In der Wochenzeitung „Die Zeit“ hat vor einigen Wochen ein Leser die Frage aufgeworfen, ob man unter der Dusche wirklich die besten Ideen habe. Meine persönliche Antwort auf diese Frage lautet: Jein.
Einerseits ja, denn unter der Dusche hat man manchmal wirklich spontan gute Ideen. Oder – wie „Zeit“-Autor Christoph Drösser schreibt – der Dusch-Effekt ist real: „Er funktioniert, wenn unser Gehirn ein bisschen unterfordert ist, aber nicht gelangweilt.“ Und darum zugleich auch ein Nein, denn für diesen Dusch-Effekt braucht es nicht zwingend eine Dusche. Das lässt sich auch beim Dösen auf dem Sofa, beim Aufräumen im Arbeitszimmer, beim Abwasch oder ganz einfach auf dem Klo erzielen. Wichtig ist ein gewisser Grad der Entspannung bei gleichzeitig nicht zu ausgeprägter Erschlaffung.
Denn was die optimalen Rahmenbedingungen – Dusche, Sofa, Klo (beliebig erweiterbar) – ausmachen: Sie zielen in diesem Moment nicht in erster Linie darauf ab, gute und kreative Ideen hervorzubringen. Ich dusche ja nicht, um einen genialen Einfall zu haben. Und das ist der entscheidende Punkt: Wer kreativ sein will oder muss, weil der Job oder der Auftrag es verlangen, der ist das nur selten auf Kommando. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in meinen Seminaren sage ich immer: Wenn es grad nicht voran geht, einem nichts einfällt und die Schreibblockade droht, machen Sie irgendetwas anderes. Hauptsache weg vom Schreibtisch, vom Rechner oder zumindest vom aktuellen Projekt!
Reset für graue Zellen
Ein befreundeter Autor aus Düsseldorf hat mir mal vor längerer Zeit erzählt, dass er in solchen Situationen der tatsächlichen oder gefühlten Schreibblockade einen Gang durch die Altstadt macht oder im Kaufhof (der damals noch so hieß) eine Stunde durch die Gänge schleift und seinem Gehirn auf diese Weise etwas Abwechslung zu der eintönigen Arbeit am Manuskript bietet.
Wenn das alles nichts brachte, fuhr er auch schon mal raus zum Flughafen und lief eine Stunde durchs Terminal, beobachtete die Wartenden und Gestrandeten, das ganze Prozedere, die Sicherheitskontrolle und genoss in aller Ruhe beim Zusehen einen Kaffee beim Zusehen. Dann fuhr er zurück, setzte sich wieder an sein Manuskript. Meist lief es dann mit dem Schreiben viel besser.
Dieser Ausflug, ja quasi die Flucht aus dem Schreiben-Müssen zum Seele-Baumeln ist kein besonderer Luxus, sondern unbedingte Notwendigkeit in kreativen Berufen. Und dazu zählen auch die Kommunikationsberufe in den Pressestellen, PR- und Marketingabteilungen.
Wobei anzumerken bleibt, dass natürlich nicht jeder Text oder jede Aufgabe gleich viel kreatives Potenzial erfordert. Eine nüchterne, objektiv geschriebene Pressemitteilung zu einer klar umrissenen und überschaubaren Nachricht kann ich nach einem vorliegenden guten Briefing (leider einer der häufigsten Schwachpunkte) in sehr kurzer Zeit schreiben. Dafür muss ich nicht an den Flughafen fahren.
Platz schaffen im neuronalen Arbeitsspeicher
Ein Fachbeitrag, ein Blog, ein Mailing oder eine Rede, die ich im Rahmen eines klassischen Ghostwriting für meine Auftraggeber erstelle, braucht hingegen meist mehr Hirnschmalz, einen originellen Einstieg, eine Szene, die die Leser oder Zuhörer bindet. Auch um Workshops und Seminare vorzubereiten oder neue zu konzipieren, brauche ich Zeit und Abstand. Darum kann ich immer nur raten: Nehmen Sie sich Zeit fürs Schreiben!
Auch professionelle, gute oder sehr erfolgreiche Autoren schreiben ihre Texte in aller Regel nicht mal eben so. Sie alle kennen das Gefühl, dass der Kopf gerade mal leer ist oder die kleinen grauen Zellen in Streik treten, weil wir ihnen möglicherweise den angestammten Mindestlohn nicht gönnen, der wiederum von Mensch zu Mensch verschieden ist. Beim einen ist es Kaffee, ein zweiter kann mit Alkohol besonders gut denken – beides ist der Gesundheit nur bedingt förderlich –, der Dritte treibt Sport, um einen Reset im Kopf vollziehen oder die mentalen Energiespeicher aufladen zu können. Oder eben ab unter die Dusche. Da kommen einem dann vielleicht die Ideen, wenn sie nicht schon vorher kamen. Ein Studienfreund von mir trug jahrelang immer ein Diktiergerät mit sich herum für den Fall, dass plötzlich der Gedankenfluss losbricht.
Also Jein: Es muss nicht die Dusche sein, aber jede Form von Kreativität und schreibendem Schaffen braucht immer auch Phasen, in denen das Gehirn Pause machen darf. Vielleicht wird dabei die neuronale Festplatte defragmentiert oder der Arbeitsspeicher aufgeräumt, das weiß ich nicht so genau. Jedenfalls ist danach meist wieder Platz für neue Ideen und Formulierungen. Was vorher wahnsinnig kompliziert schien, ist dann plötzlich einfach. Gönnen wir uns und unseren kleinen grauen Zellen diese Pausen. Viel Erfolg!