Burnout-Prophylaxe: Fehlern verbeugen durch gute Selbstführung

Die Diskrepanz zwischen Denken/Sagen/Fühlen führt zwangsläufig zu Fehlern. Chefarzt Rüdiger Höll erklärt, warum Kommunikatoren besonders anfällig für daraus resultierende Belastungsstörungen sind, welche Fehler sie in der Selbstführung machen und was im Kampf gegen die 80 Stunden-Woche helfen könnte.

Herr Höll, wie steht es um die psychische Gesundheit von Pressesprechern?

Rüdiger Höll: Kommunikation ist alles – in Ihrer wie in unserer Branche. Die „Ressource Mensch“ wird immer wichtiger, allein schon vor dem Hintergrund der Demografie. Die meisten Pressesprecher funktionieren. Noch.

Sind Menschen, die beruflich viel kommunizieren müssen, besser geschützt als andere gegen Belastungsstörungen?

(lacht) Im Gegenteil, sie sind besonders gefährdet, über ihre natürlichen Leistungsgrenzen hinaus zu gehen – obwohl sie es als Führungskräfte eigentlich besser wissen müssten.

Müssten Sprecher im dauernden Austausch mit verschiedenen Zielgruppen nicht besonders selbstreflektiert sein?

Sie laufen eher schneller Gefahr, sich selbst zu verlieren. Kommunikatoren droht ein Wertekonflikt, wenn sie zum Beispiel nicht sagen dürfen, was sie wirklich denken. Und es kann krank machen, wenn man über längere Zeit etwas nach außen vertreten muss, an das man nicht glaubt. Es ist ähnlich wie bei einem Schauspieler, der droht, seine Rolle zu werden: Einer unserer Patienten sollte im Job einen Vergewaltiger spielen und brach auf der Bühne zusammen, weil er keiner Frau Schaden zufügen wollte. Jede Diskrepanz zwischen Denken/Sagen/Fühlen belastet.

Ist der Versuch, trotzdem Schritt zu halten, schon ein Fehler?

Es gibt in unserer Wertekultur nur zwei Währungen für Erfolg: Geld oder Anerkennung. Fehlen sie, können beide zu krankmachenden Faktoren werden. Es geht heute in Unternehmen vor allem um die Anpassung an unanpassbare Dinge: Die Arbeitswelt wird immer schneller, immer vernetzter und das mit immer größeren Entwicklungssprüngen in immer kürzerer Zeit. Das kann nicht gelingen. Mutige Beispiele wie gleich zwei Sprecher der Grünen oder der wegen zu großer Belastung zurück getretene ehemalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzek zeigen, dass 80-Stunden-Arbeitswochen unmöglich sind.

Welche Faktoren erschweren Sprechern den Balance-Akt?

Schwierig wird es, wenn viel Verantwortung, schlechte Bezahlung und lange Arbeitszeiten zusammen kommen – und das nicht nur ausnahmsweise, sondern weil sie erwartet und sozial akzeptiert sind. Doch wer Bekanntheit, ein hohes Prestige und die Nähe zur Macht sucht, wird diese Zugeständnisse sogar gerne machen. Natürlich gibt es Abstufungen: Es macht einen Unterschied, ob ich Sprecher bei einer Naturschutzbehörde oder im Kanzleramt bin. Doch bei beiden nimmt die Fehlertoleranz nach oben hin ab.

Wer ist für Sie ein typischer Risikopatient?

Die Branche ist entscheidend. Zum Beispiel sind vier Prozent aller Beschäftigten in Gesundheitsberufen arbeitsunfähig, weil sie jeden Tag dulden, geben und fürsorgen. In diesen Berufen machen die Mitarbeiter ihre Probleme mit sich aus – und suchen sich häufig viel zu spät Hilfe. Allerdings sind Frauen da sozial kompetenter: Sie holen sich zehn bis 15 Jahre früher Hilfe von einem Profi als Männer.

Welche Lösungen gibt es?

Das wichtigste Stichwort ist „gute Selbstführung“. Wenn ich sogar alle Faktoren und Maßnahmen gegen Belastungen kenne, aber zu erschöpft bin, um mit der Umsetzung für ein besseres Leben zu starten, kann ich den Kreislauf nicht allein durchbrechen und muss warten, bis ich am Ende meiner Leidensfähigkeit angelangt bin. Wer sich keine Freiräume schafft, um zum Beispiel den Tag in zehn Minuten Stille zu beginnen oder abends laufen zu gehen, nimmt körperliche Schäden in Kauf.

Die Urlaubsforschung sagt, die ideale Auszeit, um wirklich zu entspannen – und zwar ohne täglichen Blick in die E-Mails – dauert drei Wochen. Doch gerade Führungskräfte genehmigen sich nach US-Vorbild gerade einmal zehn Tage am Stück.

Was hilft da konkret?

Resilienz gehört in den Baukasten für jedes Selbstmanagement: Ein Sprecher braucht Werkzeuge, die ihn stark und gesund erhalten. Wie kommt er nach einem Tag, an dem er vielleicht drei Mal lügen musste, wieder zu sich? Er muss wissen, wie er frei nach Wilhelm Reich „gesund entspannt“. Alkohol ist keine Lösung, aber drei Mal 45 Minuten Ausdauersport pro Woche ist eine. Das wissen die meisten Menschen – aber wer nimmt sich wirklich dafür die Zeit?

Was sind potenzielle Folgen, wenn wir das nicht tun?

Körperliche Spannung führt bei Pressesprechern schnell zu Versprechern und anderen Fehlern. Gerade beim dauernden Rollenwechsel für verschiedene Zielgruppen muss man gut geerdet sein. Der Kontakt zum eigenen Körper ist dabei sehr wichtig, um Symptome lesen zu können. Erste Anzeichen für eine Belastung sind zum Beispiel Schlafstörungen, ein sinkendes Selbstwertgefühl oder Bluthochdruck, Rücken- oder Kopfschmerzen bis hin zu Migräne. Sie kommen meist dann, wenn der Mensch verschiedene Grenzen bereits überschritten hat und der Körper ihn matt setzt, um ihn zu schützen.

Sagt das die Forschung?

Ich spreche aus Erfahrung: 1997 hatte ich vor lauter Belastung ein Magengeschwür. Ich stellte meine Ernährung um, setzte auf mehr Bewegung. Aber offensichtlich brauchte ich diesen harten Hinweis meines Körpers.

Landen Sprecher schnell in der Burnout-Falle?

Ich lehne den Begriff „Burnout“ ab – der stammt aus der Technik und steht eher für Kraftwerke oder Brennstäbe und berücksichtigt nicht, dass hinter der Diagnose echte Menschen stecken. Ich spreche eher von „Depression“ oder „tiefer Erschöpfung“.

Kriegt man das Problem alleine in den Griff?

Die meisten unserer Patienten kommen zwar freiwillig aber nicht rechtzeitig. Lieber sollten sie sich bei ersten Anzeichen einer Belastungsstörung mit einem Profi unterhalten, eine Standortbestimmung vornehmen und sich fragen, ob Prävention noch reicht.

Auf einen solchen Termin muss man aber laut Presseberichten lange warten…

Das stimmt im Großen und Ganzen im ambulanten Therapiesektor. Die “fast lane” in der psychosomatischen Krankenhausbehandlung sollte mit guter Prävention eigentlich überflüssig werden, ist aber gegenwärtig häufig in bestimmten Fällen dringend erforderlich, um eine notwendige rasche Diagnostik und Stabilisierung zu gewährleisten.

Und wie finde ich dann einen niedergelassenen Profi?

Hat ein ambulanter Therapeut keine Wartezeit, ist das schon ein schlechtes Zeichen (lacht). Man sollte sich seinen Therapeuten danach aussuchen, dass er spezialisiert ist und die Arbeitswelt mit Gesundheit verbinden kann.

Hilft reden?

Kommunikation heilt. Eine klare Kommunikationskultur lässt uns Entlastung empfinden. Natürlich muss man sich in Arbeitswelten mit strengem Protokoll zurück halten. Sich Zeit zu nehmen, um über Gefühle zu sprechen, ist im Job nicht vorgesehen.

Aber wir erleben in unserer Klinik immer wieder Patienten, die nicht frei kommunizieren können und erst wieder lernen müssen, Sätze mit „ich“ zu beginnen statt mit „wir“ oder „man“, darunter sind auch Pressesprecher.

Das Lösen emotionaler Blockaden ist der Schlüssel, doch dafür muss man erst einmal an sie heran kommen. Das geht am besten über Rollenvorbilder. Wenn zum Beispiel ein Mann mit seinem inneren Kind in Kontakt kommt oder konfrontiert wird, ist er berührt. Kommunikation als Problemauslöser kann also auch Teil der Lösung sein.

Und wie geht es dann weiter?

Das wichtigste ist es, zu lernen, sich selbst zu führen. Aber man muss danach das Gelernte auch nachhaltig in den Alltag einbauen. Wir haben weniger als zehn Prozent Wiederkehrer unter unseren Patienten. Man muss immer die Realitäten abgleichen: Man bekommt halt in Berlin schneller einen neuen Job als Pressesprecher als in Buxtehude. Das Geheimnis ist die Selbstverantwortung. Schließlich ist jede regelmäßig zu überprüfende Lebensplanung nicht mehr als eine Verschiebung von Prioritäten.

Kommt es also am Ende auf die ganz persönliche Innenschau an?

Ja. Im alten Persien gab es der Sage nach eine Zeit, in der jedem Kredit gewährt wurde. Doch bevor der Vertrag zustande kam, musste der Bewerber den Steinbruch besuchen, in dem diejenigen schuften mussten, die ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten. Kaum jemand wollte am Ende noch einen Kredit. Genauso sollte jeder für sich entscheiden: Was kostet mich der Job – und was sind die Zinsen?

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Fehler. Das Heft können Sie hier bestellen.

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