Digitale Barrierefreiheit – Ein Gewinn für alle

Diversity Insights

Im Rahmen unser Kolumnenserie „Diversity Insights“ beleuchten unsere Autor*innen die unterschiedlichen Dimensionen der Diversität und stellen die sich daraus ableitenden kommunikativen Herausforderungen und Lösungen vor.

Als Mitgründerin von Gehirngerecht Digital setze ich mich für digitale Barrierefreiheit ein. In den vergangenen neun Jahren habe ich viel Zeit mit der Entwicklung von Individualsoftware verbracht. Jetzt arbeite ich mit großer Leidenschaft daran, die Sichtbarkeit für digitale Barrierefreiheit zu erhöhen und Menschen dabei zu unterstützen, digitale Kommunikation für jede*n zugänglich zu machen.

Was sind digitale Barrieren?

Vielen von uns ist nicht bewusst, was digitale Barrieren eigentlich sind. Das ist nicht verwunderlich. Denn nicht jede*r erkennt eine Barriere als solche. Um das Thema im Kern zu verstehen, muss man sich bewusst werden, dass jeder Mensch Inhalte anders wahrnimmt. Sie und ich nehmen Inhalte vielleicht über das Sehen und Hören wahr, andere ertasten Texte oder können Inhalte nicht sehen oder mit Tonspuren gar nichts anfangen. Ihr Grün könnte mein Braun sein! Und Ihr Flauschig mein Fest. Das klingt jetzt erstmal nicht nach einer Hürde, ist doch schön, dass alle individuell sind, stimmt’s? 

Auf jeden Fall. Wenn die Unterscheidung von Farben jedoch essentiell ist, um digitale Inhalte zu verstehen, dann wird diese unterschiedliche Wahrnehmung unter Umständen zu einer unüberwindbaren Barriere. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Als digitale Barriere gilt alles, was Menschen die Nutzung von Webseiten und Apps erschwert oder unmöglich macht.

Ein paar Beispiele dafür sind:

  • Geringe Kontraste bei der Farbwahl: Grauer Text auf weißem Hintergrund kann für Personen mit Sehbehinderung schwer lesbar sein.
  • Fehlende oder nichtssagende Alternativtexte für Bilder: Gerade bei Diagrammen oder Grafiken fehlen blinden Nutzer*innen für das Textverständnis wichtige Informationen.
  • Fehlende Untertitel bei audiovisuellen Inhalten: Nicht untertitelte Videos können für schwerhörige oder gehörlose Menschen unverständlich sein.
  • Zu kleine Buttons: Winzige Schaltflächen auf Webseiten sind für Nutzer*innen mit Tremor schwer zu bedienen.
  • Navigation, die nur über Maus ansteuerbar ist: Inhalte, die nicht über die Tastatur steuerbar sind, erzeugen viele Folgeprobleme für assistive Technologien. Davon sind unter anderem Menschen mit motorischen Einschränkungen betroffen.
  • Komplexe, unübersichtliche Layouts und Sprache: Überfüllte Darstellungen mit komplexer Sprache sind problematisch für Nutzer*innen mit Lernbehinderung.

Das betrifft doch sicher nur sehr wenige, oder?
Kann man glauben, ist aber schlichtweg falsch und ich erkläre Ihnen jetzt warum.

Wen betreffen digitale Barrieren?

Laut dem Bundesamt für Statistik sind in Deutschland nur drei Prozent der Behinderungen angeboren. Die restlichen 97 Prozent entstehen im Laufe des Lebens. Über 78 Prozent der Behinderungen betreffen Menschen über 55 Jahren. Sehschwächen, Schwerhörigkeit und andere Einschränkungen sind im Alter oft unausweichlich. Auch Jüngere sind von, teils unsichtbaren, Einschränkungen betroffen: zehn Prozent der Männer haben zum Beispiel von Geburt an eine Rot-Grün-Schwäche.

Und wenn wir schon mit Zahlen um uns werfen:, Ddie Wahrscheinlichkeit, dass man mindestens einmal im Leben temporär oder situativ behindert ist, liegt bei 100 Prozent. Behinderungen sind nämlich nicht nur permanente Einschränkungen. Auch eine laute Baustelle vorm Büro, ein gebrochener Arm oder hungriger Nachwuchs auf dem Arm können behindern.

Letztlich betrifft digitale Barrierefreiheit uns also alle. Sei es, um fürs Alter vorzusorgen oder unsere Großeltern und den tauben Nachbarn besser am digitalen Leben teilhaben zu lassen.

Assistive Technologien

Assistive Technologien erleichtern Menschen mit Behinderungen den Zugang zu verschiedenen Aspekten des täglichen Lebens, einschließlich der Nutzung digitaler Medien und Technologien.

Ein paar Beispiele hierfür sind:

  • Screenreader: macht digitale Inhalte für Menschen verständlich, die Inhalte nicht visuell wahrnehmen. Die Software kann Inhalte vorlesen oder an eine Braille-Tastatur weitergeben.
  • Spracherkennungssoftware: ermöglicht die Steuerung von Geräten durch Sprachbefehle und macht so die manuelle Eingabe unnötig.
  • Untertitel und Gebärdensprachdolmetschung: geben auditive Inhalte visuell wieder.

Die angeführten Technologien sind nicht nur sehr hilfreich für Menschen mit Behinderung, sondern auch beispielsweise für diejenigen, die gern Filme in der Originalversion anschauen und den schottischen Akzent nicht so drauf haben oder ihr Smarthome über Sprache steuern wollen.

Universelle Benutzerfreundlichkeit

Und genau darum geht es: Zugänglichkeit für alle. Denn digitale Barrierefreiheit ist vielschichtig und sorgt dadurch für mehr Klarheit auf allen Ebenen. Sie zwingt uns dazu, klar zu kommunizieren, strukturiert zu designen und, allem voran, uns in andere hineinzuversetzen. Deswegen ist sie keineswegs nur ein Gewinn für Menschen mit Behinderung. 

Wie wichtig Barrierefreiheit und die Inklusion aller sind, ist nun auch gesetzlich verankert im sogenannten Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Das Gesetz tritt 2025 in Kraft und nimmt einen Teil der Privatwirtschaft in die Pflicht, ihre Inhalte für alle nutzbar zu machen.

In der Barrierefreiheit gilt das Credo „nicht ohne uns über uns”. Oft werden digitale Inhalte ohne die Einbindung von Menschen mit Behinderung entwickelt. Das führt zwangsläufig dazu, dass an der Zielgruppe vorbei entwickelt wird. Die mangelnde Barrierefreiheit verschärft das Problem, dass Menschen mit Einschränkungen von Diskursen ausgeschlossen werden, die sie betreffen. 

Was tun wir für ein barrierefreies Internet?

Die rechtlichen Grundlagen können – man kennt es von anderen Themen – sehr zäh sein, deswegen haben wir uns da schon mal für alle durchgeboxt (gern geschehen!), um Content zu kreieren, der die Inhalte unmissverständlich wiedergibt. Unsere Mission bei Gehirngerecht ist es, digitale Barrieren abzubauen. Mit unseren Workshops möchten wir dem Thema auf unterhaltsame Weise Sichtbarkeit verschaffen und so Kommunikation und Information im Internet für alle zugänglich machen.

Weitere Informationen zum Thema digitale Barrierefreiheit und den Projekten von Gehirngerecht Digital finden Sie hier

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