Wie läuft es, Herr Winiarski?

Ein halbes Jahr ist RCKT am Start

In Ihrem Agenturnamen findet man so gar keinen Vokal. Wie spricht man ihn aus?

Andreas Winiarski: Ich sage R-C-K-T, also in ­Einzelbuchstaben ausgesprochen. Das ist eine gern in Kauf ­genommene Ableitung von Rocket Internet, denn Rocket ist ein starkes Asset für uns.

Sie sind jetzt ein halbes Jahr am Markt. Wie läuft’s?

Seit Gründung konnten wir unseren Umsatz fast verdreifachen. Seit einem Monat sind wir nun profitabel. Nur 25 Prozent des Umsatzes kommt von den Rocket-Firmen. Dieses schnelle Wachstum verdeutlicht den Zuspruch aus dem Markt. Wir standen sicherlich für vieles und ich freue mich, dass wir das auch einlösen konnten. Immerhin: Wir haben nach einem halben Jahr nicht einen Kunden im Streit verloren. Natürlich haben wir auch eine bessere Preisstruktur als der gewöhnliche Anbieter am Markt.

RCKT ist also nicht einfach die Agentur-Bude von Rocket ­Internet.

Nein. Wir sind kein Rocket-Shop, wie man im ersten Moment denken könnte. In der ersten Woche, als wir gestartet sind, haben uns über 100 Unternehmen kontaktiert. Sprich, die Kunden kamen auf uns zu. Ungefähr ein Drittel haben wir als Kunden angenommen. Darunter auch Marken, um die man sonst lange pitchen müsste. Wir hatten auch viele Bewerbungen von Leuten, die bei uns arbeiten wollten. Insgesamt haben wir also viele Vorschusslorbeeren erhalten. Aber das Wichtigste ist immer, bescheiden zu bleiben.

Wer gehört zu Ihren Kunden ­jenseits des Rocket-Universums?

Wir haben viele Start-ups aus Deutschland gewonnen, Adjust oder Geile Weine zum Beispiel. Aber auch ein Big Player wie Merck aus Darmstadt gehört dazu. Die Messe Frankfurt war unser erster Kunde, den wir kommuniziert haben – nicht weil wir es unbedingt wollten, sondern der Kunde. Denn wir selbst werden keine Kultur entwickeln, uns über jeden Schritt laut zu freuen. Wir werden auch nicht bei diesem Award-Zirkus mitmachen. Wir gucken auf uns selbst, bleiben bescheiden und versuchen, unseren Leuten ein tolles Umfeld zu bieten. So bekommt zum Beispiel jeder Mitarbeiter seit dem ersten August eine deutschlandweite Fitness-First-Mitgliedschaft. Dafür geben wir gern Geld aus, aber nicht für den Gewinn irgendwelcher Preise.

Ihr Start am Markt war damals begleitet von Schlagzeilen à la: „Samwer-Brüder greifen Agentur-Markt an“, „Rocket Internet macht’s sich selbst und hat jetzt eigene Werbeagentur“. Nett klingt anders. Wie hat die Agenturwelt auf Sie reagiert?

Ich hätte nicht gedacht, dass das so große Wellen schlägt. Die, die uns näher kennen, haben sich gefreut, Wigan Salazar hat sogar auf „Horizont“ einen sehr netten Gastbeitrag geschrieben. Ich habe den Eindruck, der Markt ist reif für Disruption. Bei der Hälfte der Agenturen frage ich mich wirklich, wie sie ihr Geld verdienen – ehrlich. Wenn du ein gutes Angebot hast und ein Team mit guten jungen Köpfen, ist es leicht, Kunden zu finden. Mein Wahlspruch lautet: Coole Leute machen coole Sachen. In Berlin gibt es beispielsweise noch TLGG, die einen ähnlichen Ansatz fahren.

Raketenstart: RCKT steht ganz gut da, nachdem die Agentur im Februar an den Markt ging. (c) Laurin Schmid

Wie sieht dieser Ansatz aus?

Das Internet verändert alles. Und natürlich bieten alle alles an. Jeder sagt dir: „Wir machen jetzt auch das Digitale.“ Ich sehe das so: Wenn ich Englisch lernen will, kann ich zu einem Franzosen gehen, der seit einem Jahr Englisch spricht. Oder ich gehe gleich zu einem Engländer. Leider sind viele Franzosen im Markt unterwegs. Wir sind eine Digital-Native-Agency. Der Altersdurchschnitt liegt bei uns bei 26. Und um gleich Kritik vorzubeugen: Wir sagen auch unseren Kunden ganz klar, was wir nicht können.

Und das wäre?

Zum Beispiel könnten wir keine komplette Media­planung oder IPO-Kommunikation übernehmen. Auch eine umfassende Werbekampagne für eine Global Brand über Länder hinweg wäre nicht denkbar. Wir wollen zwar das neue Jung von Matt werden, aber das ist ein weiter Weg. Man sollte nicht denken, nur weil wir jung sind, haben wir keine Demut, aber was soll uns aufhalten? Der technologische Fortschritt und die Biologie sind eh auf unserer Seite.

Sie wollen sich also schon mehr auf digitale ­Kommunikation ­fokussieren mit Option auf ­Allround?

Wir wollen uns nicht in eine Schublade stecken lassen. Der Kunde denkt schon längst nicht mehr so. Der Kunde will einfach Erfolg haben. Unser Commitment liegt klar auf Performance. Wir sind als PR-Agentur gestartet. Aber das, was meine Leute daraus machen, die ja alle im Schnitt zehn Jahre jünger sind als ich, das ist ein Kondensat aus PR-, Werbe- und Digitalagentur. Uns geht es um kreativen Inhalt. Dafür haben wir auch junge Talente aus aller Welt hier. Bei uns ist nicht die Agentur so gut wie der Chef, sondern umgekehrt. Diese Digitalität und Internationalität macht den Unterschied zur normalen Agentur, wo die Belegschaft älter ist und klassischer gedacht wird.

Geht es tatsächlich um die ­Kreativität der jungen ­Leute oder darum, dass sie als ­Berufseinsteiger vergleichsweise niedrige Gehälter erwarten?

Nee. Wir zahlen weit über Schnitt. Ich finde es unanständig, Berufsanfänger mit 1.600 Euro abzuspeisen. Bei uns liegt das PR-Einstiegsgehalt immer über 30.000 Euro. Wenn jemand dieses Quäntchen Mut mitbringt, zahle ich auch gern mehr. Ich schaue dabei nicht auf das Alter. Mit geht es schlicht um den Added Value für die Agentur und den Kunden.

Wie viele Mitarbeiter arbeiten jetzt genau bei RCKT?

Wir sind gestartet mit 25. Jetzt sind es über 50 und zum Jahresende sollen es an die 70 werden.

Andreas Winiarski im Gespräch mit Redakteurin Felicitas Ernst. (c) Laurin Schmid

Rocket Internet hat bei vielen Menschen einen schlechten Ruf. Da ist von „Klon-Brüdern“ die Rede, von sadistischen Tendenzen im Führungsstil von Oliver ­Samwer. In der ZDF-Dokumentation „Die Samwer-Show“ spricht Neil Blumenthal, ein Firmengründer aus New York, von Hass auf die Samwers und der Hoffnung auf ihren Niedergang. Und, und, und. Wie fühlt sich das an, wenn einen keiner mag?

Hass ist eine Sünde. Ich denke nicht, dass Neil Blumenthal seine Aussage so wiederholen würde. Dieses Zitat liegt Jahre zurück. Ich glaube, dass die Frontal21-Redaktion insgeheim Fan von uns ist.

Schwer vorstellbar.

Oh doch. Aber falls nicht, ist das auch okay. Das Internet ist die Technologie unserer ­Generation. Und die Samwers machen das in einer Liga, die weltweit für Beachtung sorgt. Er ist nicht umsonst von der britischen „Wired“ zum „most powerful European Tech“ gewählt worden.

Gleichzeitig wird in dem ­Artikel beschrieben, wie schwer es war, ihn für ein Statement zu ­gewinnen. Oliver Samwer begründet das mit der ­Tatsache, dass er viel arbeite und sich ­fokussieren ­müsse. Er spricht ­äußerst selten mit Journalisten.

Wir wollten „Wired“ erst kein Interview geben, weil sie vor einigen Jahren einen absolut unfairen Artikel geschrieben haben. Letzten Endes haben sie ja das Interview bekommen. Und so schwer, wie sie es dargestellt haben, war das für „Wired“ gar nicht. Das ist mit Frontal21 genauso: Da wurde behauptet, sie hätten ewig um ein Interview gebeten. Das stimmt einfach nicht. Da wird einfach mit der Unwahrheit hantiert, weil es dem Klischee entspricht. Dass die Samwers in einer Liga erfolgreich sind, die als extrem wichtig definiert wird, muss man doch anerkennen. Angela Merkel nannte Oliver Samwer „Digital Frontrunner“. Vom unternehmerischen Standpunkt her kann ihm niemand was vormachen, denn das, was dieser Mann in 15 Jahren aufgebaut hat, ist weltweit einzigartig. Und was das Menschliche anbelangt, möchte ich gern mal wissen, wer von den Kritikern ihn wirklich kennt. Ich kenne ihn sehr gut, ich habe sehr hohe moralische Ansprüche und ich könnte auch woanders arbeiten, wenn mir das hier nicht zusagen würde.

Sie sprechen von Moral. Ist es moralisch vertretbar, wenn man eins zu eins Geschäftsmodelle kopiert und sogar die Geschäftsbedingungen gleich mit, in denen dann sogar vergessen wurde, den Originalfirmennamen zu entfernen?

Das ist ein Einzelfall, der pauschalisiert wurde. Ist „pressesprecher“ das erste Magazin, das über PR-Schaffende berichtet? Nein, natürlich nicht. Innovation lebt von Adaption. Wir sollten froh sein über jeden, der ein Stück Wettbewerb ins Spiel bringt. Diese Klon-Debatte hat sich in der Tech-Szene in den vergangenen Jahren schon längst abgekühlt. Es ist schließlich keine Haltung, so zu tun, als ob das Internet den Amerikanern gehört. Tut es nämlich nicht.

Was sagen Sie zu dem ­Vorwurf, dass durch das Vorgehen von Rocket Internet, erfolgreiche Geschäftsmodelle zu ­kopieren, der Ruf Deutschlands als ­Erfinder-Nation gestört wird?

Wir haben viel zu wenige Hasso ­Plattners, keine Frage. Aber das kann man uns doch nicht anlasten, sondern das ist vor allem ein Versagen der Wirtschaftseliten. Das Problem liegt auf der Seite des Geldes. Wir haben in Deutschland leider nicht die Entrepreneurial Culture. Wir haben große Konzerne, die vor allem von Managern geführt werden.

Wenn das Büro mal wieder verwaist ist, hängt dieses Schild an der Klinke. (c) Laurin Schmid

Sie kritisieren also, dass ­Investoren hierzulande zu wenige ­Risiken eingehen und kein Geld in innovative Projekte stecken.

Ja. Jetzt könnte man sagen, Rocket sei auch nicht innovativ. Aber Rocket ist in einer anderen Form eben doch innovativ. Nämlich in der Ausführung: Wir nutzen existierende ­Modelle. Rocket bringt diese dann in Märkte, in denen oftmals noch gar nichts ist. Bei aller Kritik, man muss doch auch Oliver Samwers Leistung respektieren. Und: Wenn man wirklich digital werden will in Deutschland, dann sollte man die Galionsfigur, die man hat, auch etwas mehr annehmen.

Sie sind Agenturchef und ­gleichzeitig Kommunikationschef von Rocket Internet. ­Wie ­funktioniert das?

Klar, ich habe zwei Hüte auf, das ist aber gar nicht mal die riesige Herausforderung. Es ist vor allem eins: verdammt viel Arbeit.

Wie oft sehen Sie Ihren Chef Oliver Samwer?

Virtuell jeden Tag.

Auf dem diesjährigen Kommunikationskongress halten Sie einen Vortrag. Er trägt den Titel „Sind wir nicht alle ein bisschen Rocket Internet?!“

Ist doch nett, oder?! (lacht)

Es gibt mit Sicherheit einige ­Menschen, die dem entschieden widersprechen würden.

Genau diese Leute zu identifizieren, darum geht’s doch. Die brauchen nämlich am meisten digitale Nachhilfe.

Was meinen Sie mit dieser Frage?

Unter anderem will ich die Alltäglichkeit des digitalen Wandels damit zeigen. Ich glaube nicht, dass digitaler Wandel bedeutet, mir für viel Geld eine Agentur einzukaufen. Mir geht es um den Blick über die Schultern in den digitalen Alltag. Und das fand ich mit der Anlehnung an den Bluna-Claim gut ausgedrückt. Wenn ich das höre: „Der Case soundso am Beispiel von soundso“ hört sich doch schon nach Seminararbeit an, da hat doch keiner Freude dran. Ich glaube, der digitale Wandel gelingt nur, wenn wir den Spaß am Unternehmertum wiederentdecken.

Wahrscheinlich tragen Sie auch auf dem KKongress wieder ­Lederhose. Was hat es mit ­diesem Outfit auf sich? Gibt es eine ­Geschichte dahinter?

Eine Geschichte gibt es nicht. Ich trage einfach viel Schwarz, weil es die morgendliche Entscheidung simplifiziert. Ich predige zwar die Botschaft: „Der Mensch als Marke.“ Aber andere Sachen sind mir eigentlich wichtiger, zum Beispiel, dass ich gerade 15. Hochzeitstag gefeiert habe. Dafür würde ich meine schwarze Lederhose sofort hergeben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Storytelling – Marken machen ohne Märchen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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