Mit einem einzigen Tweet, ziemlich emotional, wenig durchdacht, ist es der Deutschen Bahn am vergangenen Wochenende gelungen, die sozialen Medien in Deutschland zu dominieren. Das ist keine gute Nachricht für das Unternehmen. Innerhalb weniger Stunden geriet es ins Zentrum eines Tweetstorms, wie er ungünstiger kaum hätte ablaufen können.
Die selbstgewählte „Gegnerin“ der Bahn war Greta Thunberg – für einen Konzern, der den Kampf gegen den Klimawandel in den Mittelpunkt seiner Kommunikation gerückt hat, zweifelsohne nicht die richtige Rivalin.
Die Klimaaktivistin hatte wegen eines ausgefallenes Zuges einen Teil ihrer Reise-Etappe von Basel nach Hamburg im Gang des Zuges statt auf einem Sitzplatz verbringen müssen und davon ein reichlich unspektakuläres Bild getwittert. Das gefiel dem Social-Media-Team der Bahn offenbar nicht, und ab ging die Post. Dieser Verstoß gegen Regel Nummer 1 der Krisenkommunikation – vermeide es, durch undurchdachte Kommunikation selbst eine Krise auszulösen – brachte dem Unternehmen eine Flut an Kritik, Tadel, Häme und Unverständnis ein.
Solidarität aus unerwünschter Richtung gab es als Zugabe, auch einen gewohnt unsäglichen Franz-Josef-Wagner-Kommentar bei Bild („Das Foto der armen Greta im ICE ist inszeniert … Wie echt ist Greta?“), und die Bahn selbst sah sich sogar genötigt, eine – ebenfalls nicht sonderlich gelungene – Pressemitteilung herauszugeben. Für manche trotz starker Konkurrenz der größte kommunikative Fail des Jahres 2019.
Was ist da schief gelaufen? Vier mögliche Lehren aus einem Fall, in dem ein Tweet innerhalb kürzester Zeit zu einem signifikanten Problem für die gesamte Unternehmenskommunikation geriet.
1. Sei nicht paranoid:
Wittere keinen Angriff, wo es keinen Angriff gibt
Ein entscheidendes Kriterium dafür, wie Unternehmen auf Social-Media-Angriffe reagieren sollten, ist es abzuwägen, ob es sich überhaupt um einen Angriff handelt.
Greta Thunbergs Tweet vermittelte eine Mischung aus Erschöpfung nach dem enttäuschend verlaufenen Madrider Klimagipfel und aus Vorfreude, bald wieder zu Hause in Schweden zu sein – einen Angriff auf die Deutsche Bahn stellte er beim besten Willen nicht dar, noch nicht einmal eine echte Beschwerde oder ironische Spitze.
Traveling on overcrowded trains through Germany. And I’m finally on my way home!
Aus der Binnenperspektive des Verkehrskonzerns heraus mag eine im DB-Zuggang zwischen Koffern hockende globale Ikone ungünstig wirken. Keine Frage: nicht so erfreulich. Dahinter jedoch eine imageschädigende Attacke zu vermuten und präventiv zum Gegenschlag auszuholen – falsche Entscheidung, eskalierend, reflexhaft überreagierend.
Längst nicht jeder Social-Media-Post, den sich Unternehmenskommunikatoren positiver und lobender gewünscht hätten, erfordert aktive Verteidigung. Auch nicht, wenn Prominente etwas posten.
Vielleicht sogar: erst recht nicht, wenn Prominente etwas posten. Erst vor wenigen Tagen kehrte niemand anderer als Greta Thunberg einen neuerlichen persönlichen Angriff des obersten aller Twittertrolle in einen sympathisch-viralen Punktsieg um. Anscheinend hat sich bei der Deutschen Bahn niemand gefragt, ob es wirklich klug ist, einen Disput mit ihr zu beginnen. War es nicht, denn es war kein Angriff, wie Thunberg ein paar Stunden später in einem weiteren Tweet klarstellte.
This is no problem of course and I never said it was. Overcrowded trains is a great sign because it means the demand for train travel is high!
Pick your battles – das gilt auch für Unternehmen.
2. Schließ nicht die Augen:
Bestreite nicht Probleme, wenn es Probleme gibt
Züge fallen aus, haben Verspätung, sind überbesetzt, manchmal harren Passagiere auf Gängen aus. Das kommt, wie man hört, gelegentlich vor bei der Deutschen Bahn.
Wer es darauf anlegt, könnte seinen gesamten Social-Media-Konsum ohne Weiteres mit mehr oder weniger verblüffenden Geschichten aus dem Bahn-Universum bestreiten.
Die Deutsche Bahn hat tatsächlich Probleme mit Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Nicht etwa mangelndes Engagement der Eisenbahner ist der Hauptgrund dafür, die Ursachen liegen tiefer, sind politischer. Doch die Leidtragenden sind stets die Passagiere. Eine Binsenweisheit, zehntausendfach geliked, geshared, getweeted.
Warum also im Fall von Greta Thunberg – ausgerechnet im Fall Greta Thunberg mit all seinem viralen Potenzial – plötzlich so agieren, als handele es sich um eine kaum fassbare Ungewöhnlichkeit, die jetzt aber schnellstens eingeordnet gehört? Warum ausgerechnet in diesem Fall so kommunizieren, als sei gerade eine höchst seltsame Anomalie entdeckt worden, die keinerlei Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zulässt? Auch heute, morgen, übermorgen werden Bahn-Kunden ihr „Greta-Erlebnis“ haben und darüber in den sozialen Medien berichten.
Stehen Unternehmen vor fundamentalen, offensichtlichen Image-Herausforderungen, dürfte es die kurzsichtigste Variante sein, so zu tun, als gäbe es diese gar nicht. Das funktioniert nicht, und selbstbewusst wirkt es auch nicht.
3. Wirke nicht unsicher:
Kommuniziere souverän, wenn Souveränität gefragt ist
Natürlich kann die Social-Media-Abteilung eines Unternehmens – wie hier die der Deutschen Bahn – auf einen als unangenehm wahrgenommenen Tweet, gar einen Angriff, mit Forderungen nach Dankbarkeit für jene Dinge reagieren, die korrekt gelaufen sind.
Natürlich kann man das mit auffällig unsubtilem Selbstlob garnieren. Natürlich kann man deutsch auf englischsprachige Tweets antworten. Natürlich kann man darauf verzichten, eine Person direkt mit ihrem Twitternamen anzusprechen.
Man kann „Herrschaftswissen“ demonstrieren, indem man unautorisiert Reisedetails einer Passagierin veröffentlicht. Und natürlich kann man auf die gekränkte innere Stimme hören, die verlangt, doch bitte nicht nur den Sitzplatz zu erwähnen, sondern passiv-aggressiv unbedingt den „Sitzplatz in der Ersten Klasse“.
Souverän wirkt all das nicht. Es wirkt kleinlich, schnippisch, beleidigt.
Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist.
Hier stellt sich ganz besonders die Frage, was das sollte. Die vorwurfsvolle, diffamierende Intention mitzuteilen, dass Thunberg 1. Klasse fuhr, ist geradezu greifbar. Nur: Ergibt es auch nur im Entferntesten irgendeinen Sinn, wenn ausgerechnet die Deutsche Bahn die Fahrt in der 1. Klasse der Deutschen Bahn unterschwellig als anrüchig darstellt? Argumentieren gegen das eigene Produkt? Jubel und Jauchzen auslösen bei jenen, die Thunberg verabscheuen: Siehste, angeblich Klima schützen, aber 1. Klasse fahren, diese Heuchlerin!!!11!!!!einself!!
Ist aus Sicht der Bahn eine destruktivere Botschaft denkbar?
Bei Social-Media-Posts, die das Potenzial haben könnten, zu einer größeren kommunikativen Herausforderung zu werden, sollten sich Kommunikatoren ganz bewusst fragen: Was ist die eigentlich die souveränstmögliche Reaktion darauf?
Die Antwort wird je nach konkretem Szenario unterschiedlich ausfallen: manchmal ist Humor das souveränste, vielleicht sogar Selbstironie, manchmal ist es emotionslose Sachlichkeit, manchmal Zerknirschung, manchmal vielleicht wirklich Attacke und manchmal ist es Ignorieren. Nickeligkeiten wie hier wirken dagegen stets unsicher.
Die Frage „Was ist die souveränste Reaktion – ja, die coolste – die wir abliefern können?“ verdient einen Platz im Standardwerkzeugkasten jeder Kommunikationsabteilung.
4. Werde nicht hektisch:
Nimm dir Zeit fürs Nachdenken, Nachdenken ist wichtig
Auch für große Unternehmen mit breit aufgestellten Kommunikationsabteilungen ist es ein besonderes Ärgernis, wenn knifflige Social-Media-Schwierigkeiten an Wochenenden auftauchen.
Leider gibt es zwei universale Gesetzmäßigkeiten, die knifflige Social-Media-Schwierigkeiten mit eminent hoher Wahrscheinlichkeit an Wochenenden auftauchen lassen: Erstens Murphy’s Law und zweitens die Gier der sozialen Medien nach dem nächsten Kick, nach dem nächsten Skandal, dem nächsten Aufreger. Immerhin liegt der letzte Adrenalinschub mancher sozialer Netzwerker an Wochenenden schon beinahe 24 Stunden zurück.
Das Risiko, dass Kleinigkeiten in Windeseile zum veritablen Social-Media-Desaster mutieren, ist an Wochenenden besonders groß. Umso wichtiger ist es, sich Zeit zu nehmen – eine halbe Stunde, eine Stunde, zwei Stunden – und gemeinsam mit greifbaren Kollegen (vielleicht auch aus anderen Abteilungen mit Wochenendbesetzungen?) in Ruhe darüber nachzudenken, wie die cleverste und souveränste Reaktion aussehen könnte und Szenarien durchzuspielen, wie wiederum die Reaktionen auf die eigene Reaktion ausfallen dürften.
Kommuniziert man ungeschickt, wenig durchdacht, besteht nicht zuletzt die Gefahr, Beifall und Solidarität von gänzlich unerwünschter Seite zu erfahren – gerade im Fall Greta Thunberg, einem der größten Hassobjekte der neuen Rechten, hätte die Deutsche Bahn dies zwingend vorab bedenken müssen.
Es könnte daher sinnvoll sein, im Diskussions- und Abwägungsprozess zu Social-Media-Reaktionen einem Kollegen oder einer Kollegin die Rolle des Advocatus Diaboli zuzuweisen mit der Aufgabe, aggressive, diskriminierende oder irrationale Framing- und Spin-Versuche einzubringen, so dass deren Auswirkungen vorab erörtert werden können. Wäre dies im Fall „Deutsche Bahn gegen Greta Thunberg“ geschehen, hätte das Unternehmen denkbaren Beifall beispielsweise von AfD-Granden wohl als ebenso zwangsläufig wie problematisch identifiziert – und zwar vorab, nicht erst, wenn der kommunikative Schaden bereits entstanden ist.