Das Ende der Privatsphäre

Googles Autocomplete-Funktion

Googelt man deutsche Spitzenpolitiker, wird schnell deutlich, dass Privates – medial stets die riskanteste Kategorie im Leben von Prominenten – hoch im Kurs steht. Tippt man den Namen von Bundesaußenminister Heiko Maas in das Suchfeld ein, poppt als automatisch ergänzender Begriff „twitter“ auf, direkt danach folgen Stichworte wie „körpergröße“, „größe“, „frau“, „freundin“ und „kinder“. Erst an siebter Stelle wird „russland“ angeboten, was mit Maas’ (amtsbezogener) Einstellung zu tun haben dürfte – und damit der erste „politische“ Vorschlag ist.

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Olaf Scholz, einem der laut „ARD-Deutschlandtrend“ beliebtesten Politiker des Landes, ergeht es nicht anders: Mit ihm verbindet Google ebenfalls Privates wie „größe“ und „ehefrau“ – ansonsten technokratische Angelegenheiten wie „mdb“, „twitter“, „facebook“ oder „email“. Politische Themen? Bis auf den Begriff „schwarze null“: Fehlanzeige.

Mithilfe von Quantität Qualität bestimmen, nur so können wir uns angesichts der riesigen Datenmengen im Internet orientieren. Dazu dienen Bewertungssysteme, Rankings, Klickzahlen – Methoden, Services und Tools. Menschen folgen dieser Quantifizierung. Denn in einer Zeit, in der keine klaren Rollenvorbilder mehr existieren, in der die Arbeit am eigenen Selbst, das Herausbilden einer eigenen Identität zu einer immer professionelleren Bastelaufgabe wird, kommen Lösungen, die schnell und intuitiv Halt bieten, gut an.

Der Wettbewerb ist hart, deshalb verbessert Google seine Services permanent, und dieser Vorwärtsdrang macht auch vor der altehrwürdigen Suchfunktion – immer noch das Kerngeschäft des Megakonzerns – nicht halt. Einer der wohl spannendsten Entwicklungsschritte ist dabei das eben beschriebene Google Suggest, auch bekannt als Autocomplete: Noch während des Tippens eines Suchbegriffs werden Ergänzungsvorschläge geliefert, die zum bereits eingegebenen Präfix passen. Im nächsten Jahr feiert diese Funktion in Deutschland bereits zehnjähriges Jubiläum. 

Bettina Wulff und der Gerüchtekreislauf

Das Feature sorgte in der vergangenen Dekade für besondere öffentliche Aufmerksamkeit. Erinnert sei an die ehemalige „First Lady“ Bettina Wulff, die 2012 gegen Google klagte. Der Grund: Autocomplete unterbreitete bei Eingabe ihres Vor- und Nachnamens unter anderem den Vorschlag „Escort“ und lieferte damit eine Reaktion auf das – seinerzeit medial stark begleitete – Gerücht, sie habe einst als Escort-Dame gearbeitet.

Der Konzern versuchte die Verantwortung für das Befeuern des wenig schmeichelhaften Suchtrends durch Rückzug auf die Technik zu umgehen: „Google schlägt diese Begriffe nicht selbst vor – sämtliche in Autovervollständigung angezeigten Begriffe wurden zuvor von Google-Nutzern eingegeben“, so die Aussage in der Presse.

Die „Qualität“ der Begriffsvorschläge für den Namen „Bettina Wulff“ entstand somit durch die Quantität der Anfragen, oder wie es der damalige Pressesprecher von Google, Kay Oberbeck, formulierte: Die Begriffe seien „das algorithmisch erzeugte Resultat mehrerer objektiver Faktoren, inklusive der Popularität der eingegebenen Suchbegriffe“.

Die Nutzer trugen also maßgeblich zur Popularität bei – und exakt das kann das entscheidende Problem sein. Denn wie das Beispiel illustriert, können aus üblen Gerüchten schnell griffig ausformulierte, durchaus plausibel erscheinende (weil von Google hervorgehobene) Informationseinheiten werden. Die können zwar nicht belegt, aber auch nie mehr vollständig aus dem kollektiven Gedächtnis eliminiert werden. Menschen greifen diese Informationen auf, widmen sich ihnen und verstärken dadurch den Gerüchtekreislauf – ganz zum Ärger der davon betroffenen Person.

Betont wird, was beliebt ist 

Doch selbst wenn man, so wie Bettina Wulff, gegen ehrverletzende Vorschläge vor Gericht zieht und eine Löschung bestimmter Inhalte erwirkt, was Wulff letztendlich im Jahre 2015 in einem außergerichtlichen Vergleich mit Google erreichen konnte, ändert dies nichts an der generellen Funktionsweise von Google Autocomplete: Was besonders beliebt ist, wird besonders betont – völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt oder potenziellen Risiko für die betroffene Person, deren Name mit einem Begriff verbunden wird.

Diese Rechte haben BetroffeneRoman W. Amonat (c) privat

Von Roman W. Amonat, LL.M. (IT-Recht), Inhaber der Kanzlei Amonat und Experte für Medienrecht

Was, wenn Google-Suchvorschläge den eigenen Ruf schädigen? Der Bundesgerichtshof hat 2013 ein Urteil dazu getroffen. Es entschied, dass Google Wortkombinationen aus den Vorgaben seiner Suchmaschine löschen muss, sofern die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen verletzt sind. In einem solchen Fall fällt die Abwägung der grundrechtlich geschützten Position gegenüber den Interessen von Google zugunsten des Betroffenen aus.

Das Argument, wonach die Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten Google nicht zuzurechnen sei, verfängt nicht. Denn Google hat mit dem selbstentwickelten Computerprogramm das Suchverhalten von anderen Internetnutzern ausgewertet. Die darauf basierenden Vorschläge sind Google daher zuzurechnen.

Betroffene, die ihre Persönlichkeitsrechte verletzt sehen, sollten Google das zeitnah melden – die Verbreitung von rufschädigenden, unwahren Tatsachenbehauptungen muss nicht hingenommen werden. Ein Rechtsverstoß muss gegenüber Google via Online-Formular, per E-Mail oder Brief hinreichend konkret dargelegt werden, damit er überprüft werden kann. Google hat nach einem solchen Hinweis die Pflicht, derartige Verletzungen künftig zu verhindern.

Für Suchmaschinenbetreiber besteht jedoch keine Verpflichtung dahingehend, die technisch generierten Suchvorschläge einer generellen, vorsorglichen Prüfung zu unterziehen. Google ist also erst ab Kenntnis einer konkreten Rechtsverletzung zur Löschung verpflichtet.

Promis und Autocomplete – das ist und bleibt somit eine ganz besondere Beziehung. Selbst die eher als nüchtern und abgeklärt geltende Bundeskanzlerin Angela Merkel wird vor allem mit Privatem in Verbindung gebracht. Von neun Autocomplete-Vorschlägen sind sechs ganz klar solcher Natur: „alter“, „kinder“, „mann“, „wohnung“, „urlaub“ und „geburtstag“ lassen wenig Raum für politische Konnotationen. Allenfalls der Begriff „gehalt“ kann als Interesse an der Kanzlerinnenbesoldung im Allgemeinen geltend gemacht werden. Doch die weiteren Begriffe „jung“ und „twitter“ sind entweder irrelevant oder – wie bei Olaf Scholz – neutral. 

Dabei lassen sich durchaus gewisse Muster erkennen: Nachgefragt wird offenbar, was (ohnehin) in den Medien zirkuliert, aber doch zur vertieften Recherche reizt. Schaut man sich die beliebtesten Politiker einmal genauer an, so fällt auf, dass (Ehe-)Partner und Kinder sehr oft eine Rolle spielen, jedoch keineswegs immer: Während bei Bundeskanzlerin Merkel sowohl der Partner als auch die Frage nach Kindern in Autocomplete auftauchen, ist das nur bei Grünen-Chefin Annalena Baerbock, Heiko Maas und Innenminister Horst Seehofer ebenso der Fall.

Bei allen anderen Politikern tauchen entweder der Partner oder mögliche Kinder auf – und etwa bei der AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Wirtschaftsminister Peter Altmaier spielen Lebenspartner und Kinder für Autocomplete überhaupt keine Rolle. Das passt durchaus zum medialen Bild dieser Personen, denn weder von Weidel noch von Altmaier sind jüngst prominent platzierte Partner- oder Familiengeschichten bekannt.

Während die Bild-Zeitung im April 2017 ein einziges verpixeltes Privatfoto von Weidel mit ihrer angeblichen Partnerin zeigte, gab Altmaier in Sachen Privatleben lediglich an, seit mehr als fünf Jahrzehnten Single zu sein. Das erweckt freilich nicht den Anschein boulevardesker Homestorys ersten Ranges, sodass die mediale Abdeckung zu diesen beiden Personen zum Autocomplete-Potpourri passt.

Weitere Trends, die offenbar ebenfalls mit Medienberichten zusammenhängen: Google assoziiert den FDP-Parteichef Christian Lindner mit seinen Haaren (er ließ welche transplantieren und sprach darüber auch in Interviews), Linken-Vorsitzende Katja Kipping mit dem Grundeinkommen (sie fordert es seit vielen Jahren in zahlreichen Interviews und Artikeln) und SPD-Chefin Andrea Nahles mit Flüchtlingen (sie geriet bei diesem Thema zeitweise sehr deutlich unter Druck).

Der Hang zum Boulevardesken 

Letztlich finden sich alle Vorschläge, die Google unterbreitet, auch im jüngeren massenmedialen Diskurs wieder. Politiker können sich mithilfe von Google Autocomplete ein entsprechendes Stimmungsbild ihres Wahlvolks verschaffen und werden dabei lernen: Das Private ist das Interessanteste. Das gilt parteiübergreifend, geschlechterunabhängig, zeitbezogen.

Hinzu kommt: Politiker haben sich in der Wahrnehmung spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer weiter von unantastbaren Lichtgestalten hin zu fehlbaren Amtsträgern auf Zeit entwickelt. Damit sank die Hemmschwelle und das Intime, allzu Persönliche, Private, das zuvor noch tabu war, wurde immer weiter zutage gefördert und ausgeleuchtet.

Demokratisierung des Zugangs zu Informationen 

Zum allgemeinen Mentalitätswandel in der Gesellschaft kommen die neuen technischen Möglichkeiten, die – wie so oft – verstärkend wirken: Früher bestimmten Redaktionen und Menschen im direkten Umfeld stärker, was über einen Politiker an die Öffentlichkeit gelangte – und was nicht. Heute kann das jeder Blogger, Twitter- oder Facebook-Nutzer übernehmen.

Diese Demokratisierung des Informationszugangs und -flusses war seit den Anfängen der Massenvernetzung ein wichtiges Argument und ist in der digitalen Welt auch im Sinne einer Haltung weit verbreitet („Privacy is dead“). Die Welt wird digitaler und Informationen sind zahlreicher, vielfältiger und freier denn je. Neu ist daran, dass allein die Suche nun schon „Fakten“ herbeizaubern kann. 

So gesehen ist Googles Autocomplete-Feature zwar einerseits äußerst hilfreich, andererseits aber hochgradig riskant. Und verschont bleibt noch nicht einmal derjenige, der tatsächlich nichts zu verbergen hat. Gerüchte und Lügen werden zwar auch durch permanente Wiederholung nicht wahrer, aber wen interessiert das noch im Zeitalter von „Fake News“ und „Lügenpresse“? 

„Das Problem ist, dass rationales Denken nicht hip ist“, sagt der KI-Experte Chris Boos. Funktionen wie Autocomplete können ihren Teil zu dieser Erosion der Vernunft beitragen, wenn wir nicht aktiv gegensteuern und auch bei der Suche nicht blind auf den maschinellen Trend-Vorschlag, sondern auf den Menschen und seinen Verstand setzen. 

Dieser Beitrag ist in einer längeren Version zuerst im Magazin politik&kommunikation (3/18) erschienen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe KONKURRENZ. Das Heft können Sie hier bestellen.