“Wir bewerten jede Kommunikationsmaßnahme neu”

Krieg in der Ukraine

Die Otto Group beschäftigt weltweit mehr als 50.000 Angestellte; mehrere hundert davon in Russland. In der Ukraine sind für das Unternehmen im Rahmen eines Joint Ventures drei Mitarbeitende tätig. Wie beeinflusst der Konflikt die externe und interne Kommunikation? Welche Fragen bewegen die Beschäftigten? Inwieweit gibt es ein „Business as usual“? Ein Gespräch mit Martin Zander, Division Manager Corporate Communications bei der Otto Group.

Die Otto Group ist ein international aufgestelltes Unternehmen. Auf welchen Ebenen betreffen Sie der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland? Wie reagieren Sie auf den Konflikt in Ihrer Kommunikation?

Zander: Das Thema betrifft uns auf allen Ebenen: angefangen beim Vorstand über die Geschäftsführung in den verschiedenen Konzerngesellschaften bis hin zu jedem Mitarbeitenden. Unser Grundsatz in der Kommunikation lautet, dass wir nach innen und nach außen transparent sein wollen. Das versuchen wir zum Beispiel durch eine regelmäßige interne Kommunikation zu gewährleisten, die aufgreift, was unter allen Mitarbeitenden vorherrscht: große Bestürzung, Sorge und Empathie.

Wir haben im Konzern einen Sonderarbeitsstab eingesetzt, der regelmäßig zusammenkommt, um die aktuellen Geschehnisse zu beleuchten. Wir haben Wirtschaftsbeziehungen in der Ukraine und auch in Russland und sind ebenso, beispielweise über Hermes und Bonprix, in Anrainerstaaten wie Polen aktiv. Informationen zu Hilfsaktionen und Geschäftsentscheidungen kommunizieren wir deshalb in großer Transparenz. Dazu stimmen wir uns ständig mit allen beteiligten Kommunikationsabteilungen im Konzern ab und bewerten die Situation immer wieder neu.

Sie bekommen auch Anfragen von Medien, die etwas über Ihre Position und die Auswirkungen des Krieges auf das Unternehmen erfahren möchten. Wozu äußern Sie sich? Wozu sagen Sie nichts?

Zander: Grundsätzlich fußt unser Anspruch in der Kommunikation auf Vertrauen und Transparenz. Entsprechend offen äußern wir uns. Wie wohl nahezu jede*r sind auch wir bestürzt und voller Sorge. Gegenüber den Medien machen wir sehr deutlich, dass der Schutz unserer Angestellten im Fokus all unserer Betrachtungen steht. Wir kommunizieren darüber hinaus auf Nachfrage, wie wir aktuell vor Ort helfen – zum Beispiel durch die Unterstützung von größeren Hilfsorganisationen, aber auch durch zahlreiche Konzerngesellschaften, die eigene Hilfs- und Spendenaktionen aufgesetzt haben wie auch sehr viele Kolleg*innen über die ganze Otto Group hinweg, die private Hilfsinitiativen gestartet haben. Wenn es um rein wirtschaftliche Aspekte geht, geben wir natürlich Auskunft dazu, wie wir vor Ort aktiv sind, welche Geschäftsbeziehungen in der Region und welche Risiken für das Geschäft bestehen – auch wenn diese Betrachtungen aktuell sehr nachrangige sind.

Sie sprachen von der Bedeutung der internen Kommunikation. Über welche Themen informieren Sie im Intranet? Welche Fragen haben Ihre Mitarbeitenden?

Zander: Wir berichten zum Beispiel aktiv über Fakten: Was wird auf Vorstandsebene, was im Sonderarbeitsstab diskutiert? Welche Risiken bestehen? Das sind nicht unbedingt emotional aufgeladene Themen. Das kann auch das Thema IT-Sicherheit sein: Wie reagieren wir auf potenzielle Gefährdungen durch Hackerangriffe? Besonders wichtig: Wir kommunizieren, wie wir unsere Kolleg*innen vor Ort zu schützen versuchen. Vor allem aber nehmen wir die Stimmung unter den Mitarbeitenden auf: Wir haben große interne Communities, die sich über Yammer (Anmerkung: ein Social-Media-Netzwerk) oder über unsere App OG2GO austauschen. Die dort besprochenen Themen, Unsicherheiten und Sorgen greifen wir aktiv auf und versuchen beispielsweise Fragen, die aus der Belegschaft kommen, transparent zu beantworten.

Zahlreiche Angestellte arbeiten weiterhin im Homeoffice. Die Menschen sind allein mit ihren Ängsten. Inwieweit haben Sie virtuelle Räume für die Angestellten geschaffen, in denen sich diese austauschen können?

Zander: Die mussten wir gar nicht schaffen, weil wir sie schon hatten. Wir haben vor rund sechs Jahren den Kulturwandel 4.0 gestartet, der dazu geführt hat, dass wir eine große Offenheit in der Kommunikation haben. Jede*r traut sich, jede Art von Frage zu stellen und Kritik zu äußern. Das ist auch über alle Hierarchieebenen hinweg explizit gewünscht. Außerdem haben wir die digitale Transformation so weit vorangetrieben, dass jeder an nahezu jedem Ort der Welt auf unsere Portale zugreifen kann. Es gibt – wie angesprochen – diverse Yammer-Communities, in denen es aktuell natürlich sehr viel um den Ukraine-Russland-Konflikt geht.

Inwieweit engagieren sich Ihre Angestellten selbst, indem sie beispielsweise Spenden sammeln oder Wohnungen anbieten?

Zander: Wir haben überragend viele private Initiativen. Das berührt und freut uns sehr. Eine hohe Zahl von Kolleg*innen engagiert sich in der Freizeit. Die Anteilnahme ist riesig.

Martin Zander © Otto Group
Martin Zander © Otto Group

Bei Ihnen gibt es sicher auch Angestellte, die familiäre Bindungen in die Ukraine und nach Russland haben oder selbst von dort stammen. Inwieweit gehen Sie auf diese Mitarbeitenden speziell ein?

Zander: In der internen Kommunikation wollen wir Gespräche mit Mitarbeiter*innen, die aus der Krisenregion stammen, abbilden. Wir wollen die Gefühlslage aus Sicht von Betroffenen beschreiben. Auf Ebene der Konzernunternehmen – vor allem bei Bonprix und Hermes – stehen wir in einem sehr engen Austausch, um unmittelbar helfen zu können. Bonprix beispielsweise unterstützt am Standort Polen die ukrainischstämmigen Mitarbeiter*innen und deren Angehörige mit Geld- und Sachspenden. Und natürlich wollen wir konzernseitig auch Beratungsgespräche sowie seelsorgerische Unterstützung für Betroffene anbieten, die vielleicht noch Familie in der Ukraine haben.

Inwieweit haben Sie als Unternehmen selbst gespendet?

Zander: Wir sind auf mehreren Ebenen aktiv geworden. Zum einen über unsere Konzernunternehmen, die für Einzelprojekte Geld zur Verfügung stellen oder Sachspenden und praktische Hilfe leisten, indem sie Lkws für Hilfstransporte bereithalten. Zum anderen haben wir auf Konzernebene in einem ersten Schritt an das UNHCR und Save the Children Beträge in jeweils signifikant sechsstelliger Höhe gespendet – zwei international anerkannte Hilfsorganisationen, die vor Ort hervorragend vernetzt sind und unmittelbar helfen können. Wir haben für uns als Otto Group die Vorgabe entwickelt, dass wir möglichst konkret und nicht pauschal spenden wollen, um direkte Hilfe zu leisten, die auch wirklich ankommt. Wir planen, in den nächsten Wochen noch weitere Projekte zu unterstützen.

Der Krieg begann vor etwa zwei Wochen. Wie gehen Sie mit längerfristig geplanten Kommunikationsaktivitäten und Themen um? Läuft hier „Business as usual“?

Zander: Nein, natürlich nicht. Wir bewerten jede Kommunikationsmaßnahme neu. Insbesondere in der internen Kommunikation werden wir Themen auch teils verschieben müssen, weil es die aktuelle Lage nicht zulässt oder schlicht unsensibel wäre, über sie zu kommunizieren. Es muss immer eine Einzelfallbetrachtung geben. Themen müssen täglich, manchmal stündlich neu bewertet werden. Gerade in dieser Krisensituation ist es wichtig, mit der nötigen Empathie und in der richtigen Tonalität zu kommunizieren.