Was für viele berufstätige Mütter gilt, ist für Väter und gleichgestellte Elternteile bislang nicht möglich: nach der Geburt ihres Kindes eine bezahlte Auszeit zu nehmen. Zwar sieht eine EU-Richtlinie bereits seit 2019 eine Freistellung von Vätern oder gleichgestellter zweiter Elternteile von zehn Arbeitstagen vor. Doch in Deutschland ist die Regelung bislang nicht umgesetzt. Ein entsprechender Entwurf, den das Bundesfamilienministerium im Frühjahr 2023 vorgestellt hat, befindet sich in der Abstimmung: Es herrscht Uneinigkeit über die Finanzierung.
Acht Wochen Auszeit mit regulärem Gehalt
Die Kommunikationsberatung Ketchum hat nun selbst die Initiative ergriffen und eine geschlechtsunabhängige Elternzeit für ihre mehr als 200 Beschäftigten in Deutschland eingeführt. Sie ist damit nach eigenen Angaben die erste Agentur in Deutschland, die eine voll bezahlte sowie von Geschlecht und Familienstand unabhängige Elternzeit anbietet. Während der achtwöchigen Auszeit erhalten die Mitarbeitenden eine vollständige Aufstockung bis zum regulären Gehalt. Das Angebot gilt einer Sprecherin zufolge ab sofort.
Den Mitarbeitenden soll es so ermöglicht werden, sich ganz auf die Betreuung ihres neugeborenen, adoptierten oder in Pflege genommenen Kindes zu konzentrieren. „Wir möchten hier ganz bewusst alle ansprechen, Väter und Partner:innen, die Eltern werden, sowie die Mitarbeitenden, die als Pflege- oder Adoptiveltern Verantwortung für die Betreuung eines Kindes übernehmen“, erläutert Tabea Fesser, Chief People Officer Ketchum Germany, in einer Mitteilung des Unternehmens.
Die Entscheidung, die bezahlte Elternzeit unabhängig von Geschlecht und Familienstand anzubieten, basiere auf der festen Überzeugung, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein sehr wichtiger Wert sei, heißt es weiter. „Bei Ketchum treten wir aktiv für Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit ein. Dazu gehört für uns auch, dass unsere Mitarbeitenden Beruf und Familie gut vereinbaren können“, betont Fesser. Zum weiteren Angebot gehören unter anderen flexible Arbeitsmodelle, Unterstützung bei der Kinderbetreuung sowie Coaching-Angebote.
Unternehmen können Vorreiterrolle einnehmen
Die jüngste Initiative der Agentur, die über gesetzliche Vorgaben hinausgeht, zeige, dass Unternehmen im Mittelstand eine Vorreiterrolle bei der Förderung von Chancengleichheit und der Aufhebung traditioneller Rollenbilder spielen können. „Nicht alle Unternehmen sehen eigenen Handlungsbedarf bei der bezahlten Elternzeit“, ergänzt Fesser. „Aus unserer Sicht gibt diese Haltung Anlass zum Nachdenken: Sie steht im Widerspruch zu den sich verändernden Dynamiken in modernen Arbeitswelten.“
Tatsächlich gewähren viele Unternehmen Vätern nach der Geburt eines Kindes nicht einmal Sonderurlaub – einer Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach zufolge sagen das 44 Prozent der befragten Unternehmen. 26 Prozent ermöglichen einen Tag Sonderurlaub, weitere 26 Prozent zwei Tage. Nur vier Prozent gewähren mehr als zwei Tage. Der Softwarekonzern SAP sorgte vergangenes Jahr für Schlagzeilen mit der Ankündigung, eine mehrwöchige bezahlte Väterzeit einführen zu wollen. Diesem Plan erteilte der Konzern kürzlich eine Absage.