Humor strategisch einsetzen

Social Media

„Wir haben ihn übrigens gefunden“, schrieb die Baumarktkette Toom im Sommer auf Instagram. Dazu postete sie ein Überwachungsvideo von einem Mann, der in einem Toom-Markt einkauft. Getaggt war der Konkurrent Hornbach, der drei Wochen lang mit Werbemotiven im Stil von Vermisstenanzeigen vermeintlich nach eben diesem Kunden gefahndet hatte. Hornbach reagierte umgehend: „Sorry, aber da hat Euch offensichtlich das Baumarkt-Phantoom veräppelt.“ Dahinter setzte das Social-Media-Team noch ein Zwinker-Smiley.

Der Schlagabtausch kam gut an. Toom erhielt für seine Replik in den sozialen Netzwerken sogar mehr Likes als Hornbach mit seinem Original-Post. Reichweite und Medienberichterstattung gab es für beide obendrauf.

© Screenshot Instagram @hornbach_de/Instagram @toombaumarkt

Die Baumarktkette Toom veröffentlichte auf Instagram eine Replik auf eine Werbeaktion des Mitbewerbers Hornbach. © Screenshots: Instagram/@hornbach_de, Instagram @toombaumarkt

Baumärkte, Supermärkte, sogar Bestatter – scherzhafte Auseinandersetzungen zwischen Marken sind zu einem typischen Phänomen in den Social Media geworden. Unternehmen setzen Humor strategisch ein, vor allem um Reichweite und Engagement zu erhöhen.

Ein Grund, warum auch die Deutsche Bahn auf Humor setzt. Das krisengeplagte Unternehmen betreibt seit Jahren erfolgreiche Accounts im Netz. Laut Social-Media-Chef Kai Strehler erzielte die Bahn im Oktober über eine Million organische Interaktionen auf gepostete Inhalte; Klicks auf Bilder und Serviceanfragen sind da noch nicht mitgezählt. Selbstironie, schlagfertige Kommentare und Schlagabtausche mit anderen Marken, sogenannte Beefs, zeichnen den Bahn-Stil aus. Viele andere Marken eifern dem nach.

Humor schafft Vertrauen

Immer wieder nutzt die Bahn Unpünktlichkeit und andere Ärgernisse als Aufhänger für humorige Posts. Auf Tiktok zählt ein Meme, das neben dem Satz „Wenn Lautsprecher sagt Gleis 8, aber gibt nur 4“ einen verwirrt schauenden Hund zeigt, knapp 47.000 Likes (Stand: Ende November 2023). Es kann authentisch wirken, wenn Schwächen offensiv und selbstironisch angesprochen werden. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben es vorgemacht. Humor löst aber auch bekanntlich Spannungen und baut Stress ab, schafft Distanz zu unangenehmen Situationen und macht diese erträglicher. Gleichzeitig stärkt er das Image: Wer Humor hat, wirkt sympathisch, attraktiv und nahbar. Humor schafft Vertrauen, das zahlt wiederum auf die Glaubwürdigkeit ein. All das lädt die Strahlkraft einer Marke auf.

Strehler ist überzeugt: „Humor ist der Hebel, um Botschaften auf Social Media unter die Leute zu bringen.“ Selbst trockene Bahn-Themen wie die Vorstellung auf einer ÖPNV-Messe könnten in unterhaltsam aufbereiteter Form Likes in fünfstelliger Höhe erzielen. Aber nicht alles muss lustig sein: Witzige Memes und informative Posts wechseln sich ab. Die einen verhelfen den anderen zu mehr Reichweite, weil humorige Posts Sichtbarkeit für den ganzen Kanal schaffen, wie Strehler erklärt.

Markenwerte kennen

Es gibt verschiedene Techniken, die humorvoll wirken, etwa Wortspiele, Witze, Übertreibungen, Ironie und Sarkasmus. Wie Humor genau funktioniert, darüber ist sich die Forschung bis heute uneins. Allgemein akzeptiert ist jedoch, dass Humor bedingt ist durch individuelle Persönlichkeitseinstellungen, Moralvorstellungen, Intelligenz, aber auch demografische Aspekte wie Geschlecht, Alter und Schulbildung.

„Ein unzureichendes Verständnis der Zielgruppe, ihrer Situation und eben ihres Humors sorgt zuverlässig dafür, dass die Witze an der Zielgruppe vorbeigehen“, sagt Felix Beilharz, der Unternehmen unter anderem zum Thema humorvolle Social-Media-Kommunikation berät.

Tabu sind Sexismus, Rassismus und Anspielungen auf Krankheiten. Grundsätzlich sei Humor, der anecke, sehr riskant, warnt Beilharz. Marken, die generell eher zurückhaltend und seriös auftreten, sollten nicht plötzlich „die krassesten Jokes“ erzählen, rät er. Das wirke wenig authentisch und verwirre das Publikum eher. Auch Satire sei in sozialen Medien gefährlich, denn sie werde oft nicht erkannt und verstanden. Den Humor gegen die eigene Zielgruppe zu richten, hält er ebenfalls für keine gute Idee: „Das kann böse nach hinten losgehen.“

Diesen Vorwurf muss sich auch die Deutsche Bahn gefallen lassen. Die Ärgernisse der Kunden sind inzwischen so gewaltig, dass sich die Frage stellt, ob es der richtige Weg ist, ständig auf die eigene Unzulänglichkeit hinzuweisen. Die aktuelle Kampagne „Mehr Bahn für alle“ adressiert die Unzufriedenheit der Kunden und weist auf Modernisierungs- und Baumaßnahmen hin. „Wir können nicht so tun, als wäre alles super“, ließ sich Marketing-Chef Jürgen Kornmann in der Pressemitteilung zitieren.

Beispiele wie der Smoothie-Hersteller True Fruits, der kürzlich mit einer Analogie zur Raucherlunge warb, oder die Billig-Fluglinie Ryanair, die ihre eigene Kundschaft regelmäßig mit sarkastischen Kommentaren malträtiert und dafür bejubelt wird, zeigen, dass der Tabubruch auch funktionieren kann. „Unternehmen sollten sich ihrer Markenwerte bewusst sein, ihre Zielgruppe genau kennen und sich überlegen, wo ihre eigenen Grenzen und No-Gos sind. Dann ist vieles möglich“, sagt Beilharz. Bei Ryanair dürfte jedem Fluggast bewusst sein, dass am Service und Komfort gespart wird und Preise dafür meist niedrig sind. Der Preisfaktor lässt sich durch Selbstironie hervorheben: Man spielt den Service runter, um das Hauptkaufargument – die niedrigen Preise – zu betonen.

Screenshot: Tiktok/ryanair

Billige Preise statt Service und Komfort: diese Botschaft ist Kern der Social-Media-Strategie der Fluglinie Ryanair. Screenshot: Tiktok/@ryanair

Eigenheiten der Kanäle beachten

Bedenken sollte man auch, dass Humor sich oft auf aktuelle Themen und Trends bezieht. „Die sollten in der Zielgruppe schon bekannt sein, damit der Humor funktioniert“, sagt Beilharz. Trends und Humorstile können von der jeweiligen Community abhängen und damit auch vom Kanal. „Vor allem auf Tiktok hat sich durch Memes, Influencer, Filter und virale Hits eine eigene ‚Sprache‘ gebildet. Wenn solche Videos dann aus dem Kontext gerissen und woanders gepostet werden, stoßen sie im besten Fall auf Unverständnis, im schlimmsten Fall auf Ablehnung“, warnt der Experte.

Selbst die Business-Plattform Linkedin bietet Beilharz zufolge viel Spielraum für Humor. „Gemeinsame Erlebnisse wie Bürosituationen, Bullshit-Bingo, absurde Ereignisse in der Business-Welt und Ähnliches können wunderbar aufs Korn genommen werden, wenn man sich nur traut“, meint der Fachmann. Eines der wenigen guten Beispiele ist dem Experten zufolge DB Cargo, ebenfalls ein Account aus dem Bahn-Kosmos, der aber nicht in Strehlers Zuständigkeitsbereich fällt. Er generiert Memes aus Bahn-Fachwissen und richtet sich damit vornehmlich an die eigenen Mitarbeiter*innen.

X ist „zu kritisch“ geworden

Für Strehler, der mit seinem Team in der Vergangenheit vor allem durch Twitter-Posts die Bekanntheit der Deutschen Bahn im Netz massiv steigerte, ist klar: Humor funktioniert überall. Doch auf X werde er kritischer beäugt. „Zu kritisch“, wie Strehler findet, weshalb die Plattform „ihren Reiz verloren“ habe. Tatsächlich sieht man auf X inzwischen immer weniger humorige Posts der Deutschen Bahn. Strehler begründet dies auch mit den Entwicklungen der Plattform seit der Übernahme durch Elon Musk. Die Bahn habe die personellen Kapazitäten für den Kanal reduziert. Sie spart sozusagen am Humor.

Immer wieder wird dem Social-Media-Team der Bahn auf X vorgeworfen, mit lustigen Memes oder schlagfertigen Antworten vom eigentlichen Problem abzulenken. Die Deutsche Bahn solle ihre Ressourcen lieber in die Pünktlichkeit ihrer Züge stecken als in lustige Kommentare, heißt es dann. Strehler reagiert darauf mit der für den Bahn-Account typischen Ironie: „Wenn mein Team und ich uns um das Schienennetz kümmern würden, würde das der Verkehrswende vermutlich auch nicht helfen.“

Schnippische Antworten der Bahn stoßen ebenfalls öfter auf Kritik, wie zuletzt bei einem Post der AfD-Politikerin Beatrix von Storch, die die Verspätung ihres Zuges monierte und dazu schrieb: „Wie ganz Deutschland: Nix mehr auf die Kette kriegen, aber im rosa Tütü mächtig viel Haltung zeigen.“ Vor das Wort „Haltung“ setzte Storch ein Regenbogen-Emoji. Der Presse-Account der Bahn reagierte mit einer Bildmontage, die die Politikerin vor einem Wüsten-Hintergrund zeigt, und den Worten: „Wir freuen uns, dass Sie Ihr Ziel trotzdem erreicht haben. Die Rückfahrt fällt leider aus.“ Der Post erzielte viel Aufmerksamkeit. Unter anderem „Bild“, der „Spiegel“ und „ZDF heute“ berichteten. War die Reaktion angemessen? In diesem Fall habe man auf einen Angriff der Unternehmenswerte reagiert, sagt Strehler. Haltung zu zeigen, stärke auch die Glaubwürdigkeit.

Sein Team habe einen klaren Auftrag: Reichweite schaffen und die Botschaften der Bahn vermitteln. Tiktok sei dankbarer als X, sagt Strehler. Dort ist die Deutsche Bahn mit mehr als 258.500 Followern und 7,5 Millionen Likes (Stand: Ende November 2023) aktuell sehr präsent. Der Humor kommt bei der jungen Zielgruppe gut an. Der Wert von Tiktok und Instagram als Employer-Branding-Kanäle ist nicht hoch genug einzu­schätzen.

Sitcom-Humor

Mehr noch als bei anderen Plattformen liegt der Fokus bei Tiktok auf Unterhaltung. Creators sind für die Inhalte der Accounts verantwortlich. Erfolgreich ist, wer mit eigener Persönlichkeit auftritt. Die Marke Aevor des Unternehmens Baesiq zeigt, wie es geht. Dem Tiktok-Account des Kölner Rucksack-Labels mit 1,7 Millionen Likes folgen rund 50.000 User (Stand: Ende November 2023). Die Hauptcharaktere des Accounts sind die Werkstudentin Belinda Zühlke, aus deren Sicht die Geschichten auf dem Kanal erzählt werden, und ihr Chef Felix Adams. Der Kanal funktioniert ähnlich wie eine Sitcom: Die Community fiebert mit bei Belindas Gehaltsverhandlung, schaut feixend zu, wie Belinda das Studio umgestaltet, während Felix im Urlaub ist, und fühlt nervös mit, wenn beide in das Büro des Geschäftsführers zitiert werden.

Was die Community sieht, basiert auf realen Ereignissen: „Die Teamstruktur ist echt“, sagt Felix Adams, der als Brand Manager bei Baesiq für die Marke Aevor zuständig ist. Der Ablauf und die Dynamik der Videos seien in etwa mit „Jerks“ oder „Die Discounter“ zu vergleichen. „Hierbei dokumentieren wir so vorgekommene oder ähnliche Situationen und schreiben sie um. Wir ‚faken‘ keine Renovierung, sondern machen uns die Tatsache, dass wir renovieren, zunutze“, erklärt er. Heute seien sie die größte Taschenmarke auf Tiktok im deutschsprachigen Raum – „und das alles organisch ohne monetären Push der Videos“, wie Adams versichert. Strategie und Umsetzung verantwortet allein das Team.

Humor kann man lernen

Bleibt die Frage: Müssen Social-Media-Manager „witzige Typen“ sein? Marketingberater Beilharz differenziert: „Zum Teil ist es sicher eine Typfrage, wie leicht es jemandem fällt, spontan witzig zu reagieren. In Social Media kann man Humor aber wunderbar lernen.“ Es gebe bewährte Muster, nach denen viele lustige Beiträge funktionieren. Und die könne man relativ leicht nachbauen. „Klar wird so nicht jeder Post automatisch zum Kracher, aber die Chancen steigen. Man kann Humor wie einen Muskel trainieren und wird so besser, je mehr man sich darin übt“, sagt der Berater. Der Schaden, nichts zu tun, sei meist größer, als mal einen kleinen Shitstorm zu riskieren. „Das ist ohnehin der Worst Case, die meisten Unternehmen erleben nie einen echten Shitstorm. Deshalb: Gern etwas mutiger sein, mal etwas wagen. Nur so wird man mit der Zeit besser.“

Und wenn man nun so gar keinen Humor hat oder einfach nicht mag? „Es gibt keinen Zwang, unbedingt Humor im Marketing einzusetzen“, sagt der Experte: „Wenn es partout nicht zum Unternehmen passt, ist es vielleicht besser, auf andere Formen der Kommunikation zu setzen.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe #Corporate. Das Heft können Sie hier bestellen.

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