Herr Schindera, Sie haben 2004 im „pressesprecher“ gesagt, dass Sie morgens als Erstes die „Bild“-Zeitung lesen. Ist das immer noch so?
Philipp Schindera: Nein, ich lese die „Bild“-Zeitung nur noch selten. Die Zeiten haben sich geändert. Heute schaue ich zuerst auf Twitter, dann informiere ich mich über unseren Medienspiegel. Außerdem lese ich den Bonner „General-Anzeiger“, übrigens noch im Print-Abonnement.
Frau Cerami, lesen Sie auch noch eine gedruckte Tageszeitung?
Adriana Cerami: Gedruckt nicht, aber digital über News-Apps. Und ich schaue beim ersten Kaffee das „Morgenmagazin“.
Schindera: Eine ganz wichtige Informationsquelle für mich am Morgen ist das Radio. Vom Aufstehen, bis die Tür ins Schloss fällt, höre ich knapp zwei Stunden den Deutschlandfunk.
Das Radio kennen Sie, Herr Schindera, ganz gut aus Ihrer Zeit als freier Journalist, bevor Sie 1996 bei der Deutschen Telekom anfingen. Warum haben Sie sich für die Unternehmenskommunikation entschieden?
Schindera: Ich wollte eigentlich Fernsehjournalist werden und hatte deshalb vor allem Stationen in den klassischen Medien absolviert. Dann bekam ich die Möglichkeit, bei der Mobilfunktochter der Telekom auf Projektbasis in den Bereich Unternehmenskommunikation reinzuschnuppern. Ich hatte geplant, zwischen drei und sechs Monaten zu bleiben – daraus sind mehr als 20 Jahre geworden. Das Spannende an unserem Berufsbild ist ja, dass es sich ständig ändert. Und das bis heute.
Inwiefern hat sich der PR-Beruf verändert?
Schindera: Durch den gewaltigen technologischen Wandel haben sich die Anforderungen stark ausdifferenziert. Wollten wir früher einen Film oder eine Audioaufnahme produzieren, brauchten wir ein professionelles Studio mitsamt Team. Heute geht das auch mit einem Smartphone. Zudem hat sich die Medienlandschaft grundlegend verändert und verbreitert. Soziale Medien sind hinzugekommen. Was aber geblieben ist, sind die grundsätzlichen Anforderungen: verstehen, wie Medien funktionieren, und wissen, wie man gute Geschichten erzählt.
Cerami: Ja genau, trotz aller technologischen Entwicklungen ist ein Adressat der PR-Abteilung nach wie vor der Journalist. Deshalb sind das klassische Handwerk wie das Schreiben einer Pressemitteilung und auch journalistische Kenntnisse noch immer grundlegend für unsere Arbeit. Wobei es die eigentliche Basis unseres Berufes ist, ein Gespür für Menschen und Zielgruppen zu haben. Soft Skills sind entscheidend. Hinzu kommen Spezialfähigkeiten.
Schindera: Da stimme ich zu. Übrigens spielt auch das Thema Daten heute eine nicht unerhebliche Rolle. Da habe ich selbst eine steile Lernkurve durchgemacht. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich noch gesagt, am Ende des Tages entscheidet die Qualität des Textes und gut ist. Klar, ein guter Text ist ein solides Grundgerüst, aber heute darf man Algorithmen und SEO nicht aus dem Blick lassen. Wie behandelt ein Algorithmus eine Nachricht? Worauf kommt es bei Suchmaschinen an? Wichtig ist, dass sich junge Menschen, die in unsere Branche wollen, mit den Funktionsweisen von Medien auseinandersetzen – und die älteren übrigens auch.
Pressemitteilungen schreiben, Videos produzieren, Algorithmen verstehen – sprechen wir da nicht ein bisschen von der eierlegenden Wollmilchsau?
Schindera: Sicher braucht man ein Stück weit Generalisten. Aber die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht – wäre ja auch merkwürdig, wenn jemand alles beherrschen würde. Entscheidend ist nicht, dass jemand alles kann, sondern dass die Person die Offenheit und Bereitschaft hat, sich neue Fähigkeiten anzueignen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass es Leute gibt, die sagen, „mit Social Media habe ich nicht so viel am Hut“. Ich erwarte nicht, dass ein PR-Verantwortlicher ein Influencer mit Hunderttausenden Followern ist. Aber man sollte die Sozialen Medien zumindest passiv nutzen und verstehen, wie sie funktionieren.
Cerami: Und im besten Fall arbeitet man ja in einem Team, in dem Generalisten und Spezialisten zusammenarbeiten.
Was sich auch verändert hat, ist das Geschlechterverhältnis in der Branche: 2005 waren 60 Prozent der Kommunikationsprofis männlich, 2018 nur noch 40 Prozent – das Verhältnis hat sich also umgekehrt. Themen wie flexible Arbeitszeiten sind wichtiger geworden. In dem Interview vor 15 Jahren schwärmten Sie, Herr Schindera, von der Vier-Tage-Woche. Haben wir heute die nötige Flexibilität?
Schindera: Ihr Archiv ist gut. Sie bringen dann aber auch noch den Zeugwart des 1. FC Saarbrücken, oder? Das war nämlich damals die Frage nach meinem Traumberuf. Im Ernst, also ich habe unsere niederländischen Kollegen damals für ihr Modell bewundert. Seit 1996 hat sich viel geändert; auch bei uns sind die Arbeitszeiten mittlerweile sehr viel flexibler geworden. Was das Geschlechterverhältnis angeht: Passt bei uns. Der Frauenanteil bei uns im Team liegt bei rund 60 Prozent. Ich bin sehr froh, dass die Teams heute sehr viel diverser sind als vor 25 Jahren.
Cerami: Also, ich weiß nicht, ob die Vier-Tage-Woche das Thema Flexibilität wirklich widerspiegelt. Flexibel zu arbeiten, heißt für mich, die Arbeitszeit so einzuteilen, wie es am besten passt, um die anfallende Arbeit zu erledigen. Manchmal würde man da vielleicht die Vier-Tage-Woche wählen, manchmal würde man aber vielleicht auch weniger Arbeitsstunden auf fünf Tage verteilen. Das mobile Arbeiten, wie wir es spätestens seit der Coronakrise kennen, macht es möglich. Ohnehin sollte das kein Thema sein, das nur Frauen betrifft.
Schindera: Sehe ich auch so. Flexible Arbeitszeitmodelle werden bei uns auch von Männern genutzt.
Es heißt oft, junge Menschen seien sehr zielstrebig. Frau Cerami hat, so würde ich sagen, einen für ihre Generation typischen Lebenslauf: Studium der Kommunikationswissenschaften, parallel dazu Praktika und Nebenjobs, dann Einstieg in eine PR-Agentur. Inzwischen ist sie bei ihrem dritten festen Arbeitgeber. Steckt da ein Plan dahinter?
Cerami: Ganz bewusste Schritte waren mein Studium, weil ich schon während eines Schulpraktikums in einer Pressestelle mein Interesse für PR entdeckt hatte, und mein Einstieg bei der Agentur Fischer-Appelt, weil man in einer Agentur in kürzester Zeit viele verschiedene Einblicke erhält und viel lernen kann. Aber alles, was danach kam, war geprägt von glücklichen Zufällen und persönlichen Begegnungen. Ich finde, dass man eine klassische Karriere nicht planen kann. Man tastet sich schrittweise entlang an dem, was einem Spaß macht und wo man sich weiterentwickeln will. Am Ende entscheidet der Bauch. Und natürlich gehören Können und eine gute Portion Glück dazu.
Schindera: Volle Zustimmung! Ich stelle im Übrigen fest, dass klassische Karrierewege heute nicht mehr so wichtig sind wie früher. Nicht jeder oder jede möchte unbedingt Führungskraft werden. Heute wird der Erfolg einer Karriere auch nicht mehr an der Größe und Lage des Einzelbüros oder einem Firmenwagen bemessen, sondern an anderen Dingen.
Cerami: Ja, es geht eher darum, ob die Inhalte und das Umfeld passen. Wenn die Position eine Führungsrolle beinhaltet, ist das okay, solange sie eine Bauch- und Herzensentscheidung ist und man sich weiterentwickeln kann. Und das Thema Work-Life-Balance gewinnt weiter an Bedeutung, also die Frage „Wie kann ich mein Leben und gleichzeitig meinen Beruf leben?“. Das beobachte ich noch stärker bei Kollegen, die gerade in den Beruf einsteigen, auch über das Kommunikationsumfeld hinaus. Wir reden hier also vielmehr von einer Art „bewusstem Karrieremachen“als dem klassischen Karrieremachen.
Wenn klassische Statussymbole wie das Einzelbüro oder der Firmenwagen wegfallen. Über welche Form der Anerkennung freuen Sie sich dann?
Schindera: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich mich über finanzielle Anerkennung nicht freue. Aber es ist nicht nur Geld: Was mich freut, ist gutes Feedback oder wenn wir im Team etwas zusammen gut hinbekommen haben, also Teamwork. Das klingt jetzt wie eine Phrase, aber ich meine das so – from the bottom of my heart! Und ich freue mich, wenn wir Dinge anders machen und feststellen, dass sie trotzdem oder sogar besser funktionieren. Heute gehen wir insgesamt unverkrampfter miteinander um. Ich sitze im Großraumbüro und buche mir einen Tisch wie alle anderen auch. Ich mag es, wenn man mittendrin ist, da, wo was passiert.
Cerami: Das ist bei mir ähnlich. Wertschätzung äußert sich für mich durch Feedback. Während klassische Statussymbole wegfallen, wird Anerkennung durch einen Urlaubstag mehr oder Freizeit zunehmend wichtiger, weil das die Kreativität wieder ankurbelt. Schön finde ich auch, wenn unsere Arbeit für andere sichtbar ist, die nicht so nah an unseren Themen und Arbeitsweisen dran sind. Wenn Kolleg*innen, die zum Beispiel in der Supply Chain oder in Finance arbeiten, unsere Arbeit und auf Anhieb die Relevanz unseres Tuns sehen, dann freut mich das besonders.
Wäre es nicht auch eine Art Wertschätzung, wenn die PR-Abteilung im Unternehmen eine Führungsrolle einnehmen würde? Jede*r dritte Kommunikationsverantwortliche, meist selbst in einer Leitungsposition, spricht sich jedenfalls dafür aus.
Schindera: Ich als Leiter der Unternehmenskommunikation bin nicht im Vorstand der Deutschen Telekom und strebe das auch nicht an.
Cerami: Also, einen Platz im Vorstand sehe ich auch nicht unbedingt. Klar ist aber, dass es ohne Kommunikation nicht geht. Das haben sicher auch die größten Kritiker während der Corona-Monate festgestellt. Für mich hat die PR eher eine Beratungsfunktion: Sie sollte immer konsultiert werden, bevor wichtige Entscheidungen getroffen werden. Wir können den Themen unserer Kolleg*innen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Aber wir sind nicht wichtiger als andere.
Schindera: Sehe ich ganz genauso. Weil Adriana die Coronakrise angesprochen hat: Gerade jetzt hat sich gezeigt, dass Kommunikation ganzheitlich zu betrachten ist. Die hört nicht bei der PR-Abteilung auf. Heute tragen viele Abteilungen zum Unternehmensbild bei, extern wie intern. Da muss ich mir nur unsere Kolleginnen und Kollegen aus dem Servicebereich anschauen: Die haben mit Social-Media-Arbeit lange vor uns angefangen und waren auch immer eine Art Inspiration und Vorbild für mich.
Ganzheitliche Kommunikation ist ein vieldiskutiertes Thema. Immer mehr Unternehmen schaffen Fakten und legen PR und Marketing zusammen oder verzahnen die einzelnen Bereiche enger miteinander. Wie stehen Sie dazu?
Cerami: Die ganze Marketing-PR-Debatte ist hinfällig! Man kann das nicht trennen. Ich unterschreibe, dass man Kommunikation ganzheitlich sehen muss. Aufgrund der digitalen Kanäle kommuniziert auch die PR-Abteilung teilweise direkt sichtbar für Kunden. Das heißt, die ganze Stakeholder Map verschwimmt zusehends. Dasselbe gilt für die interne Kommunikation. Statt darüber zu diskutieren, ob es zusammenpasst, sollten wir mehr darüber reden, wie wir Kommunikation ganzheitlich denken und die einzelnen Disziplinen enger zusammenbekommen.
Schindera: Leider wird das oft aus rein organisatorischer Sicht gesehen. Ich sehe es vor allem aus der inhaltlichen Perspektive und bin der Ansicht, dass wir heute gar nicht mehr umhinkommen, Kommunikation größer und ganzheitlicher zu denken. Kommunikation für Unternehmen „machen“ heute nicht mehr nur zwei Abteilungen. Das machen heute Menschen aus dem Marketing oder der Kommunikation genauso wie aus dem Service- oder aus dem Nachhaltigkeitsbereich. Und natürlich die vielen Mitarbeitenden, die über ihre privaten Accounts kommunizieren.
Die „Bild“-Zeitung hat, wie wir eingangs festgestellt haben, für Sie an Relevanz verloren. Was, meinen Sie, wird in zehn, 15 Jahren in Ihrem Beruf keine so große Rolle mehr spielen?
Cerami: Das ist eine schwierige Frage. Vor zwei Jahren hätte man noch gesagt, viele Dinge werden nur noch digital stattfinden. Nach einem Jahr Homeoffice und Videokonferenzen ist das schon wieder überholt.
Schindera: Ich denke, das Thema Individualisierung des Medienkonsums wird weiter zunehmen. Zu meinen Anfangszeiten hatte man seine 20 Key-Journalisten, und wenn die abgedeckt waren, war der Job erledigt. Heute bespielen wir über 20 Kanäle extern wie intern, Social Media, Blog, Podcast – und es kommen immer neue hinzu, von TikTok bis Discord und so weiter.
Cerami: Wobei sich das Thema Owned Content wohl relativieren wird. Alle – auch wir – haben Blogs, über die die eigenen Themen ausgespielt werden. Aber wir wollen ja Menschen erreichen, die noch nicht auf unseren Kanälen unterwegs sind. Wir brauchen nicht den Corporate Blog, den niemand liest. Wir brauchen eine gezielte Ansprache gemeinsam von PR, Marketing und anderen Bereichen. In 15 Jahren werden wir also nicht mehr über PR versus Marketing diskutieren, sondern von ganzheitlicher Kommunikation über alle Disziplinen hinweg sprechen.
Schindera: Stimmt. Es ist eine unheimlich spannende Sache, loyale Communitys aufzubauen. Ich glaube, da kommen all die Skills, die Kommunikatoren auszeichnen, zum Tragen. Aber es ist natürlich auch herausfordernd, vor allem wenn man bedenkt, wie heute Meinungsbildung stattfindet und Debatten geführt werden. Ich denke, Kommunikatoren dürfen sich neuen Dingen nicht verschließen. Statt zu sagen, „ich laufe nicht jedem Trend hinterher“, sollten wir Veränderungen als Chance verstehen. Das ist unsere Bestandsgarantie.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Berufsbild. Das Heft können Sie hier bestellen.