PR-Deutschland im Jahr 2036: Die Hälfte der obersten Kommunikationsposten von Dax-Unternehmen ist von Frauen besetzt. PR kann endlich ihren Führungsanspruch im Unternehmen durchsetzen und leistet hier einen wichtigen strategischen Beitrag. Die Kommunikationsabteilung muss nicht mehr neidisch auf das große Budget des Marketings schauen, denn: Beide Bereiche werden im Sinne einer Integrierten Kommunikation zusammen gedacht. Ach ja, und die sogenannten klassischen Medien, wie sie früher genannt wurden, spielen nur noch eine nebensächliche Rolle. Jedes Unternehmen hat seine eigenen Publikationen und kann seine Botschaften – mit der absoluten Macht über Punkt und Komma – in aller Ruhe verbreiten. Ups, man wird ja wohl noch träumen dürfen … Spaß beiseite. Wie sollte sie denn aussehen, die Zukunft der Kommunikationsbranche?
Eine Zukunft mit starken Medien
Brauchen Organisationen in Zukunft überhaupt noch Medien? – darüber wurde beim ersten PR-Morgen, einer Veranstaltung dieses Magazins und der Landesgruppe Berlin/Brandenburg des Bundesverbands deutscher Pressesprecher, diskutiert. Ich möchte diese Frage eindeutig mit „ja“ beantworten. Es sind schließlich die klassischen Medien, die den PR-Botschaften Glaubwürdigkeit und Substanz verleihen. Weil sie eben nicht jeden Fetzen und jede Null-Information aufgreifen, die PRler unter Umständen in die Welt posaunen möchten. Weil sie kritische Fragen stellen. Weil sie enthüllen. Weil sie erklären. Weil sie einordnen. Weil sie an erster Stelle ihren Lesern verpflichtet sind oder zumindest sein sollten. Welcher Corporate-Kanal hat denn bitteschön die Reichweite einer „Bild“-Zeitung von zwölf Millionen Lesern? Welche Unternehmenspublikation hat die Seriosität einer „Tagesschau“ oder eines „Heute Journals“?
Auch die Eliten des Landes informieren sich nach wie vor klassisch: Sie lesen Zeitungen und Zeitschriften! Das ergab die Leseranalyse Entscheidungsträger 2015. 83 Prozent eben dieser Eliten nehmen jeden Tag gedrucktes Papier in die Hand, schreibt Ex-Porsche-Sprecher Anton Hunger in seiner Kolumne und nimmt damit auf oben genannte wichtige Analyse Bezug. Sicher, es ist heutzutage nicht einfach für Zeitungsmacher. Aber das Mantra von den „ausgedünnten Redaktionen und was das nun für die PR-Branche bedeutet“ – ich kann’s nicht mehr hören! Ja, es gibt sie, die Journalisten, die immer weniger Zeit für die Recherche haben und immer schlechter bezahlt werden. Das weiß ich selbst aus früheren Berufsjahren und von ehemaligen Kollegen. Die Medienbranche, die sich mitunter zu stark selbst bedauert, nervt manchmal mit ihrem Selbstmitleid. Dabei darf man nicht vergessen: Wir haben in Deutschland eine der vielfältigsten Presselandschaften weltweit.
Natürlich, man kann zu dem Schluss kommen, dass die Journaille selbst nicht mehr an sich glaubt, wenn namhafte Journalisten wie kürzlich Jörg Eigendorf und Henning Krumrey ihren Wechsel in die Unternehmenskommunikation ankündigen. Mein Gott, es ist halt so. Diese Seitenwechsel hat es schon immer gegeben. Deshalb darf der PR der Glaube an die Qualitätsmedien aber nicht verloren gehen und der Wert der klassischen Pressearbeit auch in der Zukunft nicht unterschätzt werden. Sie ist und bleibt, zumindest mittelfristig, die Kernaufgabe des Kommunikators. Es ist nicht die einzige, aber die wichtigste Aufgabe. So heißt es in der großen Berufsfeldstudie „Profession Pressesprecher 2015“: „Presse- und Medienarbeit ist immer noch der eigentliche Kernbereich.
Es gibt praktisch keinen Gesamtleiter Kommunikation, der nicht die Kommunikation mit der zentralen Stakeholdergruppe Journalisten steuert.“ Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Natürlich gehört es zum Pflichtprogramm der Kommunikationsabteilung, Blogger und Influencer Relations zu pflegen, Social Media zu managen, die eigenen Kanäle und Medien zu schaffen und mit guten (!) Inhalten für die jeweiligen Zielgruppen zu füllen. Mitunter wird jedoch der Eindruck vermittelt, das wäre das Einzige, was zählt. Der momentane Hype darum im Zuge des Mitmach-Internets ist überhöht und meiner Ansicht nach wird die Bedeutung der klassischen Media Relations im Zuge dessen unterschätzt.
Beziehungspfleger statt Technokraten
Erschreckend auch, dass beim PR-Nachwuchs das Zeitungswort nicht mehr allzu viel zählt: Das Magazin pressesprecher hatte vor einiger Zeit eine Gesprächsrunde initiiert, bei der zwei Kommunikationsstudenten anwesend waren. Nachrichten rezipierten sie vornehmlich über Google News. Wichtige Informationen würden schon über Social Media an sie herangetragen, so der Tenor. Bei uns, hier in der Redaktion, löste diese Denke gelinde gesagt Unbehagen aus. Nun gut. Nur ein falscher, partieller Eindruck von einer neuen PR-Generation? Keineswegs.
Günter Bentele bestätigt dieses Empfinden. Das Medienverhalten habe sich auch bei den PR-Studenten stark geändert, sagt der emeritierte Professor. Er hatte ab 1994 den Lehrstuhl für Öffentlichkeitsarbeit und Public Relations an der Universität Leipzig inne. „Fragte ich in einem mit 160 Studenten besetzten Vorlesungssaal, wer regelmäßig eine Zeitung lesen würde, gingen gerade mal drei Hände hoch.“ Nachrichten generiere diese Generation oftmals über Social Media. Das löse schon Irritationen aus, so Bentele. Dennoch sei die Ausbildung im Vergleich zu früher hochwertiger und das allgemeine Niveau der Studenten gut. Auch die Qualität der Abschlussarbeiten sei beachtlich. Heute hätten zwei Drittel der PR-Neueinsteiger ein einschlägiges Studium oder eine Weiterbildung im PR-Bereich absolviert. Vor 25 Jahren habe das noch anders ausgesehen. Da lag der Anteil der Quereinsteiger bei 90 Prozent. Die Branche hat sich in der Zwischenzeit also stark professionalisiert. Das ist gut für die Zukunft der PR.
Dennoch: Betrachte ich die Absolventen der PR-Master- und Bachelorstudiengänge, kann ich ein mulmiges Gefühl nicht leugnen. Da wurde zackig studiert, was wahrscheinlich am verschulten Bachelor/Master-System liegt. Da kennt man Kommunikationsstrategien aus dem Effeff. Da weiß man gute Eigen-PR zu machen. Und wo bleibt dabei der berühmte Blick über den Tellerrand? Vielleicht wird zu viel studiert und zu wenig gelebt? Ich weiß es nicht. Echte Persönlichkeiten, Charaktere sind mir noch nicht begegnet. Mag gemein klingen, schon klar. Aber muss nicht der Kommunikator eine gestandene Persönlichkeit sein, der eine gewisse Lebenserfahrung ausstrahlt? Über einen Instinkt verfügen, was Menschen da draußen zum Lachen und zum Weinen bringt? Sollte er dafür nicht wissen, was links und rechts des Weges geht und steht? Wie kann er es denn sonst schaffen, solide, vertrauenswürdige Beziehungen zu Stakeholdern aufzubauen? Wie soll er dem Wort „Relations“ in „Public Relations“ Leben einhauchen, ohne letzteres zu kennen? Ich wünsche mir für die Zukunft der PR mehr Beziehungspfleger statt Technokraten.
Storytelling und andere Buzzwords
Vertraut man den Ergebnissen des Trendbarometers der Deutschen Gesellschaft für Public Relations, sehen 81 Prozent der Agenturen und fast 71 Prozent der Unternehmen, Verbände und Institutionen Content Marketing und Storytelling als die Trends im PR-Bereich. Buzzwords unserer Zeit. An zweiter Stelle steht die Integrierte Kommunikation. Vor allem von Unternehmensseite wird diese in der Befragung als wichtig eingestuft. Bedenkt man, dass sich der Begriff und die Notwendigkeit einer Integrierten Kommunikation bereits Mitte der 1990er Jahre durchsetzte, wirkt es beinahe seltsam, dass dieser Ansatz auch noch 20 Jahre später als Trend durchgeht. Bleibt zu hoffen, dass dies nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, sondern Integrierte Kommunikation tatsächlich umgesetzt wird und Organisationen nicht im Silodenken verharren.
Das Konzept „Newsroom“ ist daher mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung und wird in einzelnen Unternehmen bereits gelebt. Gleichzeitig wird hiermit auch einem redaktionell/journalistisch ausgerichteten Denken Rechnung getragen, denn: Für gutes Storytelling braucht es Storys, die im journalistischen Sinne den Namen auch verdienen! Für Content Marketing braucht es erst einmal Content, um selbigen zu vermarkten! Dieses journalistische Denken müssen wohl einige PRler noch begreifen, um für die Zukunft gerüstet zu sein (beziehungsweise ihre Chefs).
Beim Software-Entwickler SAP hat man das bereits gelernt, wie Angela Dunn, Veteranin in der Globalen Kommunikation bei SAP, im Magazin „Communication Director“ schreibt. Lange habe man überlegt, wie man Ziele, Werte und Strategie wahrhaftig und erfahrbar gestalten könne. „We knew we had to rethink how we communicate, we knew we had to move beyond the cycle of all-hands, mails and intranet updates“, so Dunn. Dafür wurde ein Content-Team zusammengestellt. Man holte sich unter anderem Leute von Reuters, „Financial Times“ und NBC, also Menschen, die journalistisch denken. Der Auftrag für die Gruppe war klar: „to disrupt the information environment with human and personal stories in print and visual“.
Ein TV-Format, das es seit Team-Gründung gibt, ist „The Spin“. Wöchentlich und in weniger als drei Minuten werden hier Unternehmensnachrichten aufbereitet – mit Erfolg, wie Klicks und Kommentare auf dem News-Portal beweisen. „Technical Content“ wird hier in ein „conversational video“ umgewandelt. Am besten fasste der frühere TV-Journalist und Leiter des neuen Teams, Sam Juneau, den Ansatz zusammen: „A good story is a good story. It includes human characters. What works in the real world can work in corporate.“ Mögen sich Kommunikatoren diese Worte jetzt und in Zukunft zu Herzen nehmen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.