Relevante Sichtbarkeit statt Selbstinszenierung

CEO-Kommunikation

How does this help the bu­siness?“, fragte mich der CEO, als ich ihm ein Interview mit einem großen Nachrichtenmedium vorschlage. „Because it will allow us to tell how we position ourselves for growth in the next three years. And we will only get the story published, if it is told by you“, lautete meine Antwort.

Wir haben das Interview gemacht. Und weitere danach. Die Frage des CEOs unterstreicht, welche Unterscheidung für das CEO-Positioning in der Unternehmenskommunikation wichtig ist. Es geht nicht um Selbstinszenierung oder das taktische Nutzen eines günstigen Moments, sondern um relevante Sichtbarkeit im Dienst der strategischen Unternehmensziele. Dabei sind die Chancen und Risiken gleichermaßen groß. Positionierung kann die Position kosten – sogar die höchste, die es in einer Organisation gibt. Wenn sie beispielsweise vom Aufsichtsrat nicht als Teil des Jobs anerkannt, sondern als falsch investierte Zeit verstanden wird.

Die strategische Positionierung des Top-Personals gehört inzwischen zum Kern der Aufgaben von Kommunikator*innen in Unternehmen, in der Politik und in Nichtregierungsorganisationen. Kommunikatoren machen es ebenso oft richtig, wie sie danebenliegen. Drei Grundregeln entscheiden nach meiner Erfahrung über Erfolg oder Scheitern beim CEO-Positioning.

„Carpool Karaoke“ mit Gabor Steingart

Die Welt, die ich selbst von innen am längsten kenne, ist die der Unternehmen. Im Folgenden ein Beispiel, bei dem ich nur Zaungast am Laptop war.

Im Juli 2022, wenige Tage bevor Herbert Diess erfährt, dass der Aufsichtsrat von Volkswagen seine Ablösung beschlossen hat, lernen die Abonnenten des „Pioneer Briefings“, dass der CEO des größten deutschen Automobilherstellers der bevorstehenden Aufsichtsratssitzung gelassen entgegensieht. Er sagt es uns selbst direkt in die Kamera. Gabor Steingart, Gründer von „The Pioneer“, neben sich auf dem Beifahrersitz, steuert der Top-Manager im vollelektrischen Bulli durch Berlin und erzählt eine Viertelstunde lang über seine Arbeit, die Wettbewerber und die VW-Strategie.

Die Technik kennen wir aus dem „Carpool Karaoke“ in der Show des Moderators James Corden. Nur gesungen wird nicht. Auf Youtube wird das Video der Testfahrt mit dem ID. Buzz fast fünfzigtausendmal angeklickt. Ich merke es mir auch deshalb, weil Gabor Steingart mit verdrehtem Sicherheitsgurt neben dem entspannt lenkenden Herbert Diess sitzt und ich die damalige VW-Kommunikationschefin Nicole Mommsen, die ich kenne und sehr schätze, auf der Rückbank sehe. Steingart erwähnt den Börsenkurs von VW, Probleme mit den Software-Plattformen und die bevorstehende Aufsichtsratssitzung: „Kritische Fragen?“ Herbert Diess: „Nö, seh ich nicht so.“ Und weiter: „Sie sehen mich sehr entspannt.“

Next Level CEO-Positioning? In den Monaten vor dem Berlin-Video hat VW nach meiner Wahrnehmung eine kluge Kommunikationsstrategie professionell umgesetzt. Der CEO ist präsent in Interviews mit nationalen Medien, auf Veranstaltungen und sozialen Plattformen. Alles ist gut orchestriert. Die offensive Öffentlichkeitsarbeit wird ergänzt durch eine selbstbewusste Marketingstrategie. Indem er viel von sich zeigt und seine eigene Marke Woche für Woche weiter öffentlich etabliert, wirbt der CEO für Sympathie und neues Vertrauen in die Unternehmensmarke, die noch vor Kurzem als Synonym für Dieselgate stand.

Ich finde das strategisch und mutig zugleich, diskutiere den Ansatz in unserem eigenen Team. Dort gibt es auch skeptische Stimmen, vor allem nach einem als unglücklich empfundenen Talkshowauftritt von Diess. Mut eröffnet Chancen, bringt aber auch Risiken mit sich. Richtig gemacht, lässt sich viel gewinnen.

Der CEO als Werkzeug

Die erste Regel: Wir Menschen – Konsument*innen – wollen den echten (oder die echte) CEO sehen. Keine Aufsager von Botschaften aus den Kommunikationsabteilungen. Das ist eine Einsicht, die seit Jahren auch das Edelman Trust Barometer herausarbeitet. Menschen interessieren sich für Menschen.

Je komplizierter die Wirklichkeit und je größer die Distanz zu Big Corporate und zu großen Institutionen ist, desto stärker ist der Bedarf nach authentischen Führungspersönlichkeiten, die Nähe herstellen können. Konsument*innen wollen wissen, wer die Manager*innen hinter den großen Logos sind, welche Werte sie antreiben, wofür und wogegen sie einstehen und in welche Richtung sie ihre Unternehmen steuern wollen.

In diesem Punkt gibt es sogar eine Kongruenz zwischen der Welt der Verbraucher und jener der Analysten. Es geht letztlich um CEO-Visibility – um eine Vertrauen schaffende, relevante Sichtbarkeit von CEOs und nicht um CEO-Positioning als Selbstzweck.

Der erste Begriff beschreibt das Ziel, der zweite die strategische Aufgabe, um es zu erreichen. CEO-Visibility ist dabei nur ein Teil der Strategie der Unternehmenskommunikation. Der CEO ist ein Werkzeug in der Tool Box. Das zu erkennen erfordert von introvertierten Naturen Mut und Lernbereitschaft. Von anderen verlangt es eine situative Bescheidenheit. Mit anderen Worten: einen rationalen Umgang mit der Eitelkeit auf Seiten der CEOs. Und es verlangt Selbstbewusstsein von Kommunikator*innen auf Unternehmensseite. Sie müssen entweder antreiben oder manchmal auch Nein sagen, wenn der CEO beispielsweise Lust hat, ihm (oder ihr) direkt angetragene öffentliche Auftritte wahrzunehmen, obwohl diese der Kommunikationsstrategie entgegenstehen.

Ein Plan für relevante Sichtbarkeit

Die zweite Regel: Ein One-Hit-Wonder reicht nicht. Ein einzelnes Interview in einem Leitmedium, eine Keynote pro Jahr auf einem Industrie-Event oder ein Video zum Geschäftsergebnis auf sozialen Plattformen sind zu wenig, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Ich habe mir in meiner bisherigen Arbeit selbst schon manchmal in die Tasche gelogen und ein großes, positives Feature oder ein vielfach geklicktes Video länger gefeiert, als es der Zielgruppe im Gedächtnis blieb.

Wirkungsanalysen zeigen, dass es für einen nachhaltigen Impact einen Plan mit relevanter Sichtbarkeit braucht, in dem a) Auftritte des oder der Vorstandsvorsitzenden mit klaren Botschaften auf Veranstaltungen, b) Termine mit Stakeholdern, c) Medienpräsenz und d) eigene Beiträge auf sozialen Kanälen – vor allem auf Linkedin – klug miteinander verwoben sind. Es geht dabei nicht um ständige Präsenz, sondern um ausreichende relevante Sichtbarkeit für die jeweiligen wesentlichen Zielgruppen.

Zwei weitere Aspekte kommen hinzu. Das Timing ist wichtig. Mir ist in meiner Laufbahn immer wieder aufgefallen, wie oft die Strategieabteilungen von Unternehmen in der eigenen Bubble bleiben. Die Arbeit dreht sich um den internen Kalender von Planungsmeetings, Quartalsberichten und Country Reviews. Das CEO-Positioning verlangt jedoch, die öffentliche Sichtbarkeit viel stärker am Kalender der äußeren Realität zu orientieren. Wenn eine solche externe Kommunikationsstrategie dann noch eng mit der internen Kommunikation verflochten ist, feiern Employer Branding und Employee Engagement eine Traumhochzeit.

Doch all das reicht nicht. Wie stark am Ende die öffentliche Wahrnehmung des CEOs davon abhängt, wie sein Unternehmen im Wettbewerb dasteht, zeigt etwa Adidas. Kaspar Rorsted galt als einer der besten Kommunikatoren unter den CEOs in Deutschland. Doch dann stimmten die Zahlen nicht mehr. Die Erfolgssträhne für Tim Höttges, CEO der Deutschen Telekom, hält hingegen an, in der kommunikativen wie der unternehmerischen Bilanz. Zu Recht gilt er deshalb als einer der am besten positionierten Vorstandsvorsitzenden.

Wenn der CEO auf Linkedin ghostet

Immer wichtiger für die CEO-Visibility wird Linkedin. Die Plattform ist ein zentrales Element des integrierten Kommunikationsplans. Die Zielgruppe ist eine informierte, selbst meinungsbildende Teilöffentlichkeit in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Ich habe selbst erlebt, dass nicht zuletzt ein großer Teil der Belegschaft genau verfolgt, was das Top-Management auf Linkedin postet und von sich preisgibt. Entscheidend für die Wirkung ist dabei, dass auch die erste oben genannte Regel Beachtung findet: Wir wollen den echten CEO! Wenn ein CEO auf Linkedin Nachrichten postet, muss er oder sie selbst die Finger auf den Tasten haben. Nicht bei jedem einzelnen Wort. Aber ein CEO muss in der Summe authentisch, im Duktus insgesamt erkennbar sein.

Es gibt einen Lackmus-Test für diese Authentizität. Wenn Kommentare unter solchen Posts erst Tage später kurze, unverbindliche Antworten oder überhaupt keine Replik erhalten, wissen wir: Der Ghostwriter ist überfordert, der CEO selbst ghostet. Wenn das geschieht, lässt das CEO-Positioning das Potenzial dieser wirkmächtigen Dialogplattform ungenutzt.

Die dritte Regel: Die Zeit und Energie, die ein CEO für die externe Kommunikation aufwendet, müssen in einem günstigen Verhältnis zum Nutzen stehen, den dieser Fokus für das Unternehmen einbringt. Sie müssen messbar sein in der Unternehmensreputation, in Absatzzahlen oder an der Menge an Bewerbungen – je nachdem, was die Firmenstrategie als Ziel für diese CEO-Visibility definiert hat.

Wenn ein Aufsichtsrat der Meinung ist, der CEO sollte seine Zeit besser anders einsetzen, kann intensive Positionierung die Position kosten. Ich habe keinen Beweis, dass dies bei Herbert Diess so war. Aber die Spekulationen dazu haben mir eingeleuchtet. „Business Insider“ etwa berichtete am 1. August 2022: „Aus Aufsichtsratskreisen heißt es, (…) er sei ein ‚Egozentriker‘ (…). Als ‚Ankündigungsweltmeister‘ habe er zwar ‚große Interviews‘ gegeben, aber am Ende nichts geliefert.“ Daniel Wixforth von der Beratungsagentur 365 Sherpas, mit dem ich kürzlich über dieses Thema diskutiert habe, verdanke ich eine Formulierung, die ich in diesem Zusammenhang gerne teile: „The business of communication is business.“ Das gilt auch für CEOs.

Mir scheint ein guter Rat an Unternehmen, die öffentliche Sichtbarkeit des Top Managements nicht allein auf den CEO zu konzentrieren. Ist die Marketingchefin die stärkere Kommunikatorin als der CEO für das Interview? Könnte die Personalchefin auf einer Konferenz einen besseren Vortrag halten? Welche Persönlichkeit aus der Geschäftsführung nutzt den eigenen Linkedin-Account selbst bereits am meisten? Aus einzelnen Vorstandsmitgliedern lässt sich so mit einem strategischen Kommunikationsplan ein diverseres authentisches Bild der leitenden Menschen hinter einer Marke zeichnen.

Voraussetzung dafür ist eine Unternehmenskultur, in der die Persönlichkeit an der Vorstandsspitze das eigene Ego für das größere Ganze zurückstellen kann, ohne ihren Führungsanspruch dadurch bedroht zu sehen. Wo das gelingt, nimmt es den Druck vom CEO, häufig öffentlich präsent zu sein. Denn weniger ist manchmal doch mehr.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Europa. Das Heft können Sie hier bestellen.