Ein königlicher Auftakt

Reden schreiben, Reden halten

Die meisten Reden beginnen lange vor dem Punkt, an dem es spannend wird. Schließlich will man einführen, erklären, vorwegschicken oder strukturieren. Aber im Privatleben machen wir das nicht. Wenn wir vom Urlaub erzählen, beginnen wir mit „Ich hatte noch nie so viel Angst“ oder „Das war das Verrückteste, was ich je erlebt habe“. Jetzt gehen wir davon aus, dass der andere uns zuhören wird. Wir fallen also sozusagen mit der Tür ins Haus.

Bei einer guten Rede macht man das genauso. Das kann eine Provokation sein, ein oft gehörter Satz der Zielgruppe oder ein Wortspiel. Die ersten Minuten haben die Aufgabe, die Aufmerksamkeit zu holen – es gibt ganze Tagesseminare nur über die Art, wie man eine Rede anfängt. 

Organisatorisches in eine Moderation auslagern

Manchmal kann man nicht anders, als am Anfang einer Rede ein paar Dinge zu erledigen. Aber die würde ich meinem CEO abnehmen. Es wird sich doch ein Mitarbeiter finden, der als Moderator fungiert (oder es wird ein Profi engagiert), der ansagt, dass die Handys ausgeschaltet werden, welche Autos falsch geparkt haben und dass sich das Buffet um 15 Minuten verzögert. Außerdem ist das Auditorium jetzt ruhig, hört zu und der König oder die Königin kann die Bühne betreten.

Ein weiterer Vorteil einer solchen Moderation ist, dass der Moderator Dinge sagen kann, die der Redner nicht sagen kann. Die meisten meiner Profikollegen haben einen vorbereiteten Text, mit dem sie anmoderiert werden wollen. Ist der CEO oder Politiker auf einer öffentlichen Veranstaltung, gehört das Schreiben einer Anmoderation dazu.

Da müssen manchmal Menschen begrüßt werden und der Redner muss sich bedanken. Das lässt sich in den seltensten Fällen umgehen. Damit das jetzt nicht langweilig wird, gibt es einen Trick – man macht die Vorstellung sehr persönlich:

Er hat mich gerade sehr herzlich begrüßt. Herzlich willkommen …
Sie ist jedes Jahr hier, und ich freue mich jedes Mal …
Ich habe ihr viel zu verdanken, deswegen freue ich mich besonders …

Die Beispiele sind sehr kurz, das darf ruhig länger sein. Derjenige mit dem Mikrofon hat in diesem Augenblick eine Menge Macht. Ein persönlicher Gedanke am Anfang einer Rede kann eine Gehaltserhöhung aufwiegen. Und wenn es keine Idee zu demjenigen gibt? Dann geht der Pressesprecher oder die Kommunikationschefin zu demjenigen hin, erfährt, dass er sich gerade sehr abgehetzt hat, um pünktlich hier zu sein, und daraus macht man dann einen netten Satz.


Checkliste: Falsche Anfänge

  1. sich für die nette Ankündigung bedanken (die man selbst geschrieben hat),
  2. sich im Zeitalter von Smartphones bedanken, dass alle den Weg gefunden haben,
  3. als vierter Redner alle nochmal willkommen heißen,
  4. die Agenda vorzulesen – sie zu zeigen reicht,
  5. um Erlaubnis bitten („Ich darf …“, „Lassen Sie mich …“, „Erlauben Sie mir …“),
  6. vor dem Anfang anfangen („Bevor ich anfange …“),
  7. sich entschuldigen (für Thema, Ort, Vorbereitung …).

Durch die vielen Videos auf Portalen wie Ted.com und Greator sind wir heute gewohnt, dass es schnell losgeht. Wir würden also auch nichts vermissen, wenn es am Anfang keine Begrüßung oder Einleitung gibt. Aber da denken CEOs oft noch sehr konservativ – und ich würde sie da nicht überreden. Vielleicht zeige ich ihnen mal ein paar Beispiele von großen Rednern (bei ted.com alles über drei Millionen Klicks).

„Ich weiß, warum Sie hier sind“

Mein Lieblingsanfang ist ein persönlicher Gedanke. Das ist meist das Einfachste, besonders, wenn Redende nervös sind. Eine persönliche Geschichte, ein Dialog mit dem Ehepartner beim Verlassen des Hauses oder ein Gespräch mit einem Gast der Veranstaltung. Das lässt sich schwer vorbereiten, aber man könnte im Manuskript Raum dafür lassen und den Redner dazu anregen.

Außerdem achte ich darauf, die Rede mit Ort und Zeit zu verknüpfen. Zuhörende sind sehr empfindlich, wenn der große Firmenlenker oder die Staranwältin nicht weiß, wo sie sich gerade befinden. Aber ein Satz über die Häppchen oder die schwierige Parkplatzsuche bilden sofort eine Brücke zum Publikum. Auch wenn der Vortrag innerbetrieblich stattfindet, gibt es vielleicht einen Bezug zum letzten Jahr oder zur momentanen Lage der Firma. Einen so nichtssagenden Satz wie „Schön, dass Sie so zahlreich erschienen sind“ kann ich immer sagen. „Es sind heute 297 Zuhörer hier“ kann ich nur sagen, wenn 297 Menschen anwesend sind.

Mein dritter Lieblingsanfang handelt vom Publikum. Wenn der Redner weiß, was die gerade denken (von banal bis existenziell), beginnt er seine Rede damit und hat die Zuschauer gleich für sich gewonnen. Wenn ich ahne, was die da unten denken, dann wird sie das beeindrucken. Und genau damit spiele ich: Ich weiß, warum Sie hier sind.

Pausen sind eine Machtfrage

Auf vielen Veranstaltungen entdecke ich wieder neue, interessante und überraschende Anfänge. Der Verkaufstrainer Hans-Uwe L. Köhler schlägt vor, eine Trauerfeier mit „Er lebt!“ zu beginnen und eine Hochzeitsfeier mit „Was für ein Wagnis!“ Oder er geht mit einem Konkurrenzprodukt auf die Bühne, alle grinsen, weil sie glauben, er habe sich vertan. Marketingexperte Scott Stratten fängt seine Keynote an mit „Hallo Raum voller Konkurrenten!“ Beginnen Sie die Rede mit ein paar Zitaten der Mitarbeiter, die entweder sehr zufrieden oder überhaupt nicht zufrieden sind. Sofort ist der Redner mit dem Publikum verbunden.

Wir wäre es mit einem Zahlenspiel? Einem Rätsel? Einem Gegenstand oder ein Produkt, das man sprechen lässt? Man könnte etwas zeichnen, eine Uhr läuft rückwärts oder die Gäste werden im Hintergrund auf dem Laufband der Folie einzeln begrüßt.

Übrigens: Der Anfang vor dem Anfang ist für alle gleich. Eine gute Rede beginnt mit einer Pause. Bühne betreten, Manuskript ablegen. In die Runde gucken. Einen Begrüßungssatz sagen. Noch einmal drei Sekunden und dann geht es los. Pausen sind eine Machtfrage. Und auch wenn 2×3 Sekunden nichts passiert, so braucht der Redner diese Zeit, um da oben anzukommen. Regen Sie ihn dazu an, sich die Zeit zu nehmen. Der König hetzt nicht, die Königin beeilt sich nicht, sondern beide konzentrieren sich – und dann geht es los.

 

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