Warum die PR nach Cannes schauen sollte

Awards

Die Cannes Lions sind kein Event, zu dem ich hinfahren muss. Dafür sind die dort aus aller Welt eingereichten Projekte und auch die vertretenen Personen zu weit weg von dem, was den Kern unserer Berichterstattung ausmacht. Ich muss dort auch nicht hin, um zu sehen oder gesehen zu werden. Im Vergleich zu anderen Veranstaltungen kenne ich eher wenig Leute. Die meisten der dort präsenten Creative Directors und Führungskräfte aus Kreativ- und Werbeagenturen wissen auch nicht, was wir als Magazin machen. In deutschen Kreativkreisen gilt frei nach Pep Guardiola: „‚Horizont‘ oder nix“.

Trotzdem wundere ich mich, dass das Festival in Cannes bei so wenigen aus der PR-Szene auf der Agenda steht. Das gilt für Unternehmen und Agenturen. In gefühlt jedem zweiten Gespräch mit Unternehmensvertretern bekomme ich sonst erzählt, dass alle wahnsinnig disziplinübergreifend und integriert denken und ständig irgendwelche Silos abbauen wollen. Dafür scheinen noch reichlich Mauern zu bestehen. Es sind die bekannten abgesteckten Claims: Hier: Unternehmenskommunikation, Media Relations und Corporate. Dort: Werbung, Marketing, Brands und Kampagnen.

Ich war in diesem Jahr zum zweiten Mal in Cannes. 2022 bin ich aus Neugierde hingeflogen. Ich hatte Zeit und die Coronapandemie hatte den Besuch von Events zwei Jahre lang erschwert. Die vier Tage belasteten inklusive Flug nach Nizza und Apartment mein Budget weniger als eine Hotelübernachtung während der OMR, was auch daran lag, dass der Tourismus in Cannes gerade erst wieder anlief. Reguläre Festivaltickets sind mit rund 4.000 Euro dagegen kostspielig. Für unter 30-Jährige ist es etwa die Hälfte. Mit Extraleistungen und Jacht-Paketen wird es fünfstellig.

Dieses Mal bin ich nach Cannes gefahren, weil mich das Festival im vergangenen Jahr inhaltlich überzeugte. Entsprechend subjektiv fällt dieser Text aus.

Natürlich erzählt einem an der Côte d’Azur niemand, wie man einen Newsroom aufbaut, einen CEO positioniert, in Krisen agiert oder eine Mitarbeiter-App konzipiert. Dafür gibt es herausragende PR-Stunts, Produktwerbung und Markeninszenierungen, emotionale Kampagnen zu Inklusion, Nachhaltigkeit und anderen gesellschaftlich relevanten Themen, Beispiele für eine intelligente Einbindung von Influencern, Technologie und Social Media – das ganze garniert mit einer hohen Internationalität. Storytelling auf Top-Niveau – und damit für jeden relevant, der sich mit Kampagnen, Marketing und Werbeaktivitäten beschäftigt.

Der Großteil der Festivalbesucher kommt aus den weltweit führenden Werbeagenturen, den Tech-Konzernen, Mediaagenturen und aus sonstigen Beratungsunternehmen. Cannes ist auch Business.

Die Werbeagenturen decken den Bereich Public Relations weitgehend mit ab. Selbst in den PR-Kategorien kam bei keiner einzigen der neun mit einem Gold Lion oder dem Grand Prix ausgezeichneten Kampagnen die Kernidee aus einer Agentur mit PR-DNA. Die leisteten Support. Das ist auch deshalb ungewöhnlich, weil die für diese Kategorie zuständige Jurypräsidentin Jo-ann Robertson (Ketchum) betonte, dass Earned Media bei der Bewertung die zentrale Rolle spielte, was Agenturen mit der Kernkompetenz Media Relations eigentlich zugutekommen sollte. Projekte müssen ihren Erfolg nachweisen, was es für so genannte Goldideen fast unmöglich macht, vorne zu landen.

Kampagnen im Zentrum

Verleihungen von Kommunikationspreisen in Deutschland laufen meist ähnlich ab. Die Gäste nehmen an Tischen Platz. Es gibt wenig zu essen, dafür reichlich zu trinken und auf der Bühne geht es im Eiltempo durch die Award-Kategorien. Inhaltlich etwas mitzunehmen ist schwierig. Einige der ausgezeichneten Projekte sind nicht einmal preiswürdig. Manchmal wurde nur nichts besseres eingereicht.

Bei den Cannes Lions sind die abendlichen Award-Shows neben dem Rumhängen in den von Ausstellern an Croisette und Strand angemieteten Beach Clubs das Highlight. Die Shows ziehen sich durch die ganze Woche und sind aufgeteilt nach Kategorien. Sie finden im Palais des Festivals statt, das als Festspielhaus mit etwa 2.300 Plätzen einiges hermacht. Seit zwanzig Jahren führt Juan Señor durch die Abendveranstaltungen. Der ist ein eleganter nüchterner Typ, spricht für meine Ohren ein gepflegtes Oxford-Englisch und wechselt ständig in andere Sprachen. Auf der Bühne werden die Gold Lions, der Grand Prix als höchste Auszeichnung und Sonderpreise überreicht. Dazu gibt es die Case-Filme zu sehen, so dass man als Gast einen Eindruck von der Kernidee bekommt. Löwen in Silber und Bronze werden vorher vergeben.

Am Strand an der Croisette haben vor allem Tech-Unternehmen und Agenturholdings Beach Clubs angemietet. Neben dem offiziellen Festivalprogramm gibt es auch hier zahlreiche Vorträge und abends Partys. © Tristan Fewings/Getty Images for Cannes Lions
Am Strand an der Croisette haben vor allem Tech Unternehmen Beach Clubs angemietet oder Stände aufgebaut © Tristan Fewings Getty Images for Cannes Lions

Die Veranstaltung bietet verschiedene Anknüpfungspunkte, um sich über die Cases zu informieren. Neben der Preisverleihung sind das eine Poster-Ausstellung im Untergeschoss des Festivalzentrums sowie Touchpads mit Kampagnenmaterial zu den Einreichungen. Es gibt zusätzlich Rundgänge mit Jury-Mitgliedern und Sessions, in denen die besten Arbeiten diskutiert werden. Manchmal stellen Agenturen oder Kunden Kampagnen auf Side Events vor. Ich war zum Beispiel bei Bosch. Wer die eigentliche Konferenz auslässt, auf der unter anderem Springer-CEO Mathias Döpfner über KI philosophierte, kann sich den ganzen Tag mit Cases beschäftigen.

Case-Auswahl

In der PR-Kategorie fand ich den Adidas-Case „Runner 321“ besonders überzeugend, für den sich die Agentur FCB Toronto einen goldenen Löwen sicherte. Weltweit nahmen an Marathons wie in Boston und New York Läufer mit Trisomie 21 teil. Die Sportler trugen dabei die aus der Chromosomenveränderung abgeleitete Startnummer 321. Das Ziel: mehr Inklusion im Laufsport anzuregen.

Silber in der PR-Kategorie und einen Grand Prix bei Film erhielt das Projekt „The Last Photo“. Die Charity-Organisation Campaign Against Living Miserably stellte in London am 20. Juni – in Großbritannien bekannt als „The Happiest Day Of The Year“ – 50 Fotos von auf den ersten Blick glücklichen Menschen aus. Die Aufklärung erfolgte einige Tage später im Fernsehsender ITV: Es waren die letzten Fotos von Menschen, bevor sie Selbstmord begingen. Die Botschaft hier: „Suicidal doesn’t always look suicidal“. Aufmerksamkeit für ein schwieriges Thema. Verantwortlich war Adam & Eve DDB aus London.

Weber Shandwick Berlin war involviert bei der mit fünf Löwen prämierten Kampagne „OPT.INK“ des Kunden Junge Helden. Im Lead war McCann. Mit Hilfe eines Tattoos konnte jeder seine Bereitschaft zur Organspende zum Ausdruck bringen.

Deutlich leichter ging es beim „Baby Scan“ von Marmite zu. Dieser im englischsprachigen Raum beliebte Brotaufstrich wird seit Jahrzehnten unter dem Slogan „You Either Love It Or Hate It“ vermarktet. Die Unilever-Marke zeigte in einem Spot, wie Schwangere etwas mit Marmite essen. Anhand der Reaktion auf dem fiktiven Ultraschall-Bild lässt sich erkennen, ob das Baby Marmite mag oder nicht – Lover oder Hater? Die Kampagne erhielt zwei goldene Löwen in der Direct-Kategorie.

Die Biermarke „Stella Artois“, deren Brau-Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, ließ mit Hilfe von künstlicher Intelligenz historische Kunstwerke analysieren, in denen Bier zu sehen ist. Anhand von Indikatoren wie der Farbe des Bieres und der Form des Glases wurde dann die „The Artois Probability“ ermittelt – die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Stella handelt. Dazu gab es Print- und Out-of-Home-Werbung. Verantwortlich hierfür war GUT aus Argentinien, die auch als Agentur des Jahres ausgezeichnet wurde. Brasilien und Argentinien waren unter den Preisträgern sowieso stark vertreten. Mehrfach wurde in ausgezeichneten Arbeiten die Fußball-WM thematisiert. So beispielsweise in einem anderen Case aus Argentinien. Über eine Lieferdienst-App konnte man den Rückflug des Weltmeisterteams verfolgen. In Deutschland machten Unternehmen um die WM in Katar einen großen Bogen. Fußballbegeisterung kennen offenbar nur noch die anderen.

Insgesamt fiel die Bilanz für deutsche Unternehmen und Agenturen eher enttäuschend aus – trotz 1.183 Einreichungen. 34 Löwen (offiziell 24, einige Kooperationen muss man dazu zählen) gingen nach Deutschland.

Erfolgreich verlief das Kreativfestival für die Düsseldorfer Agentur „Saatchi & Saatchi“, die zur Publicis-Gruppe gehört. Sie gewann vier Gold-Trophäen und zweimal Silber und einmal Bronze für das Projekt „Cheat Cookies“. Auftraggeber ist Mondelēz. Hier geht es darum, Gamer für Oreo-Kekse zu begeistern. Die deutsche Ogilvy-Gruppe war in der Kategorie „Film“ mehrfach erfolgreich. Serviceplan gewann einmal Gold.

 

 

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