„Journalisten sind ja nicht doof“

Litigation-PR vs. Staatsanwaltschaft

Die Öffentlichkeit urteilt oft härter als jeder Richter. Um die Reputation im Laufe eines Strafprozesses zu schützen, engagieren angeklagte Unternehmen und Prominente Litigation-PR-Manager. Diese kommunizieren gezielt mit der Presse, um positiven Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen.

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Als Gegenspieler steht ihnen die Staatsanwaltschaft gegenüber. Die Wege beider kreuzen sich im Arbeitsalltag in der Regel nicht, weil für beide die Presse der Ansprechpartner ist. Während Staatsanwälte Stimmungsmache oder Beeinflussung des Gerichts befürchten, meinen Litigation-PR-Manager oft, Staatsanwälte hätten einen Vertrauens- und Informationsvorsprung.

Wer hat Recht? In München lud der pressesprecher die Oberstaatsanwältin Anne Leiding und den auf Litigation-PR spezialisierten Kommunikationsberater Thomas Empt zum Streitgespräch.

Herr Empt, Litigation-PR ist eine Spezialdisziplin der Krisenkommunikation, die sich um prozessbegleitende Kommunikation dreht. Wie sehen Ihre Aufgaben als Litigation-PR-Manager aus?

Thomas Empt: Skandale und spektakuläre Gerichtsverfahren sind für die Öffentlichkeit interessant und werden es auch bleiben. Wenn jedoch Journalisten und Juristen aufeinandertreffen, gibt es eine kommunikative Lücke, die zu überbrücken ist. Ich bin praktisch der Dolmetscher, der hilft, dass sich beide Seiten verstehen. Ich übersetze das Juristische ins Verständliche. Meine Munition sind dabei die Schriftsätze des Anwalts. Oft haben Prozesse ja eine ziemlich lange Vorgeschichte und niemand weiß mehr genau, wie alles angefangen hat. Deswegen schreibe ich als Service für die Journalisten oft eine nüchterne Chronologie, die die Fakten enthält. Wenn ich mit Journalisten über juristische Themen spreche, dann sind über den dicken Daumen gepeilt 80 Prozent reine Hintergrundinformation, zehn Prozent zitierfähig und zehn Prozent „unter drei“, was bedeutet, der Journalist darf es zwar wissen, aber nicht verwenden – auch nicht ohne Quellenangabe.

Frau Leiding, könnte sich die Staatsanwaltschaft hier eine Scheibe abschneiden, was Verständlichkeit in der Kommunikation angeht?

Anne Leiding: Das ist eine hohe Kunst und tatsächlich auch die Aufgabe der Pressestelle der Staatsanwaltschaften und Gerichte. Wir sind ja Teil des demokratischen Rechtsstaats und müssen den Bürgern erklären, was wir machen und warum wir es machen. Nur so können wir das Vertrauen der Bürger gewinnen. Es handelt sich oft um wahnsinnig komplexe Sachverhalte. Und die müssen Sie jemandem erklären, der sich zu Recht dafür interessiert, was in seiner Stadt passiert. Eine schwierige Aufgabe, die durch die Online-Berichterstattung zudem erschwert wird. Im Internet tummeln sich selbsternannte Experten, die Kommentare abgeben und Sachverhalte oft falsch darstellen. Meine Aufgabe ist es dann, die Dinge wieder geradezurücken und zu erklären. Die Staatsanwaltschaft hat überhaupt nichts dagegen, dass die Gegenseite einem Prozess auf Journalisten zugeht und Sachverhalte klar und deutlich darstellt. Was ich aber problematisch sehe, ist, dass manchmal versucht wird, gezielt Einfluss auf das Gericht zu nehmen.

Empt: Das hat für mich nichts mit Litigation-PR zu tun. Wenn ein Kunde zu mir kommt und sagt: „Verschaffe mir ein besseres Urteil!“, dann sage ich ihm: „Nimm dir einen besseren Anwalt! Das ist nicht meine Aufgabe.“ Meine Zielgruppe ist die Öffentlichkeit und sind nicht die Richter. Mir geht es nicht darum, dass jemand ein besseres Urteil bekommt. Mir geht es darum, der Deutungshoheit der Ermittlungsbehörde etwas entgegenzusetzen. Wenn Sie als Laie über eine Anklageschrift in der Zeitung lesen, dann machen Sie gleich einen Haken dran und denken sich: Der Angeklagte ist schuldig.

Leiding: Na ja, wenn wir bei der Staatsanwaltschaft nicht von einem hinreichenden Tatverdacht ausgingen, dürften wir ihn auch gar nicht anklagen.

Empt: Das ist mir schon klar. Ich versuche, vor allem das Prinzip der Unschuldsvermutung zu leben. Mir geht es darum, die Reputation und die Rehabilitationsfähigkeit eines Angeklagten weitgehend zu erhalten. Nehmen wir zum Beispiel den Fall Uli Hoeneß. Ich habe diesen Prozess nicht begleitet. Er war aber so öffentlich, dass ich ein wenig dazu sagen kann. Zur Zeit der Hauptverhandlung wurde Uli Hoeneß nur auf die Tatsache der Steuerhinterziehung reduziert. Er hat aber in seinem Leben mehr geleistet, als Steuern zu hinterziehen. Der Mann hat viel Positives bewirkt. Es geht darum, das komplette Bild zu zeichnen.

(c) Oliver Rehbinder

„Mir geht es darum, der Deutungshoheit der Ermittlungsbehörde etwas entgegenzusetzen“, bekräftigt Litigation-PR-Experte Thomas Empt.

Litigation-PR-Spezialisten ziehen wirklich nicht ins Kalkül, durch die Öffentlichkeit Einfluss auf die Urteilsfindung zu nehmen?

Empt: Es gibt bestimmt Kollegen, die so denken. Natürlich ist mir bewusst, dass die öffentliche Meinung Einfluss auf Richter und Staatsanwälte hat. Aber es ist nicht mein Kalkül, ein besseres Urteil zu bekommen. Ich sage dem Kunden: „Durch meine Arbeit bist du in der Lage, deinen Standpunkt klarzumachen und deine Reputation so weit wie möglich zu schützen.“ Aber ich bin kein Spindoktor, der irgendwelche Einfälle unter der Dusche hat und überlegt, wie er sie unters Volk bringt.

Hat die Medienberichterstattung wirklich Einfluss auf Richter und Staatsanwälte, Frau Leiding?

Leiding: Auf jeden Fall! Umfragen in dieser Gruppe haben das klar gezeigt. Sie sind auch nur ganz normale Menschen, die Zeitung lesen, Fernsehen schauen, und einige von ihnen verfolgen vermutlich auch die Online-Berichterstattung über ihre Fälle. Da kann es schon sein, dass das Forum der Öffentlichkeit Einfluss nimmt auf das eigentliche Forum im Gerichtssaal. Dessen muss man sich bewusst sein und es sich immer vor Augen halten. Richter und Staatsanwälte müssen zum Beispiel aufpassen, dass sie nicht extra milde oder extra scharf entscheiden, nur um der Öffentlichkeit zu beweisen, dass sie unabhängig sind. Ich habe allerdings auch erlebt, dass in Verfahren massiv versucht wird, Einfluss zu nehmen und für Stimmung zu sorgen. Das gilt vor allem für Verfahren mit einem politischen Twist. Vergessen Sie auch nicht, dass zu einer Gerichtsbesetzung manchmal auch Schöffen gehören. Das sind Laienrichter, die keine juristische Vorbildung haben. Für diese spielen emotionale Faktoren oft eine größere Rolle.

Vor allem zu Beginn eines Prozesses wird von der Verteidigung oft moniert, Staatsanwälte hätten bei den Medien einen Vorsprung. Stimmt das?

Leiding: Es wird oft behauptet, die Staatsanwaltschaft dürfe alles sagen und jeder höre genau zu. Ihre Aussagen hätten zudem ein besonderes Gewicht. Was stimmt, ist: Die Staatsanwaltschaft ist eine sogenannte privilegierte Quelle. Das heißt, Journalisten müssen unsere Informationen nicht gegenchecken. Das ist zunächst einmal vor allem praktisch. Trotzdem sprechen Journalisten natürlich auch mit der Gegenseite. Die ist allerdings weit weniger zu Objektivität verpflichtet als wir. Der Verteidiger darf alles sagen, was seinem Mandanten nutzt. Der Mandant darf lügen, dass sich die Balken biegen. Das ist sein gutes Recht. Die Staatsanwaltschaft hingegen ist immer an die Grundsätze der Objektivität gebunden. Also können wir in unseren Formulierungen nie so plakativ werden wie die Gegenseite. Ich muss mich rein an die Fakten halten. Als Staatsanwältin weiß ich oft viel mehr, als ich den Journalisten sagen darf. Ich muss mich dann manchmal etwas kryptisch ausdrücken. Da bin ich klar im Nachteil.

 

Seite 2: „Journalisten haben einen Anspruch auf Auskunft.“

Empt: Ich garantiere Ihnen, dass alles, was ich sage, absolut faktenbasiert ist. Auch die Unterlagen, die ich Journalisten überlasse, geben nur Tatsachen wieder. Da dürften Sie jederzeit reinschauen. Wenn ich eine Geschichte erzähle, die vollkommen einseitig ist, fragen die natürlich nach. Journalisten haben ein untrügliches Gespür für Plausibilität. Die sind ja nicht doof.

Leiding: Aber Sie haben als Litigation-PR-Manager doch einen großen Vorteil: Sie können aktiv auf die Presse zugehen. Sie können sagen: „Mein Mandant wurde angeklagt, aber die Vorwürfe sind alle falsch.“ Das können wir von der Staatsanwaltschaft natürlich nicht. Wir gehen niemals von uns aus auf Pressevertreter zu und legen offen, dass dieser oder jener angeklagt wurde. Aktive Pressearbeit der Staatsanwaltschaft setzt unserer Auffassung nach voraus, dass es bereits ein gewisses Maß an Medienöffentlichkeit gibt. Zum Beispiel weil ein großer Schaden eingetreten oder ein bekanntes Unternehmen betroffen ist.

Empt: Frau Leiding, die Fälle, über die wir sprechen, sind ja keine Feld-, Wald- und Wiesenfälle! Wir sprechen hier von Ecclestone, Hoeneß, Wulff … Da ist das Interesse per se groß. Da muss ich auf niemanden zugehen. Ich wundere mich allerdings manchmal schon, was auf den Schreibtischen der Journalisten so alles landet. Da liegt schon Wochen vor der Hauptverhandlung die komplette Anklageschrift, inklusive Beweiswürdigung, zu der auch Zeugenaussagen gehören. Da bin ich schon etwas erstaunt und frage mich, wo die herkommt.

Leiding: Auch wir ärgern uns über das sogenannte Durchstechen von Informationen. Da kann ich nur fragen: In wessen Interesse könnte das wohl sein? Auf jeden Fall nicht im Interesse der Staatsanwaltschaft. Denn eine intensive Berichterstattung im Vorfeld kann bei der Strafzumessung strafmildernd sein. So ist die Rechtsprechung. Wir haben also kein Interesse daran, dass Medien frühzeitig – vor der Eröffnung der Hauptverhandlung – über den Fall herfallen und am Ende sogar noch Details preisgeben, die die geladenen Zeugen noch nicht kennen.

(c) Oliver Rehbinder

Oberstaatsanwälting Anne Leiding betont: „Richter und Staatsanwälte müssen aufpassen, dass sie nicht extra milde oder extra scharf entscheiden, nur um der Öffentlichkeit zu beweisen, dass sie unabhängig sind.“

Und wie sieht es bei Ermittlungsverfahren aus, von denen die Presse manchmal Wind bekommt? Das sind schließlich nicht öffentliche Verfahren.

Leiding: Natürlich sind Ermittlungsverfahren erst mal geheim. Die Beteiligten haben ein Recht auf Datenschutz und die Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte.

Empt: Die Realität sieht aber oft ganz anders aus.

Leiding: Journalisten haben einen presserechtlichen Anspruch auf Auskunft, basierend auf dem Grundgesetz. Nehmen wir zum Beispiel die Ermittlungen gegen BMW. Wenn plötzlich vier Mannschaftswagen der Polizei vor der Geschäftszentrale halten, fragt sich ein Journalist natürlich schon, was da los ist. In diesem Fall müssen wir Auskunft geben. Das tun wir aber so behutsam wie möglich und unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung. Ein Ermittlungsverfahren ist ja noch keine Verurteilung. Bei weit mehr als der Hälfte aller unserer Ermittlungsverfahren kommt es nicht zur Anklage. Das wird oft vergessen. Deswegen schreibe ich im Einzelfall sogar noch einmal klar und deutlich in die jeweilige Pressemitteilung: „Es gelten die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung.“

Empt: Heutzutage ist doch fast jedes Ermittlungsverfahren öffentlich. Natürlich kommt es zur Vorverurteilung. Nehmen Sie mal den prominenten Fall Jörg Kachelmann. Gegen ihn wurde wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung ermittelt. Plötzlich landete eine DNA-Analyse bei den Medien und es kommt zu einer Welle der Berichterstattung. Bei der anschließenden Verhandlung ging es weiter. Täglich werden in Deutschland Sexualdelikte verhandelt – und da sitzt kein Mensch auf der Zuschauerbank im Gericht, erst recht kein Journalist. Bei Kachelmann war jeden Tag der Saal voll. Er wurde freigesprochen und ein Berufungsgericht hat Jahre später festgestellt, dass er von seiner Ex-Freundin „vorsätzlich und wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigt“ wurde. Das hat aber niemanden mehr interessiert. Die Reputation von Herrn Kachelmann war vernichtet.

Gibt es denn so etwas wie einen Prominenten-Malus vor Gericht?

Empt: Meiner Meinung nach gibt es ganz klar einen Malus für Prominente vor Gericht. Nicht in der Wahrheitsfindung oder beim Urteil. Der Nachteil besteht darin, dass sie durch ihre Bekanntheit sofort massiv Gegenstand der Berichterstattung werden – Vorverurteilung eingeschlossen.

Leiding: Ich sehe das ein wenig anders. Prominente haben im normalen Leben einen Bonus durch ihre Bekanntheit. Damit verdienen sie schließlich ihren Lebensunterhalt. Dieser Bonus kehrt sich natürlich in einen Malus um, sobald es um negative Berichterstattung geht. Dann wird zum Beispiel nicht über eine bevorstehende Hochzeit, sondern über eine bevorstehende Gerichtsverhandlung berichtet. Damit muss man dann leben. Die Staatsanwaltschaft hat aber keinerlei Interesse daran, jemandem zu schaden, nur weil er prominent ist. Wir versuchen, das im Blick zu behalten. Wenn ein Prominenter zum Beispiel sein Vergehen einräumt, beantragen wir einen Strafbefehl. Wenn er den akzeptiert, kommt es nicht zur Hauptverhandlung. Er hat dann quasi ein schriftliches Urteil kassiert. Auf der anderen Seite wird uns dann von den Journalisten in so einem Fall gerne Mauschelei vorgeworfen

Empt: Man kann als Prominenter natürlich einen Strafbefehl akzeptieren. Aber wenn er zum Beispiel erklären will, dass er beispielsweise ohne Vorsatz gehandelt hat, müsste er schon in die Hauptverhandlung gehen. Das wäre dann seine Bühne.

Leiding: Vor, während und nach der Hauptverhandlung ist die Reputation oder Rehabilitation eines Beschuldigten ein Aspekt, den ein Kommunikationsberater durchaus über den Anwalt mit der Staatsanwaltschaft diskutieren könnte. Es liegt auch in unserem Interesse, dass die Persönlichkeitsrechte eines Beschuldigten so weit wie möglich gewahrt werden und ein Verurteilter nach der Verbüßung seiner Straße rehabilitiert werden kann. Wir wollen ja niemanden zerstören. Für uns steht bei einem Strafverfahren aber immer im Vordergrund, ob und in welchem Maße der Angeklagte schuldig ist.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe ALLES AUF ANFANG. Das Heft können Sie hier bestellen.

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