Herr Schindera, Sie haben in Ihrem 130-köpfigen Team der Telekom-Unternehmenskommunikation gerade Führungskräfte wählen lassen. Was führen die denn künftig?
Phlipp Schindera: Wir betreten mit dem Projekt absolutes Neuland im Unternehmen und die konstituierende Sitzung steht noch aus. Aber die Aufgabe bleibt die gleiche wie bisher: Die Führung des Bereichs Unternehmenskommunikation. Durch die Wahl erhoffen wir uns eine größere Transparenz und ein besseres Verständnis von Mitarbeitern und Führungskräften für die jeweils andere Seite. Die Mitglieder wurden für ein Jahr gewählt, dann schauen wir weiter. Wir sind sehr gespannt, wie sich das entwickelt. Noch sind wir nicht so weit, einzelne Projektleiter zu wählen, aber auch das ist eine Möglichkeit, die wir uns – je nach Ausgang des Piloten – künftig vorstellen können. Im Vordergrund stehen teamübergreifende Themen.
Wie zum Beispiel Arbeitszeiten, Home Office, Bereichsgestaltung?
In der Führungskreisarbeit geht es vor allem um die Projektaufstellungen: Welche Projekte machen wir, wie viele Mitarbeiter und welche arbeiten mit, wie viel Geld stellen wir zur Verfügung, wie ist die inhaltliche Schwerpunktsetzung? Es geht um Arbeitsweisen, -organisation und die Vernetzung mit Projekten aus anderen Geschäftsbereichen. Personalfragen werden wir aus rechtlichen Gründen weiterhin nur im Kreis der Leitenden Angestellten diskutieren.
Ist das Projekt abgeleitet von der Unternehmensstrategie oder eher übertragen von der zunehmenden custom-made-Entwicklung von Produkten mit Anwenderbeteiligung?
Einer unserer Führungsleitsätze heißt „Empower to perform“ – und an dem habe ich mich orientiert. Aber es stimmt, auch bei uns spielen Themen wie Design Thinking oder Customer Centricity eine immer wichtigere Rolle. Dem muss man auch die Arbeitsweise anpassen: Eine sich stark verändernde Arbeitskultur, die mehr partizipative Elemente und weniger hierarchische Herangehensweisen enthält. Es geht um mehr zuhören und besseres Verstehen.
Wie entstand die Idee zur Wahl?
Wir haben schon vor etwa vier Jahren die Unternehmenskommunikation auf eine projektbezogene Organisationsform umgestellt, die Mitarbeitern mehr Verantwortung überträgt und ihnen mehr Freiräume gibt. Aktuell inspiriert hat uns Hermann Arnolds Buch „Wir sind Chef“. Ich fand seinen Satz treffend, nach dem sich die Art und Weise, wie wir seit der industriellen Revolution Dinge produzieren, ständig verändert, aber die Art und Weise, wie wir Menschen führen, seit über 200 Jahren vom Grundprinzip nicht. Der Kontakt kam über Stephan Grabmeier von Haufe-Umantis zustande. In einem gemeinsamen Workshop haben wir die Ideen vertieft und uns entschieden, diesen Piloten zu machen.
Führungskraft auf Zeit sein
Gab es gar keine internen Vorbehalte, Sie könnten mit der Wahl einen Flächenbrand auslösen, so dass bald alle Mitarbeiter ihre Chefs wählen wollen?
Im COM-Team selbst war die Reaktion durchweg positiv und wir hatten auch keinen Mangel an Bewerbern. Im Unternehmen haben uns einige erst nicht geglaubt, dass wir das wirklich in die Tat umsetzen. Aber jetzt verfolgen sie schon mit Interesse, welche Erfahrungen wir machen. Die Umsetzung war allerdings etwas aufwändiger als gedacht. Es gab jede Menge Details zu besprechen: Wie viele Wählerstimmen hat man? Ist jemand mit einer einfachen Mehrheit gewählt oder braucht er oder sie mindestens 50 Prozent der Stimmen? Wer ist wahlberechtigt? Was ist mit Volontären oder Azubis? Wie binden wir unsere drei Außenstandorte mit ein? Beim Thema Briefwahl habe ich erst geschmunzelt – aber was ist mit den Kollegen im Urlaub, in der Elternzeit oder im Sabbatical? Und natürlich auch: Was sagt der Betriebsrat dazu?
Welche Herausforderungen gab es noch bei den Wahlen?
Wir haben lange darüber diskutiert, ob wir die Auszählungsergebnisse aller Kandidaten veröffentlichen, auch derer, die nicht gewählt werden. Die Männer – auch ich – fanden: wer sich aufstellt, muss auch damit leben, dass sein Wahlergebnis veröffentlicht wird. Die Frauen in der Arbeitsgruppe haben dagegen die Meinung vertreten, dass die Veröffentlichung aller Ergebnisse gerade die Zurückhaltenderen abschrecken könnte, sich zur Wahl zu stellen. Also haben wir nur die Stimmanzahl der letztlich Gewählten veröffentlicht, und alle anderen nicht. Unterlegene Kandidaten, die ihr Ergebnis wissen wollten, konnten das natürlich erfragen. Auch die Anzahl der Stimmen war nicht gleich klar. Ich dachte: One man, one vote – aus dem Team kam der Vorschlag: Ein Stimme pro zu vergebendem Sitz, also vier. So haben wir es dann auch gemacht.
Konnten die Kandidaten ihre Nominierung auch ablehnen?
Ja. Wir hatten in unserem Social Intranet eine Liste angelegt, auf der jeder Mitarbeiter des Bereichs sich selbst oder einen Kollegen nominieren konnte. Wer einen Kollegen vorschlagen wollte, musste aber dessen Zustimmung erfragen.
Gab es bei den Gewinnern Überraschungen, heimliche Gewinner der Herzen?
Ich kann nur für mich sprechen: Mich freut, dass eine Mischung aus jüngeren und erfahreneren Mitarbeitern gewählt wurde. Und auch, dass drei der vier Gewählten Frauen sind, finde ich sehr gut. Damit haben wir 50 Prozent Frauen im neuen Führungskreis. Insgesamt ein tolles Ergebnis, dass der Führungskreisarbeit sicher neue Impulse geben wird.
„Wir gehen da nicht nach harten Zahlen.“
Was sind Ihre KPI, womit messen Sie den Erfolg der Idee?
Unser Ziel ist mehr Transparenz und Verständnis füreinander, und dadurch eine qualitativ verbesserte Führungskreisarbeit. Wir gehen da nicht nach harten Zahlen. Es geht mir darum, näher an den Mitarbeitern meiner Abteilung und ihren Bedürfnissen zu sein. Und man darf nicht unterschätzen: Hier kann man Führungskraft auf Zeit sein. Das geht sonst nicht, weil Karrieren normalerweise nur eine Richtung kennen. Stellt aber jemand für sich fest, dass er gar nicht Führungskraft sein will, wird das häufig als eine Form des Scheiterns gesehen. Und mancher ist vielleicht von der Idee angetan, aber hat keine Vorstellung davon, was das im Alltag bedeutet. Mit der Wahl bietet sich die Chance, das auszuprobieren. Wir erhoffen uns also mehr Mitarbeiterzufriedenheit, aber ich sage jetzt nicht: „Die liegt heute bei X Prozent und soll auf Y Prozent steigen.“ Das Projekt folgt dem Ansatz von Rapid Prototyping: man probiert etwas aus, entwickelt es zu 80 Prozent und bessert im laufenden Betrieb nach. Ich bin sowieso nicht uneingeschränkt KPI-gläubig. Viel wichtiger als die Qualität der Arbeit an KPIs zu benchmarken, ist in meinen Augen qualifiziertes Feedback. Dafür nehmen wir uns heute noch zu wenig Zeit. Aber vermutlich ist das ein Phänomen von großen Unternehmen, die sind tendenziell zahlengläubig …
Nich unbedingt, das hört sich für mich als Verlagsmenschen auch vertraut an.
… dann teilen wir das gleiche Schicksal. Wir pilotieren gerade auch neue Ideen in Sachen Performancemanagement zusammen mit dem Personalbereich. Die Systeme, die wir heute haben, zeichnen sich durch viel Bürokratie und hohen Aufwand aus. Am Schluss ist die Zielerreichung aber doch meistens sehr ähnlich. Wenn man sich im Unternehmen so umhört, hat man das Gefühl 120 ist die neue 100… Das wollen wir ändern: Wie schon gesagt: Ein offenes, qualifiziertes Feedback bringt mehr. Ziele sollte man sich für Projekte setzen, aber nicht mit Elementen erfolgsabhängiger Bezahlung koppeln. Die Realität zeigt, das funktioniert nicht gut.
Ein möglicher KPI könnte ja sein, dass bei der nächsten Wahl mehr jüngere Kandidaten gewählt werden oder sie sich selbst aufstellen, anstatt nominiert zu werden.
Wie gesagt: Ich halte nicht viel von KPIs. Warum soll ich eine Quote festlegen? Die Wahl hat gezeigt, dass es auch ohne geht. Der jüngste Bewerber war Anfang 20 und seit drei Monaten im Team, die ältesten waren über 50. Knapp die Hälfte waren Frauen. Wir hatten 18 Kandidaten für vier offene Positionen und wir hatten uns schon Gedanken gemacht, was wir tun, wenn es nur zwei oder drei Bewerber gäbe. Bei der Wahl selbst haben wir alle im Team versammelt, die Kandidaten haben gepitcht und hatten sich dabei viel Mühe mit Vorträgen oder Videos gegeben. Die Wahlbeteiligung lag bei 80 Prozent, der Betriebsrat stellte den Wahlleiter. Mit dem ersten Mal bin ich sehr zufrieden.
Diplomatisch schlau eingetütet, das mit dem Betriebsrat…
Meine Erfahrung ist, dass es gerade bei solchen Projekten Sinn macht, früh auf den Betriebsrat zuzugehen. Außerdem kennen sie sich ja nun mal mit Wahlen deutlich besser aus als wir … Der Betriebsrat hat das Projekt ausdrücklich unterstützt. Das fand ich klasse.
Wie ist Ihr eigener Führungsstil?
Ich habe immer sehr auf Teamarbeit gesetzt und pflege einen partizipativen Stil. Meine Chefs waren nie sehr autoritär und haben die Selbstorganisation gefördert, das kommt mir entgegen. Die Zeiten, in denen sich ein Mitarbeiter am Morgen beim Chef die Tagesdirektive abholte und nach acht Stunden abhaken ließ, sind vorbei. In der heutigen komplexen und kleinteiligen Arbeitswelt kann ich gar nicht so tief in allen Themen stecken, dass ich den Experten sagen könnte, was sie machen sollen. Es geht eher um die richtige Mischung aus genug Herausforderungen, Orientierung und Freiheit. Wobei die auch nicht jedermanns Sache ist: Einige meiner Mitarbeiter laufen bei einer Aufgabe sofort los, andere fragen eher: „Wie meinst du das?“ Dabei die richtige Balance zu finden, ist eine Daueraufgabe als Führungskraft.
„Es ist wichtig für eine Führungskraft, sich selbst nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen – das passiert von außen schon genug.“
Wonach wählen Sie Ihre Mitarbeiter aus?
Für mich zählen nicht nur die Fähigkeiten, sondern vor allem die Haltung. Die Bereitschaft, sich auf ein sich ständig veränderndes Umfeld einzulassen, ist entscheidend. Digitalisierung ist für mich also vor allem eine Frage der Haltung.
Und umgekehrt: Sind sie leicht zu führen?
Ich persönlich würde sagen: „Klar“. (lacht) Spaß beiseite: Das sollen andere beurteilen. Bisweilen wirft man mir eine gewisse Dickköpfigkeit vor, was schonmal dazu führen kann, dass ich Menschen in intensive Diskussionen verwickele. Aber das gehört für mich zu guter Führung dazu: nicht zu allem „Ja“ und „Amen“ zu sagen, sondern die Dinge zu hinterfragen. Das erwarte ich auch von meinen Mitarbeitern.
Wäre es ein Erfolg des Projekts, wenn Sie irgendwann abgewählt würden?
(Zögert) Sagen wir mal so: Wenn der Pilot erfolgreich ist, wovon ich ausgehe, wäre es nur folgerichtig, dass auch ich mich perspektivisch zur Wahl stelle, und natürlich müsste ich die Konsequenzen aus einem entsprechenden Wahlergebnis ziehen. Arbeit im Team funktioniert eben nur im Vertrauen.
Eine Abwahl müsste ja nicht unbedingt ein Symptom des Scheiterns sein. Es könnte ja auch sein, Sie hätten Ihre Mission als Enabler erfüllt.
Absolut. Es ist wichtig für eine Führungskraft, sich selbst nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen – das passiert von außen schon genug. Ich mache meinen Job wirklich sehr gerne, weil ich für ein tolles Unternehmen und mit einem tollen Team mit ganz außergewöhnlichen Menschen arbeiten kann. Aber wenn der Zeitpunkt gekommen ist, muss man als Führungskraft auch die Größe haben zu erkennen, dass es Menschen gibt, die es besser können oder anders machen, und dann sollte man ihnen konsequenterweise auch den Vortritt lassen. Ich könnte mir gut vorstellen, zu einem Zeitpunkt X zurück in die zweite Reihe zu gehen und jungen Menschen bei deren beruflicher Entwicklung mit Erfahrung und Wissen zu unterstützen. Aber ich hatte es ja schon gesagt: Die heutigen Karrierewege kennen eigentlich nur eine Richtung und das ist nicht die zurück in die zweite Reihe.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe FÜHRUNG. Das Heft können Sie hier bestellen.