Pharma holt beim Brand Building auf

Cannes Lions

Herr Frank, das Thema „Gesundheit“ hat aufgrund der Coronapandemie in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine enorme Aufmerksamkeit erhalten. Inwieweit wirkt sich das auf Kommunikationsprojekte aus?

Frank: Wir sprechen bei Edelman von „Health has become everyone’s business”. Bedeutet: Nicht nur die typischen Akteure wie Pharmaunternehmen tummeln sich in der Arena. Wir müssen uns alle damit auseinandersetzen – und damit auch alle Unternehmen. Wie gehen sie mit ihrem Personal um? Kommt man wieder in die Büros? Gibt es kostenlose Covid-Tests? Es ist ein anderes Bewusstsein für Gesundheit entstanden. Zusätzlich hat sich das Spielfeld im Bereich Gesundheit erweitert. Die Coronapandemie hat gezeigt, dass Medikamente allein die Probleme nicht lösen. Es geht auch um Zugang zu Gesundheitsleistungen, Preise, Patente oder darum, wie man einen Impfstoff überhaupt in den Arm bekommt. Die Unternehmen machen hier sehr viel in der Kommunikation. Das wird man auch in Cannes sehen.

Die Pharmaunternehmen bleiben zentrale Akteure. Was zeichnet deren Kampagnen aus? Inwieweit werden die kreativer?

Frank: Das entwickelt sich langsam. Während der Coronazeit sind die Pharmaunternehmen selbst zu Marken geworden. Plötzlich wissen viele Menschen, dass AstraZeneca existiert. Oder Biontech und Moderna. Auf der Straße kannte die vorher fast niemand. Ein typisches Brand-Verhalten hatten sie bisher nicht. Es fehlt von daher den meisten Menschen das Gefühl für das Unternehmen und die Marke. Das Brand Building vollziehen die Unternehmen jetzt nach.

Die Pharmabranche hat kein gutes Image. Sie gilt als stark profitorientiert. Ist es für die Firmen jetzt die Chance, sich positiver zu präsentieren und aus der negativen Ecke zu befreien?

Frank: Auf jeden Fall. Bei aller Kritik geht es im Kern darum, das Leben besser zu machen und im Zweifelsfall Leben zu retten. Die Verantwortung, einen besseren Zugang zu Gesundheitsprodukten zu gewährleisten, macht sich bemerkbar. Pfizer gab beispielsweise in Davos bekannt, Medikamente und Impfstoffe in ärmeren Ländern ohne Gewinn verkaufen zu wollen.

Inwiefern gibt es Trends, die sich in Kampagnen und Projekten widerspiegeln?

Frank: Ich war auch im vergangenen Jahr Juror in Cannes. Da war alles sehr Covid-geprägt. Dieses Jahr geht es weiter. Ich habe sehr viele Cases über harte Rx-Themen wie Krebs gesehen. Wichtig sind auch Inklusion und Access. „Period Poverty“ ist ein Thema, das mehrere Cases aufgreifen. Hier geht es um den fehlenden Zugang zu Periodenprodukten. Darüber hinaus gibt es mehr Diversity-Themen als je zuvor; fehlende Diversität in klinischen Studien zum Beispiel. Corona hat gezeigt, wie ungleich die Chancen auf ein gesundes und glückliches Leben in der Welt verteilt sind. Viele Unternehmen und Organisationen versuchen, hier besser zu werden.

Storytelling spielt in Healthcare eine große Rolle. Mit kommt es so vor, dass der Ansatz überwiegend ist, Patienten ihre Geschichte erzählen zu lassen. Das war es dann aber auch mit der Kreativität. Dominiert diese Herangehensweise weiterhin?

Frank: Ja. Es wird aber weniger. Ich bin da aber bei Ihnen. Wir versuchen deshalb, immer wieder andere Wege zu finden, eine Patientengeschichte zu erzählen – weg vom „Talking Head“. Wir hatten im vergangenen Jahr einen Case, in dem wir anhand eines U-Bahn-Fahrplans beschrieben haben, wo sich Patienten mit Komorbiditäten treffen. Mithilfe von Daten haben wir tausende Patientenerfahrungen ausgewertet. Was haben die gemeinsam? Ich habe in diesem Jahr weniger typische Patientenvideos gesehen. Sie sind aber schon oft noch ein Teil der Kampagne.

Welche Rolle spielen die digitalen Kanäle? Von welchen hält man sich als Healthcare-Organisation besser fern?

Frank: Ich würde nicht sagen, dass es Kanäle gibt, von denen man sich besser fernhält. Aber es gibt sicherlich Kanäle, auf denen Gesundheitsthemen wenig stattfinden. Ich habe zum Beispiel noch keine TikTok-Kampagne gemacht. Bei Health sind wir eher auf den länger etablierten Kanälen wie Facebook, Linkedin und Twitter als auf den von der Gen Z präferierten Plattformen präsent. Ich bin mir sicher, dass sich das ändern wird. Unsere Healthcare-Kunden sind sehr interessiert, mehr zu machen, um die Gen Z zu erreichen.

Manuel Frank ist Global Creative Chair for Health bei Edelman ©privat
Manuel Frank ist Global Creative Chair for Health bei Edelman © privat

Auf welche Kriterien schauen Sie bei der Bewertung von Kampagnen und Projekten besonders? Was ist Ihnen wichtig?

Frank: Es geht darum, Kreation mit Impact zusammenzubringen. Ein Projekt muss am Ende zu einer Aktion führen. Hat etwas eine tatsächliche Verbesserung bewirkt? Patientengeschichte, die sich zwei Millionen Menschen anschauen und dann passiert nichts, bringen es nicht mehr. Oft geht es um Veränderungen in der politischen Regulierung. „Period Poverty“ ist hierfür ein Beispiel. Oder es gibt ein Tool wie eine App, das den Patienten den Alltag erleichtert.

Was erwarten Sie von Cannes?

Frank: Dieses Jahr müssen sich Health, Wellness und Pharma zum ersten Mal mit allen anderen Kategorien messen. Die Kategorie ist eine wie jede andere. Ich hoffe, dass dadurch die Bereitschaft zu mehr Kreativität noch einmal gestärkt wird. Insgesamt ist Health bei guten Storys, die auch mal anders erzählt sind, noch häufig mit angezogener Handbremse unterwegs.

Das Cannes Lions International Festival of Creativity findet vom 20. bis 24 Juni statt. Deutschland entsendet 18 Jurymitglieder. Manuel Frank ist Mitglied der Jury, die die Arbeiten für die Shortlist auswertet.

 

 

 

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