„Wir brauchen ein neues Wirtschaftsmodell“

Maja Göpel im Interview

Donald Trump und Jair Bolsonaro erschweren den Kampf gegen den Klimawandel. Sich deshalb aber geschlagen zu geben, sei keine Option, meint Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung und Speakerin auf dem Kommunikationskongress 2019. Im Interview mit pressesprecher erklärt sie, welche Maßnahmen fürs Klima ergriffen werden müssen und wie die Regierung dabei alle Menschen mitnehmen kann.

 

Kommunikationskongress 2019 BerlinWir haben nur noch etwa zehn Jahre Zeit, um irreversible Veränderungen in unserem Ökosystem zu verhindern. Das steht in der Beschreibung Ihrer Keynote zum Kommunikationskongress. Warum tut sich die Politik beim Klima so schwer, obwohl das jedem klar ist?

Maja Göpel: Weil die Idee, dass wir innerhalb planetarer Leitplanken wirtschaften müssen, dem derzeitigen Wirtschaftsmodell von grenzenlosem Wachstum entgegentritt. Diese Botschaft ist seit 1972 in der Welt, aber es wird immer weiter nach Umwegen gesucht, wie es vielleicht doch nicht wahr sein muss. Deshalb haben wir viele Technologiesprünge und Effizienzgewinne eingestrichen. Das war sehr gut so, aber jetzt merken wir, ups, das reicht nicht aus. Nun steht ein tiefer Strukturwandel an – und die waren historisch betrachtet nie einfach.

Nachdem Notre Dame brannte, stand ganz Europa unter Schock. Millionen wurden für den Wiederaufbau gespendet. Jetzt brennt der Amazonas. Warum interessiert sich niemand dafür, obwohl die Schwere der Katastrophe ungleich größer ist?

Für uns war Notre Dame die Nachbarschaft. Ich glaube, dass es in Brasilien und im näheren Umfeld eine ganz andere Relevanz hat. Diese Botschaften bekommen wir ja auch durch die Sozialen Medien. Und es profitieren einige sehr von den Bränden, die dort Soja oder Rinder ziehen wollen, allerdings vor allem für den Export. Das ist Teil der Umweltproblematik generell, dass viele Ressourcen, die wir hier benutzen von woanders herkommen, und damit auch die meisten Konsequenzen, die durch deren Nutzung entstehen, woanders stattfinden.

Wie können wir denn Mehrheiten gewinnen, um Politik fürs Klima und den Erhalt der Umwelt umzusetzen? 

Wir sollten nicht unterschätzen, was viele Menschen bereit sind zu tun, wenn sie wirklich verstehen, worum es geht und das Gefühl haben, dass zusammen etwas verändert wird. Im Moment haben wir das Problem, dass jeder sagt, wieso soll ich mich denn ändern und die anderen machen nicht mit. Deshalb sind klare Abkommen und politische Rahmenbedingungen so wichtig. Auch unsere Wirtschaft fordert einen verbindlichen Fahrplan, um zu investieren. Nur wird das aktuell alles als Verzichtsdebatte gerahmt, anstatt dass es hier um die Innovationsagenda des guten Lebens im 21. Jahrhundert geht.

Zweitens wird viel von denjenigen gesprochen, die nicht viel dazu beigetragen haben, dass wir heute an diesem Punkt sind. Sie leben in den Ländern, die bisher deutlich weniger CO2 ausgestoßen haben und wenig Geld haben, um auf den Klimawandel zu reagieren. Wir zeigen aber gern dort hin, weil diese Länder gerade höhere Wachstumszahlen haben als wir und mehr Menschen. Dabei übersehen wir gerne, dass dort viele umweltschonende Innovationen entstehen und wir den Anschluss verlieren könnten. Die E-Autos sind nur ein Beispiel.

Drittens müssen wir in unseren Ländern ehrlich fragen: Welche Lebensstile sind es, die zu viele Umweltressourcen für sich in Anspruch nehmen? In den Medien diskutieren wir die ungedämmten oder ölgeheizten Häuser der Geringverdiener. Dabei ist doch die spannende Frage die, wie das Rollenmodell der Zukunft aussieht. Wir sollten uns fragen: Warum ist der dritte Wohnsitz und das vierte und überdimensionierte Auto immer noch Statussymbol anstelle eines Zeichens wirklicher Ignoranz?

Wieso ist es schwer, der Zukunft einen Platz am Verhandlungstisch zu geben, wie es in der Beschreibung Ihrer Keynote steht?

Im Grunde genommen haben wir eine in uns Menschen eingebaute Orientierung auf Kurzfristigkeit. Es ist einfacher, das Naheliegende zu priorisieren als das, was in der Zukunft kommt. Und dann haben wir die Logik demokratischer Wahlzyklen. Ständig ist Wahlmodus, und dann ist im Zweifel das, was für meine Wähler, also meine Stimmensammlung relevant ist, prioritär vor dem, was sich erst mittel- oder langfristig auszahlen wird. Unternehmen müssen Quartalsberichte vorlegen und daher immer kurzfristige Gewinne machen. Damit kann ich wenig transformativ investieren und wirtschaften. Wir haben also lauter strukturelle Verhinderer von langfristiger Orientierung geschaffen.

Was tun Sie in Ihrer Funktion als Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, um auf die Regierung einzuwirken, mehr fürs Klima zu tun? Welche Möglichkeiten haben Sie?

Unser Mandat ist es, Handlungs- und Forschungsempfehlungen zu formulieren. Bezüglich der strukturellen Kurzfristigkeit zum Beispiel haben wir schon 2011 in einem Gutachten vorgeschlagen, dass es eine Zukunftskammer in den Parlamenten geben sollte, wo explizit immer die langfristigen Konsequenzen mit in die Abwägungen eingebracht werden. Oder, dass bei jeder Kosten-Nutzen-Studie immer die langfristige Perspektive mitgedacht werden muss, so wie es der Stern-Report im Klimabereich oder die TEEB-Studie zur Biodiversität getan haben. Oder wie man es schafft, zukünftigen Generationen eine Stimme durch Ombudspersonen zu geben. Das wären konkrete Maßnahmen, um der Kurzfristigkeit etwas entgegenzusetzen. So kann das je nach Themenfeld anders aussehen, zum Beispiel welches Steuersystem uns in Zukunft helfen kann. Müsste man die Arbeit entlasten und die Ressourcen belasten? Wir suchen immer nach Möglichkeiten, wie uns gute Rahmenbedingungen helfen können, den Strukturwandel zu meistern und das Wirtschaften wieder in Einklang mit Ressourcengrundlagen und Klimastabilität zu bringen.

Wie bereitwillig setzt die Bundesregierung solche Vorschläge um?

Die Regierung besteht aus sehr vielen Menschen. Es gibt einige Ministerien, die aufgrund ihres Mandats sehr viel näher an dem sind, womit wir uns beschäftigen. Das sind das Umwelt-, das Forschungs- und das Entwicklungsministerium. Manchmal ist es das Auswärtige Amt, weil es Sicherheitsfragen sind, über die wir reden – der Klimawandel als Sicherheitsfrage. Es ist leider noch nicht so stark das Bundeswirtschaftsministerium. Die haben einen eigenen Beirat, dem sie mehr zuhören. Und der ist mit Menschen besetzt, bei denen Ökologie nur eine geringe oder keine Rolle spielt, allein weil Natur in den meisten ökonomischen Modellen nur als ersetzbarer Produktionsfaktor vorkommt. Sie wird nicht als Netzwerk des Lebens gesehen, welches nach eigenen biologischen und physiologischen Qualitäten funktioniert und sich im Zweifel einer Bepreisungsfrage entzieht. Dem Klima ist es ziemlich egal, wie viel wir uns das kosten lassen, es zu versauen oder nicht.

Sehen Sie, dass einige in der Regierung das Thema erkannt haben und handeln oder ist der Druck von Fridays for Future noch immer angebracht?

Natürlich gibt es auch in der Regierung Menschen, die für Nachhaltigkeit wirken. Deren Einfluss wächst jetzt immens, weil Politik sich an Wählern und dem öffentlichen Diskurs orientiert. Deshalb ist diese langfristig argumentierende Stimme für Klimapolitik aus der Gesellschaft wahnsinnig wichtig. Gut etablierte Akteure, die durch Nachhaltigkeitspolitik verlieren würden, haben typischerweise auch mehr Geld und Lobbyeinfluss als diejenigen, die dadurch gewinnen würden. Die Branche der erneuerbaren Energien ist hier ein gutes Beispiel: einige Wirtschaftszweige würden wachsen, andere schrumpfen. Aber typischerweise schreien die Verlierer am lautesten. Deshalb ist es so wichtig, dass auf der Straße ein Gegengewicht aufgebaut wird.

Wie gelingt es aber, alle Menschen beim Thema Klima abzuholen? Momentan hat man den Eindruck, dass die Menschen in den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen wie Brandenburg von den Plänen der Regierung nicht überzeugt sind. Sie fühlen sich nicht mitgenommen.

Da ist es mir unheimlich wichtig, dass wir mal kurz ehrlich sind und eingestehen: Dieser Unmut kommt nicht von zwei Jahren Klimapolitik. Das hat eine sehr viel längere Vorgeschichte und die ist nicht vom Bundesumweltministerium oder durch Klimawissenschaftler verursacht, sondern hat was mit einer Struktur-, Investitions- und Regionalpolitik der letzten drei Dekaden zu tun. Jetzt können wir es also als Chance begreifen, viele Unstimmigkeiten dort auf einmal anzupacken. Eine gute digitale und öffentliche Infrastruktur, Bildung- und Kulturförderung, dem Zug in die großen Städte zukunftsgewandte regionale Entwicklungsmodelle entgegensetzen. All das hat erst mal nichts mit Klimapolitik zu tun, aber viele Maßnahmen können auch der Klimafrage helfen, wenn sie gut umgesetzt werden.

Ich wehre mich dagegen, dass die Klimapolitik hier zum alleinigen Sündenbock wird. Wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen in den Think Tanks in Frankreich gesprochen. Auch die Gelbwesten sind nicht gegen Klimaschutz und nicht gegen Umwelt. Sie sind aber dagegen, dass die Energiesteuern hochgezogen werden, während die Reichen parallel dazu eine Steuerentlastung bekommen. Deshalb ist es ganz wichtig, die soziale Frage bei Umweltthemen mitzudenken. Für diese Bundesländer und Regionen geht es darum, ein Zukunftskonzept für ihre Identität in 20 Jahren zu entwickeln. Einen Fahrplan, der verlässlich und mit direkter Beteiligung der Betroffenen festlegt, wie dieser Strukturwandel umgesetzt wird und welche Ziele er alle umfassen soll. So können wir ganzheitliche und zukunftsorientierte Politik machen und diese Regionen als Vorreiter feiern – denn der Strukturwandel stoppt ja nicht nach der Kohle.

Gerade, wenn man sich Kampagnen der AfD anschaut, wirkt es, als wolle man Klimapolitik zum Sündenbock machen. Wie kommt man gegen diese Negativkampagnen an, die bei den Leuten verfangen?

Was die AfD im Vergleich zu anderen Parteien sehr viel konkreter macht, ist auf den Plakaten zu schreiben, was sich für die Menschen ändern wird. Da steht so etwas wie „digitaler Ausbau“ drauf, „bessere Zuganbindung“, „Meisterausbildung und Schülerticket werden kostenlos“. Bei Menschen wird ganz klar eine Vorstellung geweckt, wie sich ihr Leben konkret verbessert. Da steht dann auch „Naturschutz, keine Windmühlen mehr“. Da müssen wir auch ehrlich auswerten, wie der Windkraftausbau bisher stattgefunden hat. Einbettung in die Landschaft, welche Dichte, wer repariert die Straßen, wenn die Tieflader da rüber gerauscht sind und ganz wichtig: Wie wird die Bevölkerung eingebunden? Bürgerenergieinitiativen sind durch neue Vergaberichtlinien rasant zurückgegangen, doch von denen profitieren die Menschen direkt. Die erneuerbare Energien-Politik ist die letzten Jahre nicht zielführend adaptiert worden. Deshalb die ganze Energieform abzulehnen, ist aber genau wieder zu kurz gedacht.

Wie müsste Politik kommunizieren, um das Thema so in den Mittelpunkt zu stellen, dass sich dessen jeder bewusst wird?

Wir sind historisch betrachtet an einem Punkt, wo es um ein neues Betriebssystem für unsere Ökonomie geht. Es geht ja nicht nur ums Klima, sondern auch um viele andere Ressourcen und Ökosysteme. Das Weltwirtschaftsforum listet Umweltfragen inzwischen ganz oben in ihren jährlichen Global Risk Reports. Planetare Grenzen einzuhalten, bildet also einen Sicherheitsrahmen, weil wir eben nicht riskieren, dass das Klima aus der Balance kippt, dass unsere Biodiversität implodiert, dass irgendwann Afrika auf geschlossene Grenzen für Menschen damit reagiert, sie auch für die Rohstoffe zu schließen und wir hier auf dem Trockenen sitzen. Es ist eine Sicherheitsstrategie und eine humane Strategie. Ich würde diese ehrliche Diagnose mit einer Vision verbinden. Eine konsequente Kreislaufwirtschaft, die den Eingriff in die Natur maximal reduziert und das, was wir schon entnommen haben, maximal wieder verwendet und neu kombiniert. Das ist eine komplett neue Form, Wirtschaft zu denken. Wir wollen in Deutschland Innovationsland sein und halten in der Vision, wo es hingehen soll, am Rückspiegel fest. Das ist völlig verrückt.

Sehen Sie Tendenzen, dass ein Umdenken in diese Richtung stattfindet?

Wir sind an einem Punkt, wo vielen bewusst wird, dass das kein Quatsch ist, der in der Nachhaltigkeitswissenschaft erzählt wird. Das wird ganz konkret in unserem Alltag spürbar. Vorher waren das immer Simulationen der Zukunft und betroffen waren andere Teile der Welt. Jetzt nehme ich drei Lager wahr: die, die sagen, das machen wir jetzt und setzen alle Hebel in Richtung Transformation. Und es gibt die, die noch auf dem Zaun sitzen und warten. Wann ist die kritische Masse erreicht, dass ich mich traue? Hier springen jetzt so einige. Und dann gibt es eine Gruppe, die sagt entweder, ich will das nicht glauben oder es ist mir total egal. Deshalb geht es auch nicht darum, alle vollends überzeugt zu haben. Demokratie ist ein Aushandeln von Interessen und es geht darum, in dem Bereich zu agieren, der Minoritäten schützt und trotzdem mit Mehrheiten Dinge in Bewegung setzen zu dürfen. Und auch klar zu benennen, wenn die Gewohnheiten und Interessen von einigen heute im Konflikt stehen mit dem guten Leben von vielen morgen.  

 

Mit der Frage, was zu tun ist, um unser Klima noch zu retten, wird sich Maja Göpel auch auf dem diesjährigen Kommunikationskongress beschäftigen. Der Titel der Keynote ist: „Die Diktatur des Jetzt in Zeiten globaler Umweltveränderungen“.

 

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