Leica: Mit pochendem Herz auf Kundenfang

Fröhliche Wissenschaft

Es war ein weiter Weg für Danio rerio vom Ganges an die Lahn. Normalweise ist der Minikarpfen in stehenden Gewässern auf Reisfeldern von Nordindien bis Nepal heimisch, doch das Team von Leica Microsystems mit Sitz in Wetzlar machte den kleinen gestreiften Zebrafisch zum Helden seiner Kampagne „Heartbeat”: Um die Leistung des neuesten Konfokalgeräts zu demonstrieren, sieht man in bildschirmfüllenden Schwarzweißbildern das schlagende Herz eines solchen Ziertier-Embryos. Unterlegt mit einem extra komponierten Song im passenden Takt avancierte der 1:04 Minuten lange Clip im Internet zum Hit unter Wissenschaftlern.

„Sie sind ­unsere Zielgruppe”, sagt Bernd ­Sägmüller, Director Confocal Imaging bei Leica Microsystems. „Und erforschen zum Beispiel mit Hilfe der Fluoreszenzmikros­kopie, was ein bestimmtes Protein in der ­Zellmembran macht oder wie aus einzelnen Zellen Gewebe der Organe entsteht. Neugier ist ihre Passion, das ist, was sie antreibt: Sie wollen das Leben bis in seine molekularen Mechanismen verstehen.”

 

Die Forscher-Community ist sehr gut vernetzt und häufig online. Sägmüller: „Wissenschaftler sind oft auch Ästheten. Sie lieben nicht nur interessante Bilder, sondern begeistern sich auch für die Ästhetik der Natur, die sie erforschen. Deshalb müssen wir sie – bei der großen Konkurrenz schöner Bilder im Internet – auf verschiedenen Ebenen erreichen: emotional und fachlich. Das Herz eines Zebrafisch-Embryos beim Schlagen zu zeigen, damit erlangen wir ihr wissenschaftliches Interesse. Die Ästhetik der Bilder zusammen mit dem genau zum Rhythmus des Herzschlags passenden Song spricht die Zielgruppe auch emotional an. Diesen Song hat Johanna Alba speziell für den Clip geschrieben.”

Der Zebrafisch mit dem eigenen Sound­track soll eine kleine Zielgruppe erreichen, die über alle Kontinente verstreut ist. Leica verkauft die Konfokalmikroskope, die mehrere 100.000 Euro kosten und in den allermeisten Fällen über öffentliche Forschungsgelder finanziert werden, hauptsächlich an Universitäten und Forschungseinrichtungen. „Weltweit werden jährlich etwa 1.300 konfokale Laserscanning-Mikroskope verkauft, auch wenn der grundsätzliche Bedarf etwa zehnmal so groß ist”, so Sägmüller. „Mit dem Video bewerben wir eine spezielle Technologie, mit der lebendes Gewebe schonend bei geringer Laserlichtenergie über lange Zeit beobachtet werden kann. Dafür interessieren sich weltweit etwa 1.000 Kunden, von denen rund 200 ernsthaft an einen Kauf denken. Darunter sind vor allem Entwicklungsbiologen und Forscher, die sich mit Krebs, neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer, dem kardiovaskulären System oder Stammzellen beschäftigen.”

Um die zu erreichen, wird „Heartbeat” auf mehreren Wegen ausgespielt: „Der Spot wurde innerhalb unseres Unternehmens auf allen Ebenen kommuniziert. Unser Vertrieb nutzt ihn als Opener bei Präsentationen, Kongressen und Kundenveranstaltungen”, sagt Anja Schué, die als Manager Scientific PR unter anderem für die Contentmarketing-Plattform Science Lab und die Social-Media-Kanäle verantwortlich ist. Während der Launch-Kampagne war das Video auf einer speziellen Landingpage integriert, die Besucher animieren sollte, weitere Informationen zum Produkt, eine Demonstration oder ein konkretes Angebot zu bestellen. „Selbstverständlich wurde das Video als Teaser auf unseren sozialen Medien verbreitet. Leica Microsystems ist auf Linkedin, Facebook, ­Twitter und Youtube präsent”, sagt Schué. „4.700 Aufrufe beispielsweise bei Youtube sind eine Menge dafür, dass wir in einem so kleinen Umfeld ­unterwegs sind.”

Im Fokus der Kommunikation stehen Anwenderbeispiele, schließlich herrscht „auch unter Wissenschaftlern ein harter Wettbewerb – wer hat die meisten Publikationen, wer hat die neuesten Technologien, um neue Forschungsansätze zu verfolgen, wer hat neue Forschungsergebnisse zuerst publiziert? ­Unsere Innovationen im Bereich der Mikroskopie ­helfen ihnen beispielsweise, immer kleinere Details wie einzelne Proteine in der Zelle sichtbar zu machen oder wie bei diesem ­Video ­Vorgänge im lebenden Organismus genauer, länger zu beobachten und damit neue wissenschaftliche Fragestellungen zu untersuchen. Deshalb ist es in unserer Kommunikation sehr wichtig, den Nutzen unserer Technologien für aktuelle Forschungsthemen herauszustellen”, erklärt Anja Schué.

Neben der Unternehmens-Webseite mit Informationen über die Produkte bietet Leica Microsystems über die eigene Contentmarketing-Plattform Science Lab wissenschaftliche Inhalte mit ausführlichen Anwendungsberichten von Kunden, Interviews und Links zu aktuellen Publikationen, bei denen die hauseigenen Produkte beteiligt­ waren. Außerdem enthält die Plattform Lerninhalte zu Grundlagen der Mikroskopie bis hin zu den neuesten Technologien. Das Ziel: Nachwuchswissenschaftler und erfahrene Praktiker zugleich zu erreichen.

Die „Heartbeat”-Herausforderungen: ein erklärungsbedürftiges und hochkomplexes Produkt plus ein Preis, den kein Kunde mal eben so aus der Portokasse zahlen kann, plus eine weltweit beinahe verschwindend kleine Zielgruppe plus Zeit- und Budgetgrenzen. Keine leichte Aufgabe für das Team um Steffen Herbold, Kreativdirektor der Agentur WOB mit Sitz in Viernheim. Doch der freute sich „ers­tens über den Mut bei Leica, etwas Ungewöhnliches zu versuchen, und zweitens darüber, dass wir unserer eigentlichen Aufgabe nachgehen konnten – originelle und aufmerksamkeitsstarke Ideen für die ­Kommunikation zu erfinden, anstatt immer nur die gleichen glattgelutschten Allgemeinplätze zu wiederholen, die eh niemanden mehr interessieren.”

War die Reise des Zebrafischs am Ende ein Erfolg für das Unternehmen? „Wir ­haben die Kunden nicht extra gefragt, ob sie gekauft haben, weil sie das Video gesehen haben”, sagt Bernd Sägmüller. „Aber schon in den ersten Monaten haben sich daraufhin viele Interessenten gemeldet und einen Termin für eine Demonstration gemacht. Bei ­einer Produkteinführung braucht man ja immer einen Paukenschlag – und unserer war ein ­Herzschlag.” 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Macht. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel