Kollaboration und Austausch

„Corporate Architecture“

Wenn Unternehmen ein neues Headquarter bauen oder andere größere Immobilienprojekte realisieren, nennen sie den Komplex gerne „Campus“. Dieser vor allem aus dem Bereich der Universitäten bekannte Begriff beschreibt eine zusammenhängende Gebäudelandschaft. Campus klingt schön nach Forschung, nach Zukunft, Tech und – trotz des lateinischen Ursprungs – irgendwie jugendlich. „Campus“ dürften viele schon einmal im Zusammenhang mit Google gehört haben – einem der New-Work-Pioniere. Das Handelsunternehmen Otto residiert in Hamburg im Otto Campus. Der Siemens-Konzern errichtet aktuell in Erlangen einen Campus. Zalando arbeitet in Berlin auf einem Campus und der FC Bayern München lässt seinen Nachwuchs auf dem Campus trainieren.

Seit Mitte September gibt es in Hamburg den Beiersdorf Campus, die neue Heimat des Kosmetikherstellers, der unter anderem die Marke Nivea ­produziert.

Wohlfühlen am Arbeitsplatz

Für die Intention, die Unternehmensphilosophie mit Hilfe der architektonischen Gestaltung zu unterstreichen, gibt es einen Fachbegriff: „Corporate Architecture“. Das Headquarter soll eine Botschaft senden und die Identität des Unternehmens verstärken. Der als Vierzylinder konzipierte BMW-Turm in München ist hierfür ein Beispiel.

Beiersdorf ging dezenter vor. Beim Campus ist Blau eine zentrale Farbe, was eine Assoziation mit Nivea herstellt. Die Marke war dem Geschäftsbericht zufolge im Jahr 2022 mit ihren verschiedenen Produktserien für etwa 65 Prozent der Consumer-Umsätze und mehr als 50 Prozent des Gesamtumsatzes verantwortlich. Andere Konzernmarken wie Eucerin und Hansaplast haben ebenfalls mit Haut zu tun, so dass Beige- und Brauntöne eine wichtige Rolle spielen und eine Verbindung zur Produktwelt erzeugen. „Care Beyond Skin“ lautet der Purpose von Beiersdorf.

Vorrangig ist allerdings etwas anderes: Die Angestellten sollen in einer Firmenzentrale gerne arbeiten und sich wohlfühlen. Nach der Coronazeit und mit dem Trend zum Homeoffice kämpfen viele Unternehmen darum, dass die Mitarbeitenden regelmäßig ins Büro kommen. Bei Beiersdorf gilt aktuell die Regel, dass die Festangestellten an mindestens drei Tagen pro Woche im Büro arbeiten. Das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 8,8 Milliarden Euro hat 250 Millionen Euro in sein neues Headquarter investiert. In den Campus integriert wurde der Forschungsbereich. Um die Ecke befindet sich ein Produktionsstandort. Wenn man so viel Geld in die Hand nimmt, soll die Konzernzentrale natürlich auch von den Mitarbeitern genutzt werden.

Blau ist eine zentrale Farbe. Darüber hinaus spielen Beige- und Brauntöne eine wichtige Rolle. Die Farben erzeugen eine Verbindung zur Produktwelt. © Beiersdorf AG

Blau ist eine zentrale Farbe. Darüber hinaus spielen Beige- und Brauntöne eine wichtige Rolle. Die Farben erzeugen eine Verbindung zur Produktwelt. © Beiersdorf AG

Was soll das neue Gebäude leisten? Im Wesentlichen geht es Beiersdorf darum, den Raum so zu nutzen, dass es für die rund 3.000 bei Beiersdorf in der Zentrale beschäftigten Angestellten für alle Tätigkeiten die richtigen Räumlichkeiten gibt. Das Büro soll für die Mitarbeitenden der zentrale Platz zum Austausch sein, wie eine interne Befragung ergab. Nicht der Ort, um allein vor sich hin zu werkeln.

Es gibt Flächen und Räume, um konzentriert arbeiten zu können. Auch die obligatorischen schallisolierten Kabinen zum Telefonieren sind vorhanden. Wichtiger sind allerdings die verschiedenen Meetingräume und diversen Gelegenheiten für informelle Begegnungen, die zum Beispiel an einer der zahlreichen Kaffeemaschinen stattfinden können. Es gibt eine Arena für Events und Versammlungen sowie ein umfangreiches kulinarisches Angebot im Firmenrestaurant mit weiteren Möglichkeiten, Gespräche zu führen und sich zu treffen. Auch die Produktionsmitarbeiter von nebenan können hier essen. Fitness- und Wellnessangebote, eine Yoga-Terrasse und der Wäsche- und Postservice werden ebenfalls zur Rundum-Versorgung gehören, wenn alles fertig ist.

Etage für Austausch

Kommunikation und Kollaboration stehen im Vordergrund, New Work und agiles Arbeiten. Insbesondere die zweite Etage ist voll auf Austausch ausgerichtet. Hier gibt es auf 4.000 Quadratmetern Räume wie das „Urban Lab“, den „Garden of Creativity“ und „In the Clouds“. Einige Möbel wirken derart kuschelig, dass man eher an ein Nickerchen als an Arbeit denkt. Verantwortlich für die Gestaltung der Räume und das Interieur-Design sind die Innenarchitekten der Ippolito Fleitz Group. Der Entwurf der Konzernzentrale stammt vom Hamburger Architekturbüro Hadi Teherani Architects.

Was soll der Campus für Botschaften aussenden? „Zum einen: Wir bleiben dort, wo unsere Wurzeln liegen – in Hamburg, in Eimsbüttel“, sagt Anke Schmidt, Vice President Corporate Communications & Government Relations. „Zum anderen sind Menschen für uns das Wichtigste. Der Campus ist ein Signal, dass wir in sie und ihre Zukunft investieren.“ Natürlich sind mit der Investition auch geschäftliche Ziele verknüpft. Schmidt: „Wir wollen die beste Hautpflege der Welt anbieten. Dafür benötigen wir Innovationen und Ideen. Wir hoffen, dass die Räume die Mitarbeitenden zu Innovationen inspirieren und somit zum Wachstum der Firma beitragen.“ Der Campus soll „das Tor zur Beiersdorf-Welt“ sein. Von den mehr als 20.000 Angestellten sind mehrere tausend an ausländischen Standorten beschäftigt. Der Campus erfüllt eine Art Brückenfunktion und soll die internationale Kooperation fördern.

Freie Platzwahl

Die Anforderungen an das Gebäude haben sich während der Coronazeit verändert. Der Bau wurde entsprechend angepasst. Die zu erwartende Anwesenheit der Mitarbeitenden korrigierte Beiersdorf nach unten. Aktuell gibt es Schmidt zufolge 0,6 Arbeitsplätze pro Person. Die zweite Etage komplett als Kollaborationsfläche zu gestalten, ist ein Resultat der Erfahrungen aus der Coronazeit.

Wie viele Unternehmen hat sich Beiersdorf vom Konzept fester Arbeitsplätze verabschiedet. Intern spricht man sowieso lieber von Arbeitsgelegenheiten. Teams haben allerdings feste Flächen, auf denen sie zusammenkommen: „Homezones“. Als „Neighbors“ fungieren dann diejenigen Bereiche, die besonders eng mit den Nachbarn zusammenarbeiten und ähnliche Raumanforderungen besitzen. Zusammen ergibt sich ein „Team Neighborhood“. Darüber hinaus kann jeder arbeiten, wo er will. Persönliche Gegenstände werden am Ende des Arbeitstages in einem Spind verschlossen. In der Kommunikationsabteilung gibt es keine Einzelbüros mehr. Auch Chefin Schmidt sitzt mit „auf der Fläche“, wie sie es nennt. Das funktioniere gut. Sie wechselte im September 2020 von BASF nach Hamburg.

Die zweite Etage ist auf Kollaboration ausgerichtet. Einige Möbel eignen sich zum Chillen. © Foto: Beiersdorf AG

Die zweite Etage ist auf Kollaboration ausgerichtet. Einige Möbel eignen sich zum Chillen. © Beiersdorf AG

Beiersdorf ist erkennbar stolz auf die Beteiligung der Mitarbeitenden an der Gestaltung des Gebäudes und der Räume. Die Partizipation spielt eine wichtige Rolle in der externen Kommunikation zum Campus. 2018 gab es erstmals eine Umfrage unter Angestellten. Was ist ihnen an ihrem Arbeitsplatz wichtig? Was darf auf keinen Fall fehlen?

Heraus kamen konkrete Maßnahmen – und einiges Überraschendes. Zum Beispiel, dass sich viele Toiletten wünschten, bei denen die Türen und Wände nach oben mit der Decke abschließen und es keinen Freiraum gibt, wie man es von vielen Schultoiletten kennt. Überdachte Fahrradabstellplätze waren ebenfalls ein vielfach geäußerter Wunsch. In Kürze soll die firmeneigene Tiefgarage fertiggestellt werden. Eine Multi-Purpose-Kantine, die nicht nur zum Essen dient, wurde ebenfalls als Must-have genannt. Genauso wie die Möglichkeit, draußen zu essen und zu sitzen. Hunde sind dagegen nicht erlaubt, obwohl viele Beschäftigte sie gerne im Büro hätten.

Mitarbeiter einbeziehen

Im weiteren Bauverlauf konnten die Teams Botschafter benennen, die den Neubauprozess eng begleiteten und über Fortschritte im Bilde waren. Die Botschafter fuhren durch Deutschland und Europa und ließen sich von anderen Konzernzentralen inspirieren: von Adidas, EY, Otto, Philips und Deloitte in Amsterdam beispielsweise. Irgendwann hieß es dann für alle: Probe sitzen auf Büro- und Außenmöbeln. Welche Farbe sollen die Teppiche haben? Die Büros ließ Beiersdorf in Form von Pop-up-Räumen nachbauen, um einen haptischen Eindruck zu vermitteln. Über den Namen der einzelnen Gebäude ließ Beiersdorf abstimmen: Eins der Gebäude heißt jetzt „C“ für „Connect“. Da, wo alles zusammenläuft. „Der Kern der strukturierten Vernetzung erfolgte über die Botschafter. An anderen Stellen konnten alle partizipieren“, erläutert Schmidt den Prozess. Umzugspartys hätten ebenfalls stattgefunden. Für die gute Laune.

Ein neues Headquarter bietet immer die Chance, Kommunikationsanlässe zu schaffen: Medien zu sich einzuladen. Zur Eröffnung seien etwa 20 gekommen. „Die meisten Journalisten verbinden mit Beiersdorf eher eine zurückhaltende Kommunikation. Verlässlich, aber eben auch norddeutsch reserviert“, erklärt Schmidt selbstkritisch. Zu Lifestyle-Marken passt ein solches Image kaum.

Der Campus vereinfacht es, die Transformationsgeschichte zu erzählen. Dass zum Beispiel drei Frauen im Vorstand und eine weitere im Executive Committee vertreten sind – und damit mehr als in vielen anderen Unternehmen. Dass Beiersdorf in seine Mitarbeitenden investiert und sich insgesamt verjüngen möchte. Das gilt vor allem auch für die Kernmarke Nivea. Sie soll frischer wirken und jüngere Zielgruppen ansprechen.

Kommunikationschefin Anke Schmidt kam 2020 von BASF zu Beiersdorf. © Beiersdorf AG

Kommunikationschefin Anke Schmidt kam 2020 von BASF zu Beiersdorf. © Beiersdorf AG

Insgesamt hat das Unternehmen wie viele Konsumgüterhersteller bislang stark marketinggetrieben kommuniziert. Schmidt arbeitet daran, den Bereich Corporate Communications zu öffnen und auch mit dem Vorstand sowie ihrem Team von etwa 30 Personen mehr in die Offensive zu gehen. Presseanfragen seien früher oft damit beantwortet worden, dass man zu einem Themenkomplex keine Stellung beziehe, erklärt die Kommunikationschefin. Das sei mittlerweile anders.

Von Seiten der Medien wird dieser Ansatz offenbar gewürdigt. Im aktuellen Ranking des Magazins „Wirtschaftsjournalist:in“ gehörte Schmidt in den Augen der befragten Wirtschaftspresse zu den Gewinnerinnen. Sie kletterte von Platz 41 auf Position 13.


Der Campus in Zahlen

  • Kosten: 250 Millionen Euro
  • Gesamtfläche: circa 51.000 Quadratmeter
  • 3.200 Arbeitsmöglichkeiten
  • 4.000 Quadratmeter Kollaborationsfläche
  • 1.500 Quadratmeter Campus-Restaurant mit bis zu acht verschiedenen Gerichten am Tag
  • Wäsche-, Fahrrad- und Post-Service auf dem Campus
  • 735 Fahrradstellplätze
  • Yoga-Terrasse

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Intern. Das Heft können Sie hier bestellen.

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