„Nichts ist wichtiger als persönliche Kontakte“

Daimler-PR-Chef Jörg Howe

Herr Howe, wir führen dieses Interview per Videocall. Wie fanden Sie Videocalls vor der Coronakrise? Wie gefallen sie Ihnen jetzt?

Jörg Howe: Sie waren schon vorher ein Mittel, um miteinander zu kommunizieren, aber sie waren natürlich nicht so gängig wie jetzt. Sie sind häufig die einzige Möglichkeit, um mit anderen zu sprechen. Bei Daimler haben wir verschärfte Regeln, was Social Distancing angeht. Wir sitzen hier mit einem Kernteam im Büro. Den Rest machen wir über Videocalls. Sie machen etwa 50 bis 70 Prozent meiner täglichen Kommunikation aus. Allerdings: Es nervt, dass jeder ein anderes Techniksystem verwendet. Das macht es schwieriger.

Die Zunahme von Videocalls ist natürlich nicht die wichtigste Veränderung für die Unternehmenskommunikation im Jahr 2020. Welche Entwicklungen haben Sie überrascht?

Uns alle hat natürlich Covid-19 überrascht und die Dynamik, mit der diese Pandemie über uns hereingebrochen ist. Auch wie schwierig es für einige ist, die Social-Distancing-Regeln einzuhalten und auch Kommunikatoren zu überzeugen, dass sie mal eine Maske aufsetzen sollten. Überrascht hat mich auch, wie schnell wir bei Daimler ins Digitale umgeschwenkt sind. Wir haben unsere Hauptversammlung im Juli komplett digital gemacht. Unsere Jahrespressekonferenz im Februar war noch analog.

Über Daimler hinaus: Welche Entwicklungen sind Ihnen aufgefallen?

Ich bedauere weiterhin sehr, dass Journalisten das Thema Recherche für vernachlässigbar halten. Ich habe zunehmend das Gefühl, dass computergenerierte Texte auf uns zukommen. Es entstehen zudem Krawallportale, die journalistisch auftreten, aber eigentlich nur Werbung sind. Ein Beispiel ist „Wallstreet Online“. Da kommen die Pressemitteilungen von Klagekanzleien als journalistisches Produkt daher. Bei „Focus Online“, das vom Namen her seriös erscheint, ist es das Gleiche. Die Ippen-Gruppe betreibt Portale wie „tz.de“, auf denen echter Krawalljournalismus betrieben wird mit Schlagzeilen, die sich nicht mehr mit den Inhalten im Text decken

Die Kommunikationsbranche ist gut darin, temporäre Trends zu einer Wahrheit zu erklären. Wie viel Wahrheit steckt in dem Satz „Nie war Kommunikation wichtiger als jetzt“?

Der hält sich seit Jahren, aber er ist immer noch wahr, vor allem intern. Es wird immer mehr kommuniziert – intern wie extern. Wir haben bei Daimler das Social Intranet aufgebaut. Die ganzen antiken Kommunikationsmittel wie die „Daimler Insight“, die wir sechsmal im Jahr gedruckt haben und die ich noch toll fand, will hier keiner mehr. Wir erreichen unsere Mitarbeiter durch das Social Intranet fast umfassend.

Wenn mehr kommuniziert wird: Inwieweit wurde die Rolle der Kommunikation bei Daimler aufgewertet?

Ich habe das Gefühl, dass wir bei Daimler gut in den Konzern integriert und angesehen sind. Ich nehme als Gast an Vorstandssitzungen teil. Wir stehen Tag und Nacht zur Verfügung. Alle geben in dieser Krisensituation ihr Bestes, damit wir vernünftig kommunizieren, Videos machen, Threema-Nachrichten verschicken, auf Youtube gehen, Instagram und Linkedin für Vorstände betreuen. Der Einsatz hat zugenommen. Die Belastung auch – auch dadurch, dass nicht alle hier zusammen sein können. Die Leute stehen praktisch rund um die Uhr zur Verfügung.

„Einer meiner Grundsätze ist ‚Führen durch Vorbild‘.“

Wie viele Personen sind bei Ihnen im Büro?

Wir sind aktuell etwa 20 (Anmerkung: Die Autorisierung des Interviews erfolgte Anfang Dezember). Wir machen immer um 8.45 Uhr eine Audiokonferenz mit allen COM-Mitarbeitern aus Deutschland. Dadurch gewährleisten wir, dass wir einen Informationsfluss haben, der stetig ist. Wir hier im Büro bilden den Kern. Dann verteilen wir die Aufgaben und anschließend funktioniert fast alles über Telefon und E-Mail. Wir wollen natürlich nicht, dass sich die Kolleginnen und Kollegen bei uns infizieren. Das ist für mich das Wichtigste. Wir testen laufend. Ich selbst bin achtmal getestet worden.

Welche Rolle kommt Ihnen persönlich im Unternehmen in dieser Krise zu? Wie haben sich Ihre Aufgaben in dieser Krise verändert?

Daimler hat eine hohe Attraktivität für Medien. Das heißt, größere, auch bewusst skandalisierte Geschichten in den Medien sind schon immer an der Tagesordnung gewesen. Da hat sich aus meiner Sicht die Arbeit nicht groß verändert. Schnelligkeit und Akkuratesse mussten wir schon immer haben. Durch Social Media ist natürlich der Zeitdruck größer geworden. Einer meiner Grundsätze ist „Führen durch Vorbild“. Ich kann nicht von meinen Leuten verlangen, dass sie in so einer besonderen Situation mehr leisten, wenn ich nicht selbst dazu bereit bin. Ich kann in der aktuellen Krisensituation nicht erwarten, dass sie ins Büro kommen, wenn ich selbst dazu nicht bereit bin. Ich bin hier. Ich bin ansprechbar für jeden und zu jedem Zeitpunkt. Jeder kann immer auf meinem Handy anrufen, wenn es brennt.

Monika Schaller, die Kommunikationschefin der Deutschen Post, schrieb vor kurzem im „PR-Magazin“: „Noch leben die virtuellen Kontakte von Beziehungspolstern. Doch die nutzen sich ab.“ Wie bewerten Sie den Trend zum Homeoffice?

Monika hat wie fast immer Recht. Vieles von dem, was jetzt machbar ist, hängt davon ab, dass wir uns als Kommunikatoren, Journalisten und Medienarbeiter seit Jahren kennen. Ich wünsche mir, dass wir im kommenden Jahr wieder mehr persönlich zusammenkommen. Nichts ist in diesem Milieu wichtiger als persönliche Kontakte. Wenn 2021 so weitergeht wie dieses Jahr, dann wird es in der Tat schwierig. Man muss auch merken, was bei den Journalisten los ist, welcher Verlag in Schwierigkeiten steckt, welches Portal besonders aggressiv ist, was für Personen dahinterstecken. Ich fahre zum Beispiel gerne zu Journalisten hin, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie und wo die arbeiten und wie dort das Klima ist.

Inwieweit haben Sie in der Daimler-Kommunikation darüber nachgedacht, Ihre Büroräumlichkeiten zu verändern oder zu verkleinern? Der Trend zum Homeoffice dürfte sich verstetigen.

Wir sind hier erst 2019 eingezogen. Wir haben unser Büro als Open Space eingerichtet. Das heißt, wir haben schon jetzt wechselnde Belegungen von Büroarbeitsplätzen. Ich glaube, dass es einen Trend geben wird, wieder zurück ins Büro zu kommen. Homeoffice ist gut und schön. Viele merken aber, dass es eine zusätzliche Belastung ist. Diejenigen, die zurück im Büro sind, freuen sich, wieder hier zu sein.

Inwieweit teilen Sie die Einschätzung, dass interne Kommunikation während der Krise deutlich an Bedeutung gewonnen hat?

Die interne Kommunikation ist umfassender geworden. In unserem Social Intranet können Sie den ganzen Tag stöbern und mit Kollegen kommunizieren. Man bekommt von der Gehaltsmitteilung über Informationen aus der Personalabteilung, Adressen und Telefonnummern fast alles. Aber man kann interne nicht mehr von externer Kommunikation trennen. Wenn wir wie gestern etwas intern vom Produktionsvorstand zu Veränderungen in den Werken posten, dann geht das innerhalb von Minuten nach draußen.

Haben Sie für die interne Kommunikation denselben Qualitätsanspruch wie für die externe?

Ja, weil intern gleich extern ist. Das muss auch so bleiben.

Inwiefern überlegen Sie aufgrund der Krise, die Daimler-Kommunikation strukturell zu verändern? Werden Sie Personal in der Kommunikation abbauen beziehungsweise anders einsetzen?

Wir haben alle Kostendruck. Es ist schwierig, Stellen aufzubauen. Wenn überall Personal eingefroren oder abgebaut wird, trifft es die Kommunikationsabteilung genauso. Ich sehe nicht, dass wir uns noch weit nach oben entwickeln, sondern dass das Personal eher stagnieren oder leicht zurückgehen wird.

Sie haben in diesem Jahr die neue E-Klasse und eine neue S-Klasse eingeführt. Zwei für Mercedes wichtige Produkte. Ein Fahrzeug soll Emotionen erzeugen und Journalisten begeistern. Wie sieht der Launch eines Autos in Pandemie-Zeiten aus?

Ich kann das am Launch der S-Klasse Anfang September erklären. Wir haben auf der einen Seite eine neue volldigitale Fabrik, die Factory 56 in Sindelfingen. Die ist 5G-gesteuert. Wir haben die Factory im Sommer noch semivirtuell mit Menschen eröffnet. Nicht mehr so viele wie sonst, aber der Ministerpräsident war da, ein Staatssekretär, Mitglieder von Vorstand und Betriebsrat. Wir haben dort dann die S-Klasse vorgestellt. Für alle Journalisten, die nicht vor Ort sein konnten – das war die große Mehrzahl –, haben wir gleichzeitig eine virtuelle Präsentation gemacht. Das war ein Reveal-Film von 20 Minuten, den wir online gestellt haben. Mit ausgewählten Medien haben wir aus der Factory 56 heraus Interviews geführt. Zeitgleich haben wir in den USA und China das Fahrzeug vorgestellt.

Dann haben wir etwas später in Deutschland mit europäischen Journalisten eine Fahrveranstaltung unter Corona-Bedingungen organisiert. Wir sind von einer Mehrtages- auf eine Ein-Tages-Veranstaltung gegangen. Das Fahrzeug wurde für die Journalisten voll desinfiziert am Flughafen in Stuttgart abgestellt. Sie sind dann zu unserer Teststrecke gefahren. Dort konnten sie das Auto testen. Abends ging es dann wieder zurück.

Was ist Ihr Fazit nach diesem Launch? Ist dieser Ablauf einer, den Sie in Zukunft so wiederholen werden?

Es hat funktioniert. Aber es ist ein ganz anderer Schnack, wenn ich das Auto in einer Zwei-Tages-Veranstaltung im Gespräch mit Menschen präsentieren kann. Da kommt eine ganz andere Emotionalität zustande. Wir versuchen, im Nachklang die Journalisten immer in Kontakt mit dem Fahrzeug zu bringen. Wir bieten an, dass Journalisten zu uns kommen, das Fahrzeug erhalten, fahren und das Auto wieder zu uns bringen. Das Fahrzeug zu erleben ist mehr als wichtig.

Für Journalisten wirkt das wie eine individuellere Präsentation als zu normalen Zeiten. Die könnten das gut finden.

Für uns ist es aufwändiger und für unsere Mitarbeiter mehr belastend. Ich bin mir sicher, dass in dem Moment, in dem die Pandemie zu kontrollieren ist, Veranstaltungen wieder an Bedeutung gewinnen werden. Wir werden sicher mehr auf die Kosten achten. Es wird ein Mix zwischen virtuellen und realen Teilen geben. Es wird aber wieder zurück zur realen Welt gehen, auch weil diejenigen, die über das Auto berichten, es real erleben wollen.

„In Talkshows kann man als Automanager nichts gewinnen.“

Welches Image hat Daimler aus Ihrer Sicht? Es heißt oft, Daimler habe den Schritt zur Elektromobilität noch mehr als Volkswagen verschlafen.

Wir stehen als Marke Mercedes-Benz für German Engineering – auch im Ausland. Wir stehen für Qualität, für Innovationen im Fahrzeug und Sicherheit. Bei der neuen S-Klasse, die noch ein eher konventionelles Fahrzeug ist, gibt es Sicherheitsfeatures, die ganz neu sind: Airbags auf den Rücksitzen, das Fahrzeug wird vor einer Kollision in Millisekunden noch einmal angehoben und Fahrassistenzsysteme der neuesten Generation.

Qualität und Sicherheit sind die traditionellen Werte, für die Mercedes-Benz schon immer stand. Nach Zukunft klingt das nicht. Aber jetzt kommt es: Im kommenden Jahr mit einer Flotte von Elektrofahrzeugen. Im April wird der EQS seine Weltpremiere haben. Das ist das elektrische Pendant zur S-Klasse mit einer ganz eigenständigen Elektroarchitektur. Das wird aus meiner Sicht ein Volltreffer. EQA und EQB kommen auch – jeweils mit einer adäquaten Reichweite. Plus Hybride mit einer Reichweite von 100 Kilometern, wenn sie elektrisch fahren.

Welche Themen sind für Daimler in der Kommunikation aktuell entscheidend?

Nachhaltigkeit bleibt ein Thema. Jetzt sind es die Innovationen im Elektrobereich. Die Weiterentwicklung von alternativen Antrieben wie Wasserstoff bei LKWs. Die Fortentwicklung zum autonomen Fahren. Wir hoffen, dass wir hier im nächsten Jahr endlich die Zulassung zu Level 3 in Deutschland bekommen. Wir wollen alle Fabriken CO2-neutral stellen. Das wird in den nächsten zwei bis drei Jahren der Fall sein. Zusätzlich versuchen wir, unsere Lieferketten sauber zu haben.

Warum geht nie jemand von Daimler in Talkshows?

Weil ich Fernsehfuzzi bin und nur davon abraten kann.

Weshalb?

Weil Sie in der Talkshow nie die Chance haben, sachliche Argumente vorzutragen. Eine Talkshow lebt von Emotionen. Es ist konfrontative Auseinandersetzung. Möchte ich dort jemanden hinschicken, der das nicht kennt? Nein. Wenn man dort mit Talkshow- Profis zusammensitzt, kann man als Automanager nichts gewinnen.

Welche TV-Formate finden Sie denn besser?

CNBC und Bloomberg zum Beispiel. Da hat man es mit Leuten zu tun, die Ahnung von der Automobilwirtschaft haben. Ich möchte nicht in eine hochemotionale Situation geraten, die man überhaupt nicht kontrollieren kann.

Ihr Mitarbeiter Sascha Pallenberg* kommuniziert in den Social Media umfangreich zur Coronakrise. Er präsentiert sich als Mahner und Warner. Den Begriff „Covidioten“ verwendet er öfter. Der Jugend spricht er das Recht auf Spaß ab. Inwiefern finden Sie, dass er manchmal überzieht?

Sascha braucht einen großen Freiraum – und den hat er. Ich finde das, was er macht, okay. Dazu gehört auch, dass er manchmal überzieht. Wir wollen ihn nicht die ganze Zeit kontrollieren. Dann wäre er nicht mehr authentisch. Insofern ist es mir lieber, dass er sich so verhält, wie er sich verhält. Ich glaube, dass er uns sehr guttut und frischen Wind reingebracht hat.

Selten äußert sich ein Kommunikationschef negativ über einen prominenten Journalisten. Sie wurden vom „Spiegel“ zu Gabor Steingart zitiert. Sie sagten, er vermische redaktionelle Inhalte und Veranstaltungen und habe immer mit der Marktmacht des „Handelsblatt“ argumentiert, als er noch dort tätig war. Wieso haben Sie sich zu Steingart geäußert?

Das hat etwas damit zu tun, dass mir das Geschäftsmodell nicht behagt. Diese Vermischung von journalistischen Inhalten und Veranstaltungen. Das sehe ich bei „Media Pioneer“ auch so. Dass da Sponsoring und Berichterstattung durch das „Morning Briefing“ vermischt werden. Wir hatten gemeinsam mit dem „Handelsblatt“ mal eine Veranstaltung bei uns mit Dieter Zetsche gemacht. Da hat Steingart am nächsten Tag im „Handelsblatt“ in großen Lettern geschrieben: „Zetsche kam als CEO und er ging als Freund.“ Den gleichen Dieter Zetsche hat er dann in seinen „Morning Briefings“ als jemanden dargestellt, der alle Trends verschlafen habe. Das Gegenteil ist richtig. Diese Janusköpfigkeit – auf der einen Seite Leute hochjazzen und auf der anderen niederschreiben – gefällt mir nicht.


*Hinweis der Redaktion: Sascha Pallenberg hat das Unternehmen inzwischen verlassen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe DAS CORONA-JAHR. Das Heft können Sie hier bestellen.

Weitere Artikel