Zu nah, um wahr zu sein

Stefan Barons im September erschienene Ackermann-Biografie „Späte Reue“ ist – das darf man dem Cover glauben – tatsächlich eine Nahaufnahme. So nah, dass sie letztendlich nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben von „Big Joe“ zeigt: Seine Jahre als Chef der Deutschen Bank – die Banken- und Wirtschaftskrise inklusive.
„Nichts interessiert Menschen so sehr wie Menschen“, weiß Baron. Aber die Nahaufnahme der Person Josef Ackermann bleibt auf den knapp 300 Seiten diffus. Ackermann als Vater, als Ehemann, als Privatmann generell, schimmert kaum durch. Vielleicht auch, weil er in Barons Beschreibung als „der Schweizer“ oder „der Deutschbanker“ auf Distanz gehalten wird. Informationen wie „Sternzeichen: Wassermann, Aszendent: Löwe“ wirken in diesem Kontext seltsam deplatziert.

Chronik der Krise

Interessanter wird es, wenn Baron den Krisenverlauf aus der Perspektive der Deutschbanker erzählt. Selbstverständlich kann es sich dabei um keine objektive Chronik handeln. Dennoch ist die Nacherzählung der Geschehnisse stringent und bietet einen Einblick in die Stimmung der Crew auf der sinkenden Titanic. Besonders die Verhandlungen mit politischen Entscheidungsträgern wie Angela Merkel oder Peer Steinbrück sind lesenswerte Randnotizen.
Ackermanns Rolle als geborener Chef, als heroischer Anführer, steht im Mittelpunkt der Lektüre. Laut Baron ist er unprätentiös, ein puristischer Verfechter des Leistungsprinzips. Er bescheinigt ihm „messerscharfen Verstand, ein Elefantengedächtnis und eine Bärenkonstitution“. Auch die weltmännische Aura seines Chefs und dessen internationales Netzwerk wird Baron nicht müde zu betonen. Promis, Partys, „exklusive Runden“ werden immer wieder mit latenter Bewunderung thematisiert. Bill Clinton, der von seinem „Freund Joe“ schwärmt, ein Foto auf dem Tanzparkett mit Christine Lagarde … Auch lobende wie kritische Kommentare aus der Presse zitiert der ehemalige Journalist oft.

Pathos und Langeweile

Nur das vierte Kapitel weicht vom Fokus der Finanzwelt ab. Unter dem Titel „Ein Kompass fürs Leben“, wird ein flüchtiger und entrückter Blick auf Ackermanns Vergangenheit geworfen. Schon der „kleine Seppi“, so Baron pathetisch, verkörpere das Deutsche-Bank-Motto „Leistung aus Leidenschaft“. Er ist der von Mädchen umschwärmte Klassenprimus, bei dem immer alles „wie am Schnürchen“ läuft, talentierter Sportler, Musterstudent. Vielleicht sind diese ermüdend geradlinigen Schilderungen das Problem: Ackermann wirkt nicht sympathisch.
Dass der Beschriebene nicht frei von Fehlern ist, macht Baron allerdings auch deutlich. Er ist ein „Machtmensch“ mit „beachtlichem Darstellungsbedürfnis“, für den zu arbeiten „kein Zuckerschlecken“ ist. Er ist jemand, der, wenn er wirklich wütend ist, nicht laut wird, sondern „leise und eisig“. Auch mit Langeweile könne er schlecht umgehen, so Baron. Bei den geschilderten 80 bis 100-Stunden-Wochen ist fraglich, wann diese je aufgekommen sein soll.

Wohldosierte Reue

Die Metamorphose vom Banker zum Staatsmann im Zuge der Krise, Ackermanns Position als „führender Krisenmanager des Landes“ und seine Ambitionen als Reformer: Auch nach zwei Dritteln der Lektüre fragt man sich, wann und wofür die auf dem Cover angekündigte Reue denn nun kommen soll. Auf einen geläuterten Josef Ackermann wartet man vergeblich. Statt persönlicher Eingeständnisse werden vornehmlich die Entwicklungen der Finanzbranche insgesamt hinterfragt. Baron lobt Ackermanns Kritikfähigkeit und Selbstreflexion und modelt dessen Verfehlungen zum Positiven um. Schließlich gibt es zum Abschied auf der Hauptversammlung ein „Happy End“ mit stehenden Ovationen und einer versöhnlich gestimmten Presse.
Baron selbst ist teilnehmender Beobachter, als Handlungsträger erscheint er kaum. Dabei wird es gerade dann interessant, wenn er aus seinem Alltag als Kommunikator erzählt. Wie er Konflikte mit seinem Chef ausfechten muss, ihm beispielsweise dazu rät, den Spruch „Better be lucky than smart“ im Interview nicht „on the record“ zu wiederholen.
Stefan Baron, der zusammen mit Josef Ackermann im Mai 2012 seinen Dienst bei der Deutschen Bank quittierte, berät seinen ehemaligen Chef weiterhin in Kommunikationsfragen. Im Nachwort schreibt er, er wolle sich in seiner freien Zeit nun endlich der Kalligraphie widmen. Erfahrungen im Schönfärben hat er mit der Niederschrift von „Späte Reue“ allemal sammeln können.

Stefan Baron: Späte Reue. Josef Ackermann – Eine Nahaufnahme. Econ Verlag.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Interkulturelle Kommunikation. Das Heft können Sie hier bestellen.

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