Arbeit ist der neue Newsroom, der Geschäftsstrategie und Kommunikation verknüpft. Denn Otto entwickelt sich vom Händler zur Plattform, auf der immer mehr Marken und Lieferanten aktiv werden. Dabei geht es um Austausch, Zusammenarbeit, die Synchronisation unterschiedlicher Perspektiven.

Dieser Idee folgt auch unsere Content-Strategie. Der Newsroom soll ein Ort für Geschichten sein, die mit Veränderung, Transformation und Menschen zu tun haben. Die erzählen wir gerne selbst, laden aber auch externe Experten, Influencer oder Meinungsmacher ein, sich bei uns mitzuteilen. Die tradierte Aufteilung in interne und externe Kommunikation haben wir abgeschafft und uns ein integriertes Arbeitsmodell mit 360-Grad-Perspektive verordnet. Ergo: redaktionelles Denken von vorn bis hinten – und das in einer agilen, skalierbaren, an Agenturmodelle angelehnten Gesamtorganisation.

Auch die Hierarchien wurden aufgelöst, dafür jedem Teammitglied mehr Gestaltungsmöglichkeit und Verantwortung eingeräumt. Außerdem haben wir einen Mediendesigner eingestellt. Schließlich funktioniert Kommunikation immer stärker auch über Bilder.

Ob das alles Mut erfordert hat? Ich meine nicht. Vielmehr brauchte es die Lust auf Neues und das Erkennen von Trends – inklusive notwendiger Veränderungen. Darin waren und sind wir gut. Wenn überhaupt, ging es um den Mut zur Lücke. Darum, Dinge zu hinterfragen, wegzulassen oder anders als gewohnt zu behandeln. Und die Motivation auch dann hochzuhalten, wenn sich der Erfolg mal nicht umgehend einstellt. Wobei Geduld nach wie vor nicht zu unseren hervorstechendsten Eigenschaften zählt. Aber wir bessern uns …

Echter Mut ist eine Eigenschaft, die für mich nicht mit dem Berufsfeld PR einhergeht. Das ist eher bei anderen Berufsgruppen der Fall. Aber was wir gemacht haben, war sicherlich eine Herausforderung. Denn es ist nicht einfach, die Komfortzone einer irgendwie ja durchaus noch funktionierenden Organisation zu verlassen, um sich durch eine innovierte Positionierung im digitalen Dschungel neue PR-Perspektiven erschließen zu wollen.“

Protokoll: Anna Gielas

„Will ich gelebt werden oder lebe ich selbst?“

Sabina Kocherhans (c) fotoyeh.de und designfoto.ch

Sabina Kocherhans, Speakerin, Autorin und Businesstrainerin

„Ich bin eine Frau, farbig und ich trage Tattoos. Diese drei Tatsachen reichen schon aus, dass sich manche Menschen vor den Kopf gestoßen fühlen. Als ich noch in der Finanzbranche arbeitete, meinte einmal ein Vorgesetzter zu mir, er sei unsicher, wie Kunden auf mein Erscheinungsbild reagieren würden.

De facto haben Kunden allerdings immer positiv auf mich reagiert. Nur war mein damaliger Chef selbst voreingenommen. Das war ein beklemmendes Gefühl, derart auf Äußerlichkeiten reduziert zu werden. Es ist leider wirklich so: Als Frau hat man es, vor allem in höheren Positionen, schwerer, ernst genommen zu werden – als farbige Frau erst recht. Gerade in Branchen, die männerdominiert sind, musste ich mich als Kundenberaterin deshalb immer wieder behaupten.

Dazu kamen Extremsituationen in meinem Leben, mit denen ich mich auseinandersetzen musste: Das Unternehmen meines Vaters hinterließ mir 2006 einen riesigen Schuldenberg. Ich wusste nicht, wie ich den je abtragen sollte. Aber man spricht ja auch immer wieder vom berühmten ‚Mut der Verzweiflung‘. Den habe ich mir zunutze gemacht. Ich habe mich in allen möglichen Richtungen nach Mitteln und Wegen umgesehen – und sie schließlich auch gefunden.

Der Dokumentarfilm ‚The Secret‘ spielte dabei eine Schlüsselrolle, denn er hat mir vor Augen geführt, dass ich mein Leben selbst in der Hand habe. Ich wurde danach oft gefragt, wie ich das alles geschafft habe, und erkannte, dass ich mein Wissen auch an andere weitergeben wollte. Und so wurde ich schließlich zur Speakerin, Autorin und Businesstrainerin. Es hilft, sich bewusst die Frage zu stellen: Will ich gelebt werden oder lebe ich selbst?“

Protokoll: Simone Dettelbacher

„Lieber esse ich Dosensuppe, als mich zu verkaufen“

Christian Fischer (c) privat

Christian Fischer, freiberuflicher PR-Berater und Pressesprecher in Teilzeit beim Einkaufs- und Lieferkettenoptimierer Kloepfel 

„Es ist erst einmal ein unangenehmes Gefühl, wenn man negative Rückmeldungen aus dem Freundeskreis und von Kollegen erhält. Keine Frage. Vor einiger Zeit sagte man mir, ich wirke sehr unentspannt und in meiner Kommunikation mitunter sogar aggressiv. Das traf mich nicht nur, es kam auch recht überraschend, denn mir war bis dahin gar nicht bewusst, dass ich in der Tat ziemlich frustriert war.

Obwohl ich meine Arbeit lange Zeit gerne gemacht hatte, stimmte nun etwas nicht mehr. Was genau, war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht ganz klar. Ich wollte also etwas ändern und zog einen klaren Schlussstrich, indem ich mir als Konsequenz eine mehrmonatige Auszeit nahm.

Ich habe viel nachgedacht, sogar in einem Kloster nach Ruhe gesucht, um herauszufinden, was nicht stimmte. Die Erkenntnis: Ich wollte unabhängiger, freier sein. Und damit meine ich auch weniger emotionale Abhängigkeit, die man automatisch hat, wenn man fest angestellt ist.

Inzwischen arbeite ich seit ein paar Monaten wieder als Pressesprecher für meinen alten Arbeitgeber, die Kloepfel Group, einen Einkaufs- und Lieferkettenoptimierer. Doch diesmal auf 20-Stunden-Basis. Zusätzlich habe ich mich als PR-Berater selbstständig gemacht.

Heute fühle ich mich dank der Unterstützung meines Arbeitgebers viel freier in meinen Entscheidungen und insgesamt authentischer. Dazu gehört auch, dass ich nicht mit jedem Kunden zusammenarbeite, der sich bietet. Wenn ich merke, es passt nicht, sei es zwischenmenschlich, in der Kommunikation oder auch inhaltlich, dann lehne ich schon mal einen Auftrag ab.

PR-Beratung biete ich auf Erfolgsbasis an. Einige belächeln diese Herangehensweise. Aber lieber würde ich eine Zeit lang Dosensuppe essen, als mich für ein Projekt zu verkaufen, an das ich nicht glaube. Und trotz aller Kritiker: Es funktioniert erstaunlich gut. Dosensuppe stand schon länger nicht mehr auf meinem Tisch.“

Protokoll: Simone Dettelbacher

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe MUT. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel