Frau Marell, was macht gute Beratung aus?

Interview

Frau Marell, es soll in unserem Interview um das Thema Beratung gehen. Was macht mehr Spaß: Beraterin in einer Agentur oder Kommunikationschefin eines Unternehmens?

Ich finde, dass beides herausragend und gleichermaßen herausfordernd ist. Mir kommt es darauf an, dass ich in einem System bin, in dem ich erfolgreich beraten kann und in dem es Spaß macht. Ich hatte Highlights auf Agentur- und auf Unternehmensseite. Für mich stand immer fest: Es ist eine Sache der Lebensphase, des Teams und der Menschen, die man berät. Und: Was möchte ich erreichen? Ich hatte vor meinem Wechsel auf Agenturseite bereits 20 Jahre für Unternehmen gearbeitet. Für mich waren manchmal die Sprünge von einem Unternehmen zum anderen kulturell anstrengender als vom Unternehmen in eine Agentur oder wieder zurück.

Agenturen und Unternehmen sind typische Arbeitsfelder in der Kommunikation. Was sind für Sie die zentralen Unterschiede?

Intern, also auf Unternehmensseite, bin ich eher Teil des Teams. Das kann eine hohe Motivation und Zufriedenheit mit sich bringen. Man gehört einfach dazu, ist mittendrin. Man kann Themen von Anfang bis Ende durchsteuern, weiß, was das Management denkt und wie etwas zu implementieren ist. Intern kann man in einer Prozesskette eher etwas bewegen. Auf Agenturseite ist es mir passiert, dass meine Beratung vom Top-Management schon mal per se aufgrund des externen Blicks höher geschätzt wurde.

Ist das gut oder schlecht?

Im Sinne der Akzeptanz ist das gut. Fakt ist aber auch, dass ich als Beraterin oder Berater – egal ob als CEO, Director oder Junior – oft nicht mitbekomme, was intern die politischen Diskussionen sind. Mir fehlt immer ein Stück des vorhandenen Wissens, was nicht befriedigend ist. Als Berater wird man oft lediglich für Teilstücke herangezogen und darf bei vor- oder nachgelagerten Prozessen nichts beitragen. Da komme ich gar nicht erst ran, weil jemand sagt, für diese Bereiche benötige er keine Beratung. Draußen zu stehen und nicht mitspielen zu können, habe ich auf Agenturseite manchmal als anstrengend empfunden.

Wird Beratung in Deutschland zu negativ gesehen?

Ich war acht Jahre lang für große amerikanische Agenturen tätig. Was ich immer gemerkt habe, war, dass Strategieberatung im angelsächsischen Markt hochanerkannt und gewollt ist. Kollegen aus New York wurden von amerikanischen Firmen mit an den Tisch geholt. Bis heute habe ich das Gefühl, es hat immer noch etwas Anrüchiges, wenn man sich in Deutschland Strategieberatung dazukauft. Die Wertigkeit von Strategieberatung im angelsächsischen Raum wird deutlich höher geschätzt.

Wenn Sie auf Ihre aktuellen Aufgaben und Ihren Arbeitsalltag blicken: An welchen Stellen kommen Sie in eine Beraterinnenrolle rein? Wo wird von Ihnen Beratung erwartet?

Die Professionalisierung der Kommunikation führt generell dazu, dass strategische Beratung immer mehr gefordert ist. Insofern ist sie immer Teil eines Projektes, egal ob es darum geht, mit Mitarbeitern in Dialog zu treten, externe Zielgruppen zu erreichen, oder darum, was wir tun können, um uns dem Fachkräftemangel entgegenzustellen.

Es gibt kaum einen Bereich, in dem heutzutage nicht ein strategischer Bezug vorliegt. Dabei geht es automatisch nicht nur um inhaltliche Strategien, sondern beispielsweise auch um die Frage, wie eigentlich Kommunikationsteams der Zukunft aufgestellt sein sollten.

Sie sind auch für Nachhaltigkeit verantwortlich. Bei der Schwarz-Gruppe und Lidl geht es um Nachhaltigkeit auf diversen Ebenen: Recycling, Energiesparen, Veränderung von Produkten, Lieferketten, Zukunft der Standorte – wie sehen Sie hier Ihre Rolle?

Als Impulsgeberin, Mediatorin, Moderatorin und Koordinatorin. Die CSRD-Richtlinie (Anmerkung: Corporate Sustainability Reporting Directive) und die EU-Taxonomie verlangen, dass ein großes Set der Nachhaltigkeitskriterien zum festen Bestandteil des Jahresabschlusses wird. Kennzahlen im Bereich Nachhaltigkeit werden somit wie Bilanzkennzahlen geprüft und müssen genauso belastbar sein. Das wird Nachhaltigkeit auf ein neues Level bringen. Und gerade in dieser Situation ist man nicht nur als Koordinatorin, sondern auch als Strategin gefragt.

Welche Fähigkeiten sollte eine Beraterin heute mitbringen? Was muss ich können, unabhängig davon, ob jemand intern oder extern arbeitet?

Von der Fachkompetenz her müssen es Personen sein, die einen 360-Grad-Blick besitzen. Sie müssen digital können. Sie müssen Social Media und Kampagne können. Sie müssen aber auch die Krisenkommunikation beherrschen und wissen, was Kommunikation mit NGOs und Management-Positionierung bedeutet. Zusätzlich benötigt man einen breiten Methodenkoffer: vom Moderieren über Mediation und das Planen von Workshop-Strukturen bis zur Durchführung von Benchmark-Analysen und der Anwendung von Management-Tools wie SWOT-Analysen, der Balanced Scorecard oder Change-Management. Bilanzen lesen sollte man auch können. Sonst ist man am Tisch der Entscheider nicht glaubwürdig.

Das ist die fachliche Seite. Was benötigt man an Soft Skills?

Zum Genannten kommen kommunikative Stärke und systemisches Wissen dazu, um Informationsflüsse und Themen einschätzen zu können. Wichtig ist, zuhören und auf Personen zugeschnitten beraten zu können. Ich habe im Laufe meiner Zeit eine Zusatzausbildung als systemischer Coach absolviert. Wenn man Systeme und Interdependenzen nicht verstehen kann, ist man kein guter Kommunikator.

Häufig wird von Beratungen viel versprochen. Es gibt eine spezielle Berater-Sprache. Was kommt aus Ihrer Sicht bei Kunden und Führungskräften schlecht an?

Als Erstes: Ganz schlecht ist pauschalisieren. Mit der Attitüde auftreten, weil man etwas schon zehnmal gemacht habe, könne man es bei anderen auch. Dazu gehört ebenfalls, nicht individuell in die Thematik reinzukommen und vor allem Modelle und Instrumente zu verkaufen. Ein zu langer Theorie-Koloss – so von wegen „Ich erkläre dir jetzt mal die Welt“ – kommt ebenfalls sehr schlecht an. Auf der Gegenseite sitzen meist Menschen, die von sich behaupten können, die Grundsätze der Beratung und Kommunikation bereits zu kennen. Mehr zu versprechen, als man liefern kann, ist auch sehr schlecht.

Sie haben mal eine Laudatio auf Frank Behrendt gehalten – 2017. Da haben Sie gesagt, er sei ein herausragender Verkäufer. Das ist eine Fähigkeit, die bei bekannten Beratern häufig gelobt wird. Wie findet man die Balance zwischen selbstbewusster Beratung und einer aufgesetzten Sales-Attitüde, die nicht gut ankommt?

Zu viel Sales gehört ebenfalls zu den Dingen, die am meisten nerven. Wenn lediglich eine zusätzliche Disziplin oder ein weiteres Instrument verkauft werden sollen, werden interne Teams schnell richtig störrisch – und das zu Recht.

Es gibt nur wenige Persönlichkeiten, die das so machen können wie Frank. Natürlich ist er nicht der Einzige, aber er ist ein prominentes Beispiel. Mit seiner Art ist es ihm gelungen, sich sehr klar und interessant zu positionieren, so dass die Leute sagen, den möchte ich kennenlernen, den möchte ich im Raum haben. Damit wird Frank vielleicht auch mehr zugestanden und durchgelassen als anderen. Er hat eine große Erfahrungsbreite, er hat mehrere Bücher geschrieben, in denen er dieses Wissen teilt, und ist zudem lustig und humorvoll. Man denkt automatisch, der ist brillant. Das ist ein Celebrity-Effekt, den er selbst geschaffen hat. Der wird bei Beratern anerkannt.

Mein Eindruck ist, dass in Führungsrollen in der Kommunikation vor allem Managementpersönlichkeiten erfolgreich sind. Sie wollen wenig anecken und sind anpassungsfähig. Die Freiräume, die Kommunikationsleuten zugestanden werden, werden kleiner. Täuscht das?

Meiner Meinung nach werden die Freiräume in der Kommunikation nicht kleiner, sondern größer. Das führt dazu, dass Kommunikatoren nicht mehr die typischen Spin-Doktoren mit Ecken und Kanten sind. Von ihnen wird erwartet, dass sie von Social Media bis Vorstandspositionierung die Klaviatur kennen und die richtigen Expertinnen und Experten in ihr Team holen. Um vom Head of IT oder dem Chef der Steuerabteilung überhaupt anerkannt zu werden, müssen sie dieselbe Managementleistung bringen wie diese. Vor 20 oder 30 Jahren waren aber wahrscheinlich auf jeder Position mehr Ecken und Kanten erlaubt.

Beraterinnen und Berater sollen den Blick von außen einbringen. Arbeitet man in einer Organisation, ist man mittendrin, wie Sie sagen. Wie gelingt es, sich einen kritischen Blick auch für Schwachpunkte zu bewahren?

Ich glaube, dass viele Agenturen immer wieder eingeladen werden, weil sie im Bereich Instrumente und Trends und bei der Kondensierung politischer Themen sehr gute Arbeit leisten. In Planungsprozessen sind Agenturen deshalb für die interne Seite immer interessante Gesprächspartner, weil sie einen weiten Blick haben. Ich versuche, mir den Blick von außen zu bewahren, indem ich durch den aktiven Austausch mit meinem Netzwerk oder durch deutsche und angelsächsische Branchenmedien informiert bleibe, um Trends zu kennen. Gespräche mit Menschen außerhalb meiner Kommunikationsblase sind dabei auch sehr hilfreich. Das können Menschen aus NGOs, aus der Politik oder ganz anderen ­Themenbereichen sein. Eine wichtige Aufgabe ist es, up to date zu sein.

Sie haben gesagt, die Zeit der Spin-Doktoren sei vorbei. Mit welchen Strategien gelingt es, sich intern Gehör zu verschaffen? Wann suchen Sie das persönliche Gespräch?

Was immer hilft: wenn man Menschen Unterstützung für ihr Thema bietet und ihnen bei der Problemlösung hilft. In 80 Prozent der Fälle suche ich das persönliche Gespräch. Meist weil mir der Kontext viel zu komplex erscheint, als dass ich ihn lange ausformulieren möchte. Ich glaube auch, dass Beratung im Dialog besser erfolgt, da man als Zuhörer Fragen stellen kann. Ich habe hier in meinen ersten Monaten geschätzt 500 bis 600 Menschen in Einzel- wie in Gruppengesprächen kennengelernt. Das schafft eine Plattform, um später in Fachthemen überzugehen.

Ein anderer Kommunikationsberater, Wigan Salazar von MSL, bemängelte einmal, jüngere Mitarbeiter könnten und wollten nicht mehr telefonieren. Wie oft telefonieren Sie?

Unsere Kommunikation läuft sicher zu 60 Prozent über Teams – Teams-Calls, die eingestellt werden. Ich telefoniere vielleicht noch zu 20 Prozent. Manchmal finde ich es gut, den anderen zu sehen. Manchmal ist es effizienter für beide Seiten, etwas in einem Telefongespräch abzuhandeln.

Sie sind heute in der Situation, selbst Auftraggeberin zu sein. In welchen Feldern finden Sie Beratung sinnvoll?

Wir arbeiten mit einer Vielzahl von Agenturen zusammen. Ich selbst habe allerdings noch keine Berater an Bord geholt. Generell: Bei Trends, Benchmarking und Challenge Sessions finde ich den Blick von außen auf die Unternehmen der Schwarz-Gruppe sinnvoll. Genauso bei Diskussionen um die strategische Ausrichtung. Das können zum Beispiel Fragen zur Markenpositionierung oder zu einer Multi-Stakeholder-Kommunikation sein. Wir arbeiten aber auch gerne bei Implementierungsfragen mit Beratern zusammen, da wir hier von der externen Expertise und breiten Erfahrung ­profitieren.

Müssen es immer Kommunikationsberatungen sein oder könnten auch Unternehmensberatungen wie McKinsey & Co. eine Rolle spielen?

Marell: Zum zweiten Teil der Frage: ein klares Nein. Ich habe zehn Jahre auf Agenturseite mit jedem angelsächsischen Headquarter darüber diskutiert, wie man eine Strategieberatung im deutschen Markt aufbauen könnte. Es ist der Wunsch jeder amerikanischen Agentur, dass man der Unternehmensberater für Kommunikation wird und genau dieselben Honorare erhält. Wenn man als Agentur pitcht, erhält man aktuell vielleicht 2.000 Euro am Tag. Bei McKinsey und anderen sind es eventuell 6.000 Euro. Diesen Gap zu schließen, habe ich mit CEOs in New York oder London diskutiert. Nur: Derartige Stundensätze bekommen Agenturen im deutschen Markt einfach nicht.

In Deutschland erfolgt kommunikative Strategieberatung häufig inhouse. Es gibt weiterhin die Annahme, man würde seine eigene Kompetenz schwächen, wenn man sich eine Beratung dazuholt. Auf der anderen Seite glaube ich, dass McKinsey & Co. exzellente Prozessberater sind, ihnen aber die Verlängerung in die Kommunikation ebenfalls nicht gut gelingt.

Woran liegt das?

Als Unternehmensberater ist man auf Effizienz, Prozessoptimierung und Skalierung gepolt. Darauf, sich mit einzelnen kommunikativen Fragestellungen auseinanderzusetzen, hat man oft keine Lust. Es ist für sie kein Geschäft.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Beratung. Das Heft können Sie hier bestellen.

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