Eine Frau, die den Ton angibt

Frau Graf, Sie sind die Dirigentin des Frauenblasorchesters Berlin. Welche Regeln im Umgang miteinander sind am wichtigsten, wenn es darum geht, ein Orchester von 66 Frauen zu leiten?
Astrid Graf: Ein wertschätzender und respektvoller Umgang ist sehr wichtig. Außerdem die Gleichbehandlung aller Mitglieder, egal ob eine die dritte oder die Soloklarinette spielt – keine ist wichtiger als die andere. Bedeutend ist auch eine offene Kommunikation. Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich Gedankengänge als selbstverständlich empfinde, die dem Orchester aber völlig unklar sind. An dieser Stelle muss ich mich mitteilen, klar verständlich machen.

Im September 2003 hat Dirigentin Astrid Graf das Frauenblasorchester Berlin gegründet. 66 Frauen bespielen unter ihrer Leitung ein Repertoire von Shostakovich über James Brown bis hin zu Lady Gaga (c) Dagmar Jäger und Kerstin Polte

Im September 2003 hat Dirigentin Astrid Graf das Frauenblasorchester Berlin gegründet. 66 Frauen bespielen unter ihrer Leitung ein Repertoire von Shostakovich über James Brown bis hin zu Lady Gaga

Glauben Sie, bei einem männlichen Dirigenten würde die Antwort auf diese Frage anders ausfallen?
Bestimmt weniger kommunika­tionslastig. Ich habe das so kennen gelernt: Hier steht der Dirigent, da das Orchester, ganz klare Hierarchien. Einfluss nehmen konnte man als Orchestermitglied nicht wirklich. Wem nicht gepasst hat, was ihm, beispielsweise an Stücken, vorgesetzt wurde, der hatte eben Pech.

Oft wird einer Frau in einer leitenden Position erst dann Führung zugetraut, wenn sie dem männlichen Vorbild nacheifert und männlich konnotierte Eigenschaften imitiert …

Ich bin nicht der Ansicht, dass Frauen in Führungspositionen sich am männlichen „Vorbild“ orientieren sollten. Während meiner Zeit in einem gemischten Orchester hatte ich einmal aufgrund einer Kehlkopfentzündung eine dunklere Stimme, da sagte jemand zu mir: „Jetzt hast du endlich eine richtig schöne tiefe Stimme, das hat Autorität und Durchsetzungskraft.“ Das war unverschämt.

Kommen solche Kommentare eher von Männern oder von Frauen?
Von einem Mann. Frauen haben  so etwas noch nicht zu mir gesagt.

Was halten Sie davon, wenn Frauen mit ihrer Weiblichkeit auf der Bühne kokettieren und mit den Klischees spielen?
Mich ärgert es, wenn beispielsweise die eine Quotengeigerin in einem reinen Männerorchester unbeweglich eingequetscht in einem bonbonrosa Kleidchen dasteht. Leider gibt es auch immer mehr Kleinformationen in weiblicher Hand, die sich das Sexy-Hasi-Klischee auf der Bühne durch ihre Kleidung selbst auferlegen. Ein solches Frauenbild ist für mich unverständlich.

Vielleicht verfallen Frauen dieser vorgefertigten Rolle, weil sie sich selbst zu wenig zutrauen.
In München gab es den Versuch, ein Frauenblasorchester aufzubauen – allerdings mit einem männlichen Dirigenten. Deren Begründung: Sie seien schließlich keine Zicken oder Emanzen und letztendlich zähle die Qualität. Diese konnte in ihren Augen anscheinend nur durch einen Mann an der Spitze gesichert werden. Da drängte sich mir die Frage auf: „Wie gehen die mit ihrem Selbstverständnis um?“ Das hat mich ziemlich enttäuscht. Frauen sollten sich selbst mehr zutrauen. Nach kurzer Zeit ist dieses Orchester auseinandergebrochen.

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Ihnen von außen ein emanzipatorischer Leitgedanke „untergeschoben“ wird?
Das Gefühl hatte ich manchmal schon. Dabei sind wir keine politische Gruppe. Wir fördern einfach die Präsenz von Frauen in der Musik. Gerade im Profi-Jazzbereich haben Frauen wenige Chancen, sich zu beweisen. In der Blasmusik sind Frauen an „männlichen“ Instrumenten, insbesondere dem Blechregister, noch stark unterrepräsentiert. Für diese Instrumente gibt es kaum weiblichen Nachwuchs, da es an Vorbildern mangelt. Erst wenn ein Mädchen sieht, dass auch Frauen Tuba spielen können, kommt es selbst auf die Idee, das zu lernen.

Das Orchester feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum. Was hat Sie damals dazu bewogen, ausschließlich Frauen aufzunehmen?
Der Vorschlag, ein reines Frauenorchester zu gründen, kam von einer meiner Schülerinnen. Ich hatte zuerst an ein gemischtes Orchester gedacht. Die Idee fand ich reizvoll, davon hatte ich noch nie gehört. Erfahrungen mit reinen Frauenensembles hatte ich bis dato noch nicht.

Wie würden Sie reagieren, wenn Männer in das Orchester eintreten wollen würden?
Tatsächlich haben schon Männer angeklopft, einige haben sogar angeboten, sich eine Perücke aufzusetzen et cetera. Aber wir haben beschlossen, wir wollen unserem Namen gerecht und unter Frauen bleiben. Obwohl am Anfang auch von Frauen Kommentare kamen wie „Das wird ja dann ein Lesbenorchester“, entsprechend dem Klischee, Lesben würden immer alles dominieren.

Sie haben in der Vergangenheit auch in gemischtgeschlechtlichen Orchestern gespielt und solche geleitet. Worin erkennen Sie die markantesten Unterschiede, sei es im Spiel oder auch im Umgang miteinander?
In Köln habe ich Anfang der 90er Jahre die Erfahrung gemacht, in einem rein männlich dominierten Orchestervorstand mitzumischen. Das war ein ziemlich antiquiertes System. Im Vorstand hauptsächlich ältere Herren, wie man sich das für ein typisches Blasorchester eben vorstellt. Als ich als Assistentin des Orchesterleiters hinzukam, fühlten sie sich bedroht. Aber ich habe versucht, mich durchzusetzen. Mir taten auch die Frauen im Verein leid, die beispielsweise in graue Plisséröcke gesteckt wurden. Die Männer hatten in Sachen Kleidung da eindeutig mehr Freiheiten. Leider bin ich auf sehr viel Widerstand gestoßen. Letztendlich konnte ich mich durchsetzen und habe unter anderem erreicht, dass auch die Frauen selbst entscheiden konnten, ob sie Rock oder Hose tragen wollten.

Sowohl musikalisch als auch im sozialen Umgang erfordert Ihre Arbeit Fingerspitzengefühl. Sehen Sie diesbezüglich bei Frauen einen Vorteil?
Ich habe im Studium zum ersten Mal unter einer Dirigentin gespielt und muss zugeben, ich hatte Vorurteile, dachte mir: „Kann die sich durchsetzen?“ Aber sie war toll in ihrem Führungsstil, einfach menschlicher. Sie hat weniger mit Macht und Stärke gearbeitet, uns subtiler gefördert und am Ende habe ich durch diese Lockerheit bessere Leistungen erbracht.

Trotz einer solchen Lockerheit gibt es aber doch bestimmt auch Konflikte. Stutenbissigkeit, Zickigkeit … Gegenüber reinen Frauengruppen und dem Umgang von Frauen miteinander gibt es viele Vorurteile.
Zickenhaufen, ja, so was wurde uns auch schon nachgesagt. Ich glaube aber, inzwischen ist das kein Thema mehr. Wir haben bewiesen, was wir können. Ganz krisenfrei geht es natürlich nicht, aber so geht es allen Gruppen, die zusammenarbeiten. Wobei ich denke, dass Männer im Allgemeinen im Umgang miteinander oft direkter sind. Bei Frauen gilt vordergründig häufig immer noch „Wir müssen lieb und nett zueinander sein“ und hintenherum kommt dann Kritik. Manchmal habe ich mich gefragt, was strahle ich aus, dass manche Frauen sich nicht trauen, offen mit Kritik auf mich zuzukommen. Auch wir hatten das „verflixte siebte Jahr“, in dem sich das Orchester nach einer schweren Krise neu sortieren musste. Trotz eines solchen Einschnitts weiterzumachen – darin liegt viel Stärke.

Wie gehen Sie mit Konfliktsitua­tionen um?
Wir haben im Orchester eine Ombudsfrau, die im Zweifelsfall vermittelt. Außerdem gibt es viermal im Jahr ein „Orchesterforum“, in dem die Orchesterfrauen aktuelle Themen diskutieren und Wünsche ihrerseits geäußert und besprochen werden können. Die Foren werden aus dem Orchester heraus moderiert. Wichtig ist, dass nicht immer nur ich vorne stehe.

Wie deutlich ist die Hierarchie im Orchester ausgeprägt? Werden die Stücke grundsätzlich abgestimmt, oder bestimmen Sie als „Chefin“ auch den ein oder anderen Titel?
Klar, die Leitung übernehme ich. Dennoch haben wir eine demokratische Grundstruktur. Ich schlage Stücke vor, die dann nach einem ersten Ausprobieren zur Abstimmung stehen. Auch können Stückvorschläge aus dem Orchester an mich herangetragen werden. Die Bedingung ist, dass sie mir gefallen, schließlich kann ich nicht etwas dirigieren, was mir nicht zusagt. Außerdem muss ich mir aufgrund meiner musikalischen Kompetenz auch immer wieder selbst die Fragen stellen: „Traue ich mir zu das zu leiten?“ und „Ist das Orchester in der Lage, das zu spielen?“.

Die Altersspanne im Orchester reicht von 18 bis 73 Jahren, die Berufe von der Bäuerin bis zur Ärztin. Macht es das schwierig, Homogenität herzustellen und, beispielsweise bei der Auswahl der Stücke, einen Konsens zu finden?
In unserem Orchester sind viele, auch sehr starke, Charaktere. Wenn sie auch manchmal die Konfrontation mit mir suchen, lebt das Orchester letztendlich von diesen Charakteren. Nur brav und glatt gebügelt Noten zu adaptieren, wäre langweilig. Ich möchte, dass sich jedes Mitglied selbst einbringt. Für mich besteht die Herausforderung darin, Konsens herzustellen und auch mein eigenes Verhalten immer wieder zu reflektieren.

Und wie bekommt man die Frauen beim Auftritt optisch unter einen Hut? Hat das Orchester einen Dresscode?
Unsere Kleiderordnung besagt, dass wir in Schwarz-Rot kommen. Ob sich die einzelne Frau dann für ein rotes Minikleid oder eine schwarze Zimmermannshose entscheidet, bleibt ihr überlassen. Wenn jede sich frei entfalten kann, steigert das auch die Leistung. Nur wer sich in seiner Auftrittskleidung wohl fühlt, konzentriert sich während des Konzerts wirklich auf Musik und Noten.

Und das ist in einer so großen Gruppe absolut erforderlich. Diverse Instrumente und ein Tonumfang von acht Oktaven erfordern ein hohes Maß an Koordination. Worauf kommt es dabei an?
In erster Linie geht es um aufmerksames Zuhören. Jede muss sich selbst ein Stück weit zurücknehmen, die anderen wahrnehmen und auf deren Spiel hören, um einen gemeinsamen Klang zu erschaffen. Ich versuche das herzustellen, indem ich öfter auch mal mit kleineren Gruppen probe und meine Anweisungen möglichst bildhaft erkläre, damit eine gemeinsame Vorstellung entsteht.

Solisten ist immer eine besondere Verantwortung übertragen. Wie umgeht man die Gefahr, durch die Hervorhebung eines Einzelnen die Harmonie zu durchbrechen?
Konkurrenzdenken ist bei uns nicht wirklich ein Thema. Wenn eine Musikerin ein Solo übernimmt, wird sie in der Regel von den anderen ermutigt. Einzelne Leistungen werden positiv wahrgenommen.

Interessiert Sie das Privatleben der Orchestermitglieder? Oder handelt es sich eher um eine Zweckgemeinschaft?
Als Dirigentin interessiere ich mich für die Privatleben nicht so sehr. Ich glaube, dass es gut ist, zwischen mir und dem Orchester ein wenig Distanz zu wahren. Zwar bin ich mit einigen befreundet, aber ich habe festgestellt, dass es oft etwas anderes ist, mit der Dirigentin an einem Tisch zu sitzen, als mit einer anderen Orchesterfrau. Ich akzeptiere das. Auch möchte ich mein Privatleben nicht zu sehr offenlegen.

Warum? Welche Schwierigkeiten würde das mit sich bringen?
Wenn ich jedes Mal persönlich beleidigt wäre, wenn mich jemand kritisiert, würde ich mich zu angreifbar machen. Außerdem muss ich bei Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppe auch vermitteln und neutral bleiben können. Wenn jede die intimsten Details der anderen kennt, sind wir irgendwann zu verstrickt. Es gibt mich in zwei Rollen, einmal die Dirigentin, die das Orchester musikalisch leitet, und zum anderen die Privatperson „Astrid“, die nach den Proben mit Orchestermusikerinnen bei einem Glas Wein im Lokal sitzt.

In der gerade erschienenen Jubiläumsbroschüre schreibt Oboistin Christina Bylow über Sie: „Natürlich erzieht sie uns – meist ohne dass wir es merken.“ Mit welchen Mitteln geht diese „Erziehung“ vonstatten?
Das Orchester wird von mir und meiner musikalischen Interpretation der Stücke geprägt. Ich bin dabei ständiger Probenmotivator und versuche meine Leidenschaft und meinen Enthusiasmus auf das Orchester zu übertragen. Dabei „erziehe“ ich weniger mit Druck  als mit Humor. Schließlich habe ich ja auch nichts von einem Orchester, das mich nicht leiden kann und daher den Spaß an der Sache verliert.

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Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Frauen in der PR. Das Heft können Sie hier bestellen.

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