„Im kommenden Quartal wird unser Headquarter einem Reengineering unterzogen“, „Unserem Unternehmen steht eine Zeitenwende bevor“ – wie würden Sie auf solche oder ähnliche Ankündigungen Ihres Arbeitgebers reagieren?
a) Endlich ein bisschen Action hier!
b) Und worum geht’s jetzt schon wieder?
c) Ich leg mich wieder hin.
Für alle, die der frische Wind schon so manches Mal fast davongeweht hat, hier eventuell ein kleiner Trost: „Veränderungsmanagement ist keine Modeerscheinung“, heißt es im Beitrag der Wikipedia. Natürlich hat es schon immer den Druck gegeben, sich im Hinblick auf Konkurrenz und Marktlage an neue Gegebenheiten anzupassen. Doch die Zyklen folgen in kürzeren Abständen aufeinander, die Ruhepausen willkommener Routine verknappen sich. Der „Normalzustand“ ist in manchen Branchen zu einem seltenen Gast geworden, während die Sehnsucht nach ihm stetig wächst. Brauchen wir künftig also besseres Stability-Management, Continuity-Berater, die erklären, wie man erfolgreich so bleibt, wie man ist?
Zunächst einmal brauchen wir versierte und vertrauenswürdige Operateure, die geplante Änderungen fachmännisch durchführen. Egal ob es sich für das Unternehmen um kleine Schönheitskorrekturen, Aderlässe oder gar existenzrettende Eingriffe handelt: Der Kommunikation ist während solcher Prozeduren die (nicht immer dankbare) Rolle beschieden, über Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Um den atmosphärischen oder kommunikativen Kollaps zu vermeiden, hilft oft am besten die goldene Regel aus dem Erste-Hilfe-Kurs: stabilisieren und wärmen.
Sehnsucht nach Konstanten
Wir verändern uns ständig und aus den unterschiedlichsten Motivationen heraus. Während private Veränderungen meist entweder bewusst gewählt sind, zum Beispiel, wenn wir umziehen oder uns für ein Kind entscheiden – oder aber vom Schicksal aufgedrückt, fühlt es sich im Unternehmen anders an. Hier sehen wir mächtige Andere, die uns vor vollendete Tatsachen stellen, womöglich mit Sätzen wie „die Marktlage erfordert diesen Wandel“ eine scheinbare Alternativlosigkeit ihres Tuns demonstrieren.
„Mitarbeiter erleben Change-Vorhaben oft als Übergriff von anderen, die sich profilieren wollen und sich dabei vielleicht nicht einmal fachlich auskennen“, sagt Martina Schmidt-Tanger, die sich als Psychologin, Coach und Buchautorin auf das Thema Veränderung spezialisiert hat. Dieser Eindruck und das Gefühl der Mitarbeiter, dass es nicht um sie geht, evozierten Widerstand, „zumal Change in den meisten Fällen ja nicht etwas Tolles für alle ist, wie mehr Urlaubstage oder die Eröffnung eines Firmenkindergartens, sondern mit Verlusten verbunden“.
Der Mensch hat ein enormes Bedürfnis nach Konstanz. Laut Schmidt-Tanger folgt dieses einer tief verankerten und ziemlich naiven Logik: „Wenn alles so bleibt, wie es ist, muss man nicht sterben.“ Nur die Neugier wirke dieser Neigung entgegen. Jede Veränderung beinhaltet eine Anstrengung. Und selbst wenn wir uns ganz privat aus freien Stücken für eine Veränderung entscheiden, wird es dennoch einen leisen inneren Widerspruch gegen die Unbequemlichkeit geben, die diese mit sich bringt.
„Menschliche Grundbedürfnisse, die seit Tausenden von Jahren sogar als Hirnstrukturen bei uns angelegt sind, sind: Sicherheit, Bindung und Selbstwerterhalt“, erklärt Schmidt-Tanger in ihrem Buch „Change – Raum für Veränderung“. Kommunikatoren sollten hier hellhörig werden – auf diese Bedürfnisse einzugehen, könnte der Schlüssel sein, während Change-Projekten besser zu den Mitarbeitern durchzudringen.
1. Sicherheit vermitteln
Am Anfang der meisten tiefschürfenden Veränderungen stehen Ängste und Verunsicherung. Kommt es beispielsweise zu einer Fusion oder einem Spin-off, drehen sich die dringlichsten Fragen der Mitarbeiter um ihre persönliche Zukunft: „Wie sicher ist mein Arbeitsplatz?“, „Wird meine Altersvorsorge in das neue Unternehmen übertragen?“, „Gibt es Änderungen in den Organisationsstrukturen, die mich persönlich betreffen?“. Von vorneherein Antworten darauf zu haben und diese auf wenigen Seiten kurz und klar zusammenzufassen, ist einer der Grundpfeiler, den die Kommunikation vorbereiten muss.
Auch wenn es während des Umbruchs keine hundertprozentigen Sicherheiten geben kann: Ihre Zukunftsperspektiven im Unternehmen sollten Mitarbeiter so klar wie möglich kommuniziert bekommen. Und das aus erster Hand – Katastrophen in der internen Kommunikation wie beispielsweise im Falle von Gruner+Jahr und der Schließung der „Financial Times Deutschland“, von der die Mitarbeiter teils aus der Presse erfuhren, sind fatal und wirken lange nach. Solche Erfahrungen brennen sich ein, sorgen für grundsätzliches Misstrauen und Ablehnung gegenüber Veränderung.
„Ihr erstes Anliegen sollte sein, Licht ins Dunkel der bruchstückhaften Informationen und Botschaften zu bringen“, schreiben Martin Haberzettl und Sandra Schinwald in ihrem Change-Ratgeber. Denn: Die Macht der Gerüchteküche innerhalb des Unternehmens ist nicht zu unterschätzen. Bevor sich Change-Schauergeschichten über den Flurfunk verbreitet haben, muss der CEO das Gespräch mit den Führungskräften suchen, und diese sollten im Anschluss ihre Mitarbeiter 1. informieren und 2. in den Dialog mit ihnen treten –Workshops statt vollendete Tatsachen.
Ehrlichkeit, Offenheit und der Verzicht auf Euphemismen sind in der Change-Kommunikation das wirksamste Mittel gegenüber der Verunsicherung – während das Vorgaukeln einer Sicherheit bei den Mitarbeitern den gegenteiligen Effekt erzielt und in der Regel geradewegs in den Change-Zynismus führt.
2. Selbstwert stabilisieren
Schon wieder alles anders? Möchte sich der neue Manager ein Denkmal schaffen? So wird in der Belegschaft schnell geargwöhnt. Denn der Wunsch nach Veränderung beinhaltet ganz obligatorisch die Kritik am Status quo. „Wenn der Change in einer Weise von oben kommuniziert wird, die suggeriert: ‚Wir müssen das machen, weil sonst xy passiert‘, und Bedrohungs- oder Defizitszenarien aufgebaut werden, entsteht bei den Mitarbeitern ein Selbstwertproblem“, sagt Psychologin Schmidt-Tanger.
Als Bayer sich im Sommer vergangenen Jahres von seiner Kunststoffsparte Material Science trennte und dem Tochterunternehmen mit Covestro einen neuen Namen und ein neues Logo bescherte, war die Bestürzung bei vielen Mitarbeitern groß. Nicht mehr zur Bayer-Familie zu gehören, bewirkte vor allem für viele langjährige Mitarbeiter ein Selbstwertproblem. Wie lässt sich in solchen Situationen der Übergang gestalten? Martina Schmidt-Tanger rät ab vom harten Schnitt alles Bisherigen: „Ich hätte dazu geraten, beispielsweise einen Raum für die Firmengeschichte einzurichten, in dem die Vergangenheit und der Übergang von Bayer Material Science zu Covestro für alle nachvollziehbar wird und der längere Zeit erhalten bleibt.“ Verbundenheit statt Abkapselung.
Der Selbstwert des einzelnen Mitarbeiters lässt sich aber auch dadurch stärken, dass er die Gründe für den Change direkt von der oberen Führungsriege erläutert bekommt, anstatt sie auf einem allgemeinen Info-Blatt zu lesen. Damit das Senior Management große Change-Projekte selbst bekanntgeben kann, werden bei vielen Unternehmen Instrumente wie Livestreaming eingerichtet. Die Mitarbeiter sollten von den obersten Visionären direkt erfahren, was geplant ist und warum es die Veränderung geben soll.
3. Bindung stärken
In einer Studie des Instituts für angewandte Innovationsforschung an der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2013 gaben 56 Prozent der befragten Change-erprobten Führungskräfte an, die Bindung der Mitarbeiter zum Unternehmen habe sich durch den Veränderungsprozess gelockert. Und das, obwohl 90 Prozent von ihnen zugleich versicherten, ihr Unternehmen habe die Reorganisation als Erfolg kommuniziert. Als mögliche Begründung für diesen Effekt mutmaßten die Forscher, es werde von Seiten der Führung zu sehr versucht, den Wandel möglichst positiv darzustellen und somit unschöne Details zu verschweigen. So geht das Vertrauen verloren und die Identifikation mit dem Arbeitgeber sinkt.
Betroffene zu Beteiligten zu machen, ist ein bewährtes Prinzip im Change-Management. Einbringen werden sich die Mitarbeiter aber nur, wenn sie Vertrauen in den Change und die verantwortlichen Akteure haben, wenn ihnen in der Change-Story eine Rolle zugedacht ist, die ihnen gerecht wird und an die sie mit Einfühlungsvermögen herangeführt werden. Die Führungskräfte müssen der Fels in der Brandung für sie sein. Und sie sollten ihre Mitarbeiter danach fragen, was sie über die anstehende Veränderung denken. So kann ein gut strukturierter Entscheidungsbaum darüber Aufschluss geben, wann autokratische und wann demokratische Entscheidungen sinnvoll sind.
Mitarbeiter, die in eine neue Tochtergesellschaft wechseln sollen, kann man beispielsweise bitten, aufzuschreiben, was sie als die Kernwerte und Stärken ihrer Sparte erleben, und die so entstandene Sammlung als Grundlage für den Wertekanon des neuen Unternehmens verwenden. Oder sie vielleicht sogar über die Logo-Vorschläge der Agentur abstimmen lassen.
Symbole statt 100-Seiten-Dossiers
„Werte muss man nicht kommunizieren, Werte muss man leben“, sagt Martina Schmidt-Tanger. Auch in Bezug auf geplante Neuerungen reicht es nicht, sie in Listen und Zusammenfassungen, in Mails und im Intranet, in Excel-Dateien oder Online-Dossiers mit Worten aufzubereiten. Um Wandel spürbar zu machen, braucht es mehr als verbale Kommunikation. Vor allem die Kraft der Symbole wird noch viel zu selten genutzt. Das findet auch die Veränderungspsychologin: „Kein Mitarbeiter möchte die große Werteerklärung lesen. Man sollte in seinem Kopf ein Bild entstehen lassen.“ Soll beispielsweise eine neue Produktsparte für den amerikanischen Markt entwickelt werden, könne man damit anfangen, ein Gefühl für das Land zu schaffen, beispielsweise durch eine Themenwoche in der Kantine oder Blumen in den Landesfarben. Das klingt simpel – aber so archaisch funktioniert der Mensch. Weniger erklären, mehr spürbar machen.
Was ebenfalls oft vergessen wird: Es muss nicht immer der große Wurf sein. Change ist nicht nur das ausgeklügelte, ganzheitliche, kulturverändernde, auf drei Jahre vorgeplante Gesamtkonzept. Change ist manchmal auch einfach das Sofa in der Büroecke. Schmidt-Tanger führt als Beispiel eine Rutsche an, auf der man in den Räumlichkeiten des Google-Firmengebäudes in Zürich von der dritten bis in die erste Etage schlittern kann. Zugegeben, das klingt erst einmal profan und eine Spur zu hip – Google eben. Aber die Wirkung einer verhältnismäßig kleinen und unaufwändigen Veränderung kann eine überproportionale Wirkung haben: Ein Unternehmen möchte eine kreativere und spielerische Arbeitsatmosphäre schaffen? Dann ist mit der Rutsche der erste glaubwürdige Schritt getan, diese Werte zu etablieren. Ein solcher Change in der Umwelt kann eine Verhaltensveränderung nach sich ziehen, die wiederum zu einer Einstellungsänderung führt.
Alles auf Anfang?
Es gibt kein Change-Projekt, das von der kompletten Belegschaft mit Begeisterung getragen wird. Aber es gibt überzeugende und weniger überzeugende Kommunikation. Change-Team und Kommunikation sollten sich darauf fokussieren, welche Bedürfnisse die Mitarbeiter während des Umbruchs haben, welche Hoffnungen und Ängste. Die Befürchtungen der Mitarbeiter kann man dabei auch konkret ansprechen, sagt Psychogin Schmidt-Tanger. Statt des üblichen „Schönwetter-Change-Geredes“ solle man lieber die Sätze mit „Sie fragen sich vielleicht …“ einleiten. Denn eines ist auch klar: Es gibt keine Wandlung, die ohne die Unterstützung der Mitarbeiter gelingt.
Und dann gibt es diese Fälle, in denen der Change in einer Rückverwandlung besteht. Ab dem Jahr 2002 flogen Lufthansa-Condor-Flieger plötzlich unter dem Namen „Thomas Cook powered by Condor“, das neue Logo prangte auf dem Rumpf der Maschinen. Für die Mitarbeiter der Airline, vor allem Piloten und Bordpersonal, ein Identitätsproblem. Auch die Passagiere reagierten mit Ablehnung, die schwächere Bekanntheit der Marke führte zu Rückgängen in den Buchungszahlen. Das Resultat: Zwei Jahre später wurden sie zurück in Condor benannt, die Flieger umlackiert. Nicht nur die Besatzungen freuten sich über die Rückkehr zum Vertrauten.
Sich zu verändern, ist anstrengend – gerade für die Kommunikationsabteilung, die oft selbst von Umstrukturierungen betroffen ist. Dennoch ist sie besonders in Zeiten des Umbruchs als eine Hüterin von stabilen Werten gefragt. Also bewahren Sie Ruhe – und stellen Sie vielleicht schon einmal Wärmedecken bereit. Der nächste Change kommt bestimmt.
(*Und für alle die, die zu Beginn Antwort c angekreuzt haben: Vielleicht bewerben Sie sich demnächst als Kommunikator mit dem Schwerpunkt Continuity Management – auch das könnte ein Job mit Zukunft sein.) _
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Change. Das Heft können Sie hier bestellen.