Audi macht mobil

Mitarbeiterkommunikation

Halbzeit im Change-Prozess der Mitarbeiterkommunikation bei Audi: Impulsgeber und Seismograph zu sein, ist die neue Vision. Bewegte und bewegende Geschichten sind gefragt, statt Kanal- und Silodenken zählen cross-mediales Themenmanagement und Dialogorientierung.

Schon der offizielle Titel seiner Abteilung fällt auf: Mitarbeiterkommunikation. Nicht interne. Historisch gewachsen oder Ausdruck einer Haltung? Eindeutig letzteres, sagt Jörg Lindberg. „Bis 2010 hieß die Abteilung auch bei uns „interne Kommunikation“. Doch als wir innerhalb der Audi-Kommunikation umfassende Umstrukturierungen vornahmen, wollten wir uns lösen von dem formalen Begriff, der geprägt ist von der überholten dogmatischen Unterscheidung zwischen interner und externer Kommunikation.“ Der heutige Titel stehe vielmehr für die Haltung, nah am Mitarbeiter und Stakeholder zu sein, ihren „Puls zu fühlen“.

Lindberg selbst hat zuvor jahrelang im HR-Bereich gearbeitet. Für seine heutige Position überwiegen aus seiner Sicht die Vorteile daraus: „Ich bin kein ausgebildeter Journalist und habe als Leiter daher auch den Blick auf Themen, wie sie dem Unternehmen und den Mitarbeitern einen Mehrwert bringen können. So haben wir uns als Abteilung auf die Fahnen geschrieben, auch strategischer Berater zu sein und Impulse zu geben.“ In neun Jahren seiner HR-Tätigkeit tauchte Lindberg ein in Entwicklung und Produktion, arbeitete für den Personalvorstand und als -leiter. „Daher kenne ich Strukturen, Mentalitäten und viele handelnde Personen. Ein solches Netzwerk ist wichtig, um Türen zu öffnen – gerade auch, weil Audi in den vergangenen Jahren stark gewachsen und das Arbeitsumfeld komplexer geworden ist.“

Jörg Lindberg ist Leiter der Abteilung Mitarbeiterkommunikation/ Elektronische Medien der Audi AG. Der passionierte Marathonläufer war zuvor unter anderem Assistent des Personalvorstands und -leiter. © Julia Nimke

Jörg Lindberg ist Leiter der Abteilung Mitarbeiterkommunikation/ Elektronische Medien der Audi AG. Der passionierte Marathonläufer war zuvor unter anderem Assistent des Personalvorstands und -leiter. © Julia Nimke

Change Change Change

Auch Lindbergs eigenes Team musste sich wandeln: Im Oktober 2013 startete der Change-Prozess für die Mitarbeiterkommunikation. Bis dahin wurden die Abteilung aufgestockt, neue Medienformate entwickelt und die Digitalisierung zu Enterprise 2.0 vorbereitet. Perfektes Timing für einen Neustart, denn „damals war der Zeitpunkt mit diesen neuen Kollegen günstig, unser eigenes Tun zu hinterfragen und an den Rahmenbedingungen neu auszurichten.“

Ein junges Team mit viel Fachwissen und Leidenschaft – aber natürlich ohne gemeinsam entwickeltes Selbstverständnis und den Blick auf eine moderne Mitarbeiterkommunikation 2015. Lindbergs Team krempelte die Ärmel hoch und begann den Change-Prozess gemeinsam zu gestalten. Kein leichter Weg: Das Team reflektierte die eigene Arbeit, führte eine unternehmensweit repräsentative Befragung der Zielgruppen durch. Entwickelte eine eigene Vision und Mission, definierte Werte, Spielregeln und KPI. In fünf Workshops á zwei Tagen mit externer Begleitung investierte das Team viel Zeit. „Wir arbeiten heute effektiver, haben weniger Schnittstellen, transparentere Prozesse und dadurch unseren Outcome deutlich erhöht – damit ist der break even schnell erreicht“, prognostiziert Lindberg.

Von Menschen und Medien

Zwölf Mitarbeiter arbeiten heute in der Mitarbeiterkommunikation. Alle ausgesucht nach ihrem Wert für ein gemischtes Team: Manche Mitarbeiter fand Lindberg in Redaktionen, die meisten haben einen kommunikationswissenschaftlichen Background, promoviert, eine strategische Ausrichtung und Erfahrung im Projektmanagement. „Wir haben einen Premiumanspruch“, verkündet Lindberg, „auch journalistisch.“

Jeder Redakteur arbeitet auf mehreren Themenfeldern und für unterschiedliche Geschäftsbereiche. Eine Mitarbeiterin dient explizit als Bindeglied zum Betriebsrat. Laut Stellenplan arbeitet ein Kollege speziell für die Strategie: „Er hat eine Ausbildung bei einer Tageszeitung, seine Ausbildungen mit Exzellenz abgeschlossen, war Volontärsbetreuer und hat promoviert in Public Affairs Management“, so Lindberg. Der Stratege beschäftigt sich aktuell damit, wie Audi ein Führungsleitbild kommunikativ einführen und die großen Strategiefelder des Unternehmens begleitet kann.

Alle machen alles? Nein. Aber alle arbeiten cross-medial. Im Change-Prozess hat Audi Rollenprofile für die Mitarbeiterkommunikation eingeführt. Darunter auch einen Medienmanager, der neue Medien- und Kommunikationsformate entwickelt sowie Trends aufspürt. Lindberg setzt intern auf Präsenz: Seine Abteilung ist inzwischen in vielen Gremien und Projektgruppen vertreten, er selbst unter anderem Mitglied im Strategiekreis.

Täglich tauschen sich Mitglieder der Audi Kommunikation im „Daily Meeting“ über wichtige Themen aus. Danach folgt ein maximal 15-minütiges „Daily Stand-Up“ mit Lindbergs Team zum Informationsaustausch und Abgleich mit dem internen Redaktionsplan. Damit es schnell geht, bleiben dabei alle stehen. Zusätzlich findet einmal pro Woche eine teaminterne Runde statt, in der die bestmögliche crossmediale Umsetzung relevanter Themen besprochen wird.

Inspiration holt sich Lindberg auch jenseits des Tellerrands: Vor kurzem besuchte er in Berlin den Newsroom der „Welt“. Wie „alte Printler“ und „neue Onliner“ zusammen wachsen, kann man sich dort abgucken. Kürzere Wege, schnellere Prozesse, eine Entsprechung des gesellschaftlichen Wandels – im Kleinen lässt sich das Prinzip Newsroom auch für Unternehmen nutzen. Man dürfe nicht vergessen, „dass das, was man heute dort sieht, das Ergebnis eines fast zehn Jahre langen Prozesses ist“, so Lindberg, der auch bei Audi die Fokussierung aufs Digitale vorantreibt. „Wir filetieren jede Idee und schauen, wie man sie fürs Unternehmen adaptieren kann.“

Geänderte Kanäle

In regelmäßigen Befragungen erfährt die Redaktion, was ihre Leser bewegt: Wie oft nutzen sie welche Kanäle, welche Themen interessieren sie? Neben der klassischen Klickzahl-Auswertung setzt Lindbergs Team alle fünf Jahre auf Online-Befragungen mit mehreren tausend Mitarbeitern, ergänzt um Fokusgruppengespräche oder interviewt bei aktuellem Bedarf einfach mal die Kollegen adhoc vor den Betriebsrestaurants.

Das Mitarbeitermagazin „Audimobil“ hat eine Auflage von 74.000 und geht auch an Werksrentner. Es erscheint sieben Mal pro Jahr in vier Sprachen, mit vier verschiedenen Covern und individuellen Inhalten für die Standorte Ingolstadt, Neckarsulm, Brüssel und Györ in Ungarn. © Julia Nimke

Das Mitarbeitermagazin „Audimobil“ hat eine Auflage von 74.000 und geht auch an Werksrentner. Es erscheint sieben Mal pro Jahr in vier Sprachen, mit vier verschiedenen Covern und individuellen Inhalten für die Standorte Ingolstadt, Neckarsulm, Brüssel und Györ in Ungarn. © Julia Nimke

Die Mediennutzung bei Audi hatte sich gegenüber der letzten internen Befragung von 2009 geändert: Obwohl 40 Prozent der Mitarbeiter in der Produktionslinie ohne direkten Zugriff auf die Online-Welt arbeiten und früher die Mitarbeiterzeitung für die Informationsbeschaffung auf Platz 1 lag, nutzen heute die meisten Kollegen das Mitarbeiterportal „Audi mynet“. „Damit hatten wir nicht gerechnet“, gibt Lindberg zu. „Auch die Inhalte haben sich geändert: Die Mitarbeiter wünschen sich mehr Infos über das Unternehmen hinaus, mehr aus der Branche und von Wettbewerbern.“

Und Bewegtbild holt auf: Im vergangenen Jahr produzierte die TV Kommunikation etwa 300  Filmbeiträge, davon 120 für die Mitarbeiterkommunikation. Gedreht wird selbst, dafür gibt es vier feste Mitarbeiter und zwei Praktikanten. Außerdem Unterstützung von externen Agenturen. Lindberg: „Eine arbeitet zum Beispiel für unser 14-tägiges Internes TV-Magazin „Audi Journal“. Es zeigt in zehn Minuten Beiträge über unternehmensrelevante Themen aus Technik und Produktion. Aber genauso Beiträge zu Arbeit, Hobbys oder sozialem Engagement von Mitarbeitern.“ Wird ein neues Automodell vorgestellt, erhalten Mitarbeiter einen Tag vor Ende der Geheimhaltung einen exklusiven Einblick.

Der Bereich Event-Management gehört ebenfalls zu Lindbergs Aufgaben, für ihn ein weiteres Zeichen der Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern. Eine Kollegin organisierte zum Beispiel 2014 zwei Familientage im Ingolstädter und Neckarsulmer Werk mit 100.000 bezeihunsgweise 70.000 Besuchern. Bei Mitarbeitern auch begehrt: Fahrten zu DTM-Rennen an den Hockenheim- oder Norisring, Autogrammstunde mit den Fahrern, Kinderschminken und ein buntes Rahmenprogramm inklusive. Tagsüber gegen einander kicken und abends gemeinsam feiern können die Kollegen später beim Audi-Cup. Fußballer aus allen Standorten kämpfen um Punkte und Pokale, seit Kurzem gibt es auch Mitspieler von den Audi-Töchtern Ducati und Lamborghini.

Touchpoints schaffen

Doch wie erreicht man die Kollegen am Band? „Jede Arbeitsgruppe in der Produktion aus acht bis zwölf Mitarbeitern hat eine Gruppenecke mit einem eigenen PC“, erklärt Jörg Lindberg. „Der Gruppensprecher ist sowieso häufig online, weil über das Mitarbeiterportal unter anderem interne Arbeitsabläufe gesteuert werden.

Das im vergangenen Herbst komplett gerelaunchte Portal Audi mynet ist personalisierbar, hinter jedem Passwort versteckt sich eine individuelle Rolle mit Rechten. Die Startseite ist für alle gleich, seine Favoriten stellt sich jeder Mitarbeiter selbst zusammen. Ergänzt wird das Portal um interne soziale Medien, wie zum Beispiel Audi Team, einem Collaborations-Tool, in dem Themen diskutiert und Lösungen gemeinsam entwickelt werden.

Dass Ältere weniger online-affin seien als Jüngere, hält er für einen Trugschluss: „Natürlich gibt es Führungskräfte, die sich noch jede Email von der Sekretärin ausdrucken lassen. Aber in Meetings mit Führungskräften arbeiten heute fast alle mit mobilen Geräten.“ Um die Hemmschwelle niedrig zu halten, bot das Unternehmen extra keine Kurse á la „Neue Medien für Einsteiger“ an. Aber bei der Einführung der sozialen Medien gab es bei Audi ein Reverse Mentoring: Auf Wunsch erklären Azubis Vorgesetzten im Alter von 45+ die schöne neue Online-Welt.

Bewegender Content

Auch die Inhalte der Mitarbeiterkommunikation haben sich verändert: Während Studien zeigen, dass Menschen in der heutigen Informationsflut zu ertrinken drohen, bestätigte die jüngste Mitarbeiterbefragung das auch Audi-intern. Zeit für Fokus also. Und ein Umdenken. Aufmerksamkeit ist das größte Gut und die knappste Ressource zugleich. Sie erschafft nur, wer sich auf das Wesentliche reduziert. Die neuen KPI bei Audi daher: Relevanz, Aktualität, Verständlichkeit und Originalität.

„Aber wir dürfen die Emotionen nicht außer Acht lassen“, mahnt Lindberg. „Es geht in der Mitarbeiterkommunikation nicht nur darum, zu informieren – wir müssen auch Wertschätzung geben und motivieren. Wir wollen Bilder erzeugen und Geschichten erzählen.“ Aus bewegtem Content wird bewegender.

Und was bewegt Audianer? Zum Beispiel, wenn nichts mehr geht und die Mitarbeiter rund ums Werk oft im Stau stehen. „Wir greifen auch kritische Themen auf“, sagt Lindberg. „Im Vergleich zu Berlin ist die Verkehrslage sicher überschaubar, aber sie belastet unsere Mitarbeiter.“

Jörg Lindberg im Gespräch mit pressesprecher-Chefredakteurin Hilkka Zebothsen (c) Julia Nimke

Jörg Lindberg im Gespräch mit pressesprecher-Chefredakteurin Hilkka Zebothsen (c) Julia Nimke

Viel Mut zur Originalität und Überraschung hat die Mitarbeiterkommunikation immer wieder: So platzierte sie eine Designstudie am Münchner Hauptbahnhof zwischen den Gleisen und die Redakteure beobachteten die Reaktion der Reisenden, wieder als Zeichen der Wertschätzung für die eigenen Mitarbeiter. Ein Highlight vor Weihnachten: „Bei der Consumer Electronics Show in Las Vegas haben wir den Audi A7 piloted driving vorgestellt, ein Auto, das pilotiert, also ohne Fahrer, 900 Kilometer vom Silicon Valley nach Las Vegas fuhr“, erinnert sich Lindberg. Auf der Rückbank: Ein Audi-Mitarbeiter, der eine interne Aktion gewonnen hatte. „Das Los traf genau den Richtigen, nämlich einen Kollegen aus der Produktion.“

Besonders berührend: Die Titelgeschichte über den „Mauerspringer von Berlin“. Was kaum einer ahnte: Der DDR-Grenzsoldat Conrad Schumann, der während des Mauerbaus in den Westen sprang und dessen Foto um die Welt ging, hat 25 Jahre lang bei Audi gearbeitet. Bis heute arbeiten sein Sohn und seine beiden Enkel immer noch im Werk. Ihr erstes Interview, das auch von externen Medien aufgegriffen wurde, gaben sie schließlich Lindbergs Leuten.

Redaktionelle Freiheit

„Aktualität hat bei uns Vorrang“, sagt er. „Und die Prämisse, idealerweise am nächsten Morgen nach einem Ereignis darüber zu berichten. Wenn es einer Freigabe bedarf, bekomme ich die meist bis morgens früh um sieben.“

Fragt man Lindberg nach seinem Ziel, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Ich will bis Ende 2015 eine Benchmark-fähige Mitarbeiterkommunikation, die in der Branche klare Impulse gesetzt und USPs hat. Wir setzen die „Online first“-Strategie konsequenter um und werden internationaler.“

Mehr als die Hälfte des Weges ist geschafft, „aber wir sind noch nicht am Ende.“ Welchen tweet er dann selbst gerne absetzen würde? „Vorsprung durch Mitarbeiterkommunikation – Audi an der Spitze der Bewegung.“

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Mut – Von couragierten Kommunikatoren und cleveren Kampagnen. Das Heft können Sie hier bestellen.

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