Vor einigen Jahren habe ich an dieser Stelle über selbstvermarktungsfreudige Winzer geschrieben, die mir ihren Nacktarsch am Telefon angeboten haben. Ich telefoniere an sich gerne, aber es nervt doch fürchterlich, wenn man sich – den Hörer am Ohr, die Augen auf den Monitor gerichtet, die Finger auf der Tastatur, das Hirn an der letzten Stelle des gedanklich gerade formulierten passenden Satzes in dem Moment, als das Telefon klingelte – ungefragt allerhand Werbe-Blubb anhören muss.
Solcherlei Nacktarscherei – also im wahrsten Wortsinn blanke Kalt-Akquise – ist immer eine schwierige Sache und in der Regel auch gar nicht erlaubt. Ich verstehe natürlich die Betriebe, die scheinbar in einem wettbewerblichen Überlebenskampf ihrer Verzweiflung dadurch Ausdruck verleihen, dass sie mich immer wieder anrufen. Bitte, bitte, kauf mich. Bei den Winzern hätte ich vielleicht irgendwann klein beigegeben und den einen oder anderen Fürst von Dingenskirchen verkostet.
Das ist aber alles nichts gegen den fast schon fanatischen – um im Winzer-Bilde zu bleiben – Nacktarsch-Eifer, mit dem der Kabelnetzbetreiber Unitymedia Telefon-Werbung betreibt. Mit schöner Regelmäßigkeit rufen mich die Frauen Beckers und Herren Meisners (und wie sie alle heißen, wenn sie denn so heißen) an, um für „die beste und schnellste Internetverbindung“ zu werben.
Schlechte Schlagzeilen lassen sich nicht wegtelefonieren
Das mit dem besten und schnellsten Internet haben sich die beauftragten Telefon-Akquisiteure vielleicht auch nur ausgedacht. In den Medien habe ich zumindest zum selben Zeitpunkt Schlagzeilen gelesen wie „Unitymedia: Totalausfall mit Folgen“, „Erneut Großstörung bei Unitymedia“ oder „Internet lahmgelegt, Unitymedia kämpft mit Online-Störung“. Vom schnellsten und besten Netz stand da nichts.
Vielleicht weiß in der Firma auch einfach keiner, wie man draußen über sie berichtet. In jedem Falle ist das Zusammentreffen von negativer Presse einerseits und nach Ewig-grüßt-das-Murmeltier-Art sich wiederholenden Selbstdarstellungs-Anrufen andererseits ein ziemlich schlechter Stil. Mindestens aber schlechtes Timing. Negative Schlagzeilen lassen sich nicht durch unerbetene Werbeanrufe wegtelefonieren.
Überzeugen statt überreden
Wenn die horrende Zahl der fast schon verzweifelten Versuche einer telefonischen Kundengewinnung auf den zugrunde liegenden Grad des Geschäftserfolgs schließen lassen, muss es einem solchen Unternehmen wohl ziemlich schlecht gehen. Im Grunde genommen packen es die telefonischen Werber auch falsch an. Ihre in meinen subjektiven Ohren an einen Hilferuf erinnernde regelmäßig Kontaktaufnahme – obwohl mehrfach ausdrücklich untersagt – scheint mehr auf Überreden zu setzen, denn auf Überzeugen. Und das ist ein Unterschied.
Wir können versuchen, Journalisten zu überreden, doch „bitte, bitte“ aus einer Pressemitteilung eine Veröffentlichung zu machen oder – noch besser – „unsere Pressemitteilung abzudrucken“ (um einen gelegentlich von Teilnehmern in meinen Presse-Seminaren vorgetragenen Halbsatz zu zitieren). Das ist aber der falsche Weg und wird sehr wahrscheinlich nichts bringen. Besser ist es, durch Informationen zu überzeugen, Themen vorzuschlagen und zu prüfen, ob diese oder jene Info für das gewählte Medium und dessen Leser, Zuhörer oder Zuschauer relevant sein kann.
Empfängerorientiert kommunizieren
Vielleicht hätten die Unitymedia-Nervensägen sogar belastbare Informationen für mich, allein sie sind für mich nicht relevant. Sie werden nicht interessanter oder relevanter und ich nicht bedürftiger, umso häufiger man mir diese Infos anbietet. Einmal abgesehen davon, dass in diesem Fall das extrem starke Werben um einen Neukunden ohnehin nicht von Informationen geprägt war, sondern von purer Selbstdarstellung.
Zu den Pressemitteilungen noch ein kleiner Einschub: Wir können wohl davon ausgehen, dass angesichts tausender Pressemitteilungen, die jeden Tag deutsche Redaktionen fluten, nicht jede noch so gute Information eine Gelegenheit zum Überzeugen erhält. Im Grunde ist das am Telefon nicht anders. Irgendwann ist es ein Masse-Zeit-Problem.
Je besser aber Informationen verständlich aufbereitet, wirkliche News und Nutzen für Leser und Zuschauer dargestellt und empfängerorientiert (!) kommuniziert werden, umso eher hat man damit Erfolg. Das gilt für Pressemitteilungen, Newsletter, Website-Texte oder Reden gleichermaßen. Und ganz sicher auch für Telefon-Akquise. Einfach mal an das Gegenüber denken.