Wigan Salazar, Deutschlandchef von MSL über die Pro-Kampagne
Herr Salazar, was ist das Herzstück Ihrer Kampagne?
Wigan Salazar: Das Herzstück ist der Tumblr-Blog „Industrie pro TTIP“. Die BDI-Webseite ist für alle Themen da, aber auf der Ebene der fachlichen Kommunikation. Auf diese können wir in den sozialen Netzwerken und bei Tumblr verweisen. Aber auch die Plakate sind wichtig, um eine gewisse Aufmerksamkeit gerade in diesem bedeutenden Monat Oktober zu erzeugen.
Warum gehen Sie gerade jetzt in die Offensive? Die Debatte herrscht ja schon seit Längerem.
In vielerlei Hinsicht kommt es nun zu einem Kulminationspunkt. Am ersten Oktober gab es eine Bundestagsdebatte zum Thema, am 10. Oktober hat es die Demonstration der TTIP-Gegner gegeben. Ende des Monats findet die nächste TTIP-Verhandlungsrunde in Miami statt. Zudem gibt es im Oktober zwei Sitzungswochen des Deutschen Bundestags. Die Plakatoffensive ist nicht ohne Grund auf Berlin fokussiert.
Das heißt, die politische Agenda steht im Vordergrund, nicht die Mobilisierung der Bevölkerung?
Zu einer Demonstration aufzurufen oder ähnliches, ist nicht die Aufgabe eines Industrieverbands. Es geht darum, dass die Industrie sagt, wo sie steht. Darüber hinaus einen Teil der Bevölkerung mitzunehmen, ist natürlich super. Es wäre aber vermessen, alle erreichen zu wollen. Wir wollen eine Plattform für Argumente und Fragen bieten.
Wie gelingt es, die thematische Komplexität einzudampfen und für jeden verständlich zu machen?
Zu Beginn haben wir recherchiert, welche Themen am heißesten sind, wo es Falschdarstellungen gibt und welche Aspekte strittig sind. Dafür haben wir natürlich in Zeitungen geschaut, aber verstärkt auch die sozialen Netzwerke analysiert. Zu diesen Themen haben wir Argumentationskarten erstellt, die die Mitgliedsverbände nutzen und weiter verbreiten können. Diese decken folgende Bereiche ab: Schiedsgerichte, Zollabbau, Lebensmittel, Mittelständler, Arbeitsplatzerhalt und Produktsicherheit. Zudem sammeln wir über den Tumblr-Blog Fragen und beantworten sie jeden Montag gebündelt, auch mit Verlinkungen auf unsere Webseite. Darüber hinaus tauchen auch immer wieder neue Themen auf der Agenda auf. Wir berücksichtigen den politischen Kalender: Wo gibt es eine Konferenz der Kommission, was beschäftigt zurzeit die Verbände? 80 Prozent der Themen versuchen wir vorzuplanen, 20 Prozent entstehen spontan.
Das Thema ist in beide Richtungen angstbehaftet. Auf der Pro-Seite heißt es sinngemäß: „Sonst verlieren wir den weltweiten Anschluss im Handel“; auf der Contra-Seite: „Unsere Produkte werden sich verschlechtern und Konzerne übermächtig“. Warum setzen Sie so stark auf Gefühle, wäre hier nicht Nüchternheit gefragt?
Ein politischer Diskurs funktioniert nur, wenn auch eine gewisse Emotion dahinter ist, Leidenschaft gehört immer dazu. Auf unserem Twitter-Kanal ist aber schon Nüchternheit gefragt: Wir sticheln nicht, diskreditieren nicht die Positionen anderer. Mit Angst sollte man nicht spielen, wir setzen mehr auf eine Kommunikation von Chancen, wollen mit positiven Emotionen arbeiten. Ich erlebe eher die Gegenseite als sehr destruktiv. Aber auch diese provozieren wir nicht, sondern verlassen uns auf unsere Argumentation.
Was ist das stärkste Argument Ihrer Kampagne?
Es handelt sich um ein Zusammenspiel der Argumente: Mit TTIP wollen wir eine stärkere Gemeinschaft mit den USA schaffen, die Handelspartnerschaft intensivieren und Impulse für Wachstum schaffen, die gleichermaßen Unternehmen und Verbrauchern nützen.
Was ist das stärkste der Gegenseite?
Mich persönlich hat noch kein Argument der Contra-Seite überzeugt. Für unsere Arbeit sind jedoch einige der Argumente und Einwände der Gegenseite sehr hilfreich – manchmal, um sich im Dialog anzunähern, manchmal einfach, um die eigene Argumentation zu schärfen.
Gibt es etwas, das Ihnen die Gegenkampagne voraus hat?
Aus Kampagnensicht hat die Gegenseite toll gearbeitet. Es ist eine wahnsinnige Leistung, so viele Menschen für eine friedliche Demonstration auf die Straße zu bringen. Was sie sehr gut schaffen, ist Einzelaspekte aus der Diskussion zu isolieren, aus diesen Symbole zu machen und sie zu einem Skandal zu erheben. In diesem breiten TTIP-Bündnis gibt es aber sehr unterschiedliche einzelne Player. Einige von ihnen sprechen immer von einem „Geheimvertrag“. So etwas gibt es aber nicht. Zunächst informiert die EU sehr transparent über ihre Ziele und ihre Roten Linien. Wenn der Vertrag ausgehandelt ist, wird er veröffentlicht und ratifiziert, mindestens vom EU-Parlament und dem EU-Rat. Aber welcher Vertrag ist je in der Öffentlichkeit verhandelt worden? Das ist ein Politikverständnis, das mir persönlich fremd ist.
Welche Kanäle nutzen Sie und welches ist der effektivste?
Tumblr und Twitter sind für uns im Alltag die wichtigsten Kanäle. Die Plakate haben aber noch eine gewisse Wucht hereingebracht. Facebook spielt auch eine Rolle, aber Twitter ist natürlich der politischere Kanal. Zudem erreicht man bei Facebook nur die Menschen, die einem ohnehin folgen. Gerade was Menschen betrifft, die eine gewisse Neutralität wahren müssen: Ein „Follow“ kostet den einen oder anderen weniger Überwindung als ein „Like“. Die Youtube-Videos spielen eine untergeordnete Rolle, da wir hier nicht so schnell und dialogisch arbeiten können.
Mit welcher Bildsprache arbeiten Sie und warum?
Unser Motto ist „Klare Regeln – echte Chancen“, dazu passend rekurrieren wir immer wieder auf das Bild des Leuchtturms. Wichtiger als dessen Symbolkraft ist uns aber, auf Plakaten und Argumentationskarten „normale“ Menschen zu zeigen – denn das letzte, worauf der Kommunikationsmarkt gewartet hat, sind noch mehr Männer in Anzügen. Farblich sind grau und blau dominant, wobei das hellblau nicht ganz so industriell wirkt.
Wie verläuft der Austausch mit Parteien und Politikern, die die Haltung der Kampagne vertreten?
Wenn sich Politiker in Interviews pro TTIP äußern, teilen wir diese in den sozialen Netzwerken. Andersherum gibt es viele Politiker, die unsere Inhalte teilen. Neulich hat uns beispielsweise eine Kommunalpolitikerin, die im Kreistag einen TTIP-Vortrag halten sollte, nach einer Übersicht zu den Argumenten zum Thema kommunale Daseinsvorsorge gefragt. Ein Landtagsabgeordneter hat sie auf uns verwiesen, wir haben dann auf unsere Argumentationspapiere hingewiesen. Die Interaktion mit Politikern ist relativ hoch und wir werden immer mehr zur Informationsquelle.
Wie sehen Sie Ihr Anliegen von den deutschen Medien behandelt?
Weitgehend fair. Es gibt ja auch genügend Wirtschaftsredaktionen im Land, die das Thema mit Sachverstand bewerten.
Wie groß ist Ihr Kampagnenbudget?
Ein niedriger siebenstelliger Betrag – also näher an der Million als an zwei. Also gar nicht so viel.
Foto: MSL Germany
Wigan Salazar ist CEO der Kommunikationsberatung MSL Germany, für die er seit 2001 tätig ist. Zuvor arbeitete der Spezialist für Unternehmens- und Krisenkommunikation unter anderem für den Bundestagsabgeordneten Steffen Kampeter und für das britische Foreign and Commonwealth Office.
Ernst-Christoph Stolper vom BUND über die Contra-Kampagne
Herr Stolper, was ist das Herzstück Ihrer Kampagne?
Ernst-Christoph Stolper: Das Herzstück ist einerseits der Stop der Abkommen TTIP und CETA, anderseits das Eintreten für einen gerechten Welthandel. Uns geht es vor allem um die folgenden Kritikpunkte: 1. Die Absenkung ökologischer und sozialer Standards, 2. die Auswirkungen auf unsere Demokratie durch Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und die zukünftige Bindung der Gesetzgebung im Rahmen einer „Regulatorischen Kooperation“, 3. die Schiedsgerichte und die Frage: Will man eine Paralleljustiz für internationale Konzerne? 4. die flächendeckende Dienstleistungsliberalisierung und ihre Folgen für die öffentliche Daseinsvorsorge und die Kultur, sowie 5. die Auswirkungen auf Klima- und Energiepolitik.
Warum gehen Sie gerade jetzt in die Offensive? Die Debatte läuft ja schon seit Längerem.
Auf dem G7-Gipfel haben die Befürworter angekündigt, das Zeitfenster in diesem Herbst nutzen zu wollen, um zu versuchen, TTIP zumindest in Teilen in trockene Tücher zu bringen – und zwar bevor die amerikanischen Vorwahlen im Februar beginnen. Das wollen wir verhindern. Es kann nicht angehen, dass uns nach den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen nun noch schnell die Katze im Sack verkauft wird. Zudem wollten wir die Demonstration in einem gewissen Abstand zur Klimakonferenz in Paris stattfinden lassen.
Wie gelingt es, die thematische Komplexität einzudampfen und für jeden verständlich zu machen?
Das hat sich in den vergangen beiden Jahren in einer breiten Diskussion entwickelt. Verschiedenste NGOs sind schon vor Jahren auf das Thema aufmerksam geworden und haben die Kritikpunkte aus ihren jeweiligen Perspektiven aufgegriffen und die für sie wichtigsten Punkte kommuniziert. Im Laufe des Jahres 2014 haben sich in vielen Diskussionen Gemeinsamkeiten herauskristallisiert; zu Beginn dieses Jahres gab es ein gemeinsames Papier verschiedener großer Verbände. Parallel dazu hat es den Prozess der Europäischen Bürgerinitiative „Stop TTIP“ gegeben, die in Europa unter einem zugespitzten Aufruf über 3,2 Millionen Unterschriften gesammelt hat.
Wie bekommt man Menschen dazu, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren?
Während der vergangenen beiden Jahre hat es unzählige Veranstaltungen gegeben. Die Dynamik kommt von der Basis. Wir haben keine Auftraggeber, für die wir kommunizieren, sondern bieten Menschen Aktionsmöglichkeiten, die gegen das Abkommen sind. Wir hatten eine Phase von mehr als einem Jahr, in der das Thema in jedem Teil dieser Republik diskutiert worden ist. Viele Menschen haben selbst Expertise entwickelt, zu einigen Veranstaltungen haben wir Referenten vermittelt. Das ist ein Prozess, den wir bereits bei der Friedensbewegung und bei der Anti-AKW-Bewegung beobachten konnten: Bürger arbeiten sich auch in komplexe und schwierige Sachverhalte ein – es wächst eine Gegenöffentlichkeit mit hoher Kompetenz.
Das Thema ist in beide Richtungen angstbehaftet. Warum setzt Ihre Kampagne so stark auf Gefühle, wäre hier nicht Nüchternheit gefragt?
Es gibt keine Politik ohne Emotion. Die Menschen haben Befürchtungen, Hoffnungen und Wünsche – ich glaube nicht, dass Angst in diesem Fall ihr Hauptmotiv ist. Im Englischen gibt es diese schöne Unterscheidung von Sorge und Furcht einerseits und diffuser Angst andererseits, also fear und das aus dem Deutschen entlehnte Wort angst. Dieses Fremdwort ist übrigens auch ein Grund, warum die amerikanische Öffentlichkeit immer so schnell dabei ist, den Deutschen Angst zu unterstellen. TTIP-Gegner treibt keine diffuse Ängstlichkeit um, sondern es gibt sehr konkrete Befürchtungen. Die haben aber auch etwas mit konkreten Wünschen zu tun, zum Beispiel der Versorgung mit gesunden Lebensmitteln.
Was ist das stärkste Argument Ihrer Kampagne?
TTIP und CETA sind Instrumente aus einem alten Denken. Die Bürger haben in der Finanzkrise erlebt, was immer mehr Liberalisierung, immer mehr Deregulierung, immer mehr ungebremste Macht für große Banken und Konzerne bedeuten. Globalisierung braucht heute Gestaltung, Märkte brauchen Kontrolle. Nun kommen TTIP und CETA, die unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat noch mehr an die Leine internationaler Konzerne legen wollen statt andersherum. Da sagen selbst viele Freihandelsbefürworter: Nun ist es aber genug! Das will niemand mehr und das braucht auch niemand.
Was ist das stärkste Argument der Gegenseite?
Es gab auf der Seite der TTIP-Befürworter verschiedene Wellen der Argumentation. Von Anfang bis Herbst 2014 hieß es immer, der Vertrag werde Wohlstand und Arbeitsplätze bringen. Das hat sich aufgelöst, als klar war, dass die eigenen Gutachter der Kommission nur 0,5 Prozent Wachstum in zehn Jahren errechnet hatten. Später haben die Befürworter dann die Behauptung aufgestellt, TTIP wäre vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen gemacht – das kam allerdings erst in diesem Jahr auf. Auch dieses Argument wird in der Versenkung verschwinden, denn jeder weiß, dass vor allem große international aktive Unternehmen zu den Nutznießern gehören. Und die letzte Welle ist das Argument: Wenn wir die Regeln nicht machen, machen sie „die Chinesen“. Aber dieses Angst-Argument wird nicht verfangen. Denn: Warum machen wir die Regeln dann nicht gleich mit ihnen, statt zuvor eine transatlantische Wagenburg zu bauen? Warum soll ausgerechnet die Vertiefung der ohnehin schon intensiven transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen für uns den Zugang zu den asiatischen Zukunftsmärkten bringen und nicht die direkte Kooperation?
Gibt es etwas, das Ihnen die Gegenkampagne voraus hat?
Sie haben mehr Geld zur Verfügung. Wobei, auch das ist ambivalent. Natürlich könnten wir mit größerem Budget vieles schöner und besser machen. Andererseits macht viel Geld auch träge. Also bauen wir lieber auf Engagement und Kreativität der ganzen Bewegung.
Welche Kanäle nutzen Sie? Welches ist der wichtigste Kanal?
Auch hier wird wenig „von oben“ gesteuert. In den NGOs gibt es ja ohnehin eine funktionierende Twitter- und Facebook-Szene. Bei den jeweiligen Bündnissen sind eigene Accounts geschaffen worden. Für die informierte Szene ist Twitter wichtiger, hier gibt es viel Austausch. Über Webseite und Social Media hinaus veröffentlichen wir auch Youtube-Videos, beispielsweise Demo-Zusammenschnitte.
Mit welcher Bildsprache arbeiten Sie?
Es gibt keine Versuche, sich auf ein Symbol zu einigen. Ich glaube, dass das bei der Breite des Themas auch nicht sinnvoll wäre. Bei der Demo haben wir das Ausrufezeichen genutzt. Mir gefällt das häufig verwendete Symbol des Trojanischen Pferds, weil das die Sache recht gut trifft – unter dem Deckmantel des Freihandels werden ganz andere Dinge verfolgt.
Wie verläuft der Austausch mit Parteien und Politikern, die die Haltung der Kampagne vertreten? Inwieweit und auf welche Weise werden diese eingebunden?
Im Rahmen der Europäischen Bürgerinitiative sind viele Europaabgeordnete angeschrieben worden, es hat im Juli auch eine sehr umfangreiche Diskussion und Begleitung des Beschlusses des Europäischen Parlaments gegeben. Seit Anfang des Jahres hat sich eine sehr gute Gesprächskultur entwickelt. Aus Prinzip schreiben wir immer alle Abgeordneten an – auch weil sich pro- und contra-Haltungen bezüglich vieler Teilthemen nicht auf Parteien festlegen lassen.
Wie sehen Sie Ihr Anliegen von der Presse behandelt?
Gut! Wobei im Augenblick eine kleine Kampagne gegen uns läuft, die versucht uns wieder mal in das alte Bild des Antiamerikanismus hineinzudrücken. Die Fantasielosigkeit einiger Politiker und Publizisten ist erschreckend: Wer gegen TTIP ist, muss auch gegen Amerika sein. Früher war das halt einfacher. Heute gibt es auch Globalisierungsbefürworter, die gegen TTIP sind. Das haben noch nicht alle nachvollzogen.
Wie groß ist Ihr Kampagnenbudget?
Die Kosten der Demonstration sind von einer Vielzahl von Organisationen getragen worden. Ein Gesamtbudget kann zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht beziffert werden.
Foto: Privat
Ernst-Christoph Stolper ist Sprecher des Arbeitskreises Internationale Umweltpolitik des BUND. Darüber hinaus ist er einer der Initiatoren der Europäischen Bürgerinitiative „Stop TTIP“ sowie der Demonstration „Stop TTIP & CETA“ am 10. Oktober in Berlin sowie im Koordinierungskreis des Bündnisses „TTIP-unfairhandelbar“. Er war über viele Jahre in den Landesverwaltungen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz tätig, u.a. als Abteilungsleiter für Grundsatzangelegenheiten, Nachhaltiges Wirtschaften, Klima- und Energiepolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Europapolitik und zuletzt als Staatsekretär für Wirtschaft und Energiepolitik in Rheinland-Pfalz.