Unternehmensstrategie und Storytelling

Geschichten strategisch kommunizieren

Geschichten sind das Betriebssystem unserer Gesellschaft. Sie sind der soziale Kitt, der Freundschaften, Organisationen und sogar ganze Kulturen zusammenhält. Und sie stiften Identität. Das gilt für persönliche Erlebnisse ebenso wie für übergreifende Erfolgs-Stories wie „Das Wunder von Bern“ oder den „American Dream“.

Jeder Mensch erzählt täglich ­Geschichten, von der Urlaubsanekdote bis hin zur ­Gute-Nacht-Geschichte. Gerade über die Geschichten unserer Kindheit, über Filme oder Cartoons lernen wir schon von klein auf, unsere Welt in klassischen Erzählmustern wie „Das Gute schlägt das Böse“ oder „Der Held rettet die Prinzessin“ wahrzunehmen.

Digitalisierung bringt Storytelling zurück

Neu ist das alles also nicht, aber die Relevanz von Storytelling für die Unternehmenskommunikation wird durch die Digitalisierung neu begründet. Wir vertrauen in sozialen Netzwerken nicht mehr klassischen Autoritäten, sondern vor allem Familie und Freunden laut Edelman Trustbarometer 2015. Daher liegt eine Herausforderung für die Unternehmenskommunikation darin, Teil dieser Gespräche zu werden. Soziale Netzwerke und Messaging Apps mit den stärksten Wachstumsraten sind laut Global Web Index 2014 allesamt bildbezogen, zum Beispiel Snapchat, Instagram oder Pinterest. Das ist nur ein Beleg für den sich immer stärker abzeichnenden Trend zur Bild- und Bewegtbildkommunikation – starke Bilder liegen auch in der Natur des Geschichtenerzählens.

Dazu kommt, dass sich laut der Microsoft-Studie „Attention Spans“ von 2015 die menschliche Aufmerksamkeitsspanne angesichts der digitalen Informationsflut immer weiter verkürzt. Emotionale, bildbezogene Geschichten können ein Weg sein, um auf den hart umkämpften Aufmerksamkeitsmärkten zu bestehen. All das sorgt dafür, dass Storytelling vielleicht noch nie so relevant für Kommunikatoren war wie in unserer heutigen digitalen Gesellschaft. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass das (vermeintliche) Wundermittel Storytelling plötzlich sämtliche Probleme der Kommunikatoren löst.

Storytelling strategisch begreifen

Beispiele für Unternehmen, die einmalig eine einzelne Story im Social Web verbreitet und es dann dabei belassen haben, gibt es zur ­Genüge. Vielmehr als (bestenfalls) ein paar Millionen Klicks, die dem Management einmalig als „Performance-Nachweis“ vorgelegt werden, bleibt davon nicht übrig. Und auch dieser wird nur kurzfristig Bestand haben, denn Reichweite allein kann den Wertschöpfungsbeitrag von Unternehmenskommunikation kaum hinterlegen und wird das Top-Management somit nicht überzeugen.

Damit Storytelling auch auf Meinung, Einstellung und Verhalten von Stakeholdern wirkt, muss es in die Entwicklung der Kommunikationsstrategie integriert sein. Das bedeutet, dass die Geschichten auf ­Kommunikationsziele einzahlen sollten, die sich aus den Unternehmenszielen ableiten. Auch Kontinuität und Langfristigkeit spielen bei strategisch angelegtem Storytelling eine wichtige Rolle. One Hit Wonder-Stories werden das Vorstellungsbild, das sich Anspruchsgruppen zu einem Unternehmen bilden, kaum nachhaltig beeinflussen. Und auch Budgets werden für diese Art von kurzfristig gedachter Kommunikationsarbeit nur schwer zu generieren sein – denn ohne Zielanbindung wird ­Storytelling zum Selbstzweck.

Corporate Story als Kraftzentrum des Geschichtenerzählens

Bei dem eigentlichen Storytelling handelt es sich um das Erzählen vieler kleiner Geschichten für verschiedene Anspruchsgruppen. Es findet auf der operativen Ebene statt und hat beispielsweise mit der internen Suche nach Protagonisten, dem Schreiben von Storyboards oder auch dem Produzieren von Videos zu tun. Ein strategischer Storytelling-Ansatz will mit diesen Einzelgeschichten die große, übergeordnete Geschichte eines Unternehmens unterstützen. Eine solche „Corporate Story“ ist eine narrative Klammer, die umfasst, wer das Unternehmen eigentlich ist, woher es kommt und wohin es will. Sie fokussiert die Mitarbeiter auf den gemeinsamen Erfolg, stiftet Identität, spiegelt die DNA des Unternehmens wider und macht die Markenwelt und ihre Positionierungsmerkmale erlebbar.

Der Entwicklungsprozess einer strategisch verankerten Corporate Story beginnt mit der Frage nach der Historie des Unternehmens. Wo kommt es her? Welche Hoch- und Tiefpunkte hat es erlebt? Und auf welche Werte und Ressourcen konnte es zurückgreifen, um Konflikte und kritische Situationen zu überstehen? In der Betrachtung des Werdegangs steckt viel narratives Potenzial, denn gute Geschichten leben von ihrem Spannungsbogen mit Höhen, Tiefen und Wendepunkten.

Auf dieser Basis gilt es, die Mission eines Unternehmens zu betrachten. Was ist sein Daseinszweck? Welchen Mehrwert leistet es für die einzelnen Anspruchsgruppen? Was würde ihnen fehlen, wenn das Unternehmen nicht mehr da wäre? An dieser Stelle lässt sich eine Brücke zu den Produkten und Dienstleistungen schlagen, die ein Unternehmen anbietet. Sie sind eine maßgebliche Schnittstelle zu externen Stakeholdern und wichtiges Repräsentationsgut. Für die Corporate Story ist vor allem relevant, worin sie sich vom Wettbewerb unterscheiden. Was macht sie unverwechselbar?

Jede große Geschichte hat ihren eigenen Erzählduktus. Ihren eigenen Stil, der ihr Charakter verleiht. Diesen Charakter gilt es auch für die Corporate Story zu finden. Er wird von der Rolle festgelegt, die ein Unternehmen erfüllt, etwa in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit oder in relevanten Fach-Communities. Über all diesen Bestandteilen einer Corporate Story schwebt die Frage nach der strategischen Ausrichtung: Wo will das Unternehmen hin? Welche Ziele und Entwicklungsperspektiven verfolgt es? Gelingt es, die Unternehmensstrategie über die Corporate Story zu transportieren, wird diese business-relevant und erzeugt somit auch beim ­Top-Management Aufmerksamkeit. Sind all diese Punkte geklärt, steht das Grundgerüst für eine Corporate Story. Dieses gilt es im Anschluss mit Geschichten lebendig zu ­machen. Und das funktioniert am besten mit übergeordneten Themen.

Grafik: Jens Cornelißen  

So entsteht eine Corporate Story mithilfe von unternehmensbezogenen Fragen (c) Jens Cornelißen

Strategische Themen machen die Corporate Story lebendig

Die übergeordnete Corporate Story lässt sich nur selten direkt übersetzen, da der Schritt von der großen Geschichte zu Youtube-Videos oder Stories in der Mitarbeiterzeitung zu groß ist. Daher müssen zunächst übergeordnete Themen definiert werden, die die Corporate ­Story strukturieren. Sie bilden gewissermaßen den Buchrücken, der die vielen einzelnen Geschichten zusammenhält. Bestenfalls sind diese übergeordneten Themen in der Kommunikations­strategie bereits angelegt und aus der Unternehmensstrategie abgeleitet. Besteht das Unternehmensziel beispielsweise darin, ein führender Telekommunikationskonzern zu werden, sind strategische Themen wie Innovation, Herausforderungen der Digitalisierung oder auch Versorgung durch Netz­ausbau relevant. Ebenso können diese strategischen Themen im Entwicklungsprozess der Corporate Story abgeleitet werden.

Die Übersetzung der übergeordneten Themen in einzelne Geschichten ist das eigentliche Storytelling und bringt die Themen auf die Straße. Das Beispielthema Innovation könnte etwa über den Alltag einer Forschergruppe transportiert werden, die an neuen IT-Lösungen oder innovativen Produkten feilt. Was macht die Forscher als Charaktere aus? Vor welchen Problemen stehen sie täglich? Welche Erfolgserlebnisse treiben sie an? Welche Konflikte mussten sie in der Vergangenheit überwinden, um eine wegweisende Innovation realisieren zu können? Stories zeichnen sich durch spannende Protagonisten aus, die im Mittelpunkt stehen und ihre eigenen Stories erzählen. Wer an dieser Stelle anfängt, klassische Imagefilme zu produzieren, erzählt keine Geschichten. Sie leben von Helden, von Spannung, Wendungen und Emotionen.

Zum Ausspielen der Stories sind verschiedene Medien und Kanäle denkbar. Natürlich bieten sich kurze, emotionale Videos an, die die Protagonisten in den Mittelpunkt stellen. Aber auch in Print-Form lassen sich spannende Geschichten von Mitarbeitern erzählen und über Intranet, Mitarbeiterzeitung oder Corporate Blog verbreiten. Ein besonderes Potenzial liegt in der crossmedialen Verzahnung der einzelnen Medien und Kanäle. So können Stories beispielsweise über kurze Vines angeteasert, über ­Twitter verbreitet und letztlich auf Youtube ausgespielt werden.

Grafik: Jens Cornelißen 

Das strategische Haus der Unternehmenskommunikation (c) Jens Cornelißen

Ausblick

Wie lange Storytelling als Begriff in Mode bleibt, ist noch nicht abzusehen. Klar ist aber: Menschen interessieren sich für Menschen – und immer weniger für abstrakte Organisationen oder Produktdetails. Warum also nicht Kunden, Mitarbeiter oder Lieferanten zu Helden, Entdeckern oder Zauberern machen, sie ihre ganz persönliche, emotionale Geschichte erzählen lassen und damit Geschäftsziele unterstützen?

Strategisch angelegtes Storytelling hat weitaus mehr Potenzial als unterhaltsame Social Media-Videos, die nur produziert werden, weil das Geschichtenerzählen gerade im Trend liegt. Eingebettet in die Kommunikations­strategie unterstützt Storytelling diese und macht sie den Anspruchsgruppen verständlich. Aufmerksamkeit, Sympathie oder die Betonung einer positiven Rolle in der Gesellschaft sind nur einige Beispiele für Ziele, auf die Storytelling einzahlen kann.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Storytelling – Marken machen ohne Märchen. Das Heft können Sie hier bestellen.