Nicht jeder Shitstorm ist eine Krise

Filterblasen und Echokammern

Shitstorms sind spätestens dann ernst zu nehmen, wenn Medien sie aufgreifen. Ein wesentlicher Grund für die zunehmende Empörung in den Sozialen Medien sind Filterblasen und Echokammern. Durch Algorithmen entstehen homogene, isolierte Nutzergruppen mit Menschen mit einem ähnlichen Weltbild, die sich gegenseitig in ihrer Meinung bestärken und zum Aktionismus animieren. Verbale Entgleisungen werden durch das Gefühl von Anonymität zusätzlich begünstigt. Die Konsequenz: Eine Plakatwerbung der DAK-Gesundheit, auf der eine multikulturelle Familie abgebildet ist, wird zum Aufreger im rechten Spektrum. Aber führt das zwangsläufig zu einer Unternehmenskrise? 

Aufgrund der wachsenden Empörungskultur wird der kreative Spielraum für Unternehmen geringer und die Wahrscheinlichkeit, zur Zielscheibe eines digitalen Mobs zu werden, größer. Was vor ein paar Jahren noch für ein Schmunzeln sorgte, führt heute zu Empörungslawinen, die Social-Media-Präsenzen unter sich begraben können. Zuverlässige Prozesse zur Risikoanalyse zu implementieren und seine digitalen Anspruchsgruppen zu kennen, ist deshalb unabdingbar. Gerät man doch in den Fokus des wütenden Schwarms, gilt es, Ruhe zu bewahren und die Lage zu bewerten. Denn nicht jeder Shitstorm ist eine Krise. Nicht jeder empörte Dialog auf der eigenen Fanpage ist ein Shitstorm.

Als Erstes sollte daher das Level der Eskalation bestimmt werden. Dabei helfen eine vorbereitete Eskalationsmatrix sowie ein intelligentes Monitoring mit angeschlossenem Influencer- und Topic-Mapping. Zur Bewertung der Lage gehören insbesondere eine interne Ursachenforschung sowie ein Faktencheck der Vorwürfe. Erfolgsentscheidend für die Krisenkommunikation im Shitstorm ist, eine klare Haltung sowie eine Moderations- und Kommunikationsstrategie zu definieren. Auf dieser Basis sollten Statements sowie Sprach- und Moderationsbausteine vorbereitet und Funktionen sowie Verantwortlichkeiten definiert werden. Da es beim Shitstorm-Management auf Schnelligkeit ankommt, greift man im Idealfall auf vorhandene Vorlagen und Abläufe zurück.

Empörung eindämmen

Ziel sollte es sein, die Welle der Empörung einzudämmen und die Diskussion möglichst gezielt vom Social-Media-Kanal wegzuführen. Das kann zum Beispiel eine unternehmenseigene Dark Site sein, die alle relevanten Informationen zum Thema bereithält. Dabei sollte nicht allzu viel Hoffnung in eine rationale Argumentation und in die Überzeugung von empörten Usern gelegt werden. Denn in einem Shitstorm geht es nicht um die überzeugendsten Argumente, sondern um Empörung und somit um Emotionen. Wird der Schwarm größer und der negative Buzz lauter, sollte man also nicht wild mit Argumenten um sich schlagen. Dies führt mitunter zu weiteren Angriffsflächen und entsprechenden Reaktionen. Weniger ist hier oft mehr. Verlässt ein Shitstorm die eigenen Kanäle und gerät in den Fokus der Berichterstattung, kann eine handfeste Kommunikationskrise entstehen. 

Die Wahrscheinlichkeit dafür wächst, denn längst ist aus der kollektiven Empörung in Social Media ein lukratives Geschäft für digitale News- und Medien-Anbieter geworden. So führt die Online-Ausgabe der „Bild“ einen eigenen Bereich für Shitstorms, der zuverlässig hohe Klickzahlen garantiert. Zum Sturm der Entrüstung selbst kommt noch die Berichterstattung, die nicht selten mit einer Beurteilung des Krisenmanagements des Unternehmens einhergeht. 

Ab dieser Phase hat der Shitstorm nicht nur eine höhere Reichweite, sondern auch langfristige Folgen für die Reputation. Die digitale Berichterstattung wird noch lange in den Suchmaschinenergebnissen zu finden sein. 

In dieser scheinbar fatalen Dynamik liegen allerdings auch Chancen: Wer beim Shitstorm-Handling brilliert, macht sich die Berichterstattung und Reichweite im Positiven zu Nutze und kann seine eigenen Botschaften platzieren. So zum Beispiel die bereits erwähnte DAK-Gesundheit, die für ihren Umgang mit einem Shitstorm aus dem rechten Lager mit dem Politikaward in der Kategorie „Digital Public Affairs“ ausgezeichnet wurde.

Empörung auf Kommando

Immer häufiger wird ein Shitstorm bewusst provoziert, um virale Reichweite zu generieren. Beispiele hierfür liefert regelmäßig der Smoothie-Hersteller True Fruits. Mit Werbeslogans wie „Unser Quotenschwarzer“ oder „schafft es nur selten über die Grenze“ hat der selbsternannte Saftladen in den letzten Jahren bewusst provoziert und damit erheblich an Bekanntheit gewonnen. Auch wenn mittlerweile Prominente und Influencer zum Boykott aufgerufen haben, ist True Fruits weiterhin Marktführer für Smoothies. Ein Shitstorm in einer Filterblase muss also nicht zwangsläufig die Kaufentscheidungen der Hauptzielgruppe des Unternehmens beeinflussen. So profitiert True Fruits vom globalen Gesundheits- und Wellnesstrend – trotz der riskanten Werbestrategie.

Empörung kann aber auch gezielt von Konkurrenten und Widersachern initiiert werden. Im Zuge einer Dark-PR-Kampagne (negative PR) wird der Meinungsbildungsprozess von Social-Media-Nutzern gezielt beeinflusst, um einem Unternehmen oder politischen Gegner zu schaden. Bots, bezahlte Trolle und Fake-Publisher werden in Soziale Netzwerke entsandt, um Beiträge zu kommentieren, kritische Fragen zu stellen oder Fake News zu veröffentlichen. Über die Schaltung von Ads können Stakeholder durch Microtargeting gezielt beeinflusst werden.

Im Falle eines Shitstorms ist eine funktionsfähige digitale Infrastruktur erfolgsentscheidend. Zu langsame Prozesse, spontane, nicht durchdachte Botschaften und ein unsouveränes Community-Management stehen Unternehmen bei der Bewältigung eines Shitstorms häufig im Weg. Ein digitales Krisenhandbuch, das idealerweise über eine Krisenmanagement-App genutzt wird, beschleunigt interne Abstimmungen und hält Sprachregelungen sowie Arbeitshilfen für eine Krise bereit. Vorbereitete Dark Sites bieten eine Plattform, um zu informieren und die Diskussion zu kanalisieren. Auch sollte die Praxistauglichkeit des Krisenmanagements erprobt werden – zum Beispiel im Zuge einer Social-Media-Simulation. Vorsicht ist besser als Nachsicht.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KRISE. Das Heft können Sie hier bestellen.

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